Leitsatz (amtlich)

a) Gerät der Prozess in Stillstand, weil dem Kläger die für die Zustellung eines Schriftsatzes benötigte Anschrift des Prozessgegners unbekannt ist, so endet die Unterbrechung der Verjährung nur dann nicht, wenn die zur Anschriftenmitteilung verpflichtete Partei darlegt und ggf. beweist, dass sie die ihr möglichen (und zumutbaren) Schritte unternommen hat, die zustellungsfähige Anschrift der anderen Partei Erfolg versprechend zu ermitteln.

b) Im Rahmen dieser Obliegenheit ist die zur Anschriftenermittlung verpflichtete Partei grundsätzlich gehalten, die öffentliche Zustellung zu beantragen.

 

Normenkette

BGB (Fassung bis 31.12.2001) § 211 Abs. 2 S. 1; ZPO § 203 ff. a.F.

 

Verfahrensgang

OLG Koblenz (Urteil vom 19.05.2000; Aktenzeichen 8 U 350/87)

LG Mainz (Urteil vom 22.01.1987)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden die Urteile des 8. Zivilsenats des OLG Koblenz v. 19.5.2000 und der 1. Zivilkammer des LG Mainz v. 22.1.1987 aufgehoben, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger war für die Erblasserin der Beklagten auf Grund einer am 4.3.1983 erteilten Vollmacht als Anwalt in deren "Eheangelegenheit" tätig. Durch Beschluss des LG für Zivilsachen in W. v. 12.9.1983 wurde die Ehe der Erblasserin geschieden. Unter dem Datum v. 23.9.1983 übersandte ihr der Kläger seine Honorarrechnung über insgesamt 154.341,62 DM. Die Erblasserin weigerte sich, diesen Betrag zu zahlen. Mit Urteil v. 22.1.1987 verurteilte das LG sie zur Zahlung von 93.197,72 DM nebst Zinsen und wies die Klage im Übrigen ab. Hiergegen legten die Erblasserin Berufung mit dem Ziel der Klageabweisung und der Kläger Anschlussberufung mit dem Ziel ein, die Zahlung weiterer 28.653,90 DM sowie höherer Zinsen zu erstreiten.

Am 6.9.1988 verstarb die Erblasserin. Auf Antrag ihres Prozessbevollmächtigten wurde das Verfahren durch Beschluss des Berufungsgerichts v. 19.12.1988 gem. §§ 246, 248 ZPO ausgesetzt. Mit Schriftsatz v. 6.3.1990 nahm der Kläger das Verfahren wieder auf und bat das Gericht um Zustellung des Aufnahmeschriftsatzes an die in Frankreich wohnhafte Beklagte als Erbin. Der ihr zugeleitete Aufnahmeschriftsatz kam mit dem Postvermerk zurück, sie wohne nicht mehr unter der angegebenen Adresse in V. .

In der Folgezeit betraute der Kläger mehrere Personen mit der Aufenthaltsermittlung der Beklagten. Mit Schriftsatz v. 5.3.1991 gab der Kläger eine andere Anschrift in V. an. Die erneut durch das Gericht angeordnete Zustellung des Schriftsatzes v. 6.3.1990 kam als "unzustellbar" zurück. Hierüber unterrichtete das Gericht den Kläger unter dem 12.4.1991. Weitere sich hieran anschließende Bemühungen des Klägers, eine zustellungsfähige Anschrift der Beklagten festzustellen, blieben zunächst ergebnislos. Eine erfolgreiche Zustellung gelang erst 1999, nachdem der Kläger mit Schriftsatz v. 20.2.1999 eine neue Anschrift mitgeteilt hatte. Daraufhin nahm die Beklagte den Rechtsstreit auf und berief sich in erster Linie auf Verjährung.

Das Berufungsgericht hat die Beklagte unter Zurückweisung der Berufung und der Anschlussberufung im Übrigen zur Zahlung von 112.840,22 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1.11.1983 verurteilt. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klagabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

I.

