Leitsatz (amtlich)

›a) Führt der Konkursverwalter das Unternehmen des Gemeinschuldners entsprechend einem Beschluß der Gläubigerversammlung fort, so haftet er den Massegläubigern, zu deren Befriedigung die Masse nicht ausreicht, nur dann persönlich, wenn er im Laufe der Fortführung des Betriebes erkannt hat oder bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters hätte erkennen können und müssen, daß er die aus der Masse zu erfüllenden Verbindlichkeiten nicht werde tilgen können (Einschränkung von BGH, NJW 1980, 55).

b) Die Ansprüche der Berufsgenossenschaft gegen den einen Betrieb fortführenden Konkursverwalter auf Unfallversicherungsbeiträge (§ 723 RVO) sind Massekosten im Sinne des § 58 Nr. 2 KO.‹

 

Verfahrensgang

OLG Nürnberg

LG Nürnberg-Fürth

 

Tatbestand

Am 19. August 1980 wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der Firma G. GmbH (künftig: Gemeinschuldnerin) eröffnet und der Beklagte zum Konkursverwalter ernannt. Er ließ unverzüglich im Bundesanzeiger, im Bayerischen Staatsanzeiger und in einer Lokalzeitung bekanntmachen, daß wegen Unzulänglichkeit der Masse die Massegläubiger in der Rangfolge des § 60 KO befriedigt würden.

Um eine Veräußerung des Unternehmens zu ermöglichen, beschloß die Gläubigerversammlung am 23. September 1980: "Der Schuldnerbetrieb wird fortgeführt, solange dies die Rückzahlung des auszureichenden Kredits nicht gefährdet." Dem Gläubigerausschuß und dem Konkursgericht berichtete der Beklagte regelmäßig über seine Bemühungen, den Betrieb zu verkaufen; dabei legte er jeweils Liquiditätspläne vor und machte Angaben über die vorhandene Masse, die Masseverbindlichkeiten und die Aussichten bei einer Fortführung des Betriebs.

Am 6. August 1982 veräußerte der Beklagte das Unternehmen samt Grundstücken und einem Teil des Warenbestandes an die neu gegründete C. P. GmbH K. Bis dahin hatte der Beklagte die Löhne samt Lohnsteuer gezahlt und die an die AOK abzuführenden Beiträge von rund 190.000 DM monatlich entrichtet. Auf den Bescheid vom 18. März 1981 über die für die Zeit vom 19. August bis 31. Dezember 1980 errechneten Unfallversicherungsbeiträge hatte er 35.489,74 DM an die klagende Berufsgenossenschaft geleistet. Der der Masse gewährte Kredit wurde zurückgezahlt.

Wegen Umsatzsteuerrückständen aus der Zeit vom Dezember 1980 bis Januar 1982 in Höhe von 868.757,30 DM einschließlich Säumniszuschlägen ließ das Finanzamt I nach dem Verkauf des Unternehmens, aber vor dem 8. September 1982 die restlichen Vermögensgegenstände der Konkursmasse pfänden, die damit erschöpft war.

Die Klägerin forderte mit Bescheid vom 8. September 1982 für das Jahr 1981 128.225,35 DM und mit Bescheid vom 9. Februar 1983 für die Zeit vom 1. Januar bis 31. August 1982 101,309,46 DM an Unfallversicherungsbeiträgen. Der mit der Vollstreckung dieser Forderungen beauftragten Stelle teilte der Beklagte mit, daß eine Zwangsvollstreckung sinnlos sei, weil das Finanzamt I für Vorrangforderungen die gesamte vorhandene Konkursmasse gepfändet habe; der Anspruch der Berufsgenossenschaft habe im Verfahren gemäß § 60 KO lediglich die Rangklasse des § 58 Nr. 2 KO.

Die Klage aus § 82 KO gegen den Konkursverwalter persönlich auf Zahlung von 229.534,81 DM nebst Zinsen wies das Landgericht ab. Die Berufung blieb ohne Erfolg (siehe ZIP 1986, 244). Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Anspruch auf Schadensersatz weiter. Der Beklagte bittet, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

I.

