Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Schadensersatz aus der gesetzlichen Unfallversicherung

 

Leitsatz (amtlich)

  1. Die Regelungszuständigkeit des Bundesgesetzgebers nach Art. 74 Nr. 12 GG umfaßt auch den Bereich der Schülerunfallversicherung; gegen die Verfassungsmäßigkeit von § 539 Abs. 1 Nr. 14b RVO bestehen somit keine Bedenken.
  2. Zur Frage der Eingliederung von Angehörigen eines Schülers in eine genehmigte Schulveranstaltung bei freiwilliger Übernahme einer "schulbezogenen" Tätigkeit.
 

Normenkette

RVO §§ 539, 636-637

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 13. Juni 1979 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision fallen dem Kläger zur Last.

 

Tatbestand

Am 25. Mai 1976 fand auf dem Hof der W.-Realschule in O. ein Schulfest statt, das von den Schülern angeregt und von der Schulleitung genehmigt worden war. Im Zuge der Vorbereitung richteten die Schüler der einzelnen Klassen unter Aufsicht und Leitung ihrer Lehrkräfte mehrere Stände ein, um dort gegen Entgelt Spiele durchführen zu lassen, gegrillte Würstchen zu verkaufen und noch andere Kleinigkeiten anzubieten. Die Klasse, der auch der Kläger seinerzeit angehörte, hatte beschlossen, auf einem Grillgerät, das die Beklagte, die Tante und Pflegemutter des derselben Klasse angehörenden Schülers H., zur Verfügung stellte und auch bedienen wollte, Pfannkuchen zu backen. Nachdem die Beklagte die Holzkohle angezündet hatte, goß sie, um das Feuer zu entfachen, Spiritus darauf. Die dadurch verursachte Stichflamme traf den etwa 2-3 Meter entfernt stehenden Kläger und führte zu schweren Verbrennungen. Der zuständige Gemeindeunfallversicherungsverband als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung hat den Unfall als Arbeitsunfall anerkannt und Leistungen erbracht.

Der Kläger verlangt von der Beklagten Zahlung eines Teilbetrages des, wie er meint, ihm zustehenden Schmerzensgeldes.

Die Beklagte wendet Haftungsbefreiung aufgrund der §§ 637, 636 RVO mit der Begründung ein, daß dem Kläger Ansprüche gegen den gesetzlichen Unfallversicherer, nicht aber ihr gegenüber zustünden, weil sie bei dem Schulfest geholfen habe.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt dieser seinen Klageanspruch weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

1.

Das Berufungsgericht hält in Übereinstimmung mit dem Landgericht die Voraussetzungen einer Haftungsfreistellung der Beklagten aufgrund des § 539 Abs. 1 Nr. 14 in Verbindung mit den §§ 637 Abs. 4, 636 RVO für erfüllt und führt hierzu im wesentlichen aus:

Mit Rücksicht darauf, daß der Gemeindeunfallversicherungsverband die vom Kläger erlittenen Verletzungen als Folge eines "Arbeitsunfalles" im Sinne von § 539 Abs. 1 Nr. 14 RVO anerkannt habe, komme es nur auf die Frage an, ob die Beklagte eine "betriebliche Tätigkeit" ausgeübt habe und ob sie dabei in dem "Unternehmen" als eingegliedert i.S. von § 637 RVO angesehen werden könne, ob also das Tätigwerden der Beklagten schulbezogen gewesen sei. Das stehe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest. Es habe sich nämlich bei dem Fest um eine Schulveranstaltung gehandelt, die der Aufsicht der Schule unterstellt gewesen sei. Im Rahmen dieser Veranstaltung sei die Beklagte auch in den Schulbetrieb eingegliedert gewesen, wie sich aus den Aussagen der vernommenen Schüler sowie des Lehrers und des Schulleiters ergebe.

Diese Begründung des Berufungsgerichts hält den Angriffen der Revision stand.

II.

1.

