Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschlussfrist des § 12 Abs. 3 VVG. Anwaltsprozess. Klageschrift. Einreichung einer nicht unterschriebenen Klage. Postulationsfähiger Rechtsanwalt. Unwirksame Prozesshandlung. Heilung. Nachholen der Unterschrift nach Fristablauf. Anderer Nachweis der Urheberschaft des postulationsfähigen Rechtsanwalts. Behebung des Mangels. Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Anforderungen an die Einhaltung der Frist des § 12 Abs. 3 VVG durch Klageerhebung, wenn die fristgerecht bei Gericht eingegangene Klage nicht unterschrieben war.

 

Normenkette

VVG § 12 Abs. 3

 

Verfahrensgang

OLG Hamburg (Urteil vom 18.12.2001)

LG Hamburg (Urteil vom 21.12.2000)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 22.10.2004; Aktenzeichen 1 BvR 894/04)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des Hanseatischen OLG Hamburg, 9. Zivilsenat, v. 18.12.2001 aufgehoben und das Urteil des LG Hamburg v. 21.12.2000 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger fordert wegen des Verlustes seines bei den Beklagten versicherten Hochseekatamarans, der vor der Küste Venezuelas in Brand geriet und sank, 1.850.000 US-Dollar. Die Beklagten lehnten mit Schreiben v. 22.6.1999 Versicherungsleistungen ab, weil der Kläger seine Rettungsobliegenheiten (§ 62 VVG) verletzt habe, und wiesen gem. § 12 Abs. 3 VVG darauf hin, dass sie von der Verpflichtung zur Leistung frei würden, wenn der Kläger den Anspruch nicht innerhalb von 6 Monaten gerichtlich geltend mache. Dieses Schreiben ging dem vorprozessualen Vertreter des Klägers noch am 22.6.1999 per Telefax und am 23.6.1999 mit der Post zu.

Am 15.12.1999 ging die Klage beim LG ein. Weder das Original noch die Abschriften waren unterschrieben. Nachdem der Klägervertreter darauf hingewiesen worden war, holte er die Unterschrift am 7.1.2000 nach. Bereits am 23.12.1999 wurde bei der Justizkasse der Eingang des Gerichtskostenvorschusses unter Angabe der Parteien sowie des Aktenzeichens gebucht; als Einzahler ist der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers angegeben. Nach Klärung der Kammerzuständigkeit wurde die Klage am 8.2.2000 den Beklagten zugestellt. Diese rügen, die Frist des § 12 Abs. 3 VVG sei nicht gewahrt.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel hat Erfolg und führt zur Abweisung der Klage.

1. Nach Ansicht des Berufungsgerichts lief die Sechsmonatsfrist des § 12 Abs. 3 VVG am 23.12.1999 ab; die Übermittlung durch Fax am 22.6.1999 habe die gesetzlich vorgeschriebene Schriftform nicht gewahrt. Da die Klage im Anwaltsprozess abweichend von der Sollvorschrift des § 130 Nr. 6 ZPO unterschrieben sein müsse, sei die Einreichung der nicht unterschriebenen Klage als unwirksame Prozesshandlung anzusehen. Durch das Nachholen der Unterschrift am 7.1.2000 sei dieser Mangel zwar geheilt worden. Wenn eine Klage aber wie hier innerhalb einer gesetzlichen Ausschlussfrist zu erheben sei, werde die Prozesshandlung erst vom Zeitpunkt der Behebung des Mangels an wirksam. Auch die Frist des § 12 Abs. 3 VVG sei eine solche gesetzliche Ausschlussfrist. Sie sei bereits verstrichen gewesen, als der Klägervertreter am 7.1.2000 die Unterschrift nachgeholt habe.