Das Berufungsgericht verneint eine Haftung des Beklagten aus § 82 KO:

Gegenüber der Liquidation müsse die Betriebsfortführung als Ausnahme angesehen werden. Die Entscheidung über die Dauer der Fortführung und der Umstand, daß dies dem einhelligen Wunsch der Konkursgläubiger entsprochen habe, könnten die Haftung des Konkursverwalters gegenüber solchen Gläubigern nicht beeinflussen, die erst nach Konkurseröffnung im Zuge der weiteren geschäftlichen Tätigkeit aus Rechtsgeschäften mit dem Konkursverwalter Forderungen gegen die Masse erwerben. Ihnen gegenüber bestehe uneingeschränkt die Pflicht des Konkursverwalters, Massenansprüche nur zu begründen, wenn gegen ihre Befriedigung aus der Masse nach sorgfältiger Prüfung aller Umstände keine Bedenken bestünden. Diese Pflichten habe er durch die Fortführung des Unternehmens und die Nichtzahlung der 229.534,81 DM nicht verletzt. Denn er habe alsbald nach Konkurseröffnung auf die Masseunzulänglichkeit hingewiesen. Die Betriebsfortführung zum Zwecke eines sich abzeichnenden Verkaufs sei von der Gläubigerversammlung am 23. September 1980 und von weiteren Gläubigerversammlungen (richtig vom Gläubigerausschuß) genehmigt worden. Es seien 300 Arbeiter beschäftigt und Geschäfte erfolgreich abgewickelt sowie die Sozialversicherungsbeiträge an die AOK in I entrichtet worden. Wenn der Beklagte trotz unzureichender Masse, aber auf Wunsch der Beteiligten und nicht zum eigenen Nutzen, sondern um den Betrieb und Arbeitsplätze zu retten, das Unternehmen fortgeführt habe, widerspreche es Treu und Glauben, im Falle des Scheiterns den Beklagten in Anspruch zu nehmen, zumal die Klägerin ihre Bescheide erst nach der Veräußerung des Betriebs erlassen und zuvor dessen Fortführung nicht widersprochen habe.

Dem Beklagten könne auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß er gegen die Pfändungen des Finanzamts I nichts unternommen habe. Es handele sich, wie nunmehr auch die Klägerin vortrage, bei den Forderungen des Finanzamts um Masseschulden im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO. Der Beklagte habe aufgrund der einschlägigen Literatur der Meinung sein können, daß die Beiträge zur Berufsgenossenschaft für die Zeit nach Konkurseröffnung Massekosten nach § 58 Nr. 2 KO seien. Erst in der 1981 erschienenen 13. Auflage des in der Praxis häufig verwendeten Kommentars Böhle-Stamschräder/Kilger sei in der Anmerkung zu § 58 KO ausgeführt, daß soziale Lasten und Lohnsteuern aus Arbeitsverhältnissen für die Zeit nach Konkurseröffnung Masseschulden im Sinne des § 59 KO seien, weil sie als Teil des Arbeitsentgelts angesehen werden müßten. Daß der Beklagte sich nicht sofort dieser Stimme in der Literaturmeinung angeschlossen habe, gereiche ihm nicht zum Verschulden. Dabei könne offen bleiben, ob Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung Masseschulden oder Massekosten seien.

Selbst wenn aber der Beklagte die Forderung der Klägerin als Masseschuld im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO hätte erkennen müssen, habe er eine Vollstreckungsgegenklage gegen den Freistaat Bayern unterlassen dürfen. Infolge des hohen Prozeßrisikos sei es nicht pflichtwidrig gewesen, daß er die Forderung des Finanzamts vorrangig beglichen habe. Hier wäre auch ein Mitverschulden der Klägerin gegeben, weil sie sich nicht bemüht habe, die ihr zustehenden Beiträge rechtzeitig zu erheben.

II.

Das Berufungsgericht hat eine Haftung des Beklagten aus § 82 KO im Ergebnis zu Recht verneint.

