Leitsatz (amtlich)

a) Eine Schadensersatzpflicht des Insolvenzverwalters nach § 61 InsO besteht nur für die pflichtwidrige Begründung von Masseverbindlichkeiten.

b) Bei Abschluss eines Vertrages kommt es für den Zeitpunkt der Begründung der Verbindlichkeit regelmäßig darauf an, ob der anspruchsbegründende Tatbestand materiell-rechtlich abgeschlossen ist. Im Einzelfall kann der Zeitpunkt je nach den vertraglichen Absprachen auch nach Vertragsschluss liegen.

c) Ein Ausfallschaden nach § 61 InsO ist jedenfalls dann eingetreten, wenn der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat und nicht zu erwarten ist, dass die Altmassegläubiger in absehbarer Zeit Befriedigung erhalten werden.

d) § 61 InsO gewährt einen Anspruch auf das negative Interesse.

e) Der Insolvenzverwalter haftet einem Massegläubiger nach § 60 InsO, wenn er die Masse pflichtwidrig verkürzt.

f) Ein Schaden, der Massegläubigern durch eine pflichtwidrige Masseverkürzung des Insolvenzverwalters vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit entsteht, ist grundsätzlich ein Einzelschaden, der von den Gläubigern während des Insolvenzverfahrens geltend gemacht werden kann.

 

Normenkette

InsO §§ 60-61, 92

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Urteil vom 16.01.2003; Aktenzeichen 27 U 45/02)

LG Münster

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 27. Zivilsenats des OLG Hamm v. 16.1.2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt den Beklagten als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der K. AG (fortan: Schuldnerin) wegen der Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten persönlich auf Schadensersatz in Anspruch. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 2.12.1999 bemühte sich der Beklagte darum, das Unternehmen der Schuldnerin zu sanieren, und führte deshalb den Betrieb fort. Mit Schreiben v. 2.12.1999 teilte er den Lieferanten neben der Eröffnung des Insolvenzverfahrens u. a. mit, dass "wie schon während der Zeit des Vorverfahrens ... die Zahlung aller ab dem 2.12.1999 bestellten Lieferungen und Leistungen gesichert" sei. Im März 2000 bestellte der Beklagte bei der Klägerin Waren, welche die Klägerin lieferte und in Rechnung stellte; die Forderungen waren jeweils zum 15. des auf die Lieferung folgenden Monats fällig. Im Einzelnen handelte es sich um folgende Bestellungen:

Am 6.3.2000 Waren im Wert von 168.168 DM netto; der für die Lieferungen noch offene Betrag auf Grund der Rechnung v. 13.10.2000 beträgt 20.924,02 DM brutto.

Am 30.3.2000 Waren im Wert von 1.394.505 DM netto; die für die einzelnen Lieferungen noch offenen Beträge auf Grund der Rechnungen v. 11., 12. und 28.9.sowie v. 4., 9., 11., 16. und 19.10.belaufen sich auf 744.376,32 DM brutto.

Der Beklagte bezahlte diese Rechnungen i. H. v. insgesamt 765.300,34 DM brutto nicht.

Im Juli 2000 verkaufte der Beklagte einerseits die Warenbestände und andererseits die Maschinen, maschinellen Anlagen, Betriebs- und Geschäftsausstattung und immateriellen Wirtschaftsgüter (im Folgenden: Anlagevermögen) zum 1.11.2000 an zwei verschiedene Abnehmer. Der Kaufpreis für die Warenbestände sollte nach einer Inventur zum Übernahmestichtag festgelegt werden und war in zwei hälftigen Raten ab November 2000 und zum 1.5.2001 fällig. Der Kaufpreis für das Anlagevermögen betrug 12 Mio. DM zzgl. Umsatzsteuer und war in Raten ab Februar 2001 fällig. Am 24.11.2000 ging die erste Kaufpreisrate für die Warenbestände i. H. v. 9.185.905,43 DM ein. Noch am selben Tage leitete der Beklagte von dieser Summe 8.060.400 DM an einen Gläubiger- und Lieferantenpool weiter. Weitere Zahlungen der Käufer erfolgten nicht. Mit Schreiben v. 7.3.2001 zeigte der Beklagte dem Insolvenzgericht Masseunzulänglichkeit an.

Das LG hat der auf Zahlung der offenen Rechnungsbeträge gerichteten Klage - bis auf die Umsatzsteuer - Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche gegen die Insolvenzmasse stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten hatte keinen Erfolg. Mit der - vom Berufungsgericht zugelassenen - Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

I.

Das Berufungsgericht hat gemeint, der Beklagte hafte der Klägerin nach § 61 S. 1 InsO auf Schadensersatz. Die Ersatzpflicht trete bereits ein, wenn der Insolvenzverwalter nicht in der Lage sei, die Masseschulden bei Fälligkeit zu erfüllen. Eine spätere Erfüllbarkeit sei unerheblich. Der Beklagte könne sich nicht nach § 61 S. 2 InsO entlasten. Dabei könne offen bleiben, ob bereits die Begründung der Verbindlichkeiten pflichtwidrig gewesen sei. Die Entlastungsmöglichkeit nach § 61 S. 2 InsO sei dem Beklagten jedenfalls deshalb zu versagen, weil er die Masseunzulänglichkeit und damit die Nichterfüllung der Ansprüche pflichtwidrig selbst herbeigeführt habe. § 61 S. 1 InsO erfasse alle Fälle, bei denen die Masse zur Erfüllung von durch Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters begründeten Masseverbindlichkeiten nicht ausreiche. Der Beklagte habe sich vergewissern müssen, dass keine Forderungen von Massegläubigern offen stehen, bevor er 8.060.400 DM an den Gläubigerpool auskehrte. Auf spätere, nach der Fälligkeit liegende Zahlungseingänge habe er nicht vertrauen dürfen. Die fehlende Kenntnis der Ansprüche der Klägerin entlaste den Beklagten nicht, weil dies durch eine ordnungsgemäße Buchhaltung hätte vermieden werden können. Zudem sei der Beklagte verpflichtet gewesen, sich vor Auszahlung eines Betrages dieser Größenordnung besonders zu vergewissern, ob alle Rechnungen bezahlt worden seien.

