Leitsatz (amtlich)

a) Sind die Bedenken des Gerichts gegen die Schlüssigkeit der Klageforderung nach Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht ausgeräumt, muss es zur Vermeidung einer unzulässigen Überraschungsentscheidung diesen unmissverständlich hierauf hinweisen und ihm Gelegenheit zum weiteren Vortrag geben.

b) Zur Verpflichtung des Gerichts zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung in einem solchen Fall.

 

Normenkette

ZPO §§ 139, 156

 

Verfahrensgang

OLG Celle (Urteil vom 28.11.2002; Aktenzeichen 6 U 46/02)

LG Stade

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 8. Zivilsenats des OLG Celle v. 28.11.2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte, die Subunternehmerin der Firma K. Bau AG & Co. war, u. a. auf Vergütung für auf der Baustelle beim Entladen der Transportbetonfahrzeuge entstandene Wartezeiten gemäß Rechnungen v. 7.8.2000 und 11.9.2000i. H. v. 120.283,66 EUR (235.254,41 DM) in Anspruch.

Die von der Klägerin übersandte Auftragsbestätigung v. 10.5.2000, der die Beklagte nicht widersprochen hat, enthält u. a. folgende Bestimmung:

"6. Preis

150,00 DM/m3

In dem Preis ist eine Entladezeit von 7 Minuten/m3 berücksichtigt.

...

8.5 Verlängerte Entladezeit je Minute: 1,00 DM/m3"

Die Beklagte hat ihre Verpflichtung zur Zahlung einer Vergütung für angefallene Wartezeiten in Abrede gestellt und im Übrigen vorgetragen, die Berechnungsmethode der Klägerin sei unrichtig, da diese die Wartezeiten nicht für die gesamte angelieferte Betonmenge, sondern allenfalls für die noch jew. im Transportfahrzeug verbliebene "wartende" Restmenge ansetzen dürfe; zudem hat sie die berechneten Wartezeiten bestritten.

Das LG hat die Klage hinsichtlich des Vergütungsanspruchs wegen verlängerter Wartezeiten abgewiesen, weil die Klägerin nicht bewiesen habe, dass zwischen den Parteien eine Vereinbarung zu Stande gekommen sei, auf deren Grundlage sie eine Vergütung der dargelegten Wartezeiten ihrer Transportfahrzeuge auf der Baustelle beanspruchen könne. Das OLG hat die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Mit ihrer - vom erkennenden Senat zugelassenen - Revision verfolgt die Klägerin ihren Anspruch auf Wartezeitvergütung weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, selbst bei Zugrundelegung der Auftragsbestätigung v. 10.5.2000 mit der Vereinbarung "verlängerte Entladezeit je Minute: 1,00 DM/m3" lasse sich nach dem Vorbringen der Klägerin bis zum Schluss der Berufungsverhandlung nicht feststellen, dass der Klägerin der von ihr berechnete "Wartezeitentschädigungsanspruch" zustehe. Die genannte Vertragsbestimmung lasse nicht den Schluss zu, die "Verlängerte Entladezeit" sei je Minute mit 1 DM/m3 angelieferten Betons zu berechnen, vielmehr könne auch die nach Teilentladung jew. noch "wartende" Betonmenge gemeint sein. In der Berufungsverhandlung sei die Klägerin ausdrücklich auf die Bedenken bezüglich der Berechnung der in der Wartezeitklausel angesprochenen Kubikmeter hingewiesen worden. Die Klägerin habe nämlich ihre Berechnung bis dahin nicht etwa an "wartendem Beton" ausgerichtet, sondern ausschließlich an insgesamt "angeliefertem Beton", was durch die genannte Vertragsbestimmung entsprechend der Auftragsbestätigung dem Wortlaut nach nicht gedeckt sei.

Der Vortrag der Klägerin in dem ihr nicht nachgelassenen Schriftsatz v. 21.10.2002 könne nicht mehr berücksichtigt werden, zumal sie trotz der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung v. 13.9.2002 einen Schriftsatznachlass nicht beantragt habe. Deshalb bestehe auch keine Notwendigkeit, auf Antrag der Klägerin die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen.

Da die Klägerin ihren allein an der gelieferten Betonmenge ausgerichteten Wartezeitentschädigungsanspruch nicht hinreichend dargelegt habe, müsse ihre Klage insoweit abgewiesen bleiben.

II.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Das Berufungsgericht unterstellt, dass die Parteien einen Liefervertrag entsprechend der Auftragsbestätigung der Klägerin v. 10.5.2000 geschlossen haben, somit verlängerte Entladezeiten gemäß Nr. 8.5 der Auftragsbestätigung vergütungspflichtig sind. Von dem Vorliegen einer entsprechenden Vereinbarung ist daher für das Revisionsverfahren auszugehen.

2. Das Berufungsgericht verneint den geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Wartezeitentschädigung - anders als das LG - vielmehr mit der Begründung, die Vertragsbestimmung der Nr. 8.5 der Auftragsbestätigung sei nicht eindeutig, weil sie auch die Auslegung zulasse, dass die verlängerte - vergütungspflichtige - Entladezeit sich nur auf die noch "wartende" Betonmenge nach Teilentladung beziehe.