1. Eine solche Haftung müßte hier entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts, das letztlich auf Treu und Glauben ausweicht, nach den Grundsätzen, die im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10. April 1979 - VI ZR 77/77, NJW 1980, 55 - LM BGB KO § 82 Nr. 11 unter Hinweis auf frühere Entscheidungen (Urt. v. 27. Februar 1973 - VI ZR 118/71, NJW 1973, 1043 = LM KO § 82 Nr. 6; v. 21. März 1961 - VI ZR 149/60; LM KO § 82 Nr. 3; v. 4. Juni 1958 - V. ZR 304/56, NJW 1958, 1351 = LM KO § 82 Nr. 2) und auf Weber in Festschrift für Lent S. 301, 316 f dargelegt sind, bejaht werden: Die Zustimmung der Gläubiger zur Betriebsfortführung wäre ebenso unerheblich wie der Hinweis des Verwalters auf die mögliche Masseunzulänglichkeit. Auch das volkswirtschaftlich erstrebenswerte Ziel, einen Betrieb mit ausreichenden Aufträgen nicht zu zerschlagen und Arbeitsplätze zu erhalten wäre ohne Belang. Die Haftung des Beklagten könnte allein daraus hergeleitet werden, daß er das Risiko einer Masseunzulänglichkeit erkannt hatte, dennoch den Betrieb fortführte und damit zwangsläufig Schulden der Konkursmasse begründete, mit deren vollständiger Tilgung er nicht sicher rechnen konnte. Dieser sehr weitgehenden, aus dem Begriff des Beteiligten in § 82 KO hergeleiteten Haftung ist in der Literatur widersprochen worden, um eine Fortführung erhaltenswerter Unternehmen zu ermöglichen und sie nicht an der drohenden Haftung des Konkursverwalters scheitern zu lassen (vgl. Stüdemann in Festschrift Einhundert Jahre Konkursordnung S. 401, 431 f, 439; Hanisch ZZP 90 (1977), 1, 26; derselbe, Rechtszuständigkeit der Konkursmasse 1973 S. 37, 140; vor allem Fritz Baur in Festschrift für Rudolf Bruns 1980, 241 f; ihm folgend Rimmelspacher, ZZP 95 (1982), 91, 94, 95; vgl. auch Wessel, KTS 1980, 301). Der Bundesgerichtshof hat ebenfalls versucht, die Konsequenzen seiner Rechtsprechung abzuschwächen, indem er die nach seinen Grundsätzen unausweichliche Haftung des Konkursverwalters aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben verneinte (Urt. v. 10. April 1979 aaO.) oder die Pflichten des Konkursverwalters als Vertragspartner eines Neugläubigers jedenfalls nicht mehr auf dessen Rechtsberatung erstreckte und ferner dem Vertragspartner die Darlegungs- und Beweislast dafür aufbürdete, daß ihm der Konkursverwalter die Verantwortung für die Folgen des mit der Masse abgeschlossenen Geschäfts abgenommen oder einen entsprechenden Vertrauenstatbestand geschaffen habe, an dem sich der Konkursverwalter nach Treu und Glauben festhalten lassen müsse (BGHZ 85, 75, 80, 82 f).

Im Urteil v. 10. April 1979 aaO. ist nochmals die Pflicht des Konkursverwalters betont worden, die Masse schnellstmöglich zu verwerten, mithin einen Betrieb nur als Ausnahme von der Regel zu eng umgrenzten Zwecken kurzfristig fortzuführen und deshalb auch bei Fortführung des Betriebs Masseansprüche nur zu begründen, wenn gegen ihre Befriedigung aus der Masse nach sorgfältiger Prüfung aller Umstände keine Bedenken bestehen. Der vorliegende Fall veranlaßt den Senat, diese Pflicht anhand der von Fritz Baur aaO. erhobenen Einwände auf ihre Vereinbarkeit mit Wortlaut und Sinn des § 82 KO zu überprüfen.

2. Pflichten des Konkursverwalters dürfen nicht allein aus dem formalen Begriff des Beteiligten in § 82 KO abgeleitet werden. Sonst könnten aufgrund dieser Vorschrift nur die am Konkursverfahren Teilnehmenden Ansprüche mit Erfolg geltend machen. Der Begriff des Beteiligten ist nach einhelliger Auffassung (vgl. Senatsurteile BGHZ 93, 278 und v. 11. Oktober 1984 - IX ZR 80/83, ZIP 1984, 1506 = NJW 1985, 1159, jeweils mit Nachweisen) weiter zu fassen. Beteiligter im Sinne des § 82 KO ist derjenige, dem gegenüber der Konkursverwalter ihm obliegende Pflichten zu erfüllen hat. Diese ergeben sich aus der Konkursordnung, sind also konkursspezifisch. Dazu gehören nicht Pflichten, die dem Verwalter der Konkursmasse wie jedem Vertreter fremder Interessen gegenüber seinem Geschäftspartner bei oder nach Vertragsschluß obliegen.