II.

Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Das Berufungsgericht hat einen Anspruch aus § 61 InsO mit unzutreffender Begründung bejaht.

a) Im Ergebnis zutreffend hat es allerdings den Schadensersatzanspruch aus § 61 InsO als einen Individualanspruch angesehen (vgl. Kübler/Prütting/Lüke, InsO, § 61 Rz. 3; Brandes in MünchKomm/InsO, §§ 60, 61 Rz. 32 zu 2, Rz. 34), der während des Insolvenzverfahrens von den geschädigten Massegläubigern gegen den Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 27.2.1973 - VI ZR 118/71, WM 1973, 556 [557]).

b) Das Berufungsgericht hat ferner richtig angenommen, dass eine Schadensersatzpflicht nach § 61 S. 1 InsO nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil die Masse möglicherweise noch Ansprüche in einer die Klageforderung übersteigenden Höhe hat.

Ein Ausfallschaden im Sinn des § 61 InsO liegt jedenfalls dann vor, wenn der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat und keine ohne weiteres durchsetzbaren Ansprüche bestehen, aus denen die Massegläubiger befriedigt werden könnten (vgl. BGH, Urt. v. 27.2.1973 - VI ZR 118/71, WM 1973, 556 [557]; v. 25.3.1975 - VI ZR 75/73, WM 1975, 517; v. 10.5.1977 - VI ZR 48/76, WM 1977, 847 [848]). Das ist hier der Fall. Der Beklagte räumt selbst ein, dass allein noch Ansprüche gegen die Käufer der Warenbestände und des Anlagevermögens in Betracht kommen. Eine freiwillige Erfüllung dieser Ansprüche ist unstreitig ausgeschlossen. Die Massegläubiger müssen sich nicht auf den Ausgang eines möglicherweise langwierigen Rechtsstreits über ungewisse Ansprüche vertrösten lassen. Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob - wie das Berufungsgericht meint - ein Ausfallschaden im Sinn des § 61 InsO bereits dann eingetreten ist, wenn der Insolvenzverwalter die Masseschuld bei Fälligkeit nicht zu erfüllen vermag (so OLG Hamm v. 28.11.2002 - 27 U 87/02, OLGReport Hamm 2003, 126 = ZIP 2003, 1165 [1166]; Kübler/Prütting/Lüke, InsO, § 61 Rz. 7; Laws, MDR 2003, 787 [789]), oder ob eine Haftung des Insolvenzverwalters nicht in Betracht kommt, wenn er die Masseforderung zwar nicht sogleich decken, sie aber aus Außenständen befriedigen kann, die unschwer zu realisieren sind (so BGH v. 10.5.1977 - VI ZR 48/76, WM 1977, 847 [848] zu § 82 KO).

c) Im Gegensatz zur Auffassung des Berufungsgerichts regelt § 61 InsO jedoch - wie die Revision zutreffend geltend macht - ausschließlich die Haftung des Insolvenzverwalters für die pflichtwidrige Begründung von Masseverbindlichkeiten. § 61 InsO legt keine insolvenzspezifischen Pflichten für die Zeit nach Begründung einer Verbindlichkeit fest. Aus der Vorschrift ist kein Anspruch auf Ersatz eines Schadens herzuleiten, der auf erst später eingetretenen Gründen beruht (Gerhardt, ZInsO 2000, 574 [582]; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 3. Aufl., Rz. 6.40; Eickmann, HK-InsO, 3. Aufl., § 61 Rz. 3, 6; Kübler/Prütting/Lüke, InsO, § 61 Rz. 1; Uhlenbruck, InsO, § 60 Rz. 19, § 61 Rz. 1; Laws, MDR 2003, 787 [792]; Kaufmann, InVo, 2004, 128 [129 f.]; wohl auch Braun/Kind, InsO, § 61 Rz. 6 f.; a. A. Hefermehl in MünchKomm/InsO, § 53 Rz. 89; Smid, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., S. 453, 469 Rz. 46, S. 471 Rz. 52; wohl auch Pape, ZInsO 2003, 1013 [1020 f.]).

§ 61 InsO entscheidet im Interessenkonflikt zwischen Massegläubiger und Insolvenzverwalter, wen das Risiko zukünftiger Masseunzulänglichkeit trifft. Die gesetzliche Wertung der Norm bezieht sich dabei nur auf die Interessenlage des potenziellen Massegläubigers. Die gesetzgeberischen Erwägungen knüpfen an die Situation der Vertragsverhandlungen und des Vertragsabschlusses an. Es soll ein gegenüber den allgemeinen Gefahren eines Vertragsabschlusses erhöhtes Risiko gemildert werden (BT-Drucks. 12/2443, 129 zu § 72). Als entscheidend für eine Haftung wird hervorgehoben, dass der Verwalter bei Begründung der Schuld erkennen konnte, die Masse werde zur Erfüllung der Verbindlichkeit voraussichtlich nicht ausreichen (BT-Drucks. BT-Drucks. 12/2443, 129 zu § 72). Dem entspricht die Beweislastregel des § 61 S. 2 InsO.

Auch die Vorgeschichte der Vorschrift spricht für eine solche Beschränkung ihres Anwendungsbereichs. LS 3.2.3 des Zweiten Berichts der Kommission für Insolvenzrecht regelte nach seiner Überschrift die "Pflichten" des Insolvenzverwalters "bei der rechtsgeschäftlichen Begründung von Masseschulden". In der Begründung heißt es: "Der LS betrifft nur die Verantwortlichkeit des Insolvenzverwalters für die rechtsgeschäftliche Begründung von Masseverbindlichkeiten. Für die Erfüllung einer solchen Forderung hat er nach den Regeln des Leitsatzes 3.2.2 einzustehen", d. h. nach der allgemeinen Haftungsnorm (Zweiter Bericht der Kommission für Insolvenzrecht 1986 S. 84 a. E.). Daran knüpft die bereits wiedergegebene Erwägung der Regierungsbegründung zur Insolvenzordnung an.

