Entscheidungsstichwort (Thema)

Zwangsvollstreckung aus vorläufig vollstreckbarem Urteil. Haftung des Gerichtsvollziehers. Amtspflichtverletzung. Amtshaftung. Begleitschäden

 

Leitsatz (amtlich)

1. "Begleitschäden", die darauf beruhen, dass die Zwangsvollstreckung nicht in der gehörigen Weise durchgeführt worden ist, werden vom Schutzzweck der Haftungsnorm für die Vollstreckung bloß vorläufig vollstreckbarer, später aufgehobener oder geänderter Titel nicht erfasst.

2. Bei pflichtwidrigem Handeln des Gerichtsvollziehers als Vollstreckungsorgan tritt die Amtshaftung ein. Daneben ist kein Raum für eine Haftung des Gerichtsvollziehers als Verrichtungsgehilfe des Gläubigers.

 

Normenkette

ZPO § 717 Abs. 2; BGB §§ 831, 839

 

Verfahrensgang

LG Gera (Urteil vom 23.01.2008; Aktenzeichen 1 S 395/06)

AG Stadtroda (Entscheidung vom 05.09.2006; Aktenzeichen 3 C 108/06)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Gera vom 23.1.2008 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

[1] Die Mutter des Klägers und deren Ehemann waren seit 1995 Mieter eines Wohnhauses. Hierin wohnten neben den Mietern deren Kinder sowie der Kläger. Die ursprüngliche Eigentümerin und Vermieterin veräußerte das Anwesen im Jahre 2001 an den Beklagten. Dieser kündigte mit Schreiben vom 13.11.2001 wegen ausstehender Miete das Mietverhältnis fristlos und erhob Räumungsklage gegen die Mieter, der das AG mit vorläufig vollstreckbarem Urteil vom 4.7.2002 stattgab. Aufgrund dieses Räumungstitels ließ der Beklagte das Mietanwesen am 15./18.11.2002 durch die Gerichtsvollzieherin räumen. Hierbei wurde auf Anordnung der Gerichtsvollzieherin ein Teil des geräumten Gutes entsorgt. Mit Urteil vom 7.5.2003 hob das LG die amtsgerichtliche Entscheidung vom 4.7.2002 auf und wies die Räumungsklage ab. Die frühere Vermieterin und Grundstückseigentümerin hatte das Mietverhältnis bereits mit Schreiben vom 26.11.1998 fristlos gekündigt und gegen die Mieter Räumungsklage erhoben. Mit Urteil des AG vom 20.5.2003 wurde dieser Klage stattgegeben und mit Berichtigungsbeschluss vom 4.11.2003 ausgesprochen, dass das Grundstück an den Beklagten herauszugeben ist. Die hiergegen gerichtete Berufung wurde am 4.8.2004 rechtskräftig zurückgewiesen.

[2] Der Kläger macht geltend, die Räumung vom 15./18.11.2002 sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Hierdurch hätten er, seine Lebensgefährtin, seine Mutter sowie deren Ehemann u.a. Schäden an Einrichtungsgegenständen und sonstigen Sachen erlitten. Er begehrt hierfür, teils aus eigenem Recht, teils aus abgetretenem Recht, Schadensersatz vom Beklagten. Das AG hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Mit seiner zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungs- und Feststellungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

[3] Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

[4] Das Berufungsgericht hat ausgeführt, ein Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO ggü. dem Beklagten bestehe nicht. Der zunächst durch die Aufhebung des Vollstreckungstitels vom 4.7.2002 entstandene Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO sei durch das nachfolgende rechtskräftige Räumungsurteil vom 20.5.2003 wieder entfallen. Dass dieses Urteil nicht im Verhältnis der früheren Prozessbeteiligten ergangen, sondern von der früheren Eigentümerin erstritten worden sei, habe keine Bedeutung, weil der Räumungsausspruch zugunsten des Beklagten ergangen sei. Eine Haftung des Beklagten gem. § 831 BGB für das Verhalten der Gerichtsvollzieherin bei der Räumung scheide aus, weil ein Gerichtsvollzieher als Organ der Zwangsvollstreckung selbständig handele und nicht als Vertreter des Gläubigers tätig werde.

II.

[5] Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand.

[6] 1. Dem Kläger stehen keine Schadensersatzansprüche aus § 717 Abs. 2 ZPO zu.