Jedoch sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Urheberschaft des postulationsfähigen Rechtsanwalts für eine Klage auch in anderer Weise als durch das Nachholen einer versäumten Unterschrift festgestellt werden könne. Ausschlaggebend sei, ob und von welchem Zeitpunkt an kein vernünftiger Zweifel mehr darüber habe bestehen können, dass die Klage nicht etwa versehentlich, sondern mit Wissen und Wollen des Anwalts dem Gericht zugeleitet worden war, dieser also die Verantwortung für die Klageschrift übernommen hatte. Dies komme etwa in Betracht, wenn der Anwalt mit der nicht unterschriebenen Urschrift gleichzeitig eine Abschrift mit unterschriebenem Beglaubigungsvermerk einreiche oder unter Angabe des Aktenzeichens und genauer Bezeichnung der Rechtssache beim Gericht anfrage, wann die Klage zugestellt worden sei (BGH v. 4.10.1984 - VII ZR 342/83, BGHZ 92, 251 [256] = MDR 1985, 222). Im vorliegenden Fall sei die Buchung des Gerichtskostenvorschusses am letzten Tag der Frist ein eindeutiges Indiz dafür, dass die Klageschrift mit Wissen und Wollen des erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten an das Gericht gelangt sei. Dass diese Bestätigung einem Organ der Exekutive, nämlich der Justizkasse, zugegangen sei und nicht dem Gericht, sei nicht entscheidend. Damit sei die Frist des § 12 Abs. 3 VVG gewahrt worden.

Die Klage sei im Übrigen begründet, weil die Beklagten eine Verletzung der Rettungsobliegenheiten nicht nachgewiesen hätten.

2. Gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, die Frist des § 12 Abs. 3 VVG habe hier durch die Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses gewahrt werden können, wendet sich die Revision mit Recht.

a) Zutreffend ist das Berufungsgericht zunächst davon ausgegangen, dass die Klageschrift als bestimmender Schriftsatz im Anwaltsprozess grundsätzlich keine wirksame Prozesshandlung darstellt, solange sie nicht von dem postulationsfähigen Rechtsanwalt unterschrieben worden ist (§§ 253 Abs. 4, 130 Nr. 6 ZPO; BGH v. 4.10.1984 - VII ZR 342/83, BGHZ 92, 251 [254] = MDR 1985, 222; v. 3.6.1987 - VIII ZR 154/86, BGHZ 101, 134 [137 f.] = MDR 1987, 930; v. 7.6.1990 - III ZR 142/89, BGHZ 111, 339 [342] = MDR 1991, 131). Die Beklagte hat sich hier auf diesen Mangel auch berufen. Der Mangel kann zwar geheilt werden, die unwirksame Prozesshandlung wird aber erst von ihrer Heilung an wirksam; eine abgelaufene Frist kann mithin durch die Heilung nicht mehr gewahrt werden (BGH v. 7.6.1990 - III ZR 142/89, BGHZ 111, 339 [343 f.] = MDR 1991, 131; v. 1.3.1984 - IX ZR 33/83, BGHZ 90, 249 [253] = MDR 1984, 577; Beschl. v. 6.12.1979 - VII ZB 13/79, VersR 1980, 331 unter 1c; Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 253 Rz. 22; Musielak/Foerste, ZPO, 3. Aufl., § 253 Rz. 10; Lüke in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 253 Rz. 165; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 129 Rz. 29). Das gilt auch für die materiell-rechtliche Ausschlussfrist des § 12 Abs. 3 VVG (zu deren Zweck und Besonderheiten vgl. näher BGH, Urt. v. 27.11.1958 - II ZR 90/57, NJW 1959, 241; Römer in Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 12 Rz. 32, m. w. N.). Das hat das Berufungsgericht mit Recht angenommen (ebenso OLG Hamm v. 15.3.2002 - 20 U 190/01, OLGReport Hamm 2003, 28 = VersR 2002, 1361 f.).

