Leitsatz (amtlich)

Eine Siedlergemeinschaft als nicht rechtsfähiger Verein ist nicht aktiv parteifähig.

 

Normenkette

ZPO § 50 Abs. 2; BGB § 54

 

Verfahrensgang

OLG Oldenburg (Oldenburg)

LG Oldenburg

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 26. Mai 1988 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Revisionsklägerin ist eine Untergliederung des Vereins „… e.V.” sie besitzt keine eigene Satzung, versteht sich aber als nicht rechtsfähiger Verein.

Aufgrund eines zwischen ihr, vertreten durch den derzeitigen 1. Vorsitzenden, und der Stadt … am 27. Mai 1977 abgeschlossenen „Gestattungsvertrages” nutzt die Klägerin ein Gelände als Spiel- und Festplatz. Eigentümerin des größeren Teils dieses Geländes ist die Stadt …, zu einem kleineren Teil gehört es einer privaten Eisenbahngesellschaft.

Der Beklagte war früher Mitglied der Klägerin. Sein Grundstück grenzt an das von ihr genutzte Gelände an. Er muß dieses überqueren, wenn er den rückwärtigen Teil seines Grundstücks mit Fahrzeugen erreichen will. Den Zugang verschafft er sich – auch gewaltsam – gegen den Willen der Klägerin.

Zunächst haben die meisten Mitglieder der Klägerin gegen den Beklagten Klage erhoben und beantragt, ihm bei Meidung von Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft, das Betreten und Befahren des von der Klägerin benutzten Geländes zu verbieten.

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, sie hätte von allen Mitgliedern der Klägerin erhoben werden müssen, des weiteren hätten alle Mitglieder den Vorstand zur Prozeßführung bevollmächtigen müssen, der „Gestattungsvertrag” vom 27. Mai 1977 verschaffe der Klägerin keine eigenen Besitzrechte.

Die von der Klägerin selbst als nicht rechtsfähiger Verein, vertreten durch ihren Vorstand, eingelegte Berufung hat das Oberlandesgericht als unzulässig verworfen, weil es an der aktiven Parteifähigkeit fehle.

Mit der Revision verfolgt die Klägerin das Klagebegehren weiter. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision (§ 547 ZPO, BGHZ 24, 91, 94) hat keinen Erfolg.

Mit Recht hat das Berufungsgericht das Rechtsmittel der Klägerin als unzulässig verworfen.

Ob die Klägerin ein nicht rechtsfähiger Verein oder nur eine unselbständige Untergliederung des „…e.V.” ist, kann offen bleiben, denn auch als nicht rechtsfähiger Verein würde die Klägerin ebensowenig die aktive Parteifähigkeit wie als rechtlich unselbständige Untergliederung des Hauptvereins besitzen.

Nach § 50 Abs. 1 ZPO hängt die Parteifähigkeit von der Rechtsfähigkeit ab. Das eine unselbständige Untergliederung eines rechtsfähigen Vereins keine eigene Rechtsfähigkeit hat, steht außer Frage. In der Form eines nicht rechtsfähigen Vereines, auf den nach § 54 Satz 1 BGB die Vorschriften der Gesellschaft Anwendung finden, würde die Klägerin nach § 50 Abs. 2 ZPO nur die passive Parteifähigkeit besitzen. Sie hätte also, da sie in der ersten Instanz nicht Prozeßpartei war und daher ihre Parteifähigkeit nicht in Frage stand (vgl. BGHZ 24, 91, 94), keine zulässige Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts einlegen, können.

Die Rechtsprechung hat für die in Form eines nicht rechtsfähigen Vereines organisierten Gewerkschaften in Abweichung von § 50 ZPO die aktive Parteifähigkeit bejaht. Als Grund für diese Ausnahme wird angeführt, im Gegensatz zu sonstigen privaten nicht rechtsfähigen Vereinen seien die Gewerkschaften Träger zahlreicher öffentlicher Funktionen, wegen der sie eine Sonderstellung einnähmen. Das Grundgesetz habe in Art. 9 Abs. 3 das korporative Daseins- und Betätigungsrecht der zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbeziehungen gebildeten Vereinigungen unter den Schutz der Verfassung gestellt und damit die besondere Bedeutung dieser Koalitionen in der Sozialordnung anerkannt. Dem verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG dürfe sich das Verfahrensrecht nicht versagen. Es müsse vielmehr den Gewerkschaften die Möglichkeit eröffnen, die Gerichte zum Schutz gegen zivilrechtlich unerlaubte Störungen ihrer Organisationen und ihrer Tätigkeit anzurufen (BGHZ 42, 210, 216 ff.; 50, 325 ff.).