[7] a) Die Klage wird ganz überwiegend auf die "Begleitschäden der Zwangsvollstreckung", insb. den Verlust oder die Beschädigung von Inventar, gestützt. Insoweit war sie, soweit auf § 717 Abs. 2 ZPO gestützt, von vornherein unschlüssig. Die genannte Norm bietet eine Anspruchsgrundlage nur für Schäden, die auf der Erbringung der den Gegenstand der Vollstreckung bildenden Leistung oder einer zur Abwendung der Vollstreckung erbrachten Leistung beruhen. Der Schadensersatzanspruch umfasst zwar nicht nur die erbrachte Leistung, sondern auch weitere Schäden, welche der Schuldner erlitten hat. "Begleitschäden", die darauf zurückzuführen sind, dass die Zwangsvollstreckung nicht in der gehörigen Weise durchgeführt worden ist, werden vom Schutzzweck der Haftungsnorm jedoch nicht erfasst (vgl. BGHZ 85, 110, 114; Musielak/Lackmann, ZPO, 6. Aufl., § 717 Rz. 10). Die Verursachung solcher, nach der eigenen Ansicht der Revision "von der eigentlichen Vollstreckungsleistung ... völlig unabhängigen Vermögensnachteile", wird durch jedweden Räumungstitel nicht gerechtfertigt.

[8] b) Ein Anspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO war lediglich für untergeordnete Schadenspositionen wie Umzugskosten und Untermietaufwand in Betracht zu ziehen. Insofern sind etwaige den Titelschuldnern ursprünglich zustehende Ansprüche durch die rechtskräftige Entscheidung des LG Gera vom 4.8.2004 erloschen.

[9] aa) Gemäß § 717 Abs. 2 ZPO ist der Gläubiger, der aus einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteil die Zwangsvollstreckung betrieben hat, zum Ersatz desjenigen Schadens verpflichtet, der dem Schuldner durch die Vollstreckung des Urteils oder durch eine zur Abwendung der Vollstreckung erbrachte Leistung entstanden ist. Die Vorschrift soll gewährleisten, dass derjenige, der aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Titels in Anspruch genommen worden ist, seine Leistung nach Aufhebung des Titels sogleich zurückerhält. Der Gläubiger, der aus einem nicht endgültigen Titel vollstreckt, handelt auf eigene Gefahr. Der aus einer Vollstreckung, für die später die Grundlage wegfällt, folgende Schaden soll vollständig aufgrund einer schuldunabhängigen Risikohaftung des Gläubigers ausgeglichen werden (BGHZ 95, 10, 14 f.; 136, 199, 204 f.; 169, 308, 314 Rz. 19; BGH, Urt. v. 20.11.2008 - IX ZR 139/07 Rz. 6, zVb). Der Aufwand für den Umzug und die Anmietung von Ersatzraum kann daher grundsätzlich einen zu erstattenden Schaden nach § 717 Abs. 2 ZPO darstellen.

[10] bb) Nach der Rechtsprechung des BGH unterliegt die Haftungsnorm des § 717 Abs. 2 ZPO grundsätzlich einer prozessrechtlichen Sicht. Materiell-rechtliche Einwände sind nur zulässig, wenn sie mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift, dem Vollstreckungsschuldner bezüglich des durch die Zwangsvollstreckung oder zu deren Abwendung entstandenen Schadens sofortigen Ersatz zu sichern, vereinbar sind. Eine Aufrechung mit der ursprünglich titulierten Forderung wäre damit unvereinbar (BGHZ 136, 199, 204). Zugleich ist jedoch anerkannt, dass ein zunächst in Betracht kommender Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO ausscheidet, wenn der materiell-rechtliche Anspruch, dessen nicht rechtsbeständige Titulierung der Vollstreckung zugrunde lag, später rechtsbeständig tituliert wird (BGHZ 136, 199, 211; BGH, Beschl. v. 7.4.2005 - IX ZR 294/01, NJW-RR 2005, 1135). Wird die in Rede stehende Forderung dem Vollstreckungsgläubiger rechtskräftig zuerkannt, steht fest, dass der Vollstreckungsschuldner überhaupt keinen Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO hatte (BGHZ 136, 199, 204; BGH, Beschl. v. 7.4.2005, a.a.O.).

[11] Vorliegend wurde mit rechtskräftigem Urteil des AG vom 20.5.2003 festgestellt, dass bezüglich des streitgegenständlichen Mietverhältnisses ein Räumungsanspruch zugunsten des Vermieters bereits zum Zeitpunkt der Zwangsräumung bestand. Dieses Urteil ist zwar zu dem Mietverhältnis der Mieter mit der Rechtsvorgängerin des Beklagten ergangen. Der ausgeurteilte Räumungsanspruch ist der Sache nach jedoch aufgrund von § 265 Abs. 1, § 325 Abs. 1 ZPO, § 571 BGB a.F. auf den Beklagten übergegangen. Dies hat das Urteil v. 20.5.2003 - im Ausspruch durch Berichtigungsbeschluss vom 4.11.2003 ergänzt - auch berücksichtigt, indem die Vollstreckungsschuldner verurteilt wurden, das Anwesen an den Beklagten herauszugeben. Damit steht rechtskräftig fest, dass die Vollstreckungsschuldner verpflichtet waren, die Mieträumlichkeiten zu räumen und an den Beklagten herauszugeben. Ein Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO scheidet unter diesen Umständen aus.