Nach § 82 KO erhebliche, nämlich aus der Konkursordnung herzuleitende Pflichten gegenüber der Klägerin hat der Beklagte nicht verletzt oder, soweit solche Pflichten bestanden haben sollten, gegen sie nicht schuldhaft verstoßen.

a) § 117 KO begründet die Pflicht des Konkursverwalters, das zur Masse gehörende Vermögen des Gemeinschuldners in Besitz zu nehmen und zu verwerten. Daraus ist abgeleitet worden, daß das Konkursverfahren vom Streben nach beschleunigter Liquidation beherrscht ist und deshalb eine Betriebsfortführung, soweit sie über die Abwicklung zur Zeit der Konkurseröffnung bereits eingegangener Verpflichtungen hinausgeht, nur als Ausnahme dann in Betracht komme, wenn es um den erfolgversprechenden Versuch eines für die Gläubiger günstigen Zwangsvergleichs oder das Aufarbeiten von Vorraten oder die Ausführung gewinnbringender vorhandener Aufträge gehe (BGH, Urt. v. 10. April 1979 aaO.). Über diese Beschränkung ist die Entwicklung hinweggegangen. Eine geplante Veräußerung des Betriebs, die häufig eine günstigere Verwertung als seine Zerschlagung und zudem die Erhaltung von Arbeitsplätzen verspricht, erfordert oft, das Unternehmen nach der Konkurseröffnung weiterzuführen. § 112 KO eröffnet dazu den Weg. Hat die Gläubigerversammlung aus einem solchen oder einem vergleichbaren Grund die Fortführung beschlossen, so ist diese im Gesetz vorgesehene Entscheidung in der Regel rechtmäßig. Nicht nur die sofortige Liquidation, sondern auch die Fortführung des Unternehmens zwecks besserer Verwertung aufgrund eines dahingehenden Beschlusses der Gläubigerversammlung ist vom Konkurszweck gedeckt.

aa) Das gilt selbst dann, wenn der Konkursverwalter, die und der Gläubigerausschuß nicht sicher sein können, daß künftige Massegläubiger voll befriedigt werden, aber Aussicht besteht, die Masseverbindlichkeiten zu tilgen, die notwendig dann entstehen, die notwendig dann entstehen, wenn der Betrieb etwa bis zu einer geplanten Veräußerung fortgeführt werden soll. In solchen Fällen erscheint es unbillig, daß der Konkursverwalter das Risiko des Scheiterns allein tragen, nämlich den Massegläubigern ihren etwaigen Ausfall als Schaden nach § 2 82 KO ersetzen muß. Gelingt der der Fortführung zugrunde liegende Plan, etwa eine übertragende Sanierung (vgl. Karsten Schmidt ZIP 1980, 328 f, 336) in die Wege zu leiten, nicht und können deshalb die Masseschulden und -kosten nicht voll getilgt werden, ist eine Haftung des Konkursverwalters gegenüber den Massegläubigern in der Regel nicht gerechtfertigt. Denn auch für sie waren die Risiken, die mit der Fortführung eines zahlungsunfähigen oder (und) überschuldeten Unternehmens notwendig verbunden sind, zu erkennen. Diese Auffassung steht im Einklang mit dem Wortlaut und Sinn der §§ 117 ff. KO. Um ein untragbares oder unbilliges Ergebnis zu vermeiden, braucht nicht auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) zurückgegriffen werden.

