Leitsatz (amtlich)

Der Umstand, daß eine GmbH, deren Alleingesellschafterin ebenfalls eine juristische Person ist, mit einem Stammkapital ausgestattet ist, das außer Verhältnis zu ihrem satzungsmäßigen Zweck steht (Unterkapitalisierung), rechtfertigt weder für sich allein, noch dann ohne weiteres einen Haftungsdurchgriff ihrer Gläubiger gegen die Alleingesellschafterin, wenn die GmbH finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in diese eingegliedert ist.

 

Tatbestand

Der Kläger – ein Handwerksmeister – nimmt wegen eines Betrages von 2.927,12 DM nebst Zinsen die beklagte Baugesellschaft (früher Beklagte zu 3) für Glaslieferungen in Anspruch, die er 1974 an die W. GmbH – die ehemalige Beklagte zu 1 – auf deren Bestellung erbracht haben will. Die Beklagte hatte bis Anfang 1973 selbst Typenhäuser gebaut, am 12. Februar 1973 jedoch mit einem Stammkapital von 20.000 DM – der neben ihr allein noch an dieser Gründung mit einem Stammkapitalanteil von nominal 1.000 DM beteiligte Malermeister H. hatte diesen Anteil alsbald an die Beklagte übertragen – die W. GmbH gegründet, dieser den Bau der Typenhäuser überlassen und ihre eigene Tätigkeit auf deren Vertrieb zu einem von ihr festgesetzten Listenpreis beschränkt, wobei sie die Kaufpreise jeweils nach Eingang – unter Einbehaltung einer Provision von 10% – an die W. GmbH weiterleitete. Dieser hatte sie auch das benötigte Anlagevermögen (Baugeräte, Fahrzeuge, Büroausstattung und Baumaterialien) unter Kreditierung des Kaufpreises in Form einer Darlehensgewährung bis zu 260.000 DM zur Verfügung gestellt, wobei sie sich das Eigentum – ob durch Eigentumsvorbehalt oder durch nachträgliche Einräumung von Sicherungseigentum, ist zwischen den Parteien umstritten – vorbehielt. Büroräume und Bauhof der W. GmbH befanden sich auf Grundstücken der Beklagten, die auch die Buchführung der neu gegründeten GmbH übernahm.

Mitte 1974 geriet die W. GmbH in finanzielle Schwierigkeiten. Sanierungsversuche scheiterten. Die Beklagte nahm daraufhin unter entsprechender Gutschrift die der W. GmbH verkauften Gegenstände teilweise wieder an sich. Der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der W. GmbH wurde am 9. September 1974 mangels einer den Kosten des Verfahrens entsprechenden Konkursmasse abgewiesen.

Im vorliegenden Rechtsstreit hat der Kläger die W. GmbH (Beklagte zu 1), den früheren Geschäftsführer der Beklagten und späteren Geschäftsführer der W. GmbH Wo. (Beklagten zu 2) sowie die Beklagte als Gesamtschuldner auf Bezahlung der Glaslieferungen in Anspruch genommen. Die frühere Beklagte zu 1 wurde rechtskräftig zur Zahlung verurteilt, während die Klage gegen den früheren Beklagten zu 2 rechtskräftig abgewiesen wurde. Die im Revisionsrechtszug allein noch umstrittene Inanspruchnahme der Beklagten stützt der Kläger darauf, daß sie die W. GmbH von vorneherein als unterkapitalisiert ins Leben gerufen und ihr, als sich ihr Vermögensverfall abzeichnete, das Anlagevermögen wieder entzogen habe; im Wege der Durchgriffshaftung müsse die Beklagte daher als Alleingesellschafterin für die Schulden der W. GmbH einstehen, zumal diese wirtschaftlich und personell völlig von ihr abhängig gewesen sei.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr im wesentlichen stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.