Zu Recht rügt die Revision, dass das Berufungsgericht in der Verhandlung v. 13.9.2002 seiner Hinweispflicht nicht hinreichend nachgekommen ist und zudem seine Pflicht zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 156 ZPO) verletzt hat.

a) Zwar hat das Berufungsgericht, nachdem es Nr. 8.5 der Auftragsbestätigung v. 10.5.2000 nicht als ausreichende Grundlage für den geltend gemachten Vergütungsanspruch der Klägerin angesehen hat, die Beklagte in der mündlichen Verhandlung v. 13.9.2002 zu Recht auf seine Schlüssigkeitsbedenken hingewiesen (vgl. BGH, Urt. v. 7.12.2000 - I ZR 179/98, MDR 2001, 1009 = BGHReport 2001, 485 = NJW 2001, 2548 unter III 1c bb = BGHR ZPO § 139 Hinweispflicht 7 m. w. N.). Hierauf haben sowohl der Prozessbevollmächtigte wie der Geschäftsführer der Klägerin übereinstimmend angegeben, handelsüblicherweise werde immer auf die Gesamtmenge des angelieferten Betons abgehoben, weil alle Beteiligten wüssten, dass sich technisch die Menge des "wartenden" Betons nicht ermitteln lasse. Zur Frage der Feststellung der angefallenen Wartezeiten hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin weiterhin erklärt, die jeweiligen Wartezeiten seien in dem Durchschreibesatz einheitlich eingetragen, so dass sich die Wartezeiten auch auf den Originallieferscheinen befänden; der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat darauf erklärt, nach seiner Information stimme das nicht, er werde dies prüfen und ergänzend vortragen.

b) Nach diesem Ergebnis der Verhandlung v. 13.9.2002 durfte die Klägerin davon ausgehen, dass die Bedenken des Berufungsgerichts gegen die Schlüssigkeit der Klageforderung behoben waren und nunmehr die bereits in erster Instanz angebotenen Beweise zu Inhalt und Üblichkeit der Berechnungsmethode erhoben würden. Sofern das Berufungsgericht dagegen weiterhin seine Schlüssigkeitsbedenken nicht als ausgeräumt ansah, musste es zur Vermeidung einer unzulässigen Überraschungsentscheidung die Klägerin unmissverständlich hierauf hinweisen und ihr Gelegenheit zum weiteren Vortrag geben (vgl. BGH, Urt. v. 13.6.1989 - VI ZR 216/88, MDR 1989, 1091 = NJW 1989, 2756 unter II 2 = BGHR ZPO § 139 Abs. 1 Überraschungsentscheidung 1; Urt. v. 8.2.1999 - II ZR 261/97, MDR 1999, 758 = NJW 1999, 2123 unter II 1 = BGHR ZPO § 139 Abs. 1 Überraschungsentscheidung 3). Dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung v. 13.9.2002 keinen Schriftsatznachlass beantragt hatte, ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts schon deshalb unerheblich, weil die Klägerin mangels eines entsprechenden Hinweises des Berufungsgerichts auf die nach seiner Ansicht weiter bestehenden Schlüssigkeitsbedenken nicht von der Notwendigkeit weiteren Vortrags ausgehen musste.

c) Jedenfalls hätte das Berufungsgericht auf Antrag der Klägerin gemäß Schriftsatz v. 21.10.2002 die mündliche Verhandlung wieder eröffnen müssen, nachdem die bisherige Verhandlung lückenhaft war und in der Berufungsverhandlung v. 13.9.2002 bei sachgemäßem Vorgehen vom Standpunkt des Berufungsgerichts aus Anlass zu weiterer Aufklärung bestanden hätte (BGH, Urt. v. 7.10.1992 - VIII ZR 199/91, MDR 1993, 173 = NJW 1993, 134 unter II 2b = BGHR ZPO § 156 Ermessen 2; Urt. v. 28.10.1999 - IX ZR 341/98, MDR 2000, 103 = NJW 2000, 142 unter II 2 = BGHR ZPO § 156 Ermessen 4). Wenn das Berufungsgericht dies zu Unrecht mit Rücksicht auf einen als erforderlich gehaltenen Antrag auf Schriftsatznachlass in der letzten mündlichen Verhandlung abgelehnt hat, liegt insoweit ein weiterer Verfahrensfehler vor.

III.

Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben, und die Sache ist zwecks weiterer Aufklärung zur Frage der Berechnung der Wartezeitentschädigung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1081083

BGHR 2004, 261

EBE/BGH 2003, 412

FamRZ 2004, 262

NJW-RR 2004, 281

FA 2004, 148

JurBüro 2004, 399

WM 2004, 1153

AnwBl 2004, 256

MDR 2004, 468

NZBau 2004, 97

JbBauR 2005, 374

KammerForum 2004, 142

KammerForum 2004, 70

ProzRB 2004, 91

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