Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufklärungspflicht des Anlageberaters. Risiko einer wieder auflebenden Kommanditistenhaftung

 

Leitsatz (amtlich)

Der Anlageberater hat auch dann über das Risiko einer wieder auflebenden Kommanditistenhaftung nach § 172 Abs. 4 HGB aufzuklären, wenn diese auf 10 % des Anlagebetrags begrenzt ist.

 

Normenkette

BGB §§ 675, 280

 

Verfahrensgang

OLG Celle (Urteil vom 20.02.2014; Aktenzeichen 11 U 200/13)

LG Hannover (Entscheidung vom 25.07.2013; Aktenzeichen 5 O 202/12)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 11. Zivilsenats des OLG Celle vom 20.2.2014 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage hinsichtlich der Beteiligung des Klägers am I. abgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Parteien streiten - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - um Schadensersatz im Zusammenhang mit der Beteiligung des Klägers an der I. (I.).

Rz. 2

Der Kläger beteiligte sich auf Empfehlung des für die Beklagte tätigen selbständigen Handelsvertreters H. am 15.8.2000 und 14.4.2003 am I. und an der I. KG (IM.). Die Beteiligung am I. betrug 30.000 DM zzgl. einer Abwicklungsgebühr i.H.v. 1.500 DM und die 2003 getätigte Anlage im IM. 7.500 EUR zzgl. einer Abwicklungsgebühr i.H.v. 375 EUR.

Rz. 3

Der Kläger macht u.a. geltend, dass er nicht über eine wieder auflebende Kommanditistenhaftung nach §§ 171, 172 HGB aufgeklärt worden sei.

Rz. 4

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht (beschränkt) zugelassenen Revision verfolgt er seine Klageanträge bezüglich der Beteiligung am I. weiter.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 5

Die Revision hat Erfolg.

I.

Rz. 6

Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob zwischen den Parteien ein Anlagevermittlungs- oder ein Anlageberatungsvertrag zustande gekommen ist. Zu der - im Revisionsverfahren allein noch bedeutsamen - Frage der unterbliebenen Aufklärung über das Wiederaufleben der Kommanditistenhaftung bei der Beteiligung am I. gem. §§ 171, 172 Abs. 4 HGB hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass eine Verletzung der Aufklärungspflicht nicht vorliege. Die im Handelsregister eingetragene Haftsumme der Treuhandkommanditistin sei auf 10 % der Einlage beschränkt gewesen, so dass im Falle der Haftung aus § 172 Abs. 4 HGB ein Rückforderungsanspruch der Treuhandkommanditistin in entsprechender Höhe gegenüber dem Kläger bestanden hätte. Die Beklagte habe den Kläger nicht über dieses Risiko des Wiederauflebens der Kommanditistenhaftung aufklären müssen. Einer Beweisaufnahme zu der - vom Kläger behaupteten - nicht rechtzeitigen Übergabe eines einer etwaigen Aufklärungspflicht genügenden Prospekts habe es daher nicht bedurft. Im vorliegenden Fall sei die Haftsumme auf 10 % beim IM. begrenzt gewesen. Bei einer Beschränkung der Haftsumme auf 10 % des Einlagebetrags sei das Haftungsrisiko signifikant limitiert. Bei einer solchen Beschränkung sei das Risiko für die jeweilige Anlageentscheidung nicht von wesentlicher Bedeutung. Es stelle einen Wertungswiderspruch dar, einen Kapitalabfluss für Provisionen von bis zu 15 % als nicht aufklärungsbedürftig anzusehen, wohl aber das mehr oder weniger theoretische Risiko des Wiederauflebens der Kommanditistenhaftung mit einer auf 10 % des Nennwerts des eingelegten Kapitals beschränkten Haftsumme.

II.

Rz. 7

Soweit das Berufungsurteil Schadensersatzansprüche des Klägers auch hinsichtlich der Beteiligung am IM. verneint hat, hält es der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Insoweit kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung derzeit ein Schadensersatzanspruch des Klägers nicht verneint werden.

Rz. 8

1. Da das Berufungsgericht offen gelassen hat, ob ein Auskunfts- oder ein Anlageberatungsvertrag geschlossen wurde, kann ein Schadensersatzanspruch nur dann verneint werden, wenn eine Pflichtverletzung unter dem Blickwinkel eines Anlageberatungsvertrags auszuschließen ist.