Das Berufungsgericht nimmt an, dass sich die Beklagte nicht erfolgreich auf die Einrede der Verjährung berufen könne. Die zweijährige Verjährungsfrist für Honorarforderungen nach § 196 Ziff. 15 BGB a.F. sei gem. § 209 Abs. 1, § 211 BGB a.F. durch die am 23.11.1983 eingereichte und in der ersten Hälfte des Jahres 1984 zugestellte Klage unterbrochen worden. Eine Beendigung dieser Unterbrechung gem. § 211 Abs. 2 S. 1 BGB a.F. sei nicht eingetreten. Einerseits finde diese Vorschrift keine Anwendung auf die Unterbrechung des Prozesses (§ 239 bis 245 ZPO) und die Aussetzung (§ 148 ZPO). Andererseits liege nach Wegfall des Aussetzungsgrundes (hier spätestens mit der Aufnahme des Verfahrens durch den Kläger im März 1990) ein Nichtbetreiben des Prozesses i.S.v. § 211 Abs. 2 S. 1 BGB a.F. nur dann vor, wenn die Parteien ohne triftigen Grund untätig blieben. Der Kläger sei aber nicht untätig geblieben, sondern habe in einer wahren Odyssee - erfolglos - versucht, die Anschrift der jetzigen Beklagten herauszufinden.

II.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Honoraransprüche des Klägers sind verjährt.

1. Das Berufungsgericht geht noch richtig davon aus, dass die zweijährige Verjährungsfrist des § 196 Abs. 1 Nr. 15 BGB a.F. durch die vor ihrem Ablauf erhobene Klage unterbrochen wurde (§ 209 Abs. 1 BGB a.F.) und daran auch die Aussetzung des Verfahrens gem. §§ 246, 248 ZPO nichts änderte. Denn § 211 Abs. 2 S. 1 BGB a.F. ist nicht anwendbar, wenn der Stillstand des Verfahrens auf einer vom Gericht beschlossenen Aussetzung (hier: Aussetzungsbeschluss v. 19.12.1988) und nicht auf der Untätigkeit der Parteien beruht (BGH v. 24.1.1989 - XI ZR 75/88, BGHZ 106, 295 [297] = MDR 1989, 540; m.w.N.). Die Rechtslage ändert sich jedoch, wenn der Grund für die Aussetzung wegfällt und keine der Parteien den Rechtsstreit weiter betreibt (BGH v. 24.1.1989 - XI ZR 75/88, BGHZ 106, 295 [298] = MDR 1989, 540; m.w.N.). Eines Aufhebungsbeschlusses bedarf es nicht (BGH v. 24.1.1989 - XI ZR 75/88, BGHZ 106, 295 [298] = MDR 1989, 540; m.w.N.).

Der Grund für die Aussetzung (Unklarheit über die Rechtsnachfolge der Erblasserin) ist spätestens am 6.3.1990 entfallen: Mit Schriftsatz von diesem Tage nahm der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Rechtsstreit wieder auf, benannte die jetzige Beklagte als Erbin und bat um Zustellung seines Schriftsatzes. Demnach konnte der Rechtsstreit spätestens ab dem 6.3.1990 in Stillstand geraten, wenn er nicht weiter betrieben wurde. Das war zunächst der Fall, denn der Kläger hat das Verfahren durch die Schriftsätze v. 6.3.1990 und v. 5.3.1991 (neuerliches Zustellungsersuchen) weiter i.S.d. § 211 Abs. 2 S. 1 BGB a.F. "betrieben" (BGH, Urt. v. 23.11.1978 - VII ZR 41/78, NJW 1979, 810).

Mit der Mitteilung des Gerichts v. 12.4.1991 an den Prozessbevollmächtigten des Klägers, dass die an die neue Anschrift gerichtete Sendung als "unzustellbar" zurückgekommen sei, und der damit verbundenen Bitte, eine neue Anschrift mitzuteilen, geriet das Verfahren jedoch in Stillstand, weil die Parteien in der Folgezeit keine Prozesshandlungen vornahmen, die bestimmt und geeignet waren, den Prozess wieder in Gang zu setzen (BGH, Urt. v. 19.1.1994 - XII ZR 190/92, NJW-RR 1994, 514 [515]). Danach endete die Unterbrechung am 12.4.1991 mit der letzten Prozesshandlung des Gerichts (§ 211 Abs. 2 S. 1 BGB a.F.). Die nächste Prozesshandlung, die sich als ein "Weiterbetreiben" i.S.d. § 211 Abs. 2 S. 1 BGB a.F. darstellte, erfolgte mit dem neuerlichen Zustellungsersuchen des Prozessbevollmächtigten des Klägers im Schriftsatz v. 20.2.1999. Zu diesem Zeitpunkt war die neue zweijährige Verjährungsfrist, die nach Beendigung der Unterbrechung am 12.4.1991 begonnen hatte (§ 217 BGB a.F.), abgelaufen, so dass dieser Schriftsatz nicht geeignet war, die Verjährung gem. § 211 Abs. 2 S. 2 BGB a.F. erneut zu unterbrechen.

