Leitsatz (amtlich)

Der Gründungsgesellschafter, der sich zu den vertraglichen Verhandlungen über einen Beitritt eines Vertriebs bedient und diesem oder von diesem eingeschalteten Untervermittlern die geschuldete Aufklärung der Beitrittsinteressenten überlässt, haftet über § 278 BGB für deren unrichtige oder unzureichende Angaben. Er muss sich das Fehlverhalten von Personen, die er mit den Verhandlungen zum Abschluss des Beitrittsvertrages ermächtigt hat, zurechnen lassen, unabhängig davon, ob der Beitritt zur Gesellschaft unmittelbar oder nur mittelbar erfolgt (Anschluss BGH, Urt. v. 9.7.2013 - II ZR 9/12, ZIP 2013, 1616 Rz. 37 m.w.N.; Urt. v. 14.5.2012 - II ZR 69/12, ZIP 2012, 1289 Rz. 11 m.w.N.).

 

Normenkette

BGB §§ 278, 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2

 

Verfahrensgang

OLG Rostock (Beschluss vom 29.04.2016; Aktenzeichen 1 U 140/13)

LG Rostock (Urteil vom 17.05.2013; Aktenzeichen 9 O 570/10)

 

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird der Beschluss des 1. Zivilsenats des OLG Rostock vom 29.4.2016 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Kläger gegen das Urteil des LG Rostock vom 17.5.2013 hinsichtlich des Beklagten zu 1) zurückgewiesen worden ist.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerde- und des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Kläger begehren im Wege des Schadensersatzes die Rückabwicklung ihrer Beteiligungen an der V. GmbH & Co. KG (im Folgenden: V. -KG), deren Gründungskommanditist der Beklagte zu 1) ist.

Rz. 2

Der Vertrieb der Beteiligungen erfolgte durch die Treuhandkommanditistin der V. -KG, die V. GmbH (im Folgenden: V. -GmbH). Die Kläger beteiligten sich in den Jahren 2004, 2005 und 2006 nach vorhergehender Beratung durch die Zeugin A., einer Mitarbeiterin der V. -GmbH, als Treugeber über die V. -GmbH mit einem Betrag i.H.v. jeweils 15.000 EUR an der V. -KG. Am Ende des ersten Beratungsgesprächs im Oktober 2004 erhielten die Kläger von der Beraterin A. den Beteiligungsprospekt ausgehändigt.

Rz. 3

Die Kläger haben mit ihrer Klage von den Beklagten die Zahlung von 45.000 EUR nebst Zinsen und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten Zug um Zug gegen Übertragung ihrer Anteile an der V. -KG verlangt, von dem Beklagten zu 1) dabei mit der Behauptung, sie seien durch eine nicht anleger- und anlagegerechte Beratung der Zeugin A., welche sich dieser zurechnen lassen müsse, zur Zeichnung der Beteiligungen an der V. -KG veranlasst worden.

Rz. 4

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Kläger hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die - nach der Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde gegen die weiteren Beklagten - vom erkennenden Senat zugelassene Revision der Kläger gegen den Beklagten zu 1).

 

Entscheidungsgründe

Rz. 5

Die Revision der Kläger hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, soweit die Berufung der Kläger gegen das Urteil des LG hinsichtlich des Beklagten zu 1) zurückgewiesen worden ist, und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Rz. 6

I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für die Revisionsinstanz von Bedeutung, im Wesentlichen wie folgt begründet: Bei den Beteiligungen an der V. -KG handele es sich um kein eigenes Anlageprodukt des Beklagten zu 1), sondern um ein solches der von ihm unabhängigen V. -KG, an der er lediglich als Gründungsgesellschafter beteiligt sei. Für die von den Klägern in Anspruch genommene höchstrichterliche Rechtsprechung zur Haftung der Gründungsgesellschafter der als Publikumsgesellschaft konzipierten V. -KG aufgrund vorvertraglicher Sonderbeziehungen gem. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB gegenüber nachfolgend zeichnenden/beitretenden Anlegern, welche den Beklagten zu 1) zur Aufklärung über alle für die Anlageentscheidung maßgeblichen Umstände verpflichtet haben solle, so dass er sich das Verschulden der eingesetzten Untervermittler zurechnen lassen müsse, mangele es an einer vertraglich oder schuldrechtlich ausgestalteten Beziehung zwischen ihm und den Klägern. Der Beklagte zu 1) habe weder selbst noch durch einen von ihm beauftragten Verhandlungsgehilfen den Vertragsschluss der Kläger angebahnt. Auch Ansprüche aus Prospekthaftung im engeren Sinne sowie deliktische Ansprüche bestünden nicht.

