Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Schadensersatz wegen Schäden durch Vertiefung des Nachbargrundstücks

 

Leitsatz (amtlich)

  1. Hat das Berufungsgericht eine Verschuldenshaftung für Vertiefungsschäden fehlerhaft bejaht, so ist die Entscheidung nur dann aufzuheben, wenn nach dem von dem Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt auch kein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch gegeben ist.
  2. Verlangt der Kläger Ersatz der ihm durch eine Vertiefung des Nachbargrundstücks entstandenen Schäden, so kann eine alternative Klagehäufung vorliegen.
 

Normenkette

BGB § 906 Abs. 2 Satz 2; ZPO § 260; BGB § 823 Abs. 2, §§ 909, 840 Abs. 1

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 22. Dezember 1995 wird mit folgender Maßgabe auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen:

Es wird festgestellt, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger wegen weiterer Schäden, die ihm an seinem Grundstück I. Straße ... in O. durch die Vertiefung des Nachbargrundstücks I. Straße ... entstehen, einen angemessenen Ausgleich in Geld zu zahlen.

 

Tatbestand

Mit Vertrag vom 18./23. März 1993 beauftragten die Beklagten die Firma AKB B. O. GmbH & Co. KG (im folgenden: AKB) als Generalbauunternehmerin mit der schlüsselfertigen Erstellung einer Studentenwohnanlage auf ihrem Grundstück. Die Bauplanung, Statik und Baugrunduntersuchung übertrugen sie jeweils Fachleuten. Bei den Ausschachtungsarbeiten kam es zu Setzungserscheinungen an dem benachbarten Haus, das im Eigentum des Klägers und seines Sohnes Frank steht. Aufgrund eines durchgeführten Beweissicherungsverfahrens verlangt der Kläger von den Beklagten Erstattung der Mängelbeseitigungskosten einschließlich der Planung in Höhe von 63.865 DM, eines verbleibenden Minderwerts von 17.500 DM, Ersatz eines Mietausfalls von 27.381,60 DM und der Kosten für die Schadensermittlung von 3.074,76 DM sowie der Vorgerichtlichen Anwaltskosten von 1.008,09 DM.

Der Kläger hat beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 121.789,45 DM (rechnerisch richtig: 112.789,45 DM) nebst 11,5 % Zinsen seit 21. Oktober 1994 zu zahlen,
  2. festzustellen, daß die Beklagten verpflichtet sind, ihm jeden weiteren Schaden zu ersetzen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat dem Feststellungsantrag stattgegeben und den Zahlungsantrag dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt; wegen der Höhe hat es den Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen. Hiergegen richtet sich die Revision. Der Kläger beantragt, das Rechtsmittel mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß der Feststellungsausspruch sich auf einen angemessenen Ausgleich in Geld für weitere Schäden bezieht.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Oberlandesgericht hält den Feststellungsantrag in vollem Umfang und den Zahlungsantrag dem Grunde nach gemäß §§ 823 Abs. 2, 909, 840 Abs. 1 BGB für gerechtfertigt. Es vertritt die Auffassung, die Beklagten hätten ihrer Schutzpflicht aus § 909 BGB nicht entsprochen. Dabei könne offenbleiben, ob die Beklagten bei der Auswahl der Firma ABK und der Fachingenieure die nötige Sorgfalt hätten walten lassen. Jedenfalls hätten sie nicht dargetan, ob und in welcher Form sie ihrer Kontrollpflicht während der Bauplanung und der Bauausführung nachgekommen seien. Hierzu hätten sie im einzelnen darlegen müssen, welche Vorkehrungen zum Schutz des Nachbargrundstücks geplant waren, welche konkreten Untersuchungen man im Rahmen der Planung angestellt habe, wie die Sicherung der Baugrube ausgeführt worden sei und auf welche Umstände es zurückzuführen sei, daß es trotz dieser Maßnahmen zu Schäden am Haus des Klägers gekommen sei. Darüber hinaus hätten sie auch vortragen müssen, in welcher Weise sie sich darüber vergewissert hätten, daß die erforderlichen Schutzvorkehrungen bei der Planung und Ausführung auch tatsächlich getroffen worden seien. Denn bei der den Eigentümer treffenden Überwachungspflicht sei ein strenger Maßstab anzulegen.

Dies hält nur im Ergebnis der Revision stand.

II.

Geht man mit dem Berufungsgericht davon aus, daß die Beklagten bei der Auswahl der Generalbauunternehmerin und der Fachingenieure die nötige Sorgfalt haben walten lassen, so durften sie diesen nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats grundsätzlich auch die Lösung der bautechnischen Aufgaben und ihre sachgemäße Durchführung überlassen (Senatsurteile v. 27. Juni 1969, V ZR 41/66, NJW 1969, 2140, 2141; v. 4. Mai 1979, V ZR 100/75, WM 1979, 950, 951; v. 18. September 1987, V ZR 219/85, WM 1988, 200, 204). Die sorgfältige Auswahl der mit den Bauarbeiten befaßten Fachkräfte reicht zur Entlastung des Bauherrn nur dann nicht aus, wenn erkennbar eine erhöhte Gefahrenlage gegeben war (Senatsurt. v. 27. Juni 1969, V ZR 41/66, NJW 1969, 2140, 2141; v. 27. Mai 1987, V ZR 59/86, WM 1987, 1226, 1227) oder wenn Anlaß zu Zweifeln bestand, ob die beauftragten Personen in ausreichendem Maße den Gefahren und Sicherungserfordernissen Rechnung tragen würden (Senatsurt. v. 18. September 1987, V ZR 219/85, WM 1988, 200, 204). Derartige Umstände hat das Berufungsgericht jedoch nicht festgestellt. Das angefochtene Urteil ist daher mit der gegebenen Begründung nicht haltbar.