2. § 211 Abs. 2 S. 1 BGB a.F. soll eine Umgehung des § 225 BGB a.F. verhindern, zu der es kommen könnte, wenn das Gesetz zuließe, dass eine einmal gem. § 209 Abs. 1 BGB a.F. herbeigeführte Verjährungsunterbrechung auch dann fortdauerte, wenn der Gläubiger die Sache grundlos nicht mehr weiterbetreibt (BGH v. 12.10.1999 - VI ZR 19/99, MDR 2000, 104 = NJW 2000, 132). Die Vorschrift findet ausnahmsweise keine Anwendung, wenn für das Abwarten des Klägers ein "triftiger Grund" bestand, der die Anwendung des § 211 Abs. 2 S. 1 BGB a.F. ausschließt (BGH, Urt. v. 7.12.1978 - VII ZR 278/77, NJW 1979, 810 [811]; v. 1.7.1986 - VI ZR 120/85, MDR 1987, 42 = NJW 1987, 371 [372]; v. 12.10.1999 - VI ZR 19/99, MDR 2000, 104 = NJW 2000, 132).

Auf die dem Kläger für die Zustellung des Aufnahmeschriftsatzes obliegende Anschriftenmitteilung bezogen, heißt das: § 211 Abs. 2 S. 1 BGB a.F. scheidet aus, wenn der Kläger darlegt und ggf. beweist, dass er die ihm möglichen (und zumutbaren) Schritte unternommen hat, um die zustellungsfähige Anschrift der Beklagten Erfolg versprechend zu ermitteln. Nur dann liegt für das Nichtbetreiben des Prozesses ein "triftiger Grund" vor, der es ausnahmsweise rechtfertigt, keine Beendigung der Unterbrechungswirkung im Sinne dieser Vorschrift anzunehmen (BGH v. 27.1.1999 - XII ZR 113/97, BGHR BGB § 211 Abs. 2 Verfahrensstillstand 1 S. 3 = MDR 1999, 421).

3. Das Berufungsurteil enthält keine Feststellungen, die die Würdigung rechtfertigen, dass der Kläger die ihm möglichen (und zumutbaren) Maßnahmen zur Erfolg versprechenden Anschriftenermittlung ergriffen hat.

a) Nach dem Vortrag des Klägers hat er zwei in N. bzw. M. ansässige Rechtsanwälte und einen in N. wohnenden "deutsch-französischen" Rentner damit betraut, den Wohnort und die Identität der jetzigen Beklagten ausfindig zu machen. Bezüglich des in N. ansässigen Rechtsanwaltes hat er weiter vorgetragen, dass dieser einen Detektiv eingeschaltet habe. Welche weiteren konkreten Schritte diese Personen unternommen haben, um den Aufenthalt und die Identität der Beklagten zu ermitteln, lässt sich dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen. Damit kann nicht beurteilt werden, ob diese "Ermittlungspersonen" alle nahe liegenden und zumutbaren Möglichkeiten ausgeschöpft haben, die geeignet waren, den Aufenthalt der Beklagten ausfindig zu machen. Insbesondere hat der Kläger nicht dargelegt, welche genauen Nachforschungen er bei der Präfektur Alpes Maritimes in N. angestellt oder dass er sich an das deutsche Generalkonsulat in Marseille gewandt hat. Der Kläger hatte nach seinem Vortrag Anhaltspunkte dafür, dass sich die Beklagte in S. (insb. in N.) aufhielt, so dass es nahe gelegen hätte, die zuständige Präfektur in N. zu befragen. Da die Beklagte die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, hätte es sich zudem aufgedrängt, das zuständige deutsche Generalkonsulat in M. um eine entsprechende Auskunft über den Aufenthaltsort der Beklagten zu ersuchen.