[12] 2. Zutreffend hat das LG auch eine Einstandsverpflichtung des Beklagten gem. § 831 BGB verneint.

[13] a) Zwar hat das Berufungsgericht in den Entscheidungsgründen die Zulassung der Revision auf die Frage beschränkt, ob der Wegfall des Schadensersatzanspruchs des § 717 Abs. 2 ZPO im Falle einer erneuten rechtskräftigen Verurteilung auch dann gilt, wenn die neue rechtskräftige Entscheidung in einem anderen Rechtsverhältnis ergeht. Die auf eine einzelne Anspruchsgrundlage oder eine Rechtsfrage beschränkte Zulassung ist aber unzulässig (BGHZ 90, 318, 320, ständige Rechtsprechung). Die Revision ist daher insgesamt statthaft nach § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO (BGH, Urt. v. 20.5.2003 - XI ZR 248/02, WM 2003, 1370, 1371; v. 23.9.2003 - XI ZR 135/02, WM 2003, 2232, 2233; v. 26.10.2004 - XI ZR 255/03, NJW 2005, 664), so dass das angefochtene Urteil in vollem Umfang überprüft werden muss (BGH, Urt. v. 7.7.1983 - III ZR 119/82, WM 1984, 279, 280).

[14] b) Der Gerichtsvollzieher ist ein Organ der Zwangsvollstreckung. Er handelt hierbei in Ausübung öffentlicher Gewalt. Durch ihn übt der Staat als alleiniger Träger der Vollstreckungsgewalt sein Zwangsmonopol in hoheitlicher Weise aus (BVerfGE 61, 126, 136; BGHZ 146, 17, 19 f.). Der Gerichtsvollzieher ist mit dem Gläubiger nicht durch ein privatrechtliches Rechtsverhältnis verbunden, vielmehr gehört seine Tätigkeit dem öffentlichen Recht an (RGZ - Vereinigte Zivilsenate - 82, 85, 86 ff.; BGH. Beschl. v. 30.1.2004 - IXa ZB 274/03, WM 2004, 542). Haftungsrechtlich hat dies die Konsequenz, dass bei pflichtwidrigem Handeln des Gerichtsvollziehers als Vollstreckungsorgan die Amtshaftung eintritt. Die Staatshaftung für Amtspflichtverletzungen von Gerichtsvollziehern ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung seit langem anerkannt (RGZ 87, 294, 295; 134, 178, 180; 144, 262, 263; BGHZ 146, 17, 23; BGH, Urt. v. 26.9.1957 - III ZR 67/56, VersR 1957, 735, 736; v. 25.10.1962 - III ZR 105/61, VersR 1963, 88). Daneben ist kein Raum für eine Haftung des Gerichtsvollziehers als Verrichtungsgehilfe des Gläubigers aus § 831 BGB. Dies entspricht auch einhelliger Ansicht im Schrifttum (Spindler in Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., § 831 Rz. 18; Palandt/Sprau, BGB, 68. Aufl., § 831 Rz. 6; RGRK-BGB/Steffen, 12. Aufl., § 831 Rz. 20; Staudinger/Belling, BGB (2008) § 831 Rz. 41, 66; Staudinger/Wurm, BGB (2007) § 839 Rz. 34).

[15] 3. Soweit die Revision geltend macht, dass es zur Vollstreckung des Räumungstitels auch gegen den Kläger und seine Lebensgefährtin ihrer namentlichen Erwähnung in dem Titel bedurft hätte, wird dieses Argument lediglich zur Begründung der Aktivlegitimation für die auf § 717 Abs. 2 ZPO gestützte Klage herangezogen. Ein selbständiger Anspruch aus § 823 BGB wird hieraus nicht hergeleitet. Dies hätte auch keinen Erfolg versprochen, weil es - wie die Revision einräumt - der damals herrschenden Auffassung entsprach, dass ein Räumungstitel auch zur Zwangsvollstreckung gegen die Familienangehörigen des zur Räumung Verpflichteten - einschließlich der erwachsenen Kinder und deren Lebensgefährten - berechtigt (Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 885 Rz. 9 m.w.N. in Fn. 44 und 45). Der verklagte Titelgläubiger hat deshalb jedenfalls nicht schuldhaft gehandelt, indem er den Titel auch gegen den in dem geräumten Objekt wohnenden Kläger und dessen Lebensgefährtin durchsetzte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2130271

NJW 2009, 2068

BGHR 2009, 647

EBE/BGH 2009

NJW-RR 2009, 658

NZM 2009, 275

WM 2009, 664

ZAP 2009, 624

DGVZ 2009, 99

KKZ 2010, 221

MDR 2009, 651

VersR 2009, 1510

FoVo 2009, 154

RENOpraxis 2009, 124

RdW 2010, 96

VE 2009, 189

MK 2009, 90

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