Der Senat hat zu der im Streitfall zur Entscheidung stehenden Frage, die zur Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht geführt hat, bereits in seinem Urteil vom 25. September 1979 (VI ZR 184/78 = NJW 1980, 289 = VersR 1980, 43), demnach nach Verkündung des Berufungsurteils, grundsätzlich Stellung genommen; darauf wird verwiesen.

a)

Allerdings hat Sieg in einer Anmerkung zu diesem Senatsurteil (SGb 1980, 129, ebenso auch in VersR 1980, 1085, 1087) Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von § 539 Abs. 1 Nr. 14 b RVO geäußert. Unter Bezugnahme auf Werner Weber (Festschrift für H. Möller, 1972, S. 499 ff) und auf Wannagat/Thieme (SGB 1977, Rdnr. 5 zu § 5 AT) sieht er entgegen der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten (BT-Drucksache VI/1333) in Art. 74 Nr. 12 des Grundgesetzes keine ausreichende Grundlage für die vom Bund in Anspruch genommene Gesetzgebungskompetenz, meint vielmehr, die schließlich durch das Gesetz vom 18. August 1971 (BGBl I S. 237) in die Reichsversicherungsordnung eingefügte sog. Schülerunfallversicherung sei wegen ihres Versorgungscharakters bei noch so weiter Auslegung des Begriffs "Sozialversicherung" nicht in diese Kompetenznorm einzuordnen.

Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Art. 74 Nr. 12 GG umfaßt in der Auslegung, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 10. Mai 1960 (BVerfGE 11, 105, 111 ff = NJW 1960, 1099 ff, ergangen zum Kindergeldgesetz vom 13. November 1954) der Vorschrift beigelegt hat, die Regelungszuständigkeit des Bundesgesetzgebers für den Bereich der Schülerunfallversicherung. Danach beschränkt sich diese Grundgesetznorm nicht allein auf das Gebiet der sog. "klassischen" Sozialversicherung; sie ermöglicht es vielmehr auch, neue Lebenssachverhalte in das Gesamtsystem "Sozialversicherung" einzubeziehen, sofern die neuen Sozialleistungen "in ihren wesentlichen Strukturelementen, insbesondere in der organisatorischen Bewältigung ihrer Durchführung dem Bild entsprechen, das durch die klassische Sozialversicherung geprägt ist." Das trifft nach Entstehungsgeschichte (vgl. Weber a.a.O. und Wittmann, SGb 1974, 180) und Zielen sowie nach Struktur und Inhalt der Leistungen auch für die Schülerunfallversicherung zu. Demgemäß hat Nr. 14 b des § 539 Abs. 1 RVO bisher in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, insbesondere des Bundessozialgerichts, ständig als rechtsgültig Anwendung gefunden.

b)

Es bestehen deshalb auch von hier aus keine Bedenken, im Streitfall für die Frage einer Haftungsfreistellung der Beklagten nach den §§ 636, 637 RVO die Grundsätze anzuwenden, die der Senat in dem genannten Urteil vom 25. September 1979 herausgestellt hat. Danach sind diese Vorschriften gedanklich auf die Situation im Bereich einer Schule umzuformen (BGHZ 67, 279, 282) mit der Folge, daß ein während des Schulbesuchs gegen Unfall versicherter Schüler Ersatzansprüche nur gegen den Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, nicht aber gegen den Schulträger und nicht gegen in der Schule tätige "Betriebsangehörige" (insbesondere die Lehrkräfte) geltend machen kann. Mit Recht hat das Berufungsgericht das Haftungsprivileg auch zugunsten der Beklagten durchgreifen lassen; insoweit ist das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien nicht anders zu beurteilen als der dem Senatsurteil vom 25. September 1979 = a.a.O. zugrunde liegende Sachverhalt. Auch im Streitfall nämlich handelt es sich um die Verletzung eines Schülers im Verlaufe eines von der Schulbehörde genehmigten Schulfestes infolge fehlerhafter Bedienung eines Grillgeräts; die Beklagte als die Tante und Pflegemutter eines Schülers war in gleicher Weise wie der in dem genannten Verfahren beklagte Ehemann einer Lehrkraft zwar als nicht zum Schulpersonal gehörig nur aus Gefälligkeit bei der Bedienung des von ihr zur Verfügung gestellten Grillgerätes tätig geworden, war aber dennoch in dieser Weise in die Schulveranstaltung so wie die Schüler "eingegliedert". Wussow (WJ 1979, 198) meint allerdings, die Anwendung des § 637 Abs. 4 RVO auf einen freiwilligen Helfer, der nicht als Lehrkraft oder als sonstiger Bediensteter der Schulverwaltung im schulischen Bereich tätig werde, sondern sich nur vorübergehend zur Verfügung stelle, widerspreche den Grundsätzen, die der Senat in seinem Urteil vom 3. Juli 1979 (VI ZR 51/77 - VersR 1979, 934) zum Begriff des Betriebsangehörigen i.S. von § 637 Abs. 1 RVO entwickelt habe. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß, wie schon in BGHZ 67, 279 ff ausdrücklich hervorgehoben wurde, die gegenüber den Verhältnissen in einem gewerblichen Unternehmen bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Unterschiede des Schulbereichs eine strikte Übertragung von für den Arbeitsbereich entwickelten Grundsätzen verbieten; es bedarf vielmehr einer den veränderten Interessen gerecht werdenden Anpassung. Dazu hat der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 25. September 1979 (aaO) das Nähere ausgeführt; dort ist bereits darauf hingewiesen, daß nach dem Willen des Gesetzgebers ein Schüler im Falle eines Schul-(Arbeits-)Unfalls u.a. deshalb Ansprüche nur gegen den Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, nicht aber gegen den Unternehmer (Schulträger) und die in dem Unternehmen Schule tätigen Betriebsangehörigen haben soll, weil andernfalls letztlich das für diese gemäß Art. 34 GG haftende Land Schadensersatz zu leisten hätte und dadurch dessen Haftungsfreistellung unterlaufen würde. Schon dieser Gesichtspunkt rechtfertigt es, auch einem freiwilligen Helfer das Haftungsprivileg des § 637 Abs. 4 RVO zuzuerkennen, sofern er in die Schulveranstaltung eingegliedert gewesen ist.