Rz. 7

II. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat eine Haftung des Beklagten zu 1) aus Prospekthaftung im weiteren Sinne dem Grunde nach zu Unrecht abgelehnt. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind dem Beklagten zu 1) als Gründungsgesellschafter der V. -KG etwaige fehlerhafte Angaben der Zeugin A. zu den Risiken der Anlage nach § 278 BGB zuzurechnen.

Rz. 8

1. Die Prospekthaftung im weiteren Sinne ist ein Anwendungsfall der Haftung für Verschulden bei Vertragsschluss nach §§ 280 Abs. 1, 3, 282, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB (ständige Rechtsprechung, s. etwa BGH, Urt. v. 9.5.2017 - II ZR 344/15, WM 2017, 1252 Rz. 15; Urt. v. 21.6.2016 - II ZR 331/14, ZIP 2016, 1478 Rz. 12; Urt. v. 9.7.2013 - II ZR 9/12, ZIP 2013, 1616 Rz. 26; Urt. v. 23.4.2012 - II ZR 75/10, ZIP 2012, 1342 Rz. 9 sowie BGH, Urt. v. 16.3.2017 - III ZR 489/16, ZIP 2017, 715 Rz. 17). Danach obliegen dem, der selbst oder durch einen Verhandlungsgehilfen einen Vertragsschluss anbahnt, Schutz- und Aufklärungspflichten gegenüber seinem Verhandlungspartner, bei deren Verletzung er auf Schadensersatz haftet. Abgesehen etwa von dem Sonderfall des § 311 Abs. 3 BGB, in dem auch ein Dritter haften kann, wenn er in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch genommen hat, trifft die Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluss denjenigen, der den Vertrag im eigenen Namen abschließen will (BGH, Urt. v. 9.5.2017 - II ZR 344/15, WM 2017, 1252 Rz. 15; Urt. v. 16.3.2017 - III ZR 489/16, ZIP 2017, 715 Rz. 17; Urt. v. 21.6.2016 - II ZR 331/14, ZIP 2016, 1478 Rz. 12; Urt. v. 9.7.2013 - II ZR 9/12, ZIP 2013, 1616 Rz. 26 f.; Urt. v. 23.4.2012 - II ZR 211/09, ZIP 2012, 1231 Rz. 23). Das sind bei einem Beitritt zu einer Kommanditgesellschaft grundsätzlich die schon zuvor beigetretenen Gesellschafter. Denn der Aufnahmevertrag wird bei einer Personengesellschaft zwischen dem neu eintretenden Gesellschafter und den Altgesellschaftern geschlossen (BGH, Urt. v. 9.5.2017 - II ZR 344/15, WM 2017, 1252 Rz. 15; Urt. v. 21.6.2016 - II ZR 331/14, ZIP 2016, 1478 Rz. 12; Urt. v. 9.7.2013 - II ZR 9/12, ZIP 2013, 1616 Rz. 27; Urt. v. 23.4.2012 - II ZR 75/10, ZIP 2012, 1342 Rz. 9; Urt. v. 1.3.2011 - II ZR 16/10, ZIP 2011, 957 Rz. 7 m.w.N.). Die Gründungsgesellschafter haften auch dem - wie hier die Kläger - über einen Treuhänder beitretenden Anleger auf Schadensersatz aus Prospekthaftung im weiteren Sinne, wenn der Treugeber wie hier nach dem Gesellschaftsvertrag wie ein unmittelbar beitretender Gesellschafter behandelt werden soll (BGH, Urt. v. 9.7.2013 - II ZR 9/12, ZIP 2013, 1616 Rz. 30; Urt. v. 14.5.2012 - II ZR 69/12, ZIP 2012, 1289 Rz. 17 f.; Urt. v. 23.4.2012 - II ZR 211/09, ZIP 2012, 1231 Rz. 10; Urt. v. 23.4.2012 - II ZR 75/10, ZIP 2012, 1342 Rz. 9).

Rz. 9

Der Beklagte zu 1) hatte als Gründungsgesellschafter deshalb die Pflicht, einem Beitrittsinteressenten für seine Beitrittsentscheidung ein zutreffendes Bild über das Beteiligungsobjekt zu vermitteln und ihn über alle Umstände, die für seine Anlageentscheidung von wesentlicher Bedeutung sind oder sein können, insb. über die mit der angebotenen speziellen Beteiligungsform verbundenen Nachteile und Risiken zutreffend, verständlich und vollständig aufzuklären (vgl. BGH, Urt. v. 9.5.2017 - II ZR 344/15, WM 2017, 1252 Rz. 17; Urt. v. 21.6.2016 - II ZR 331/14, ZIP 2016, 1478 Rz. 13; Urt. v. 9.7.2013 - II ZR 9/12, ZIP 2013, 1616 Rz. 33; Urt. v. 14.5.2012 - II ZR 69/12, ZIP 2012, 1289 Rz. 10; Urt. v. 23.4.2012 - II ZR 211/09, ZIP 2012, 1231 Rz. 13; Urt. v. 17.5.2011 - II ZR 202/09, AG 2011, 554 Rz. 9; Urt. v. 31.5.2010 - II ZR 30/09, ZIP 2010, 1397 Rz. 9).