Zwar werden in der Regierungsbegründung auch Zwecke erwähnt, die eine weite Haftung des Insolvenzverwalters rechtfertigen könnten. So soll mit der Norm die Bereitschaft Dritter gefördert werden, Geschäfte mit dem Insolvenzverwalter abzuschließen, ohne besondere Sicherheiten zu verlangen, umso die Unternehmensfortführung zu erleichtern (BT-Drucks. 12/2443 zu § 72). Doch ist dies vor dem Hintergrund des Bestrebens der Insolvenzordnung zu sehen, einer Ausuferung der Haftung des Insolvenzverwalters vorzubeugen (BT-Drucks. 12/2443, 129 zu § 71; Lüke, 50 Jahre BGH, Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. III, S. 701, 702, 710). Die Risikosphären von Geschäftspartner und Insolvenzverwalter sollen sinnvoll voneinander abgegrenzt und zugleich soll einer zu weit gehenden Verantwortlichkeit des Verwalters vorgebeugt werden (Lüke, 50 Jahre BGH, Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. III, S. 717). Das gegenüber einem normalen Geschäftsabschluss erhöhte Risiko, das die Haftung des Insolvenzverwalters rechtfertigt, liegt in der besonderen Situation des Vertragsschlusses durch einen insolventen Partner. Hier ist die Wahrscheinlichkeit einer Zahlungsunfähigkeit deutlich höher als bei dem Vertragsschluss durch jemand, über dessen Vermögen kein Insolvenzverfahren eröffnet ist. Wer als Insolvenzverwalter Masseschulden begründen will, muss besonders sorgfältig prüfen, ob er die neuen Verbindlichkeiten wird erfüllen können. Er hat die Begründung von Masseverbindlichkeiten zu unterlassen, wenn deren Erfüllung voraussichtlich nicht möglich sein wird (Lüke, 50 Jahre BGH, Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. III, S. 715). Der Verwalter muss sich vergewissern, ob er bei normalem Geschäftsverlauf zu einer rechtzeitigen und vollständigen Erfüllung der von ihm begründeten Forderungen mit Mitteln der Masse in der Lage sein wird (Zweiter Bericht der Kommission für Insolvenzrecht S. 84; Kübler/Prütting/Lüke, InsO, § 61 Rz. 7; Uhlenbruck, InsO, § 61 Rz. 4).

Pflichten zum Schutz der Massegläubiger für die Zeit nach Begründung der Masseverbindlichkeiten bestanden bereits nach alter Rechtslage und ergeben sich aus anderen Normen des Insolvenzrechts, insbesondere aus §§ 53 ff InsO i. V. m. § 60 InsO. Eine Sondernorm war insoweit nicht erforderlich. Der ausdrücklich erwähnte Anlass für die Schaffung des § 61 InsO bestätigt dies. Die Norm soll Schutzdefiziten begegnen, die sich aus der Rechtsprechung des BGH zur Haftung des Konkursverwalters gegenüber Massegläubigern ergaben (BT-Drucks. 12/2443, 129 zu § 72). Nach dieser Rechtsprechung war ein Gläubiger beim Abschluss eines Vertrages mit einem Konkursverwalter nicht besonders geschützt (BGH v. 14.4.1987 - IX ZR 260/86, BGHZ 100, 346 [351] = MDR 1987, 667; auch bereits v. 4.12.1986 - IX ZR 47/86, BGHZ 99, 151 [155 f.] = MDR 1987, 403). Wohl aber bestand ein Schutz der Massegläubiger für solche Schäden, die sie im Verlauf der Vertragsabwicklung erleiden. Hier kam eine Haftung des Verwalters in Betracht, wenn er gegen die Pflicht verstieß, Massegläubiger vorweg (§ 57 KO) und in der Rangfolge des § 60 KO zu befriedigen (BGH v. 4.12.1986 - IX ZR 47/86, BGHZ 99, 151, 156 f.] = MDR 1987, 403; v. 14.4.1987 - IX ZR 260/86, BGHZ 100, 346 [350] = MDR 1987, 667; Urt. v. 18.1.1990 - IX ZR 71/89, MDR 1990, 621 = WM 1990, 329 [332]) oder wenn er eine Masseverbindlichkeit erfüllte, ohne sich zu vergewissern, auch die Übrigen, noch nicht fälligen vor- oder gleichrangigen Verbindlichkeiten ebenfalls erfüllen zu können (BGH, Urt. v. 5.7.1988 - IX ZR 7/88, MDR 1989, 61 = ZIP 1988, 1068 [1069]).

d) Das Berufungsgericht hat sich mit der Frage, ob der Beklagte bei Begründung der Verbindlichkeiten gegenüber der Klägerin erkennen konnte, dass die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen würde, nicht befasst. Insbesondere hat es insoweit die vom Beklagten angebotenen Beweise nicht erhoben.

2. Auch die Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 60 InsO hat das Berufungsgericht nicht hinreichend festgestellt.

a) Die Klägerin ist - entgegen der Ansicht der Revision - für einen Anspruch aus § 60 InsO prozessführungsbefugt. § 92 InsO erfasst den vorliegenden Fall weder unmittelbar noch entsprechend.

Schädigt der Insolvenzverwalter einen Massegläubiger, liegt regelmäßig ein Einzelschaden vor, der schon während des Insolvenzverfahrens geltend gemacht werden kann (vgl. BGH, BGH, Urt. v. 27.2.1973 - VI ZR 118/71, WM 1973, 556 [557]; v. 25.3.1975 - VI ZR 75/73, WM 1975, 517; v. 10.5.1977 - VI ZR 48/76, WM 1977, 847 [848]; Smid, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., S. 477 Rz. 70; Brandes in MünchKomm/InsO, §§ 60, 61 Rz. 118). Daran ändert sich nichts, wenn dem Massegläubiger der Ausfall gerade infolge einer Masseverkürzung durch den Insolvenzverwalter entsteht (BGH, Urt. v. 5.10.1989 - IX ZR 233/87, MDR 1990, 239 = ZIP 1989, 1407 [1408] - obiter; auch Urt. v. 5.7.1988 - IX ZR 7/88, MDR 1989, 61 = ZIP 1988, 1068 [1069]).