 

Entscheidungsgründe

I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts setzt sich die Beklagte in Widerspruch zu ihrem eigenen Verhalten, wenn sie sich auf die rechtliche Selbständigkeit der Firma W. GmbH beruft; daraus folgt – so meint das Berufungsgericht weiter – ein Anspruch des Klägers auch gegen die Beklagte. Denn diese habe die Firma W. nicht als „eigenständiges Wirtschaftssubjekt mit eigenem Haftungsvermögen” zur Entstehung kommen lassen (BU S 9). Die Abhängigkeit der Firma W. von der Beklagten als Muttergesellschaft sei so stark gewesen, daß sie nur als eine zwar organisatorisch ausgegliederte, aber wirtschaftlich nicht verselbständigte Betriebsabteilung der Beklagten anzusehen sei. Die völlige wirtschaftliche Unselbständigkeit der Firma W. drücke sich im Fehlen eines angemessenen Eigenkapitals und in der vermögensmäßigen, personellen und funktionellen Verklammerung des Unternehmens mit der Muttergesellschaft aus.

II. Dieser Beurteilung kann nicht gefolgt werden.

1. Gemäß § 13 Abs 2 GmbHG haftet für die Verbindlichkeiten der GmbH den Gläubigern derselben nur das Gesellschaftsvermögen. Auch die Gläubiger einer Einmann-GmbH können sich grundsätzlich nur an das Gesellschaftsvermögen und nicht an den alleinigen Gesellschafter halten, weil die GmbH, auch wenn sich alle Geschäftsanteile durch Abtretung in einer Hand vereinen, juristische Person bleibt und daher nicht mit ihrem alleinigen Gesellschafter identisch ist L. (BGHZ 22, 226, 229; Senatsurteil vom 26. November 1957 – VIII ZR 301/56 = WM 1958, 460; weitere Nachweise bei Hachenburg/Mertens, GmbHG, 7. Aufl § 13 Anh I Rdn 2). Ein unmittelbarer Durchgriff auf die hinter der juristischen Person stehenden Kräfte ist allerdings ausnahmsweise zulässig, wenn schwerwiegende Gesichtspunkte aus Treu und Glauben das erfordern (BGHZ 22, 226, 230; BGHZ 31, 258, 271; Senatsurteil vom 26. November 1957 aaO; BGH Urteil vom 4. Juli 1961 – VI ZR 84/60 = WM 1961, 1103). Denn die Rechtsfigur der juristischen Person kann nur in dem Umfang Beachtung finden, in dem ihre Verwendung der Rechtsordnung entspricht (BGHZ 20, 4, 14).

In der Rechtsprechung sind für einen direkten Haftungsdurchgriff der Gläubiger einer Kapitalgesellschaft gegen dahinterstehende Gesellschafter insbesondere Fälle in Betracht gezogen worden, in denen der Alleingesellschafter den Eindruck persönlicher Haftung hervorruft (vgl BGHZ 22, 226), in denen der Alleingesellschafter sein Privatvermögen mit dem Gesellschaftsvermögen vermischt (OLG Karlsruhe DR 1943, 811; s auch OLG Nürnberg WM 1955, 1566), oder in denen der Gesellschafter die juristische Person vorschiebt, um Vorteile (Schmiergelder) empfangen und behalten zu können, die er, wenn er sie unmittelbar erlangte, seinem Auftraggeber nach § 667 BGB abführen müßte (RG DR 1940, 580). In BGHZ 54, 222, 224 hat der erkennende Senat die Haftung der Mitglieder einer Siedlungsgesellschaft (eV) für deren Pachtzinsschulden in einem Falle bejaht, in dem der Verein von Anfang an vermögenslos war und lediglich deshalb zwischen die Siedler und den Grundstückseigentümer eingeschaltet war, damit dieser die Pacht in einem Betrag erhielt und nicht mit den einzelnen Siedlern abzurechnen brauchte. Entgegen der Auffassung von Serick (Rechtsform und Realität 1955) hat der Bundesgerichtshof bei der Behandlung von – im einzelnen allerdings ganz unterschiedlich gelagerten – Durchgriffsproblemen weitgehend auf einen objektiven Mißbrauch der Rechtsform der Gesellschaft abgestellt und den Nachweis einer Mißbrauchsabsicht nicht verlangt (vgl BGHZ 20, 4, 13). Der erkennende Senat hat allerdings in dem Urteil vom 26. November 1957 (aaO S 462) ausgesprochen, es müsse (dort: zum objektiv hervorgerufenen Rechtsschein) grundsätzlich ein subjektiver Gesichtspunkt hinzukommen, der das Verhalten des sich auf die Selbständigkeit der GmbH berufenden Gesellschafters als einen Verstoß gegen Treu und Glauben oder gegen die guten Sitten kennzeichne. Inwieweit diesen Erwägungen eine über den damals entschiedenen Fall hinausgehende Bedeutung beizumessen ist, und ob die Vielfalt der in Frage kommenden Sachverhalte es überhaupt erlaubt, allgemeine Regeln aufzustellen, unter welchen Voraussetzungen die Berufung auf die rechtliche Selbständigkeit der juristischen Person zu versagen ist (zweifelnd BGH Urteil vom 4. Juli 1961 aaO S 1104), kann im Streitfalle auf sich beruhen. Denn auch bei einer Orientierung an rein objektiven Maßstäben rechtfertigen die vom Berufungsgericht erörterten Umstände es nicht, die Firma W. GmbH und die Beklagte als deren Alleingesellschafterin in Bezug auf den Kaufpreisanspruch des Klägers als Einheit zu behandeln und damit die Möglichkeit eines Haftungsdurchgriffs zu eröffnen.