2.

Die Revision macht geltend, das Berufungsgericht sei unter Verstoß gegen § 286 ZPO zu dem Ergebnis gekommen, die Beklagte habe eine schulbezogene Tätigkeit ausgeübt, sei in dem Schulbetrieb eingegliedert gewesen und habe sich den Weisungen der Schule unterstellt. Sie weist insbesondere daraufhin, daß in dem vom Senat mit Urteil vom 25. September 1979 (aaO) entschiedenen Fall der dort verklagte Helfer ausdrücklich vom Lehrerkollegium mit der Bedienung des Würstchen-Grills beauftragt gewesen sei, daß es aber im Streitfall hinsichtlich des Tätigwerdens der Beklagten an einer gleichen Auftragserteilung mangele, so daß von einer Unterstellung unter die Weisungsbefugnis der Schule nicht die Rede sein könne.

Auch mit dieser Rüge vermag die Revision nicht durchzudringen.

a)

Der Kläger stellt ernsthaft nicht in Abrede, daß das Schulfest zwar von den Schülern angeregt und auch zum großen Teil von diesen hinsichtlich der einzelnen Veranstaltungen vorbereitet und durchgeführt worden war, daß es sich aber dennoch um eine Veranstaltung handelte die von der Schule genehmigt war und auch getragen wurde; für die teilnehmenden Schüler war damit aber ein innerer Bezug zum Besuch der Schule hergestellt (vgl. Senatsurteil vom 25. September 1979 und den dortigen Hinweis auf BSGE 28, 204, 206; 44, 94, 99).

Daraus rechtfertigt sich der Schluß, daß das Aufstellen und Bedienen eines Grillgeräts, das entsprechend der vorbereitenden Planung zum Einsatz kommen und die Palette der Darbietungen und Einzelveranstaltungen ausfüllen sollte, eine dem Schulfest dienende und daher schulbezogene Tätigkeit darstellte; sie läßt sich nicht aus dem Gesamtbild der Schulveranstaltung herausnehmen.

b)

Das Berufungsgericht hat auch zu Recht angenommen, daß die Beklagte während dieser ihrer schulbezogenen Tätigkeit in den Schulbetrieb eingegliedert war. Sie hatte damit haftungsrechtlich die gleiche Stellung erlangt, wie an der Schule tätige Lehrkräfte oder andere dort beschäftigte Personen (so z.B. Hausmeister), ohne daß es darauf ankommt, daß sie nicht wie diese aufgrund einer arbeitsrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Pflicht tätig wurde. Auch der Umstand, daß sich die Beklagte nur vorübergehend zur Mithilfe zur Verfügung stellen wollte und daß sie jederzeit in der Lage war, diese Mithilfe zu beenden, steht der Annahme einer Eingliederung nicht entgegen (so schon Senatsurteil vom 25. September 1979 aaO). Das entscheidende Merkmal für die rechtliche Einordnung der Tätigkeit der Beklagten, nämlich eine Unterstellung unter die Weisungsbefugnis der Schule, die hier einem Arbeitgeber gleichzusetzen ist, und damit die Begründung einer besonderen Fürsorgepflicht des Schulleiters hat das Berufungsgericht fehlerfrei bejaht.