Rz. 9

2. In Bezug auf das Anlageobjekt muss der Anlageberater rechtzeitig, richtig und sorgfältig, dabei für den Kunden verständlich und vollständig beraten. Insbesondere muss er den Interessenten über die Eigenschaften und Risiken unterrichten, die für die Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können (st.Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 24.4.2014 - III ZR 389/12, NJW-RR 2014, 1075 Rz. 8 m.w.N.). In diesem Zusammenhang gehört es nach der Senatsrechtsprechung, die das Berufungsgericht teilt, insb. zu den Pflichten eines Anlageberaters, den Anleger über das Risiko der Haftung nach § 172 Abs. 4 HGB aufzuklären (Urt. v. 22.7.2010 - III ZR 203/09, NJW-RR 2010, 1623 Rz. 20, 23; vgl. auch - bezüglich etwaiger Prospekthaftungsansprüche - BGH, Urt. v. 8.10.2013 - II ZR 335/12, Rz. 28).

Rz. 10

3. Soweit das Berufungsgericht hier eine Pflicht zur Aufklärung verneint, weil die Haftung des Anlegers - entweder unmittelbar als Kommanditist oder mittelbar als Treugeber, der dem Rückgriff des Treuhandkommanditisten ausgesetzt ist - nach § 172 Abs. 4 HGB auf 10 % des eingetragenen Haftkapitals begrenzt sei (so auch OLG Schleswig, Urt. v. 19.12.2013 - 5 U 158/11 Umdr. S. 19 f und OLG Brandenburg, Urt. v. 4.4.2012 - 5 U 52/11, juris Rz. 38), hält dies einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Aufklärungspflicht des Anlageberaters im Hinblick auf das Wiederaufleben der Kommanditistenhaftung nach § 172 Abs. 4 HGB ist darin begründet, dass die an den Anleger erfolgte Auszahlung durch den Fonds nicht sicher ist, sondern ggf. zurückbezahlt werden muss. Dieses Risiko unterscheidet sich auch von demjenigen des allgemeinen Verlustrisikos, über das daneben aufzuklären ist. Die wieder auflebende Kommanditistenhaftung hat erhebliche Auswirkungen auf die prognostizierte Rendite, die nachträglich wieder entfallen oder verringert werden kann. Diese Renditeerwartung des Anlegers ist regelmäßig wesentlicher Maßstab für die Beurteilung der Anlage. Deshalb kann dem Risiko der wieder auflebenden Kommanditistenhaftung eine Bedeutung für die Anlageentscheidung nicht abgesprochen werden, auch wenn es auf 10 % des Anlagebetrags begrenzt ist. Es ist deshalb aufklärungspflichtig im Rahmen eines Anlageberatungsgesprächs, da es dem Anleger überlassen werden muss, welche Bedeutung er diesem Risiko bei seiner Anlageentscheidung geben will.

Rz. 11

Fehl geht das Argument des Berufungsgerichts, es sei ein Wertungswiderspruch, eine Aufklärungspflicht des Anlageberaters bei einem Wiederaufleben der Kommanditistenhaftung nach § 172 Abs. 4 HGB i.H.v. 10 % des Einlagebetrags anzunehmen, nicht jedoch bei einem Kapitalabfluss für Provisionen bis zu 15 % der Beteiligungssumme (vgl. insoweit BGH, Urt. v. 12.2.2004 - III ZR 359/02, BGHZ 158, 110, 118, 121). Der durchschnittliche Anleger muss damit rechnen, dass in dem von ihm aufzubringenden Beteiligungsbetrag (einschließlich Agio) auch die Kosten des Vertriebs der Anlage enthalten sind, während er nicht ohne Weiteres erwartet, dass einmal an ihn ausgeschüttete Beträge wieder zurückgezahlt werden müssen, wodurch nachträglich seine bereits vereinnahmte Rendite wieder verringert wird.

Rz. 12

4. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben und mangels Entscheidungsreife zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Im Weiteren wird das Berufungsgericht in den Blick zu nehmen haben, inwieweit die Begrenzung des Wiederauflebens der Kommanditistenhaftung nach § 172 Abs. 4 HGB auf 10 % der Anlage im konkreten Einzelfall die Anlegerentscheidung des Klägers beeinflusst hat. Dabei ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats zugunsten des Klägers zwar eine tatsächliche Vermutung dafür besteht, dass er sich bei der gebotenen Aufklärung nicht am IM. beteiligt hätte (vgl. Urt. v. 22.7.2010 - III ZR 203/09, NJW-RR 2010, 1623 Rz. 20), die jedoch eine entgegenstehende tatrichterliche Würdigung nicht ausschließt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 7538162

BB 2015, 65

DB 2015, 123

DB 2015, 7

DStR 2015, 12

NWB 2015, 90

EBE/BGH 2015

NJW-RR 2015, 298

NZG 2015, 237

WM 2015, 68

WM 2016, 193

WuB 2015, 150

ZAP 2015, 58

ZIP 2015, 79

JZ 2015, 99

MDR 2015, 210

VuR 2015, 142

GWR 2015, 125

NWB direkt 2015, 36

ZBB 2015, 71

LL 2015, 220

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