Soweit das Schrifttum eine entsprechende Anwendung des § 92 InsO auf Massegläubiger befürwortet, geschieht dies für solche Schäden, die durch eine Schmälerung der Insolvenzmasse nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit eintreten (Bork, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., S. 1333, 1337 Rz. 11; Kübler/Prütting/Lüke, InsO, § 92 Rz. 51; Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rz. 613; Brandes in MünchKomm-InsO, § 92 Rz. 8; Uhlenbruck/Hirte, InsO, § 92 Rz. 22; Uhlenbruck, InsO, § 208 Rz. 30; Eickmann, HK-InsO, 3. Aufl., § 92 Rz. 2; wohl auch Dinstühler, ZIP 1998, 1697 [1706]). In einem solchen Fall, in dem die Massegläubiger von vornherein nur einen durchsetzbaren Anspruch auf eine Quote ihrer Forderungen haben und diese durch die vorwerfbare Masseverkürzung des Insolvenzverwalters verkleinert wird, mag es nahe liegen, wegen des von allen betroffenen Massegläubigern gemeinschaftlich erlittenen Schadens (Gesamtschadens) eine entsprechende Anwendung von § 92 InsO in Erwägung zu ziehen. Im Streitfall erfolgte die Masseverkürzung, aus der die Klägerin ihren Schaden herleitet, jedoch mehr als drei Monate vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit und damit zu einem Zeitpunkt, in dem die Masse noch zur Erfüllung sämtlicher Masseverbindlichkeiten ausreichte. Auf einen solchen Fall ist § 92 InsO nach seinem Sinn und Zweck nicht zugeschnitten.

b) Ein Anspruch der Klägerin aus § 60 InsO setzt voraus, dass der Beklagte mit der Auszahlung der 8.060.400 DM an den Pool eine ihm gegenüber der Klägerin als Massegläubigerin obliegende Pflicht verletzt und dadurch den geltend gemachten Schaden herbeigeführt hat. Hierzu hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen.

aa) Der Beklagte könnte eine insolvenzspezifische Pflicht verletzt haben, wenn die Forderungen der Klägerin gegenüber den Forderungen des Gläubigerpools vor- oder gleichrangig waren. Dies wäre der Fall, wenn der Gläubigerpool ungesicherte Insolvenzforderungen (dann Nachrang des Gläubigerpools gem. § 53 InsO) oder ungesicherte Masseforderungen (dann Gleichrang des Gläubigerpools; vgl. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO; Hefermehl in MünchKomm/InsO, § 53 Rz. 11) vereinigte. Die subjektive Einschätzung des Beklagten, er hätte die Forderungen der Klägerin, wenn er gewusst hätte, dass sie noch bestanden, vom Auszahlungsbetrag beglichen, ist hingegen für die Frage der Pflichtverletzung belanglos. Umgekehrt hätte der Beklagte pflichtgemäß gehandelt, wenn die Forderungen des Gläubigerpools gegenüber den Forderungen der Klägerin vorrangig waren. Dies träfe zu, wenn und soweit es sich bei den Mitgliedern des Gläubigerpools um Aus- oder Absonderungsberechtigte gehandelt haben sollte (Kübler/Prütting/Pape, InsO, § 53 Rz. 15; Hefermehl in MünchKomm/InsO, § 53 Rz. 12, 15; Uhlenbruck/Berscheid, InsO, § 53 Rz. 3; vgl. auch BGH v. 14.4.1987 - IX ZR 260/86, BGHZ 100, 346 [350] = MDR 1987, 667; Urt. v. 18.1.1990 - IX ZR 71/89, MDR 1990, 621 = WM 1990, 329 [332]).

bb) Nach dem bisherigen Sachvortrag erscheint es - worauf die Revision zu Recht hinweist - möglich, dass dem Gläubigerpool Sicherungsrechte an den veräußerten Warenbeständen zustanden. Ggf. kommt es nicht darauf an, ob die durch das Absonderungsrecht gesicherten Forderungen Insolvenz- oder Masseforderungen waren. Sofern diese Sicherungsrechte wirksam vereinbart worden sein sollten, wird eine Haftung des Beklagten ausscheiden.

Der Erlös für die Warenbestände könnte dem Gläubigerpool infolge von Absonderungsrechten zustehen. Der Verwalter ist verpflichtet, Erlöse aus der Verwertung von Absonderungsgut an den Sicherungsnehmer abzuführen (§ 170 Abs. 1 S. 2 InsO; vgl. auch BGH, Urt. v. 2.12.1993 - IX ZR 241/92, MDR 1994, 269 = WM 1994, 219 f.); unter diesen Umständen wäre die Auszahlung pflichtgemäß gewesen. Dies setzt jedoch eine wirksame Vereinbarung von Absonderungsrechten zu Gunsten der Einzelnen in dem Pool zusammengefassten Gläubiger voraus. Die Auszahlung könnte dann allenfalls pflichtwidrig gewesen sein, soweit der Beklagte einen der Masse aus dem Verwertungserlös zustehenden Kostenbeitrag nicht einbehalten haben sollte (§ 171 InsO). Darüber hinaus käme in einem solchen Fall eine Pflichtverletzung des Beklagten nur in Betracht, wenn der Gläubigerpool seine Forderungen nicht nur gestundet, sondern den Beklagten auch ermächtigt hätte, zum Nachteil der Ansprüche des Pools über den Erlös aus der Verwertung der Sicherungsrechte zu verfügen.

cc) Fehlt es an einem Vorrang der Forderungen des Gläubigerpools, was insbesondere dann zutrifft, wenn und soweit Sicherungsrechte an den Warenbeständen unwirksam gewesen sein sollten, lässt sich eine Haftung des Beklagten nach dem revisionsrechtlich zu Grunde zu legenden Sachverhalt nicht ausschließen. Dabei ist zu unterscheiden:

(1) Sofern der Gläubigerpool nur Insolvenzforderungen zusammenfasste, hätte die Auszahlung gegen die sich aus § 53 InsO ergebende Pflicht des Verwalters zur vorrangigen Befriedigung von Masseverbindlichkeiten verstoßen. Dies begründet eine Haftung nach § 60 InsO. Hielt der Verwalter eine Forderung irrtümlich für eine Masseschuld, haftet er, sofern der Irrtum auf Verschulden beruht (Brandes in MünchKomm/InsO, §§ 60, 61 Rz. 18).