2. a) Das Berufungsgericht erörtert zunächst den Umstand, daß die Beklagte die Firma W. mit einem haftenden Kapital ausgestattet hat (20.000 DM), das außer Verhältnis zu dem satzungsmäßigen Geschäftszweck und der hierfür erforderlichen Betriebsausstattung stand. Der Unterkapitalisierung für sich allein genommen mißt das Berufungsgericht keine eine Haftung der Beklagten begründende Bedeutung bei. Dieser Ausgangspunkt ist richtig.

aa) Im Hinblick darauf, daß den Gläubigern der GmbH nur das Gesellschaftsvermögen haftet, liegt das Interesse der Gesellschafter nahe, das Stammkapital möglichst niedrig festzusetzen. Zur Beschaffung des notwendigen Betriebskapitals werden in solchen Fällen häufig überhöhte Fremdmittel erforderlich. Bringen die Gesellschafter die Mittel durch Darlehensgewährung oder Bereitstellung von Betriebsmitteln aus ihrem Privatvermögen auf, so besteht die Gefahr, daß sie diese Mittel der Gesellschaft rechtzeitig vor Konkurseintritt entziehen. In der Unterkapitalisierung kann daher eine nicht unerhebliche Gläubigergefährdung liegen. Deshalb wird von einem Teil der Literatur mit unterschiedlicher Begründung ein direkter Haftungsdurchgriff gegen die Gesellschafter für den Fall befürwortet, daß diese das Stammkapital auch dann auf den gesetzlichen Mindestbetrag von 20.000 DM (§ 5 GmbHG) beschränkt haben, wenn dieser für den angestrebten Geschäftszweck offensichtlich unzureichend ist (Erman, KTS 1959, 129ff; Reinhardt, Gedanken zum Identitätsproblem bei der Einmann Gesellschaft in: Festschrift für Heinrich Lehmann 1956, S 576ff; Erlinghagen GmbH-Rundschau 1962, 169ff; Wiedemann, Haftungsbeschränkung und Kapitaleinsatz in der GmbH, in: Die Haftung des Gesellschafters in der GmbH, Arbeiten zur Rechtsvergleichung Bd 36, 1968, S 17; Kuhn, Strohmanngründung bei Kapitalgesellschaften 1964, S 199ff; Drobnig, Haftungsdurchgriff bei Kapitalgesellschaften S 51ff; Wüst, Gläubigerschutz bei der GmbH 1966, S 32, 33 jedenfalls bei Betriebsaufspaltungen in Anlagegesellschaften und Betriebsgesellschaften und bei Ausgliederung unzulänglich kapitalisierter Zweigbetriebe; aA etwa Hofmann NJW 1966, 1941ff; Sonnenberger NJW 1969, 2033ff, 2036; Scholz, GmbHG Nachtrag 1964, § 5 Rdn 2; Vogel, GmbHG 2. Aufl § 3, 5; so wohl auch Unger, KTS 1959, 33, 39 und Baumbach/Hueck, GmbHG 13. Aufl § 5 Anm 2, die einen direkten Durchgriff nur unter den Voraussetzungen des § 826 BGB bejahen; in diesem Sinne grundsätzlich auch Hachenburg/Mertens aaO Rdn 47).