Nach dem Zweck jener Vorschrift ist der Konkursverwalter allerdings dann verpflichtet, das Unternehmen des Gemeinschuldners nicht fortzuführen, vielmehr sofort zu liquidieren, sobald feststeht, daß er bei einer Fortführung erwachsende Masseverbindlichkeiten nicht wird tilgen können, der Betrieb also nicht wenigstens seinen Aufwand erwirtschaften wird. Denn sonst würde der Konkursverwalter, statt die Masse möglichst günstig zur gleichmäßigen Befriedigung der Konkursgläubiger zu verwenden, weitere Schulden begründen und die Zahl der unbefriedigten Gläubiger vermehren, mithin den Konkurszweck verfehlen. Verletzt der Konkursverwalter diese konkursspezifische Pflicht, so haftet er den Massegläubigern nach § 82 KO für ihren Vermögensschaden, wenn er erkannt hat oder bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, hier der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters, hätte erkennen können und müssen, daß er die aus der Masse zu erfüllenden Verbindlichkeiten nicht werde tilgen können.

bb) Die danach maßgebenden Voraussetzungen einer Haftung des Beklagten hat die Klägerin nicht vorgetragen:

Die Gläubigerversammlung hatte am 23. September 1980 beschlossen, daß der Konkursverwalter den Betrieb, um dessen geplanten Verkauf zu ermöglichen und so 300 Arbeitsplätze zu erhalten, fortführen solle, solange die Rückzahlung des auszureichenden Kredits nicht gefährdet sei. Daran hat sich der Beklagte unstreitig gehalten. Er hat entsprechend dem Beschluß der Gläubigerversammlung vom 23. September 1980 dem Gläubigerausschuß, dem Konkursgericht sowie interessierten Gläubigern nicht nur über den Stand der Verkaufsverhandlungen, sondern auch über die Einhaltung der vorgelegten Liquiditätspläne, die während der Fortführung erzielten Einnahmen, über die Masseverbindlichkeiten und die weiteren Aussichten, diese Schulden zu decken, regelmäßig berichtet. Im vorliegenden Verfahren hat der Beklagte dargelegt, aus den vierteljährlichen Liquiditätsplänen sei zu entnehmen gewesen, daß die Masseverbindlichkeiten hätten bezahlt werden können, wegen der Vollstreckungsmaßnahmen des Finanzamtes I hätten dann jedoch Außenstände nicht beigetrieben werden können; ein Betrag von 600.000 DM aus einer Zusatzvereinbarung mit der Erwerberin des Betriebs sei wider Erwarten der Konkursmasse nicht zugeführt worden. Darauf hat die Klägerin, obwohl ihr im Konkursverfahren die Berichte des Beklagten einschließlich Liquiditätsplänen und im Erkenntnisverfahren die gesamten Konkursakten zugänglich waren, keine abweichende Darstellung gegeben und nicht erklärt, weshalb sie die für 1981 und für die Zeit bis Ende August 1982 geschuldeten Unfallversicherungsbeiträge erst nach der Veräußerung des Betriebs zum 15. Oktober 1982 und zum 15. März 1983 (§ 23 Abs. 3 SGB 4. Teil) fällig gestellt hat. Sie hat dementsprechend keine Umstände vorgetragen, die den Schluß erlauben, alsbald nach Konkurseröffnung sei klar gewesen oder im Laufe der Fortführung des Betriebes habe sich herausgestellt, daß die mit der Fortführung entstehenden Masseverbindlichkeiten nicht mehr vollständig getilgt werden könnten und das habe der Beklagte auch erkennen können und müssen. Der von der Klägerin in diesem Zusammenhang erhobene Vorwurf, der Konkursverwalter habe den Betrieb über eine ungewöhnlich lange Zeit fortgeführt, ohne für die Tilgung der Masseschulden nach § 60 KO zu sorgen, ist nicht geeignet, die Verletzung einer konkursspezifischen Pflicht im Sinne des § 82 KO darzutun.