(2) Aber auch wenn und soweit es sich bei den Ansprüchen des Gläubigerpools um mit den Forderungen der Klägerin gleichrangige Masseverbindlichkeiten handelte, wäre - entgegen der Ansicht der Revision - eine Haftung des Beklagten nicht schon aus Rechtsgründen ausgeschlossen. Der Beklagte haftete, wenn er schuldhaft nicht erkannte, dass im Zeitpunkt der Zahlung Masseunzulänglichkeit bereits eingetreten war oder drohte mit der Folge, dass die Klägerin als Massegläubigerin mit ihren Forderungen ganz oder teilweise ausfiel (vgl. BGH, Urt. v. 5.7.1988 - IX ZR 7/88, MDR 1989, 61 = ZIP 1988, 1068 [1069] zur Rechtslage nach der Konkursordnung; Hefermehl in MünchKomm/InsO, § 208 Rz. 33; Uhlenbruck, InsO, § 208 Rz. 14). Hierbei wäre es - was das Berufungsgericht offen gelassen hat - von Bedeutung, ob der Beklagte damit rechnen musste, dass die weiteren Kaufpreisraten für das Umlauf- und das Anlagevermögen ausblieben.

Unabhängig davon könnte der Beklagte bereits deshalb haften, weil er fällige und einredefreie Forderungen des Gläubigerpools und der Klägerin nicht gleichmäßig bedient und die Klägerin deshalb einen Ausfall erlitten hat. Der Insolvenzverwalter hat Masseverbindlichkeiten zu begleichen, sobald Fälligkeit eingetreten ist (Hefermehl in MünchKomm/InsO, § 53 Rz. 51; vgl. auch Kübler/Prütting/Pape, InsO, Rz. 35; Hess/Weis/Wienberg, InsO, 2. Aufl., § 53 Rz. 43). Er hat vor jeder Verteilung der Masse zu kontrollieren, ob die anderen Masseverbindlichkeiten rechtzeitig und vollständig aus der verbleibenden Insolvenzmasse bezahlt werden können. Sind mehrere Masseschulden fällig und einredefrei, ist der Insolvenzverwalter angesichts des Gleichrangs der Massegläubiger verpflichtet, sie nur anteilig zu befriedigen, sofern er momentan zur vollständigen Bezahlung nicht in der Lage ist. Verstößt er hiergegen, haftet der Insolvenzverwalter einem benachteiligten Massegläubiger in Höhe des Betrages, der auf ihn bei anteiliger Befriedigung entfallen wäre. Es kann auf sich beruhen, ob der Insolvenzverwalter in einer solchen Situation eine - zeitweilige - Masseunzulänglichkeit anzeigen muss (vgl. Pape in MünchKomm/InsO, § 208 Rz. 25 f.; Uhlenbruck, InsO, § 208 Rz. 11). Jedenfalls ist er nicht befugt, einem von mehreren Massegläubigern das Risiko zuzuweisen, ob sich in Zukunft weitere Masseeingänge realisieren lassen. Daher kann sich der Beklagte nicht darauf berufen, er habe mit weiteren Zahlungen seitens der Käufer rechnen dürfen. Dies mag anders liegen, wenn es sich dabei um unschwer einzuziehende und daher alsbald verfügbare Forderungen handelt oder die Masse über zahlreiche weitere noch offene Forderungen verfügt. Die erst ab Februar 2001 fälligen Forderungen gegen die Käufer der Warenbestände und des Anlagevermögens dürften diesen Anforderungen nicht genügt haben; andere Masseansprüche in nennenswerter Höhe hat der Beklagte nicht behauptet.

III.

Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Eine auf § 61 InsO gestützte Klage ist schlüssig, wenn eine fällige und einredefreie Masseforderung nicht erfüllt ist und der Kläger seinen Schaden (negatives Interesse, s.u. zu c) darlegt. Soweit die Klägerin Ansprüche aus § 61 InsO geltend macht, wird das Berufungsgericht mithin aufzuklären haben, ob sich der Beklagte gem. § 61 S. 2 InsO entlasten kann. Vermag er dies nicht, wird es - nach weiterem Vortrag der Klägerin - die Höhe des Schadens festzustellen haben.

a) Der Verwalter kann sich auf zweierlei Art entlasten. Er hat entweder zu beweisen, dass objektiv von einer zur Erfüllung der Verbindlichkeit voraussichtlich ausreichenden Masse auszugehen war, oder dass für ihn nicht erkennbar war, dass dies nicht zutraf (Brandes in MünchKomm/InsO, §§ 60, 61 Rz. 35; vgl. bereits Weber, FS für Lent, 1957, S. 301, 318).

Der Verwalter kann den Beweis im Allgemeinen nur führen, wenn er eine plausible Liquiditätsrechnung erstellt und diese bis zum Zeitpunkt der Begründung der Verbindlichkeit ständig überprüft und aktualisiert (vgl. Lüke, in: 50 Jahre BGH a. a. O. S. 711; MünchKomm-InsO/Brandes, §§ 60, 61 Rn. 37; Laws, MDR 2003, 787, 791). § 61 InsO erhebt dies zur insolvenzspezifischen Pflicht des Verwalters. Grundlage ist eine Prognose auf Grund der aktuellen Liquiditätslage der Masse, der realistischen Einschätzung noch ausstehender offener Forderungen und der künftigen Geschäftsentwicklung für die Dauer der Fortführung (Kübler/Prütting/Lüke, InsO, § 61 Rz. 7). Forderungen, bei denen ernsthafte Zweifel bestehen, ob sie in angemessener Zeit realisiert werden können, scheiden aus (Brandes in MünchKomm/InsO, §§ 60, 61 Rz. 37). Stellt der Verwalter keine präzisen Berechnungen an, über welche Einnahmen er verfügt und welche Ausgaben er zu leisten hat, kann er sich nicht entlasten (Pape, FS für Kirchhof, 2003, S. 391, 398 f.).