Das Reichsgericht hat in einem Rechtsstreit, bei dem es allerdings nicht um die direkte Inanspruchnahme eines Gesellschafters für Verbindlichkeiten der GmbH, sondern darum ging, ob eine Gesellschafterforderung zur Konkurstabelle festgestellt werden könne (§ 146 KO), die Festsetzung des Stammkapitals auf einen nicht entfernt ausreichenden Betrag unter gleichzeitiger Zurverfügungstellung des darüber hinaus benötigten Kapitals in Form von Darlehen nach § 826 BGB bewertet, – mit der Folge, daß Forderungen aus Gesellschafterdarlehen im Gesellschaftskonkurs hinter Fremdforderungen zurückstehen müßten (JW 1938, 862). Nach dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt hatte jedoch die zu niedrige Festsetzung des Stammkapitals geradezu die Grundlage eines auf Schädigung der Gläubiger gerichteten Planes gebildet. Hierauf hat das Reichsgericht auch maßgeblich abgestellt (aaO S 865). In RGZ 166, 51, 57 hat es allerdings unter Bezugnahme auf die vorgenannte Entscheidung beiläufig ausgeführt, der Gedanke, es bei einem Stammkapital der GmbH von nur 20.000 DM zu lassen und das darüber hinaus benötigte Kapital von 130.000 DM dieser GmbH durch Darlehen zur Verfügung zu stellen, hätte sich nur unter Mißbrauch dieser Rechtsform verwirklichen lassen, weil die eigene Kapitalausstattung der GmbH für deren Aufgabe von vornherein unzureichend gewesen wäre. Ob dies auch unabhängig von den subjektiven Voraussetzungen des § 826 BGB gelten soll, läßt sich den Entscheidungsgründen indessen nicht entnehmen. Für den Bundesgerichtshof ist die Frage, inwieweit eine Haftung von GmbH-Gesellschaftern unmittelbar gegenüber deren Gläubigern infolge einer Unterkapitalisierung der GmbH in Betracht kommt, bisher noch nicht entscheidungserheblich geworden. In BGHZ 22, 226, 231 wird die Fragestellung erwähnt, jedoch nicht entschieden, da eine Unterkapitalisierung nicht festgestellt war. Auch das Urteil vom 4. Juli 1961 (aaO S 105) läßt die Frage ausdrücklich offen. Bedeutsame, wenn auch nicht unmittelbar entscheidungserhebliche Ausführungen hat indessen der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in BGHZ 31, 258, 271 gemacht, wo es darum ging, inwieweit ein Gesellschafter sich von der GmbH dieser gewährte „Darlehen” zurückzahlen lassen durfte. In dieser Entscheidung wird darauf hingewiesen, daß § 5 Abs 1 GmbHG sich damit begnügt, ein Mindestkapital von 20.000 DM vorzuschreiben. Wenn dies auch nicht bedeute, daß das haftende Kapital ganz ohne Rücksicht auf das für die satzungsmäßigen Gesellschaftszwecke benötigte Kapital festgesetzt werden dürfe, sei der GmbH nicht verwehrt, eine Unterkapitalisierung oder einen bloß vorübergehenden Geldbedarf durch Darlehen ihrer Gesellschafter zu decken oder sich die benötigten Wirtschaftsgüter durch Kauf, Miete oder Pacht von ihren Gesellschaftern zu beschaffen. Bei der Erörterung, ob ein Mißbrauch der Rechtsform der juristischen Person vorliege, wird weiter ausgeführt, solange der Gesellschafter den Geldbedarf der GmbH durch „Darlehen” decke, könne ihm die Tatsache der Unterkapitalisierung nicht vorgeworfen werden. In diese Richtung gehen bereits die Ausführungen des erkennenden Senats in dem Urteil vom 8. Januar 1958 (aaO S 462), es gehe nicht an, allgemein in solchen Fällen, in denen die im Rechtsverkehr auftretende GmbH nicht mehr über die erforderliche Kreditunterlage verfügt, den Alleingesellschafter schon deshalb mithaften zu lassen, weil er der Gesellschaft mit eigenem Kapital aushilft. Auch das Oberlandesgericht Hamburg (BB 1973, 1231, 1232) zieht zwar einen unmittelbaren Durchgriff gegen den Gesellschafter wegen Unterkapitalisierung in Betracht, wenn die Kalkulation der GmbH für ihr geschäftliches Vorhaben von vornherein keine wirtschaftlich sinnvolle Grundlage gehabt habe, verneint dies im konkreten Fall jedoch dann, wenn der (dort ersichtlich über das haftende Stammkapital hinausgehende) Kapitalbedarf durch Darlehen der Gesellschafter und weitere von diesen zur Verfügung gestellte Betriebsmittel gedeckt war.