b) Aufgrund der Fortführung eines Unternehmens nach der Konkurseröffnung erwachsen Masseschulden (§ 59 Abs. 1 Nr. 1 und 2 KO) und Massekosten (§ 58 Nr. 2 KO). Der Konkursverwalter hat gemäß § 57 KO für deren Berichtigung vor der Befriedigung der Konkursgläubiger zu sorgen und, wenn sich herausstellt, daß die Masse zur vollständigen Befriedigung der Massegläubiger wie hier nicht ausreicht, deren auf Geldbeträge gerichteten Ansprüche nach der in § 60 KO vorgeschriebenen Rangfolge zu tilgen. Erfüllt der Konkursverwalter diese ihm nach der Konkursordnung obliegenden Pflichten nicht, so haftet er, sofern ihm Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, nach § 82 KO auf Ersatz des durch diese Pflichtverletzung entstandenen Schadens. Die Klägerin sieht eine schuldhafte Pflichtverletzung insbesondere darin, daß der Beklagte die ihr gebührenden Beiträge entgegen einer neueren Auffassung nicht als Masseschulden nach § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO erkannt, sondern als Massekosten im Sinne des § 58 Nr. 2 KO beurteilt und deshalb unter Verletzung des § 60 KO die den Masseschulden nach § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO zuzurechnenden Ansprüche des Freistaats Bayern auf die von Dezember 1980 bis Januar 1982 fällig gewordene Umsatzsteuer vor den Ansprüchen der klagenden Berufungsgenossenschaft aus der nunmehr erschöpften Masse erfüllt habe.

aa) Dieser Vorwurf ist deshalb unbegründet, weil die Ansprüche der Berufsgenossenschaft gegen den einen Betrieb fortführenden Konkursverwalter auf Beiträge nicht Masseschulden (§ 59 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 KO), sondern Massekosten (§ 58 Nr. 2 KO) sind. Nach ursprünglich einhelliger Auffassung (Jaeger/Lent KO 8. Aufl. § 58 Rdnr. 5 Abs. 2 und 4; Kuhn/Uhlenbruck KO 8. Aufl. § 58 Rdnr. 8; Böhle-Stamschräder/Kilger KO 12. Aufl. § 58 Anm. 3 g) wurden soziale Lasten und Lohnsteuern aus Arbeitsverhältnissen für die Zeit nach Konkurseröffnung den Massekosten (§ 58 Nr. 2 KO) zugerechnet. Wegen der Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 16. Mai 1975, DB 1975, 2307, 2308), daß die Löhne der nach Konkurseröffnung weiterbeschäftigten Arbeitnehmer und darauf einbehaltene Lohnsteuern Masseschulden seien (so auch Jaeger/Henckel, KO 9. Aufl. § 3 Rdnr. 79), und weil nach dem durch das Gesetz vom 23. Dezember 1976 (BGBl I, 3845, 3868) eingeführten § 59 Abs. 1 Nr. 3 e KO schon die Ansprüche der Träger der Sozialversicherung wegen der Rückstände für die letzten sechs Monate vor der Konkurseröffnung Masseschulden sind, vertreten nunmehr die Erläuterungsbücher Böhle-Stamschräder/ Kilger 13. Und 14. Aufl. § 58 Anm. 3 g und Kuhn/Uhlenbruck KO 10. Aufl. § 58 Rdnr. 8 l die Ansicht, daß die Sozialversicherungsbeiträge den Masseschulden nach § 59 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 KO zuzurechnen seien. Das trifft jedoch für die nach der Konkurseröffnung entstandenen und fällig gewordenen Beiträge des Unternehmens zu einer Berufsgenossenschaft gerade nicht zu.

Aus der Neufassung des § 59 Abs. 1 Nr. 3 e KO, die auch die Ansprüche der Berufsgenossenschaften als Sozialversicherungsträger einbezieht (vgl. BSG Urt. v. 5. Februar 1980, ZIP 1980, 252; LSG NW Urt. v. 22. August 1979, ZIP 1980, 31), kann nichts gegen den hier vertretenen Standpunkt hergeleitet werden. Denn dort sind die Ansprüche der Sozialversicherungsträger aus der Zeit vor der Konkurseröffnung zwar systemwidrig als Masseschulden privilegiert worden; sie sind aber gemäß § 60 KO nach den eigentlichen, nämlich seit der Eröffnung des Konkursverfahrens durch den Konkursverwalter begründeten Masseschulden (§ 59 Abs. 1 Nr. 1 und 2 KO) und nach den durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Masse erwachsenen Massekosten (§ 58 Nf. 2 KO) zu befriedigen. § 59 Abs. 1 Nr. 3 e KO kann daher nichts über die Rangordnung der nach der Konkurseröffnung erwachsenen Ansprüche aus Sozialversicherungsbeiträge aussagen, die von ihrer Qualifikation als Massekosten im Sinne des § 58 Nr. 2 KO oder als Masseschulden nach § 59 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 KO abhängt.