b) Richtig ist ferner, dass der Mangel der fehlenden Unterschrift des Anwalts nicht nur durch deren Nachholung, sondern auch dadurch behoben werden kann, dass sich auf andere, jeden vernünftigen Zweifel ausschließende Weise feststellen lässt, der nicht unterschriebene Schriftsatz sei nicht etwa ein Entwurf, sondern von dem postulationsfähigen Anwalt verantwortet und mit seinem Wissen und Wollen als Klageschrift dem Gericht eingereicht worden (BGH v. 4.10.1984 - VII ZR 342/83, BGHZ 92, 251 [256] = MDR 1985, 222; zu Beispielsfällen vgl. v. 3.6.1987 - VIII ZR 154/86, BGHZ 101, 134 [138] = MDR 1987, 930). Mit Recht macht die Revision aber geltend, dass die Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses, selbst wenn sie wie hier unter genauer Angabe der Rechtssache und ihres Aktenzeichens erfolgt ist, für eine derartige Feststellung nicht ausreicht. Daraus lässt sich zwar entnehmen, dass der Einzahler vom Eingang einer Klage in dieser Sache ausgegangen ist, die vom Gericht zugestellt werden sollte. Ob der Vorschuss vom postulationsfähigen Anwalt selbst oder etwa von seinem Büro in seinem Namen eingezahlt worden ist, bleibt dagegen offen. Es fehlt ferner jeder Anhaltspunkt in der Buchungsanzeige der Justizkasse dafür, dass es sich bei dem zuzustellenden Schriftsatz gerade um die am 15.12.1999 beim LG eingegangene, nicht unterschriebene Klageschrift handeln sollte. Einen solchen Anhaltspunkt hat auch das Berufungsgericht nicht festgestellt. Die Gerichtskostenanzeige erweist sich danach jedenfalls im vorliegenden Fall als ungeeignet, die Übernahme der Verantwortung des erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten für den Inhalt des am 15.12.1999 eingegangenen Schriftsatzes als der zuzustellenden Klage nachzuweisen. Insofern unterscheidet sich dieser Fall wesentlich von einer Anfrage des Anwalts an das Gericht, wann die Zustellung bestimmter, von dem nachfragenden Anwalt und dem Auskunft gebenden Gericht in Bezug genommener Schriftsätze, die zwar nicht unterschrieben, vom Gericht aber gleichwohl bereits zugestellt worden waren, erfolgt sei (vgl. den der Entscheidung BGH v. 4.10.1984 - VII ZR 342/83, BGHZ 92, 251 [252, 256] = MDR 1985, 222 zu Grunde liegenden Sachverhalt).

Soweit die Revisionserwiderung meint, aus der Angabe des Aktenzeichens auf dem Einzahlungsbeleg sei zu schließen, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers vor Zahlung der Gerichtskosten nach dem Aktenzeichen für den am 15.12.1999 beim LG eingegangenen Schriftsatz nachgefragt habe, stellt das Berufungsgericht fest, für eine Anfrage vor Fristablauf finde sich in der Akte kein Anhaltspunkt; vielmehr sei erst unter dem 29.12.1999, also nach Fristablauf, vermerkt worden, dass dem Kläger das neue Aktenzeichen der zuständigen Zivilkammer mitgeteilt worden sei. Der Frage nach dem Aktenzeichen einer bestimmten Rechtssache ist für sich genommen jedenfalls keine Bezugnahme auf einen bestimmten Schriftsatz zu entnehmen, also hier etwa auf die am 15.12.1999 eingegangene, nicht unterschriebene Klageschrift. Dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers selbst beim Gericht rechtzeitig und insbesondere in einer Weise nachgefragt habe, die sich auf die am 15.12.1999 eingegangene Klageschrift bezog, ist weder dargetan noch ersichtlich.

c) Mithin ist die Frist des § 12 Abs. 3 VVG hier nicht eingehalten worden. Dass sich die Beklagten darauf berufen, ist nicht treuwidrig, auch wenn sie außergerichtlich über die Absicht des Klägers, seinen Anspruch gerichtlich geltend zu machen, unterrichtet gewesen sein mögen und ihnen die Klage, deren Zustellung sich infolge des Streits über die zuständige Zivilkammer verzögert hat, nicht später zugestellt worden sein dürfte, als wenn sie schon bei Einreichung unterschrieben gewesen wäre. Das rechtfertigt es jedoch nicht, sich über die vom Gesetz geforderte gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs, die bei einer Klage eine fristgerecht bei Gericht eingereichte ordnungsgemäße Klageschrift voraussetzt, hinwegzusetzen (OLG Hamm v. 15.3.2002 - 20 U 190/01, OLGReport Hamm 2003, 28 = VersR 2002, 1361 [1362]).

Die Klage war danach ohne Rücksicht darauf abzuweisen, ob die Beklagten die geforderte Leistung aus anderen Gründen hätten ablehnen können.

 

Fundstellen

BGHR 2004, 868

EBE/BGH 2004, 2

NJW-RR 2004, 755

DAR 2004, 341

MDR 2004, 879

NZV 2004, 291

VersR 2004, 629

VuR 2004, 229

ZfS 2004, 266

IVH 2004, 86

JWO-VerbrR 2004, 129

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