bb) Daran ist jedenfalls nach dem geltenden GmbH-Recht, das lediglich ein bestimmtes Mindeststammkapital vorschreibt, festzuhalten. Auch der Regierungsentwurf für ein neues GmbH-Gesetz sieht von Vorschriften darüber ab, daß die Gesellschaft mit einem ihrem Geschäftszweig und Geschäftsumfang angemessenen Eigenkapital ausgestattet werden muß. Allerdings muß eine über das gewöhnliche Maß hinausgehende Gefährdung der Gläubiger ausgeschaltet werden, die darin zu sehen ist, daß ein Gesellschafter entgegen dem Zweck der Schutzvorschriften über die Aufbringung und Erhaltung des Stammkapitals der Gesellschaft Mittel entzieht, die wirtschaftlich als Kapitalgrundlage zu betrachten sind. Die Lösung ist jedoch nicht in einem direkten Durchgriff der Gläubiger gegen die Gesellschafter zu suchen, sondern in den – eine Erstattungspflicht an die Gesellschaft vorsehenden – §§ 30, 31 GmbHG und in den Bestimmungen des Insolvenzrechts (zur Frage der Behandlung von Gesellschafterdarlehen als haftendes Kapital vgl BGHZ 31, 258; BGH Urteil vom 29. November 1971 – II ZR 121/69 = WM 1972, 74; BGH Urteil vom 27. September 1976 – II ZR 162/75 = WM 1976, 1223 = BGHZ 67, 171; ebenfalls hierzu und zur Frage der Konkursanfechtung vgl Senatsurteil vom 14. Juli 1969 – VIII ZR 109/67 = KTS 1970, 201). Einen etwa dahingehenden Anspruch der W. GmbH gegen die Beklagte hat der Kläger jedoch nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht gepfändet und sich überweisen lassen.

b) Das Berufungsgericht sieht allerdings in der Unterkapitalisierung der Firma W. GmbH – zusammen mit der vermögensmäßigen, personellen und funktionellen Verklammerung des Unternehmens mit der Muttergesellschaft – einen maßgeblichen Anhaltspunkt für ihre völlige wirtschaftliche Unselbständigkeit und ihre Einstufung als reine Betriebsabteilung der Beklagten. Die Auffassung des Berufungsgerichts, mit einer solchen Feststellung lasse sich die Haftungsbeschränkung nach § 13 Abs 2 GmbHG zu Lasten der Beklagten durchbrechen, ist jedoch rechtlich nicht haltbar. Das von ihm verwendete Begriffspaar „eigenständiges Wirtschaftssubjekt – wirtschaftlich nicht verselbständigte Betriebsabteilung” hilft bei der Fragestellung, ob die Berufung auf die rechtliche Selbständigkeit der GmbH mißbräuchlich ist, nicht weiter.