b) Der Insolvenzverwalter hat sich für den Zeitpunkt der Begründung der Ansprüche zu entlasten. Maßgebend ist grundsätzlich, wann der Rechtsgrund gelegt ist; der anspruchsbegründende Tatbestand muss materiell-rechtlich abgeschlossen sein. I.d.R. wird dies der Zeitpunkt des Vertragsschlusses sein. Dies trifft aber nicht immer zu. So besteht bei vor Insolvenzeröffnung begründeten Dauerschuldverhältnissen, die nach §§ 108, 55 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 InsO mit Massemitteln zu erfüllen sind, eine Haftung nicht vor dem Zeitpunkt ihrer frühestmöglichen Kündigung (Braun/Kind, InsO, § 61 Rz. 4; vgl. § 209 Abs. 2 Nr. 2; BGH, Urt. v. 3.4.2003 - IX ZR 101/02, BGHReport 2003, 759 = MDR 2003, 1015 = ZIP 2003, 914 [917] zu III 1 d) cc)). Aber auch bei einem Vertragsschluss zwischen dem Insolvenzverwalter und einem Dritten kann der maßgebende Zeitpunkt der "Begründung der Verbindlichkeit" je nach Ausgestaltung der von den Vertragspartnern getroffenen Abreden nach Vertragsschluss liegen. Dies trifft etwa auf Lieferungen zu, die erst auf Abruf durch den Verwalter erfolgen sollen. Die von § 61 InsO geregelte Interessenlage knüpft an den Zeitpunkt an, in dem der Insolvenzverwalter die konkrete Leistung des Massegläubigers noch verhindern konnte, ohne vertragsbrüchig zu werden. Ist zu diesem Zeitpunkt erkennbar, dass die Masse voraussichtlich nicht zur Erfüllung der Verbindlichkeit ausreichen wird, haftet der Verwalter nach § 61 InsO. Kann der Verwalter für diesen Zeitpunkt den Beweis des § 61 S. 2 InsO führen, scheidet eine Haftung nach § 61 InsO aus. An ihre Stelle kann die Haftung nach § 60 InsO treten, wenn der Insolvenzverwalter die ihm obliegenden insolvenzspezifischen Pflichten gegenüber Massegläubigern verletzt.

Im Streitfall erscheint es angesichts des Volumens der beiden Bestellungen vom März 2000 nicht ausgeschlossen, dass der Zeitpunkt für die "Begründung der Verbindlichkeit" für einzelne Lieferungen erst nach dem Vertragsschluss im März 2000 lag. Ggf. wird zu prüfen sein, ob und zu welchem Zeitpunkt der Beklagte - etwa weil Lieferungen erst auf Grund seines zusätzlichen Leistungsverlangens auszuführen waren - ein Tätigwerden der Klägerin im Hinblick auf einzelne Lieferungen erst nach März 2000 veranlasst hat. Die Vereinbarung bloßer Liefertermine genügt für sich allein freilich nicht, um den Zeitpunkt für eine "Begründung der Verbindlichkeit" hinauszuschieben.

c) Zu Unrecht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass § 61 InsO einen Anspruch auf das positive Interesse gewährt.

aa) Der Wortlaut des § 61 S. 1 InsO - "Kann eine Masseverbindlichkeit, die durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden ist, aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden, so ist der Verwalter dem Massegläubiger zum Schadensersatz verpflichtet" - gibt für die Frage, ob der Insolvenzverwalter auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung und damit auf das positive Interesse oder ob er (nur) auf das negative Interesse haftet, nicht viel her (a. A. OLG Brandenburg NZI 2003, 552 [554]; Waller/Neuenhahn, NZI 2004, 63 [65]). Auch wenn der Insolvenzverwalter mit Massemitteln bereits einen erheblichen Teil der geschuldeten Leistung erbracht hat und nur der Rest mangels ausreichender Masse nicht erfüllt werden kann, schließt dies nicht aus, dass der Insolvenzverwalter nur das negative Interesse zu ersetzen hat.

bb) Insbesondere systematische und historische Gesichtspunkte sprechen dafür, die Haftung nach § 61 InsO auf das negative Interesse zu beschränken. § 60 InsO als die anstelle von § 82 KO getretene allgemeine Haftungsnorm bestimmt, dass der Insolvenzverwalter allen Beteiligten zum Schadensersatz verpflichtet ist, wenn er schuldhaft die ihm nach der Insolvenzordnung obliegenden Pflichten verletzt. § 60 InsO begründet eine gesetzliche Haftung. Diese ist regelmäßig auf den Ersatz des negativen Interesses gerichtet. Der geschädigte Beteiligte ist so zu stellen, wie wenn der Verwalter die Pflichtverletzung nicht begangen hätte (§ 249 Abs. 1 BGB). Auch die spezielle Vorschrift des § 61 InsO ist als gesetzliche Haftungsnorm gefasst. Dies spricht dafür, dass das zu ersetzende Interesse mit demjenigen der allgemeinen Vorschrift des § 60 InsO übereinstimmt.

Eine Haftung auf das positive Interesse ist grundsätzlich nur im vertraglichen Bereich begründet, wenn der Schuldner der Verpflichtung zur Erfüllung einer vereinbarten Leistung nicht nachkommt (§ 281 BGB: "Schadensersatz statt der Leistung" - früher: Schadensersatz wegen Nichterfüllung). Eine außervertragliche Haftung dieses Umfangs ist eine seltene Ausnahme. Sie findet sich etwa in § 179 Abs. 1 BGB für den Vertreter ohne Vertretungsmacht. Dort ist die besondere Reichweite der Haftung aber unmissverständlich formuliert, indem das Gesetz den Vertreter nach Wahl des Gegners "zur Erfüllung oder zum Schadensersatz" verpflichtet. In § 61 InsO ist eine ähnliche Haftungsverpflichtung nicht einmal ansatzweise zum Ausdruck gebracht. Die schuldhafte Pflichtverletzung des Insolvenzverwalters besteht im Fall des § 61 InsO auch nicht in einem Verhalten, das der Nichterfüllung einer vertraglichen Leistungspflicht gleichsteht. Der Grund für seine Haftung liegt nicht in der Nichterfüllung der Forderung des Massegläubigers, sondern darin, dass er die vertragliche Bindung überhaupt eingegangen ist, obwohl er die voraussichtliche Unzulänglichkeit der Masse hätte erkennen können. Vorgeworfen wird ihm also der Abschluss des Vertrages trotz zu diesem Zeitpunkt erkennbarer Zweifel an seiner Erfüllbarkeit, nicht die Unfähigkeit zur Befriedigung des Vertragspartners. Das ist ein typischer Fall der Vertrauenshaftung. Der Massegläubiger verdient nur, so gestellt zu werden, wie er bei sachgerechtem Verhalten des Insolvenzverwalters, also bei Unterbleiben des Vertragsschlusses, stände.