III.

Die Entscheidung stellt sich aber im Ergebnis aufgrund der vom Senat entwickelten entsprechenden Anwendung von § 906 Abs. 2 BGB als richtig dar (BGHZ 72, 289, 294; 85, 375, 384; 90, 255, 262; 101, 106, 110; 101, 290, 294; 103, 39, 42; Senatsurt. v. 26. Januar 1996, V ZR 264/94, WM 1996, 1093, 1095). Die Voraussetzungen eines solchen verschuldensunabhängigen Anspruchs hat das Berufungsgericht zwar nicht ausdrücklich geprüft, sie sind aber aufgrund des festgestellten Sachverhalts gegeben. Insbesondere war der Kläger aus tatsächlichen Gründen gehindert, die Einwirkungen durch die Ausschachtungsarbeiten rechtzeitig durch eine Klage oder einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung abzuwehren. Zwar sind erste Risse schon während der Unterfangung beobachtet worden. Die Ursache dieser Risse war jedoch unklar und mußte erst durch einen Sachverständigen begutachtet werden. Dieser kam dann auch zu dem Ergebnis, daß nicht alle Risse auf die Baumaßnahme zurückgeführt werden können, wohl aber beim ersten Ortstermin schon Setzungsschäden entstanden waren, die durch eine mangelhafte Unterfangung verursacht worden sind. Auch wenn der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch und der verschuldensabhängige Deliktsanspruch prozessual verschiedene Ansprüche sind (BGHZ 111, 158, 166; 120, 239, 249), so wurden doch beide von dem auf Ersatz aller aus der Vertiefung entstandenen und noch entstehenden Schäden gerichteten Klagebegehren erfaßt, sind also auch Streitgegenstand geworden. Dem steht die Tatsache, daß die Klage nicht ausdrücklich auch auf den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch gestützt worden ist, nicht entgegen. Da der vorgetragene Sachverhalt der unerlaubten Einwirkung durch Vertiefung einen solchen Anspruch von vornherein mit erfaßt, liefe ein das Rechtsschutzziel auf die unerlaubte Handlung beschränkende Auslegung des Klagebegehrens dem erkennbaren Rechtsschutzwillen des Klägers deutlich zuwider. Denn beide prozessualen Ansprüche verfolgen trotz ihrer Unterschiedlichkeit das gleiche prozessuale Ziel und konkurrieren nicht miteinander (BGHZ 111, 158, 167). Sie stehen jedenfalls dann, wenn es - wie hier - um den Ersatz von Vertiefungsschäden geht, im Verhältnis der Alternativität zueinander, weil der Kläger den Schaden - gleich aus welchem Klagegrund - nur einmal geltend machen will (vgl. MünchKomm-ZPO/Lüke § 260 Rdn. 25). Der Tatrichter hat daher in einem solchen Fall das Klagebegehren sowohl unter dem Gesichtspunkt der unerlaubten Handlung als auch dem des verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichs zu prüfen. Ist dies - vom Standpunkt des Berufungsgerichts aus zutreffend oder fehlerhaft - nicht geschehen, kann das Revisionsgericht dies nachholen, darf hierbei allerdings nur den vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt zugrunde legen.

Der Inhalt und Umfang des Anspruchs bestimmt sich unter Abwägung aller Umstände nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung (BGHZ 85, 375, 386; 90, 255, 263; Senatsurt. v. 8. Juli 1988, V ZR 45/87, NJW-RR 1988, 1291). Er kann je nach Art und Weise der Einwirkung auf vollen Schadensersatz gehen (BGHZ 28, 255; 57, 359, 368; 58, 149, 160; Senatsurt. v. 19. April 1985, WM 1985, 1041; Urt. v. 8. März 1990, III ZR 141/88, NJW 1990, 3195, 3197). Besteht die Einwirkung - wie hier - in einer Substanzschädigung, so sind die Beseitigungskosten einschließlich der Planungskosten ebenso zu ersetzen wie der verbleibende Minderwert (vgl. BGH, Urt. v. 25. Juni 1992, III ZR 101/91, NJW 1992, 2884) und der entstandene Mietausfall (BGHZ 91, 20, 31). Dasselbe gilt für die Anwaltskosten, die durch die einwirkungsbedingte rechtliche Auseinandersetzung mit Mietern des Geschädigten entstanden sind. Sie gehören mit zu den ersatzfähigen Folgekosten der Einwirkung (vgl. Nüßgens/Boujong, Eigentum Sozialbindung Enteignung, Rdn. 393). Der Zahlungsanspruch ist daher dem Grunde nach gerechtfertigt.

Der Feststellungsausspruch hat ebenfalls mit der Maßgabe Bestand, daß zukünftige Schäden nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung auszugleichen sind. Die entsprechende Konkretisierung des Antrags in der Revisionsverhandlung stellt weder eine Klageänderung (§ 263 ZPO) noch eine Klagebeschränkung (§ 264 Nr. 2 ZPO) dar.

Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Beklagten zu tragen, weil ihr Rechtsmittel keinen Erfolg hat (§ 97 Abs. 1 ZPO).

 

Unterschriften

Hagen

Lambert-Lang

Wenzel

Krüger

Klein

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456064

MDR 1997, 1021

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