Der Anspruch des nach der Konkurseröffnung erstmals oder wieder eingestellten Arbeitnehmers auf Lohn oder Gehalt ist Masseschuld nach § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO. Es mag sein, daß die vom Arbeitgeber an die Finanzämter abzuführende Lohnsteuer und die an die Sozialversicherungsträger des Arbeitnehmers abzuführenden Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung als Bestandteile des Arbeitsentgeltes und deshalb als Masseschulden nach § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO zu qualifizieren sind. Das trifft aber für die Beiträge zu den Berufsgenossenschaften nicht zu. Der Anspruch auf diese Beiträge entsteht nicht mit dem Abschluß von Arbeitsverträgen nach der Konkurseröffnung oder mit der Erklärung des Konkursverwalters nach § 22 KO, bisherige Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen, und auch nicht dadurch, daß der Lohn fortgezahlt wird, sondern allein deshalb, weil Arbeitnehmer nach der Konkurseröffnung tatsächlich beschäftigt worden sind (§ 723 Abs. 1 RVO; BSG, Urt. v. 30. Juli 1981, ZIP 1981, 1106). Die Beiträge an die Berufsgenossenschaft hat der Konkursverwalter für die Masse zu entrichten, um deren privatrechtliche Haftung für die Schäden der Arbeitnehmer aus Arbeitsunfällen abzulösen. Diese Beiträge, die nach der Lohnsumme nur bemessen werden, sind mithin keine Lohnbestandteile (so schon BGHZ 34, 293, 295). Die Pflicht zu ihrer Abführung ist eine unmittelbare gesetzliche Folge der durch die Fortführung des Unternehmens bedingten tatsächlichen Beschäftigung von Arbeitnehmern, also nicht aus einem Geschäft mit der Berufsgenossenschaft oder aus einer ihr gegenüber vorgenommenen Rechtshandlung erwachsen. Die Beiträge sind vielmehr Ausgaben, die durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Masse entstanden sind (§ 58 Nr. 2 KO; so richtig Kuhn/Uhlenbruck, KO 10. Aufl. 1986 § 3 Rdnr. 36; Jaeger/Henckel KO 9. Aufl. § 3 Rdnr. 88).

bb) Vom Standpunkt der Klägerin, die auch in der Revisionsinstanz den Anspruch des Freistaates Bayern auf die Umsatzsteuer den Masseschulden nach §§ 59 Abs. 1 Nr. 1 KO zuordnet, hat der Beklagte mithin nicht gegen seine Pflichten aus § 60 KO verstoßen; die Umsatzsteuer war vor dem Anspruch auf die Beiträge zur Berufsgenossenschaft zu berichtigen. Die Auffassung, daß die Umsatzsteuer, die aufgrund von entgeltlichen Lieferungen und sonstigen Leistungen des für die Masse handelnden Konkursverwalters gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 UStG 1980 entstanden und abzuführen war, nicht zu den Massekosten im Sinne des § 58 Nr. 2 KO, sondern zu den Masseschulden nach § 59 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 KO gehört, wird durch das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 2. Februar 1978, BStGl II 1978, 483, 485 gestützt. Die Klägerin geht selbst davon aus, daß die Umsatzsteuerforderung aus der Veräußerung von der Gemeinschuldnerin produzierter Waren herrührt. Sie hat nicht behauptet, daß auch nur ein Teil der Umsatzsteuerschuld sich auf die Verwertung von Sicherungsgut durch den Konkursverwalter gründe (vgl. BFH Urt. v. 20. Juli 1978, BStBl II 1978, 684; BGHZ 77, 139, 146).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993639

BGHZ 99, 151

BGHZ, 151

BB 1987, 574

DB 1987, 826

NJW 1987, 844

BGHR KO § 58 Nr. 2 Berufsgenossenschaftsbeiträge 1

BGHR KO § 59 Abs. 1 Nr. 1 Fortführung des Geschäfts 1

BGHR KO § 82 Fortführung des Geschäfts 1

DRsp IV(438)200a-c

NZA 1987, 83

WM 1987, 144

ZIP 1987, 115

MDR 1987, 403

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