Leitsatz (amtlich)

a) Das Vermögen einer aufgelösten landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft darf vor Tilgung der Schulden der Genossenschaft und vor Ablauf der Sperrfrist nicht an die Genossenschaftsmitglieder ausgezahlt werden. Dieses Verbot gilt nicht für Zahlungen, die die Mitglieder in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer der Genossenschaft zu beanspruchen haben.

b) Ein von den Mitgliedern einer aufgelösten landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft beschlossener „Sozialplan” begründet keine arbeitsrechtlichen Ansprüche der Mitglieder gegen die Genossenschaft.

 

Normenkette

LwAnpG § 42 Abs. 1; GenG § 90 Abs. 1; BetrVG § 112

 

Verfahrensgang

OLG Celle (Urteil vom 03.05.1995)

LG Verden (Aller)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 3. Mai 1995 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger ist Verwalter in der am 20. August 1993 eröffneten Gesamtvollstreckung über das Vermögen der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft L. (im folgenden: LPG). Am 20. März 1991 beschloß die Mitgliederversammlung der LPG, bei der kein Betriebsrat eingerichtet war, einen „Sozialplan”, nach dem „alle im Ergebnis der Liquidation entlassenen Genossenschaftsmitglieder … Anspruch auf … Entschädigung” haben sollten, deren Höhe nach der Dauer der jeweiligen Betriebszugehörigkeit abgestuft war; in dem Beschluß heißt es weiter, die Entschädigungsbeträge würden „anteilmäßig entsprechend der eingehenden Einnahmen aus dem Erlös des Verkaufes von Vermögenswerten der Genossenschaft” ausgezahlt (sog. Beschl. Nr. 1/91). In einem weiteren Beschluß „Nr. 4/91” vom selben Tage entschied sich die Mitgliederversammlung für die „sofortige Liquidation”. In diesem Beschluß heißt es, es sei Ziel der Liquidation, „aus dem noch vorhandenen Barvermögen und den Einnahmen aus der noch laufenden Produktion sowie dem Verkauf von Vermögenswerten erstrangig die Ansprüche der Genossenschaftsmitglieder aus den Verpflichtungen des Sozialplanes abzudecken, sowie zweitrangig die Beteiligungen und Forderungen der Gläubiger zu befriedigen”. Ende März/Anfang April 1991 beauftragte der Vorstandsvorsitzende der LPG den verklagten Rechtsanwalt unter Überlassung des Textes des Beschlusses „Nr. 1/91”, den beschlossenen „Sozialplan” in rechtlicher Hinsicht zu überprüfen. In seiner schriftlichen Stellungnahme vom 4. April 1991 teilte der Beklagte mit, der Beschluß stehe mit der Gesetzeslage und der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in Einklang und sei als eine wirksame Betriebsvereinbarung anzusehen. Auf Druck der Mitglieder wurden im März 1992 17 % der im „Sozialplan” festgelegten Abfindungen im Gesamtbetrag von 201.034 DM an 185 Mitglieder ausgezahlt. Als im Anschluß daran Zweifel an der Wirksamkeit des „Sozialplans” aufgekommen waren, wurden auf Vorschlag des Beklagten und unter Verwendung eines von ihm entworfenen Formularbriefs mit den einzelnen Mitgliedern Verträge geschlossen, in denen die jeweilige nach dem „Sozialplan” zu zahlende Abfindung festgelegt wurde.

Der Kläger verlangt vom Beklagten Ersatz der an die Mitglieder ausgezahlten Geldsumme nebst Zinsen und beantragt in der Form eines Hauptantrags und eines Hilfsantrags die Feststellung, daß der Beklagte ihm als Gesamtvollstreckungsverwalter auch den durch Abschluß der Individualverträge mit den Mitgliedern verursachten weiteren Schaden zu ersetzen habe. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger die geltend gemachten Ansprüche weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

I.