Allein deshalb, weil jemand eine juristische Person beherrscht, kann nicht auf seine Haftung durchgegriffen werden; denn die Beherrschung an sich gefährdet noch nicht die Interessen der Gläubiger (BGH Urteil vom 4. Juli 1961 aaO S 1104). Das gilt, wie allgemein anerkannt ist, auch für die Einmann-GmbH, und zwar selbst dann, wenn der Alleingesellschafter zugleich Geschäftsführer der GmbH ist (statt vieler Tröster, Die Einmann GmbH, Dissertation 1971, S 107; Drobnig aaO S 39ff). Davon geht auch das Berufungsgericht aus. Es sieht aber ersichtlich eine zu einer anderen rechtlichen Beurteilung zwingende Besonderheit dann als gegeben an, wenn Alleingesellschafter einer GmbH wiederum nur eine juristische Person mit einer auf das Gesellschaftsvermögen beschränkten Haftung ist. Ob der entscheidende Einfluß auf eine GmbH von einem Privatgesellschafter oder aus einem anderen Unternehmen stammt, ist jedoch unerheblich. Es mag zwar sein, daß, wie Wiedemann (Juristische Person und Gesamthand als Sondervermögen, WM 1975 Sonderbeilage 4/1975 S 20) ausführt, erfahrungsgemäß ein herrschendes Unternehmen die abhängige juristische Person intensiver mit den eigenen Interessen verknüpfen wird, als dies bei einem Privatgesellschafter der Fall ist. Dieser Umstand rechtfertigt jedoch jedenfalls nicht ohne weiteres einen allgemeinen unmittelbaren Haftungsdurchgriff der Gläubiger gegen die Muttergesellschaft, wie dies insbesondere auch ein Vergleich mit den konzernrechtlichen Vorschriften für die Aktiengesellschaft (§§ 15ff, 302ff, 311ff AktG) zeigt. Es besteht in der Literatur (Rasch, Deutsches Konzernrecht 5. Aufl S 236, 238; Kuhn, Strohmanngründungen bei Kapitalgesellschaften S 213, 214; Serick, Durchgriffsprobleme bei Vertragsstörungen, Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe, Heft 42 S 10; Drobnig aaO S 46) wie in der Rechtsprechung (BGHZ 15, 382, 389; BGH Urteil vom 4. Juli 1961 aaO) darüber Einigkeit, daß die Unterstellung eines Unternehmens unter ein anderes im Rahmen eines Konzerns (für das Aktienrecht: § 18 AktG) seine rechtliche Selbständigkeit grundsätzlich nicht berührt, nicht einmal dann, wenn eine sogenannte Organschaft vorliegt, dh eine völlige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung (BGHZ 22, 226, 233, 234). Bei dem Begriff der Organschaft handelt es sich um eine Zweckschöpfung des Steuerrechts, in dessen Bereich sie auch zu einem Haftungsdurchgriff führen kann (vgl zB § 2 Abs 2 Nr 2 GewStG, § 2 Abs 2 Nr 2 UStG; zur Entwicklung der Organschaft vgl Emmerich/Sonnenschein Konzernrecht 1973, § 1 D 3. S 15). Für einen Durchgriff vertraglicher Gläubigerforderungen im Privatrecht spielt er dagegen keine wesentliche Rolle. Der Bundesgerichtshof hat bereits mehrfach (BGHZ 26, 31, 36; BGH Urteil vom 4. Juli 1961 aaO) klargestellt, daß die Grundsätze, die die Rechtsprechung zur Aufrechnung gegenüber Forderungen von Kriegsgesellschaften entwickelt hat (vgl BGHZ 17, 19, 22 mwNachw), nicht auf den Fall übertragen werden können, daß ein Unternehmen kraft freier, durch die Bedürfnisse des Erwerbslebens begründeter Entschließung eine von ihm abhängige GmbH begründet hat. Ob im Streitfall eine völlige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung der Firma W. GmbH vorlag, kann daher offenbleiben. Bedenken hiergegen könnten sich allerdings bereits aus dem Umstand ergeben, daß es nach der Vertragsgestaltung keine Gewinnabführungspflicht – typischerweise ein maßgebliches Kriterium für die Organschaft (vgl Hachenburg/Schilling, GmbHG 6. Aufl § 13 Anhang Anm 7; Drobnig aaO, S 42ff) – für die Tochtergesellschaft gab; im Gegenteil sollten die Gewinne, nach Abzug einer Verkaufsprovision der Beklagten, der Firma W. GmbH voll zustehen.