Wenn auch eine unmittelbare Beauftragung der Beklagten durch die Schulverwaltung nicht festgestellt ist und auch von dieser nicht behauptet wird, so durfte doch das Berufungsgericht ohne Rechtsverstoß der Beweisaufnahme entnehmen, daß die Beklagte einer von der Schulleitung gern gesehenen Übung folgend (so die Aussage des Rektors der Schule) mit deren Wissen und Billigung ihr Grillgerät zur Verfügung gestellt und sich selbst zu dessen Bedienung bereit erklärt hat. Gerade das Wissen um die Mithilfe der dem zuständigen Klassenlehrer als zuverlässig bekannten Beklagten hat diesen, wie er ausgesagt hat, veranlaßt, auf Antrage einiger Schüler seiner Klasse hin den Beginn des Grillens zu gestatten, bevor er als der zur Aufsicht verpflichtete Beamte sich selbst am Grillstand einfinden konnte. Bei diesem Sachverhalt durfte das Berufungsgericht feststellen, daß die Beklagte bei ihrer Tätigkeit den Weisungen der Schule unterworfen war. Nur darauf kommt es an; unerheblich ist es dagegen, ob auch tatsächlich während des Tätigwerdens Weisungen erteilt wurden. Ob die Beklagte die Schüler, die um die Erlaubnis zum Grillen nachgefragt haben, zum Klassenlehrer geschickt hatte, brauchte das Berufungsgericht nicht zu klären. Aus dem Vorgang konnte ohne Verstoß gegen Denkgesetze geschlossen werden, daß nicht nur den Schülern der den Grillstand betreibenden Klasse, sondern auch der dieses Vorhaben unterstützenden Beklagten bekannt war, daß der Grill erst nach ausdrücklicher Erlaubnis durch den Klassenlehrer in Betrieb gesetzt werden durfte. Diese Erlaubnis, wie die Revision meint, nur auf die Schüler selbst zu beziehen, besteht keine Veranlassung, da dem Lehrer bekannt und für seine Erlaubnis entscheidend war, daß gerade nicht diese Schüler, sondern die von ihm für zuverlässig gehaltene Beklagte den Grill entzünden und bedienen werde. Selbst wenn im Zuge der Zeugenvernehmung nicht ausdrücklich erwähnt wurde, daß die Beklagte mit dem Anzünden des Grills gewartet habe, bis die Erlaubnis ihr übermittelt worden war, so läßt sich gleichwohl die dahingehende Feststellung des Berufungsgerichts aus dem Gesamtbild der Beweisaufnahme als möglich und daher als prozessual zulässig ableiten; ein Widerspruch zum Akteninhalt, wie die Revision meint, läßt sich nicht erkennen.

c)

Das Berufungsgericht hat bei seiner Entscheidungsfindung auch nicht außer acht gelassen, daß die Beklagte im Rahmen des gegen sie gerichteten Strafverfahrens (Akten des Amtsgerichts Osnabrück 2 Cs 504/76 Bl. 32/33) durch ihre Rechtsvertreter unter dem 30. September 1976 gegenüber ihrem Haftpflichtversicherer hatte erklären lassen, sie habe anläßlich des Schulfestes nie im Auftrage der Schule, sondern auf Bitten ihres Sohnes aus eigener Initiative den Grill zur Verfügung gestellt und lediglich, jedoch ohne Wissen der Schule, das Anzünden der Holzkohle übernommen. Es hat jedoch zu Recht darauf verwiesen, daß es sich bei diesem Schreiben ihres Rechtsanwalts womöglich um eine zweckbedingte Darstellung gehandelt habe, um den Haftpflichtversicherer zur Ersatzleistung zu veranlassen, damit so der Weg für eine Einstellung des Strafverfahrens gegen die Beklagte geebnet wurde, wie es dann auch geschehen ist. Da diese Auslegung nach Lage der Sache in der Tat nahe lag, konnte das Berufungsgericht aufgrund der Beweisaufnahme zum gegenteiligen Ergebnis gelangen; dagegen sind Bedenken nicht begründet.

 

Unterschriften

Dr. Weber befindet sich in Urlaub. Dr. Steffen,

Dr. Kullmann,

Dr. Steffen,

Dr. Ankermann,

Dr. Deinhardt

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1456040

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