Leitsatz (amtlich)

›Das einer Anwaltssozietät erteilte Mandat erstreckt sich im Zweifel auch auf später eintretende Sozietätsmitglieder.‹

 

Verfahrensgang

KG Berlin

LG Berlin

 

Tatbestand

Die Klägerin hat gegen ein klageabweisendes Urteil Berufung eingelegt und diese nach Ablauf der verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet. Zugleich hat sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das Kammergericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Revision, mit der die Klägerin beantragt, ihr unter Aufhebung des angefochtenen Urteils Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die - unbeschränkt statthafte - Revision ist nicht begründet.

I. Das Berufungsgericht hat der Klägerin gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verweigert, weil die beiden Sozien des mit dem Berufungsverfahren betrauten Rechtsanwalts St., die Rechtsanwälte H. und Sch., die Fristversäumung verschuldet hätten und die Klägerin sich dies zurechnen lassen müsse. Beide Rechtsanwälte seien am letzten Tag der Frist dafür verantwortlich gewesen, die Gerichtspost, unter der sich auch die Berufungsbegründung befand, bei der gemeinsamen Briefannahmestelle der Berliner Justizbehörden einzuwerfen. Rechtsanwalt St. habe Rechtsanwalt H. ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Gerichtspost an diesem Tag einen wichtigen fristwahrenden Schriftsatz enthalte. Rechtsanwalt H. habe diesen Hinweis jedoch nicht erwähnt, als er Rechtsanwalt Sch. gebeten habe, die Gerichtspost für ihn zu besorgen. Auch Rechtsanwalt Sch. habe schuldhaft gehandelt, weil er sich von dem Anruf über einen Einbruch in die Wohnung seiner Freundin nicht habe ablenken lassen dürfen, die Gerichtspost einzuwerfen. Das Verschulden beider Rechtsanwälte sei der Klägerin zuzurechnen, auch wenn jene erst nach Erteilung des Mandats zur Klageerhebung in die Sozietät eingetreten seien.

Dies hält der rechtlichen Prüfung stand.

II. 1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß ein Rechtsanwalt das ihm angetragene Mandat zur Prozeßführung bei bestehender Anwaltssozietät in der Regel in deren Namen annimmt, d.h. nicht nur sich persönlich, sondern auch die mit ihm zur gemeinsamen Berufsausübung verbundenen Kollegen verpflichten. Sowohl der Auftraggeber als auch der Rechtsanwalt haben nämlich grundsätzlich den Willen, das Mandatsverhältnis mit allen Mitgliedern der Sozietät zu begründen. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGHZ 56, 355, 359; 70, 247, 249; Urt. v. 4. Februar 1988, IX ZR 20/87, NJW 1988, 1973, v. 10. März 1988, III ZR 195/86, WM 1988, 986, 987; v. 29. Oktober 1990, AnwSt (R) 11/90, NJW 1991, 49, 50; v. 24. Januar 1991, IX ZR 121/90, VersR 1991, 1003). Nur bei Vorliegen besonderer Umstände kann ausnahmsweise von der Begründung eines Einzelmandats ausgegangen werden (BGHZ 56, 355, 361; Vollkommer, Anwaltshaftungsrecht, Rdn. 52; Rinsche, Die Haftung des Rechtsanwalts und des Notars, 4. Aufl. Rdn. I 120). Hierfür reicht die Tatsache, daß das Auftragsschreiben - wie hier - nur an einen Sozius gerichtet ist, allein nicht aus. Die Adressierung an ein einzelnes Mitglied der Sozietät kann auf verschiedenen Gründen beruhen und läßt keinen Rückschluß darauf zu, daß ein Einzelmandat erteilt werden sollte. Die von dem Berufungsgericht hervorgehobenen Umstände des Falles sprechen sogar gegen das Vorliegen eines Einzelmandats, nämlich die Einschaltung einer Korrespondenzanwältin, in deren Händen die eigentliche Bearbeitung der Sache liegen sollte, sowie die Tatsache, daß Rechtsanwalt St. den Auftrag als Gesamtmandat behandelt hat.

2. Ist einer Anwaltssozietät zur Führung eines Rechtsstreits ein Mandat erteilt, so sind alle Mitglieder der Sozietät Bevollmächtigte im Sinne des § 85 ZPO. Treten während des Mandats - wie hier - neue Mitglieder in die Sozietät ein, so stellt sich allerdings die Frage, welche Konsequenzen sich hieraus für das Mandatsverhältnis und die Bevollmächtigung ergeben.

Das Berufungsgericht vertritt in Übereinstimmung mit der Literatur (Borgmann/Haug, Anwaltshaftung, 2. Aufl. S. 58; Rinsche, Die Haftung des Rechtsanwalts und des Notars, 4. Aufl. I, 166; Vollkommer, Anwaltshaftungsrecht, Rdn. 315, 597) die Auffassung, der eintretende Sozius werde in das bestehende Mandatsverhältnis einbezogen. Dies setzt im Außenverhältnis zum Mandanten jedoch dessen Zustimmung voraus. Ohne sein Einverständnis besteht ein Anwaltsvertrag nur mit der bei Vertragsabschluß vorhandenen Sozietät, so daß auch nur deren Mitglieder Bevollmächtigte im Sinne des § 85 Abs. 2 ZPO sind. Insoweit ist die Rechtslage vergleichbar mit der bei nachträglicher Gründung einer Sozietät (BGH, Urt. v. 4. Februar 1988, IX ZR 20/87, aaO).

Die Einbeziehung eines neu eintretenden Sozius in das bestehende Mandatsverhältnis kann von vornherein oder nachträglich - ausdrücklich oder stillschweigend - erfolgen. Haben die Parteien eine ausdrückliche Regelung nicht getroffen, ist zu prüfen, ob der Anwaltsvertrag entsprechend ausgelegt werden kann.

