Leitsatz (amtlich)

Zur Verkehrssicherungspflicht für Straßenbäume (hier: Ursächlichkeit einer unterlassenen Baumüberprüfung für einen durch das Abbrechen eines Astes verursachten Verkehrsunfall).

 

Normenkette

BGB § 839

 

Verfahrensgang

OLG Celle (Urteil vom 25.06.2003; Aktenzeichen 9 U 8/03)

LG Verden (Aller)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des OLG Celle v. 25.6.2003 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsrechtszuges zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Pkw der Klägerin wurde am 26.8.2000 durch den herabstürzenden Ast eines Alleebaums (Pyramidenpappel) beschädigt. Die Klägerin wirft der beklagten Gemeinde vor, diese habe ihre Straßenverkehrssicherungspflicht verletzt, indem sie es unterlassen habe, die Alleebäume hinreichend zu kontrollieren. Sie verlangt daher von der Gemeinde Ersatz des ihr entstandenen Schadens von 969,41 EUR nebst Zinsen.

Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Forderung weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Die Verfahrensrüge der Revision, in dem angefochtenen Urteil sei der Berufungsantrag der Klägerin nicht hinreichend deutlich wiedergegeben (§ 540 ZPO), ist vom Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet worden; von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 564 S. 1 ZPO).

2. Die - in Niedersachsen hoheitlich ausgestaltete (§ 10 NStrG; vgl. auch Staudinger/Wurm, BGB, 13. Bearb. 2002, § 839 Rz. 668 f.) - Straßenverkehrssicherungspflicht erstreckt sich auch auf den Schutz vor Gefahren durch Straßenbäume (BGH, Urt. v. 21.1.1965 - III ZR 217/63, NJW 1965, 815). Ihre Verletzung ist daher geeignet, Amtshaftungsansprüche (§ 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG) zu begründen.

a) Die straßenverkehrssicherungspflichtige Gemeinde muß Bäume oder Teile von ihnen entfernen, die den Verkehr gefährden, insbesondere, wenn sie nicht mehr standsicher sind oder herabzustürzen drohen. Zwar stellt jeder Baum an einer Straße eine mögliche Gefahrenquelle dar, weil durch Naturereignisse sogar gesunde Bäume entwurzelt oder geknickt oder Teile von ihnen abgebrochen werden können. Andererseits ist die Erkrankung oder Vermorschung eines Baumes von außen nicht immer erkennbar; trotz starken Holzzerfalls können die Baumkronen noch völlig grün sein und äußere Krankheitszeichen fehlen. Ein verhältnismäßig schmaler Streifen unbeschädigten Kambiums genügt, um eine Baumkrone rundum grün zu halten. Das rechtfertigt aber nicht die Entfernung aller Bäume aus der Nähe von Straßen; denn der Verkehr muß gewisse Gefahren, die nicht durch menschliches Handeln entstehen, sondern auf Gegebenheiten oder Gewalten der Natur beruhen, als unvermeidbar hinnehmen. Eine schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht liegt in solchen Fällen nur dann vor, wenn Anzeichen verkannt oder übersehen worden sind, die nach der Erfahrung auf eine weitere Gefahr durch den Baum hinweisen (BGH, Urt. v. 21.1.1965 - III ZR 217/63, NJW 1965, 815).

b) Aus diesen Grundsätzen wird in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte teilweise die Folgerung gezogen, daß eine sorgfältige äußere Gesundheits- und Zustandsprüfung regelmäßig zweimal im Jahr erforderlich ist, nämlich einmal im belaubten und einmal im unbelaubten Zustand (s. insbesondere OLG Düsseldorf v. 15.3.1990 - 18 U 228/89, VersR 1992, 467; v. 25.4.1996 - 18 U 150/95, OLGReport Düsseldorf 1997, 98 = VersR 1997, 463 f.; OLG Hamm v. 4.2.2003 - 9 U 144/02, OLGReport Hamm 2003, 268 = MDR 2003, 932 = NJW-RR 2003, 968; OLG Brandenburg v. 16.4.2002 - 2 U 17/01, OLGReport Brandenburg 2002, 411; s. auch das Muster einer Dienstanweisung zur Baumüberprüfung, BADK-Information, Sonderheft Haftungsrechtliche Organisation im Interesse der Schadenverhütung, 1997, S. 58; vgl. Staudinger/Hager, BGB, 13. Bearb. 1999, § 823 Rz. E 149 m. w. N.).

c) Da hier nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die letzte Kontrollüberprüfung spätestens im Herbst 1999, möglicherweise sogar aber schon im Frühjahr 1999 stattgefunden hatte, liegt es nahe, hier - in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht - eine Verletzung dieser Kontrollpflicht zu bejahen. Diese Frage bedarf indessen keiner abschließenden Entscheidung.

3. Der Amtshaftungsanspruch scheitert nämlich, wie das Berufungsgericht mit Recht ausgeführt hat, jedenfalls daran, daß die Klägerin die Ursächlichkeit einer etwaigen Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden nicht hat nachweisen können.

a) Darlegungs- und beweispflichtig ist insoweit der Anspruchsteller. Ihm obliegt daher auch der Nachweis, daß bei der zumutbaren Überwachung der Straßenbäume eine Schädigung entdeckt worden wäre (OLG Oldenburg VersR 1977, 845 [846]). Wurden die Bäume nicht kontrolliert, so ist dies für das Schadensereignis nur dann kausal, wenn eine regelmäßige Besichtigung zur Entdeckung der Gefahr bzw. der Schädigung des Baumes hätte führen können (OLG Schleswig v. 9.11.1994 - 12 U 22/93, MDR 1995, 148; zum Ganzen: Staudinger/Hager, BGB, 13. Bearb. 1999, § 823 Rz. E 155).