In einer mit den Gewerkschaften vergleichbaren Situation befindet sich die Klägerin nicht. Ihr sind keine öffentlichen Funktionen übertragen, deren Schutz die aktive Anrufung der Gerichte verlangt.

Soweit im Schrifttum die Auffassung vertreten wird, die weitgehende Angleichung des nicht rechtsfähigen an den rechtsfähigen Verein im materiellen Recht verlange als Konsequenz die aktive Parteifähigkeit für nicht rechtsfähige Vereine (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB 48. Aufl., § 54 Anm. 5b; MünchKomm/Reuter, BGB 2. Aufl., § 54 Rdnr. 8; Staudinger/Coing, BGB 12. Aufl., § 54 Rdnr. 19; Soergel/Hadding, BGB 12. Aufl., § 54 Rdnr. 33; AK-BGB/Ott, § 54 Rdnr. 8; Jauernig, BGB 4. Aufl., § 54 Anm. 3d; Lindacher, ZZP 90, 131, 140; Habscheidt, ZZP 78, 236, 237; Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit, S. 206 ff.; Bayer, Die liquidationslose Fortsetzung rechtsfähiger Idealvereine, S. 122 ff.; Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 65 ff.; Wapler, NJW 1961, 439 ff.; Reinhardt/Schultz, Gesellschaftsrecht 2. Aufl., Rdnr. 379), vermag sich dem der Senat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung und einem Teil des Schrifttums (vgl. RGZ 1978, 101, 106; BGHZ 42, 210, 211; OLG München, NJW 1969, 617, 618; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl. S. 43 II 2a; Thomas/Putzo, ZPO 15. Aufl. § 50 Anm. 2 f.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO 20. Aufl. 50 Rdnr. 20) nicht anzuschließen. Die gesetzliche Regelung mit der Versagung der aktiven Parteifähigkeit für nicht rechtsfähige Vereine ist klar und eindeutig. Bloße Zweckmäßigkeitserwägungen würden zu einer Gewährung der aktiven Parteifähigkeit contra legem nicht ausreichen. Auch eine – wie die Revision meint – an Art. 5 und 9 GG orientierte verfassungskonforme Auslegung des § 50 ZPO muß hier nicht zur aktiven Parteifähigkeit führen. Weder das Recht der freien Meinungsäußerung noch der Vereinigungsfreiheit werden durch wortgetreue Anwendung des § 50 ZPO eingeschränkt. Den Mitgliedern der Klägerin würde der Rechtsschutz weder versagt noch in unzumutbarer Weise erschwert. Sie haben die Möglichkeit, in ihrer Gesamtheit Klage zu erheben. Aufgrund der verhältnismäßig geringen Mitgliederzahl der Klägerin bestehen auch keine großen Schwierigkeiten zur Individualisierung der Mitglieder im Rechtsstreit. Aus diesem Grunde kann offenbleiben, ob einer vermittelnden Ansicht (vgl. BGB-RGRK/Steffen, 12. Aufl. § 54 Rdnr. 19) gefolgt werden könnte, die den nicht rechtsfähigen Vereinen die aktive Parteifähigkeit zuerkennen will, die wegen der großen Mitgliederzahl oder des raschen Mitgliederwechsels zur Individualisierung ihrer Mitglieder im Rechtsstreit nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten in der Lage sind. Im übrigen darf auch nicht außer acht gelassen werden, daß der Gesetzgeber seit der Gewährung der aktiven Parteifähigkeit für Gewerkschaften die Zivilprozeßordnung mehrfach geändert und es dabei offensichtlich nicht für nötig gehalten hat, allen nicht rechtsfähigen Vereinen die aktive Parteifähigkeit zuzuerkennen. Bei dieser Situation folgt aus den Grundsätzen der Rechts- und Gesetzesbindung der rechtsprechenden Gewalt (Art. 20 Abs. 3 GG), daß eine – im Grundsatz anerkannte – richterliche Rechtsfortbildung (vgl. BVerfGE 34, 269, 287 f.; 49, 304, 318) in bezug auf die aktive Parteifähigkeit „normaler” nicht rechtsfähiger Vereine nicht in Betracht kommt.

Fehlt aber der Klägerin die aktive Parteifähigkeit, so war die Verwerfung der Berufung als unzulässig durch das Berufungsgericht – unabhängig von der Frage, ob die Klägerin durch das Urteil des Landgerichts überhaupt beschwert war – richtig. Die Revision ist demgemäß mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

 

Fundstellen

BGHZ, 15

NJW 1990, 186

ZIP 1989, 1614

JZ 1990, 50

ZBB 1990, 157

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