Das Berufungsgericht hat darin, daß der Beklagte die im Beschluß „Nr. 1/91” vorgesehene Abfindungsregelung als – wirksame – Betriebsvereinbarung im Sinne der §§ 111, 112 BetrVG eingestuft habe, einen Beratungsfehler gesehen. Der Beschluß sei kein solcher einer Betriebsversammlung gewesen, sondern von der Mitgliederversammlung der LPG als deren Organ gefaßt worden; er habe die Abfindungsansprüche nach § 44 des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes in der ursprünglichen, noch von der Volkskammer der ehemaligen DDR verabschiedeten Fassung vom 29. Juni 1990 regeln sollen. Solche Beschlüsse seien nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar unwirksam und könnten die sich nach dem Gesetz ergebenden Ansprüche der Mitglieder nicht beeinträchtigen. Dies habe der Beklagte aber seinerzeit wegen der noch unklaren Rechtslage nicht erkennen können. Wirksam seien dagegen die im Jahre 1992 geschlossenen Individualvereinbarungen gewesen. Daß der Beklagte zu ihnen geraten habe, sei nicht pflichtwidrig gewesen; sie hätten dem Willen aller Mitglieder entsprochen und diese seien im Rahmen der Privatautonomie rechtlich nicht gehindert gewesen, die Höhe der Abfindungen festzulegen. Die fehlerhafte Beurteilung des Beschlusses vom 20. März 1991 habe sich deshalb nicht ausgewirkt; der LPG sei daraus kein Schaden entstanden. Es sei damals nicht Pflicht und Aufgabe der Liquidatoren wie auch des Beklagten gewesen, für eine möglichst große Masse in der erst im August 1993 eröffneten Gesamtvollstreckung zu sorgen.

II.

Diese rechtliche Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Die als „Sozialplan” bezeichnete Regelung im Beschluß „Nr. 1/91” war, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, keine Betriebsvereinbarung im Sinne der §§ 111 ff BetrVG. Dazu fehlte es schon an einem Betriebsrat, der daran hätte mitwirken können. Die Mitglieder waren auch, wie das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler festgestellt hat, nicht in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer, sondern nach der ausdrücklichen Bezeichnung im Beschlußprotokoll als „Mitgliederversammlung” zur Beschlußfassung zusammengetreten. Durch den Beschluß sollte ein Verteilungsmaßstab für den Liquidationserlös festgelegt werden. Dieser ergab sich zum damaligen Zeitpunkt gemäß § 42 LwAnpG a.F. – jedenfalls, wenn man den Wortlaut dieser Bestimmung zugrunde legt – aus § 91 GenG. Die in § 42 Abs. 1 Satz 1 LwAnpG in der Fassung vom 3. Juli 1991 (n.F.) enthaltene Verweisung auf die die Bemessung des Abfindungsguthabens eines ausscheidenden Genossen regelnde, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwingende (BGH, Beschl. v. 24. November 1993 – BLw 39/93, AgrarR 1994, 156, 157) Vorschrift des § 44 LwAnpG fehlte in der ursprünglichen Fassung jener Bestimmung. Ob damit seinerzeit die Art und Weise der Verteilung des Liquidationserlöses gemäß § 91 Abs. 3 GenG abweichend von Abs. 1 dieser Vorschrift durch das Statut geregelt werden konnte, braucht hier nicht entschieden zu werden. Soweit in dem Beschluß von 20. März 1991 eine Satzungsänderung zu sehen sein sollte, fehlt es zu deren Wirksamkeit an der Eintragung im Genossenschaftsregister (vgl. § 16 Abs. 6 GenG).

Auch hierauf kommt es indessen für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits letztlich nicht an. Denn unabhängig von der Wirksamkeit der beschlossenen Abfindungsregelung durfte nach der Vorschrift des § 90 Abs. 1 GenG, auf die schon § 42 LwAnpG a.F. verwies (ebenso § 42 Abs. 1 Satz 1 LwAnpG n.F.), vor der Tilgung der Schulden der Genossenschaft und vor Ablauf des Sperrjahres (durch § 42 Abs. 1 Satz 2 LwAnpG n.F. abgekürzt auf die Regelfrist von sechs Monaten) von dem Genossenschaftsvermögen nichts an die Genossen verteilt werden (BGH, Beschl. v. 1. Juli 1994 – BLw 103/93, WM 1994, 1765). Hierauf hätte der Beklagte hinweisen müssen, als er im März oder April 1991 mit der rechtlichen Überprüfung der „Sozialplanregelung” betraut wurde. Aus dem ihm vorgelegten Text des Beschlusses ergab sich, daß die LPG die Liquidation beschlossen hatte und die Abfindungsbeträge alsbald nach Versilberung des Genossenschaftsvermögens ausgezahlt werden sollten. Auch wenn der Beklagte damals den am selben Tage gefaßten Beschluß „Nr. 4/91”, der die „erstrangige” Befriedigung der Ansprüche der Genossenschaftsmitglieder und erst danach („zweitrangig”) die Schuldentilgung ausdrücklich vorsah, nicht kannte, war für ihn doch die Absicht, die Abfindungsbeträge vor Begleichung der Schulden der Genossenschaft entsprechend der vorhandenen Liquidität auszuzahlen, ohne weiteres erkennbar. Auf die Unzulässigkeit eines solchen Vorhabens hätte er den Vorstand der LPG aufmerksam machen müssen. Entgegen der von der Revisionserwiderung vertretenen Auffassung war der dem Beklagten erteilte Auftrag nicht auf die Zahlungsmodalitäten beschränkt, sondern auf eine umfassende Prüfung der Entschädigungsregelung gerichtet. Wenn der Beklagte diese unterlassen hat, stellt das eine schuldhafte Verletzung seiner anwaltlichen Pflichten dar.