Ob das Berufungsgericht diese Auslegung hier tatsächlich vorgenommen hat, kann dahingestellt bleiben. Denn eine sonst mögliche Auslegung durch den Senat käme ebenfalls zu dem Ergebnis, daß die Rechtsanwälte H. und Sch. in das bestehende Mandatsverhältnis einbezogen worden sind.

Der Anwaltsvertrag mit einer Sozietät ist nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrsauffassung und die Interessenlage der Parteien in der Regel dahin zu verstehen, daß bei einer personellen Erweiterung der Sozietät auch deren neue Mitglieder vom Zeitpunkt ihres Eintritts an mitbeauftragt sein sollen. Der Rechtsuchende, der eine Sozietät beauftragt, will in der Regel damit besser stehen, als er bei Erteilung eines Einzelmandats stünde. Auch wenn er weiß oder vielleicht sogar Wert darauf legt, daß nur einer der Anwälte seine Sache bearbeitet, will er im allgemeinen doch die Gewißheit haben, daß hinter "seinem" Anwalt jeweils die gesamte Sozietät mit ihren Vorteilen in bezug auf Organisation und Arbeitsteilung steht (BGHZ 56, 355, 360). Wird aber dieser Vorteile wegen nicht ein einzelner Rechtsanwalt, sondern die Sozietät beauftragt, haben im Zweifel sowohl der Mandant als auch die Sozietät den Willen, im Falle einer Sozietätserweiterung das hinzutretende Mitglied von diesem Zeitpunkt an - sein zu vermutendes Einverständnis vorausgesetzt - in das Auftragsverhältnis einzubeziehen. Denn die von dem Mandanten erstrebten Vorteile können hierdurch nur gemehrt werden. Umgekehrt besteht für die Sozietät erkennbar ein praktisches Bedürfnis, auch einen neuen Sozius in die laufenden Vertragsbeziehungen mit Mandanten einzubinden und die in Erfüllung des Auftrags geschuldeten Leistungen mit dem jeweiligen Personalbestand erbringen zu dürfen.

Freilich ist es denkbar, daß im Einzelfall aus besonderen Gründen ein Auftrag ausschließlich an die Personen der bei Mandatserteilung bestehenden Sozietät geknüpft sein soll. Für einen solchen Ausnahmefall geben die Umstände des hier zu entscheidenden Sachverhalts jedoch nichts her.

3. Unerheblich ist, daß die Rechtsanwälte H. und Sch. nur als freie Mitarbeiter in die Sozietät aufgenommen wurden. Denn für die Einbeziehung in das Mandatsverhältnis kommt es allein darauf an, daß sie nach außen hin als Mitglieder der Sozietät in Erscheinung getreten sind (st. Rspr. BGHZ 70, 247, 249; BGH, Urt. v. 10. März 1988, III ZR 195/86, WM 1988, 986, 987; v. 17. Oktober 1989, XI ZR 158/88, WM 1990, 188, 191; v. 24. Januar 1991, IX ZR 121/90, VersR 1991, 1003).

4. Zutreffend nimmt das Berufungsgericht weiterhin an, daß Rechtsanwalt H. an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist jedenfalls ein Mitverschulden trifft, weil er Rechtsanwalt Sch. nicht ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß die Gerichtspost einen fristwahrenden Schriftsatz enthält. Daß die Postbeförderung mit zu den Aufgaben von Rechtsanwalt Sch. gehörte, entband Rechtsanwalt H. nicht von der Pflicht, jenen auf die Dringlichkeit dieser Gerichtspost gesondert hinzuweisen, nachdem er seinerseits einen entsprechenden Hinweis von Rechtsanwalt St. erhalten hatte. Auf die von dem Berufungsgericht geprüfte Frage, ob auch Rechtsanwalt Sch. ein Mitverschulden trifft, kommt es daher nicht mehr an.

Das Verschulden von Rechtsanwalt H. muß die Klägerin sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen, auch wenn Rechtsanwalt H. bei dem Kammergericht nicht zugelassen ist. Denn die Partei muß sich das Verschulden eines tätig gewordenen Sozietätsmitglieds selbst dann zurechnen lassen, wenn dieses bei dem maßgeblichen Gericht nicht zugelassen ist. Dies entspricht der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Urt. v. 14. Februar 1979, XII ZR 269/77, VersR 1979, 446, 447; Beschl. v. 26. April 1990, VII ZB 3/90, VersR 1990, 874). Die von der Revision in Bezug genommene, hiervon abweichende frühere Rechtsprechung (BGH, Beschl. v. 7. Mai 1951, II ZB 7/51, LM Nr. 7 zu § 233 ZPO a.F.; Urt. v. 19. Februar 1957, VIII ZR 284/56, LM Nr. 72 zu § 233 ZPO a.F.) ist dadurch überholt. Eine Partei hat es auch zu vertreten, wenn der nicht postulationsfähige Sozius - wie hier - lediglich die Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes übernimmt und die Erledigung vergißt (BGH, Beschl. v. 4. Juli 1975, IV ZB 22/75, VersR 1975, 1028, 1029).

Nach alledem ist die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993235

BGHZ 124, 47

BGHZ, 47

BB 1994, 29

NJW 1994, 257

BRAK-Mitt 1994, 53

BGHR BGB § 675 Anwaltsvertrag 9

BGHR ZPO § 233 Anwaltsverschulden 7

BGHR ZPO § 85 Abs. 2 Bevollmächtigter 4

DRsp I(138)678d

WM 1994, 355

ZIP 1993, 1879

MDR 1994, 308

VersR 1994, 874

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