Rz. 10

2. Der Beklagte zu 1) hat seine Pflicht als Gründungsgesellschafter zur Aufklärung von Beitrittsinteressenten auf die V. -GmbH übertragen, weil nach dem im Prospekt genannten Konzept Beitrittsinteressenten nicht durch die Gründungsgesellschafter selbst, sondern nur über die V. -GmbH als Treuhandkommanditistin geworben werden sollten. Der Gründungsgesellschafter, der sich zu den vertraglichen Verhandlungen über einen Beitritt eines Vertriebs bedient und diesem oder von diesem eingeschalteten Untervermittlern die geschuldete Aufklärung der Beitrittsinteressenten überlässt, haftet über § 278 BGB für deren unrichtige oder unzureichende Angaben. Er muss sich das Fehlverhalten von Personen, die er mit den Verhandlungen zum Abschluss des Beitrittsvertrages ermächtigt hat, zurechnen lassen (BGH, Urt. v. 9.7.2013 - II ZR 9/12, ZIP 2013, 1616 Rz. 37; Urt. v. 14.5.2012 - II ZR 69/12, ZIP 2012, 1289 Rz. 11; Urt. v. 1.3.2011 - II ZR 16/10, ZIP 2011, 957 Rz. 7; Urt. v. 3.12.2007 - II ZR 21/06, ZIP 2008, 412 Rz. 17; Urt. v. 26.9.2005 - II ZR 314/03, ZIP 2005, 2060, 2063; Urt. v. 14.7.2003 - II ZR 202/02, ZIP 2003, 1651, 1652; Urt. v. 3.2.2003 - II ZR 233/01, DStR 2003, 1494, 1495; Urt. v. 14.1.1985 - II ZR 41/84, WM 1985, 533, 534; Urt. v. 1.10.1984 - II ZR 158/84, ZIP 1984, 1473, 1474). Der Beklagte zu 1) muss sich deshalb mögliche unrichtige oder unzureichende Angaben der Zeugin A. bei der Beratung der Kläger über § 278 BGB zurechnen lassen.

Rz. 11

3. Der Beschluss erweist sich auch nicht deshalb als richtig, weil die Zeugin A. den Klägern im Anschluss an das Beratungsgespräch im Jahr 2004 einen Prospekt übergeben hat, in dem u.a. auf die mit der unternehmerischen Beteiligung verbundenen Risiken bis hin zur Insolvenz des Fonds hingewiesen wird. Nach ihrem revisionsrechtlich zu unterstellenden Vortrag haben die Kläger den Prospekt nicht zur Kenntnis genommen und auf die Erklärung der Zeugin A. vertraut, wonach es sich um eine sichere, fest verzinsliche Spareinlage mit einer jährlichen Rendite von 5 % handelt. Die Verwendung eines Prospekts zur Aufklärung der Beitrittsinteressenten schließt es nicht aus, unzutreffende Angaben des Vermittlers dem Gründungsgesellschafter zuzurechnen. Vermittelt der Prospekt hinreichende Aufklärung, ist dies kein Freibrief, Risiken abweichend hiervon darzustellen und mit Erklärungen ein Bild zu zeichnen, das die Hinweise im Prospekt für die Entscheidung des Anlegers entwertet oder mindert (BGH, Urt. v. 14.5.2012 - II ZR 69/12, ZIP 2012, 1289 Rz. 12; Urt. v. 12.7.2007 - III ZR 83/06, ZIP 2007, 1866 Rz. 10 für den Anlagevermittler; Urt. v. 19.11.2009 - III ZR 169/08, BKR 2010, 118 Rz. 24; Urt. v. 19.6.2008 - III ZR 159/07, juris Rz. 7 für den Anlageberater).

Rz. 12

III. Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist, da sie noch nicht zur Endentscheidung reif ist, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend - keine Feststellungen zu den von den Klägern behaupteten Aufklärungsmängeln durch die Zeugin A. getroffen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 11196451

BB 2017, 1922

DB 2017, 1961

DB 2017, 7

DStR 2017, 2401

NJW 2017, 8

NJW-RR 2017, 1117

EWiR 2017, 617

NZG 2017, 1033

WM 2017, 1640

WuB 2017, 651

ZIP 2017, 1664

ZIP 2017, 64

DZWir 2017, 491

JZ 2017, 699

JZ 2017, 703

MDR 2017, 1254

VuR 2017, 397

NJW-Spezial 2017, 592

LL 2017, 809

RdF 2017, 330

ZWH 2017, 336

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