Außerdem hat der Kläger nicht vorgetragen, dass die von ihm beauftragten Ermittlungspersonen überprüft haben, ob die Beklagte im Telefonbuch von Villefranche eingetragen war. Dieser Ermittlungsansatz war deswegen augenfällig, weil der Kläger selbst V. als Adresse der Beklagten mit Schriftsatz v. 6.3.1990 benannt hatte. Ein Blick in das Telefonbuch hätte nach dem Vortrag der Beklagten Erfolg gehabt, weil sie zum damaligen Zeitpunkt im örtlichen Telefonverzeichnis eingetragen war.

Schließlich muss sich der Kläger entgegenhalten lassen, dass sämtliche von ihm bzw. seinen Beauftragten ermittelten Anschriften zutreffend, jedoch zum jeweils dem Gericht mitgeteilten Zeitpunkt nicht mehr aktuell waren. Hieraus ergibt sich, dass dem Kläger bzw. seinen Beauftragten durchaus Erfolg versprechende Möglichkeiten zur Aufenthaltsermittlung der Beklagten an die Hand gegeben waren, aber nicht ausreichend und sorgfältig genutzt wurden.

Die vom Kläger beauftragten Hilfspersonen haben demnach für ihn erkennbar die notwendigen und nahe liegenden, hier auch Erfolg versprechenden Aufenthaltsermittlungen unterlassen. Dies geht zu seinen Lasten, weil er diese Sachlage hingenommen und nach 1993 jahrelang keine weiteren Bemühungen entfaltet hat.

b) Der Kläger kann auch deswegen keinen "triftigen Grund" für sich in Anspruch nehmen, weil er nicht dargelegt hat, eine öffentliche Zustellung gem. §§ 203 ff. ZPO a.F. beantragt zu haben. Die Handlungspflichten, die im Falle eines Prozess-Stillstandes den Beteiligten erwachsen, legen es nahe, in den Fällen, in denen diese Lage auf Grund von Zustellungsschwierigkeiten entsteht, die §§ 203 ff. ZPO a.F. anzuwenden. Diese Vorschriften gelten auch bei unbekanntem Auslandsaufenthalt der anderen Partei (Zöller/Stöber, ZPO, 22. Aufl., § 203 ZPO Rz. 3). Sie dienen dem Zweck, ein Verfahren in Gang zu setzen oder fortzuführen, bei dem eine prozessrechtlich notwendige Zustellung auf Grund der Ungewissheit des Aufenthaltes einer Partei nicht möglich ist.

Im vorliegenden Fall bedeutet das: Der Kläger hätte nach dem Fehlschlagen seiner anfänglichen Bemühungen einen Antrag (§ 204 ZPO a.F.) auf Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung gem. §§ 203 ff. ZPO a.F. stellen müssen, um zu verhindern, dass der in den Prozess gezogene Anspruch durch Parteiwillkür "verewigt" wird (BGH, Urt. v. 24.3.1977 - III ZR 19/75, VersR 1977, 646 [648]).

Bei einem Erfolg dieses Antrags wäre das Verfahren fortgesetzt worden. Im Falle der Ablehnung hätte der Kläger auf der Grundlage und nach Maßgabe dieser Entscheidung weiter ermitteln können und müssen. Dann hätte er entweder die Anschrift der Beklagten erfahren oder nach erfolgloser Durchführung der gebotenen Bemühungen die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung begründet.

III.

Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO a.F.). Der Senat kann, weil die Sache keiner weiteren Aufklärung bedarf, selbst entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO a.F.). Die Klage ist wegen Anspruchsverjährung abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1209800

NJW 2004, 3418

BGHR 2004, 1585

FamRZ 2004, 1710

JurBüro 2005, 166

ZAP 2004, 1269

MDR 2004, 1230

RENOpraxis 2005, 28

BRAK-Mitt. 2004, 263

ProzRB 2005, 88

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