c) Berechtigen nach allem weder eine Unterkapitalisierung der GmbH noch deren konzernmäßig oder sogar organschaftliche Einordnung in die Muttergesellschaft für sich genommen zu einem unmittelbaren Gläubigerdurchgriff, so besteht auch kein hinreichender Grund, diesen schlechthin bei bestimmten Tatbestandstypen, wie der Betriebsaufspaltung in Anlagegesellschaft und Betriebsgesellschaft oder der Ausgliederung unzulänglich kapitalisierter Zweigbetriebe, zu bejahen.

Eine andere Beurteilung käme allenfalls in Betracht, wenn es sich bei der Firma W. GmbH um eine ganz willkürliche und von vornherein nicht praktikable Ausgliederung handelte, die darauf hinausliefe, daß eine rechtliche Selbständigkeit ausschließlich der Form nach bestünde (BGHZ 22, 226, 233, 234; vgl auch OLG Nürnberg WM 1955, 1566, 1567). So war es aber nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht. Die Firma W. GmbH hat nicht nur als reine Fiktion auf dem Papier existiert, sondern sie ist als Rechtssubjekt in ihrem satzungsmäßigen Geschäftsbereich nahezu 1 1/2 Jahre werbend tätig geworden.

III. Das angefochtene Urteil kann auch nicht mit anderer Begründung aufrechterhalten bleiben.

Feststellungen, die einen Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte im Zusammenhang mit der Gründung der Firma W. GmbH aus sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) rechtfertigen könnten, hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Insoweit fehlt es auch an einem hinreichend substantiierten und unter Beweis gestellten Sachvortrag des Klägers.

Ansprüche des Klägers unmittelbar gegen die Beklagte ergeben sich auch nicht aus der Rücknahme der Geräteausstattung. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, kommen allenfalls Ansprüche der Firma W. GmbH in Betracht, die von der Pfändung seitens der Klägerin jedoch nicht umfaßt sind. (Kuhn aaO S 213) befürwortet allerdings eine analoge Anwendung des § 56 AktG (jetzt: § 62 AktG), der unter bestimmten Voraussetzungen eine unmittelbare Haftung der Aktionäre gegenüber den Gläubigern vorsieht, wenn sie von der Aktiengesellschaft Leistungen entgegen den Vorschriften des Aktiengesetzes empfangen haben. Diese Ansicht muß jedoch abgelehnt werden, denn das geltende GmbH-Recht enthält insoweit keine Lücke, sondern eine spezielle und erschöpfende Regelung in den §§ 30, 31 GmbHG. Davon geht auch das Schrifttum allgemein aus (vgl Drobnig aaO S 92, 93; Wiedemann, Haftungsbeschränkung und Kapitaleinsatz in der GmbH aaO S 41-43).

IV. Da keine weiteren tatrichterlichen Feststellungen mehr zu treffen sind, liegen die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung des Senats vor. Auf die Revision der Beklagten war daher die gegen sie gerichtete Klage abzuweisen.

 

Fundstellen

BGHZ, 312

NJW 1977, 1449

NJW 1977, 2163

DNotZ 1977, 562

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