Dafür spricht auch die Gesetzesgeschichte. Wie sich aus der Begründung des Regierungsentwurfs der Insolvenzordnung ergibt, war der wesentliche Grund für die Schaffung von § 61 InsO, dass der BGH in seinem Urt. v. 14.4.1987 (BGH v. 14.4.1987 - IX ZR 260/86, BGHZ 100, 346 [349 ff.] = MDR 1987, 667; vgl. auch schon v. 4.12.1986 - IX ZR 47/86, BGHZ 99, 151 [155 f.] = MDR 1987, 403) in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung eine konkursspezifische Pflicht des Konkursverwalters, potenzielle Neugläubiger vor einer möglichen Masseunzulänglichkeit zu warnen, verneint hatte (BT-Drucks. 12/2443, 129 zu § 72). Es ging hier ausschließlich um eine Haftung nach § 82 KO, die in der früheren Rechtsprechung auch für den Fall des Vertragsschlusses bei Masseunzulänglichkeit ausdrücklich auf das negative Interesse beschränkt worden war (vgl. BGH, Urt. v. 4.5.1958 - V ZR 304/56, WM 1958, 962 [964]). Dass der Gesetzgeber der Insolvenzordnung mit der Regelung des § 61 InsO nicht nur zu diesem Rechtszustand zurückkehren, sondern den mit einem Insolvenzverwalter abschließenden Massegläubiger darüber hinaus schützen wollte, ist den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen.

Dagegen spricht der Hinweis in der Regierungsbegründung, bei möglicher Masseunzulänglichkeit sei der Verwalter schon nach allgemeinen Grundsätzen zu einer Warnung des Vertragspartners verpflichtet; die Fortführung der genannten Rechtsprechung begründe die Gefahr, dass Dritte nicht mehr bereit wären, Geschäftsbeziehungen mit dem insolventen Unternehmen aufzunehmen, und damit die Unternehmensfortführung entscheidend erschwert wäre (BT-Drucks. 12/2443, 129 zu § 72). Demgegenüber besagt es wenig, dass es in der Regierungsbegründung zweimal heißt, der Insolvenzverwalter habe dafür einzustehen, dass eine zur Erfüllung der Verbindlichkeiten ausreichende Masse vorhanden sei. Der Begriff des Einstehenmüssens ist nicht eindeutig; er wird im allgemeinen Sprachgebrauch sowohl bürgschaftsähnlich als auch in dem Sinn verstanden, dass überhaupt eine persönliche Haftung entsteht.

Für eine Beschränkung der Haftung des § 61 InsO auf das negative Interesse spricht ferner die vergleichbare Haftung des Vorstandes einer Aktiengesellschaft oder des Geschäftsführers einer GmbH gegenüber Neugläubigern bei Verstößen gegen die Pflicht, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen (§ 92 Abs. 2 AktG; § 64 Abs. 1 GmbHG). Auch Vorstand und Geschäftsführer, die nicht unverzüglich Insolvenzantrag stellen, sondern neue Geschäfte abschließen, haften dem Geschäftspartner auf Ersatz des Vertrauensschadens und damit auf das negative Interesse (vgl. BGH v. 6.6.1994 - II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 [192 ff.] = GmbHR 1994, 539 = MDR 1994, 781; v. 30.3.1998 - II ZR 146/96, BGHZ 138, 211 [215 f.] = GmbHR 1998, 594 = MDR 1998, 787; Urt. v. 2.10.2000 - II ZR 164/99, DStR 2001, 1537; Habersack, Großkomm-AktG, 4. Aufl., § 92 Rz. 79; Scholz/Karsten Schmidt, GmbHG, 9. Aufl., § 64 Rz. 58; Goette, Die GmbH, 2. Aufl., § 8 Rz. 238). Es wäre nicht einzusehen, wenn der Insolvenzverwalter, dessen Sorgfaltsmaßstab nach der Regierungsbegründung zu § 60 InsO u. a. an § 93 Abs. 1 AktG und § 43 Abs. 1 GmbHG angelehnt ist (BT-Drucks. 12/2443, 129 zu § 71), dem Vertragspartner bei Masseunzulänglichkeit in größerem Umfang einzustehen hätte, obwohl er bei seinen Entscheidungen häufig unter großem, nicht selbst verschuldetem Zeitdruck steht und es daher viel schwerer hat, sich ein hinreichend sicheres Bild von der finanziellen Situation des Schuldners zu machen. Auch in der Literatur - soweit sie sich mit dieser Frage befasst - wird die Haftung nach § 61 InsO nahezu einhellig auf das negative Interesse beschränkt (vgl. Blersch in Breutigam/Blersch/Goetsch, InsO, § 61 Rz. 5; Brandes in MünchKomm/InsO, §§ 60, 61 Rz. 38; v. Olshausen, ZIP 2002, 237 [239]; Uhlenbruck, InsO, § 61 Rz. 11; Pape, ZInsO, 2003, 1013 [1017]; ZinsO 2004, 237 [249]).