b) Die Frage, ob und in welchem Umfang dem Geschädigten Beweiserleichterungen, etwa nach Art des Anscheinsbeweises, zugute kommen können (grundsätzlich verneinend: OLG Karlsruhe v. 21.12.1993 - U 5/93 BSch, VersR 1994, 358; Staudinger/Hager, BGB, 13. Bearb. 1999, § 823 Rz. E 155), bedarf nach den Besonderheiten des hier zu beurteilenden Sachverhalts keiner abschließenden Klärung. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der durch eine Amtspflichtverletzung Geschädigte grundsätzlich auch den Beweis zu führen, daß ihm hierdurch ein Schaden entstanden ist. Wenn allerdings die Amtspflichtverletzung und der zeitlich nachfolgende Schaden feststehen, so kann der Geschädigte der öffentlichen Körperschaft den Nachweis überlassen, daß der Schaden nicht auf die Amtspflichtverletzung zurückzuführen ist. Dies gilt jedoch nur, wenn nach der Lebenserfahrung eine tatsächliche Vermutung oder eine tatsächliche Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang besteht; anderenfalls bleibt die Beweislast beim Geschädigten (BGH, Urt. v. 3.3.1983 - III ZR 34/82, MDR 1983, 827 = NJW 1983, 2241 [2242]; Staudinger/Wurm, BGB, 13. Bearb. 1999, § 823 Rz. 236m.zahlr.w.N.). Eine solche überwiegende Wahrscheinlichkeit hat das Berufungsgericht hier mit Recht ausgeschlossen.

aa) Zwar hatte die Klägerin vorgetragen, die hier in Rede stehenden Alleepappeln stammten aus der Zeit von vor 1939 und hätten eine durchschnittliche Lebensdauer von 70 Jahren. Indessen ist in der Rechtsprechung bereits darauf hingewiesen worden, daß das Alter - und sogar eine Vorschädigung - eines Baumes für sich allein genommen nicht ohne weiteres eine gesteigerte Beobachtungspflicht des Verkehrssicherungspflichtigen erfordern (OLG Stuttgart v. 23.6.1993 - 1 U 211/92, VersR 1994, 359). Der im ersten Rechtszug vernommene Zeuge S., der für die Beklagte als Baumpfleger tätig war und damit über eine gewisse Sachkunde verfügte, hat anhand der von der Klägerin zu den Akten gereichten Fotos der Unfallstelle, die den abgebrochenen Ast zeigen, bekundet, dieser sei belaubt gewesen und wäre auch bei einer durchgeführten Kontrolle nicht beseitigt worden. Daraus hat das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender tatrichterlicher Würdigung gefolgert, es sei überwiegend unwahrscheinlich, daß der Ast bei einer unterstellten - ordnungsgemäßen Kontrolle im Frühjahr 2000 als ein solcher aufgefallen wäre, der zu besonderen Sicherungsmaßnahmen Anlaß gegeben hätte. Insbesondere waren auch sonstige Krankheitszeichen, etwa am Stamm, die schon seit längerem hätten beobachtet werden können, nicht behauptet und auch nicht sonst erkennbar.

bb) Vielmehr kam als besonders naheliegende Schadensursache in Betracht, daß der Ast infolge eines zum Unfallzeitpunkt herrschenden Sturmes abgebrochen ist. Beide Vorinstanzen sind nach dem damaligen Sach- und Streitstand von einem solchen Sturm ausgegangen; die dagegen erhobene Verfahrensrüge der Revision greift nicht durch: In der Klageschrift hatte die Klägerin keine Angaben zu den Witterungsverhältnissen gemacht. Die Beklagte hatte schon in der Klageerwiderung nicht nur einen Sturm behauptet, sondern daraus unter Anführung von Rechtsprechung haftungsrechtlich entlastende Folgerungen für sich gezogen. Die Klägerin war darauf nicht weiter eingegangen; übergangenen Sachvortrag vermag auch die Revision nicht aufzuzeigen. Dementsprechend hatte schon das Landgericht nach § 138 Abs. 3 ZPO in den unstreitigen Tatbestand aufgenommen, daß Sturm herrschte, und in den Entscheidungsgründen festgestellt, daß der Ast gesund war und auch ohne regelmäßige Sichtkontrollen (gemeint ist: bei regelmäßigen Sichtkontrollen) auf Grund des starken Windes abgefallen wäre. Ein Tatbestandsberichtigungsantrag ist von der Klägerin nicht gestellt worden und hätte auch keine Aussicht auf Erfolg gehabt. Die Verfahrensrüge der Revision, das Berufungsgericht hätte diese Feststellungen seiner Verhandlung und Entscheidung nicht zugrunde legen dürfen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), greift, wie der Senat geprüft hat, nicht durch; von einer näheren Begründung wird auch hier abgesehen (§ 564 S. 1 ZPO). Da es der Klägerin nicht gelungen ist, diese vorrangige Schadensursache auszuräumen, ist ihre Amtshaftungsklage mit Recht abgewiesen worden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1128762

NJW 2004, 1381

NWB 2004, 1064

BGHR 2004, 869

BauR 2004, 1599

EBE/BGH 2004, 1

JR 2004, 381

DAR 2004, 263

DVP 2005, 480

NZV 2004, 248

VersR 2004, 877

ZfS 2004, 305

BayVBl. 2005, 28

IVH 2004, 117

JWO-VerkehrsR 2004, 114

NJW-Spezial 2004, 50

SVR 2004, 423

UPR 2004, 262

AuUR 2004, 413

FuNds 2006, 34

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