cc) Diese Auffassung wird schließlich durch teleologische Gesichtspunkte gestützt. § 61 InsO, der den Gläubiger wegen der Umkehr der Beweislast gegenüber der allgemeinen Haftungsnorm des § 60 InsO erheblich besser stellt, ist gem. § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO auch auf den vorläufigen Insolvenzverwalter, der gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2 Fall 1, § 55 Abs. 2 InsO Masseschulden begründen kann, anzuwenden. Die Vorschrift bildet den Hauptgrund dafür, dass in der Praxis nur selten vorläufige Insolvenzverwalter mit begleitendem Verfügungsverbot bestellt werden und die Insolvenzgerichte zum Ausgleich zu Maßnahmen gegriffen haben, die der BGH mit Urteil v. 18.7.2002 (BGH v. 18.7.2002 - IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 = BGHReport 2002, 953 = MDR 2002, 1454) als gesetzwidrig beanstandet hat. Der in dieser Entscheidung gewiesene Ausweg über konkrete Einzelermächtigungen würde kaum in ausreichendem Umfang wahrgenommen werden, wenn die Haftungsrisiken durch eine Ausdehnung der Schadensersatzpflicht auf das positive Interesse noch weiter verschärft würden. Dies kann Sinn und Zweck des § 61 InsO nicht entsprechen.

d) Da die Klägerin so zu stellen ist, wie sie stünde, wenn sie den Vertrag nicht abgeschlossen hätte, kommt ein Anspruch auf Verzugszinsen ab Eintritt des Verzuges bei der Masse nur dann in Betracht, wenn die Klägerin darlegen und beweisen kann, dass sie bei Nichtabschluss des Vertrages Zinsen in dieser Höhe erlangt hätte.

e) Die Klägerin muss sich eine bei Verteilung der unzulänglichen Masse zu erwartende Quote (§ 209 Abs. 1 InsO) nicht auf ihren Schaden anrechnen lassen. Allerdings hat sie dem Insolvenzverwalter entsprechend § 255 BGB Vorteilsausgleich zu gewähren.

2. Soweit die Klägerin einen Anspruch aus § 60 InsO wegen pflichtwidriger Auszahlung der vorhandenen Masse geltend macht, wird das Berufungsgericht aufzuklären haben, welche Ansprüche des Gläubigerpools der Auszahlung zu Grunde lagen.

Vorsorglich gibt der Senat zu bedenken, dass der Beklagte sich nur dann darauf berufen kann, er habe im Zeitpunkt der Zahlung die Forderungen der Klägerin nicht gekannt, wenn er darlegt und ggf. beweist, hinreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen zu haben, um eine vollständige und rechtzeitige Buchung aller Masseverbindlichkeiten sicherzustellen. Hierzu fehlt bislang jeder Vortrag. Die Revisionserwiderung weist zutreffend darauf hin, dass es der Beklagte nach dem bisherigen Sachvortrag an der gehörigen Anleitung und Überwachung seiner Erfüllungsgehilfen hat fehlen lassen. Zudem hat er eine Auszahlung in einer Größenordnung vorgenommen, die den weit überwiegenden Teil der verfügbaren Masse umfasste. Dabei dürfte es sich um eine Entscheidung von besonderer Bedeutung im Sinn von § 60 Abs. 2 InsO gehandelt haben, so dass ggf. dahinstehen kann, ob der Beklagte sich im Übrigen auf § 60 Abs. 2 InsO berufen könnte.

3. Das Berufungsgericht wird ferner zu prüfen haben, ob - wie die Revisionserwiderung geltend macht - das Schreiben v. 2.12.1999 eine persönliche Haftungsübernahme des Beklagten wegen Garantie oder Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens darstellt. Dazu dürfte die allgemein gegenüber Lieferanten und Gläubigern gemachte Aussage, die Zahlung aller Lieferungen und Leistungen sei gesichert, schwerlich genügen. Vielmehr setzt eine persönliche Haftungsübernahme voraus, dass der Insolvenzverwalter klar zum Ausdruck bringt, er wolle eine über die gesetzliche Haftung hinausgehende Einstandspflicht übernehmen (vgl. BGH, Urt. v. 12.10.1989 - IX ZR 245/88, MDR 1990, 333 = WM 1989, 1904 [1908 f.]).

4. Die Klägerin wird die Ansprüche aus § 60 und § 61 InsO in ein Rangverhältnis zu bringen haben, weil es sich um alternative Klagebegehren mit unterschiedlichem Streitgegenstand handelt, die nicht auf dasselbe Rechtsschutzziel gerichtet und deshalb ohne Klärung ihres Verhältnisses als Haupt- und Hilfsantrag mangels Bestimmtheit unzulässig sind (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO; vgl. BGH, Urt. v. 28.9.1989 - IX ZR 180/88, MDR 1990, 148 = WM 1989, 1873 [1874 f.]; v. 23.10.2003 - IX ZR 324/01, BGHReport 2004, 160 = MDR 2004, 330 = NJW-RR 2004, 275 [277 f.]). Zwar steht der Klägerin nach beiden Vorschriften nur das negative Interesse zu. Dieses kann aber unterschiedlich hoch sein. So wird ein Anspruch nach § 61 InsO regelmäßig hinter dem positiven Interesse zurückbleiben, während ein Anspruch nach § 60 InsO wegen schuldhafter Masseverkürzung nicht selten mit dem positiven Interesse übereinstimmen wird. Im gegenwärtigen Zeitpunkt kommt eine Abweisung der Klage als unzulässig nicht in Betracht, weil das Berufungsgericht die notwendige Klärung unterlassen hat und der Klägerin Gelegenheit zu geben ist, sich anhand des Revisionsurteils über ihre Antragstellung schlüssig zu werden.

 

Fundstellen

BGHZ 2005, 104

DB 2004, 1774

DStR 2004, 1220

DStZ 2004, 504

NJW 2004, 3334

BuW 2004, 473

BGHR 2004, 1120

EWiR 2004, 765

KTS 2005, 471

WM 2004, 1191

WuB 2005, 123

DZWir 2004, 338

InVo 2004, 443

MDR 2004, 1321

NZI 2004, 435

VersR 2004, 1609

VuR 2004, 262

ZInsO 2004, 609

ZVI 2004, 345

BRAK-Mitt. 2004, 158

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