2. Durch die auf Anraten des Beklagten im Sommer 1992 mit allen Genossen geschlossenen Einzelverträge sind die gegen § 90 Abs. 1 GenG verstoßenden Auszahlungen nicht legitimiert worden.

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, daß die Höhe der einem ausscheidenden Mitglied zustehenden Abfindung durch Einzelvereinbarung abweichend von § 44 LwAnpG geregelt werden kann (Beschl. v. 1. Juli 1994 – BLw 110/93, AgrarR 1994, 298, 299). Ob dies auch für Einzelvereinbarungen mit allen Genossen gilt, die die Grundlage für eine vom Gesetz abweichende Verteilung des Liquidationserlöses schaffen sollen, ist für die Entscheidung des Streitfalles ohne Bedeutung. Denn jedenfalls kann durch derartige Einzelvereinbarungen das den Schutz der Gläubiger bezweckende Auszahlungsverbot des § 90 Abs. 1 GenG nicht aufgehoben werden.

Dieses Verbot, das ebenso wie § 272 Abs. 1 AktG und § 73 Abs. 1 GmbHG die vorzeitige Ausschüttung von Körperschaftsvermögen an die Mitglieder unterbindet, erfaßt allerdings nicht die Erfüllung von Forderungen, die ihre Grundlage nicht in dem Mitgliedschaftsverhältnis, sondern in sonstigen Rechtsbeziehungen zwischen dem Mitglied und der Genossenschaft haben (vgl. für das GmbH-Recht Scholz/K. Schmidt, GmbHG S. Aufl. § 73 Rdnr. 2). Die Mitglieder einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, die dieser im Regelfall ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellten, standen, wie in den §§ 43 Abs. 1 Satz 2, 43 a LwAnpG n.F. zum Ausdruck kommt, seit dem 7. Juli 1991 (Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes und anderer Gesetze vom 3. Juli 1991) zu der Genossenschaft nicht nur in einem Mitgliedschafts-, sondern auch in einem Arbeitsverhältnis (BAG DB 1995, 1519 f). Zahlungen, die Genossenschaftsmitglieder im Liquidationsstadium in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer erhalten, verstoßen, soweit darauf ein Anspruch besteht, nicht gegen § 90 Abs. 1 GenG. Ein solcher Anspruch kann zwar dem Grunde nach auch noch im Liquidationsstadium durch Vereinbarung zwischen der Genossenschaft und dem Mitglied begründet werden. Das gilt jedoch wegen des Ausschüttungsverbots nach § 90 Abs. 1 GenG nur, soweit die vereinbarte Zahlung durch eine gleichwertige Gegenleistung gedeckt ist; denn sonst handelt es sich der Sache nach um die Auskehrung von Gesellschaftsvermögen an das Mitglied (vgl. zu § 30 GmbHG BGH, Urt. v. 15. Juni 1992 – II ZR 88/91, ZIP 1992, 1152, 1154). Ausgleichszahlungen, die insbesondere in Form eines Sozialplans für den Verlust des Arbeitsplatzes gewährt werden, stehen in keiner unmittelbaren Beziehung zu der Arbeitsleistung (BAG NJW 1979, 774, 779). Ihr Sinn besteht darin, die Nachteile auszugleichen oder wenigstens zu mindern, die dem Arbeitnehmer durch den Verlust des Arbeitsplatzes entstehen (BAG NJW 1979, 774, 780; vgl. auch M. Schlüter, Die konkursrechtliche Behandlung der Sozialplanansprüche und der Ausgleichsansprüche nach § 113 BetrVG, 1977, S. 26 ff). Von einer „Gegenleistung” in dem oben genannten Sinne kann bei ihnen nur gesprochen werden, soweit auf derartige Ausgleichszahlungen bereits vorher nach Gesetz oder Vertrag ein Anspruch bestand, weil dann durch die vereinbarten Ausgleichsleistungen lediglich eine das Genossenschaftsvermögen bereits belastende Verbindlichkeit ausgeglichen wird.

Ein solcher Anspruch stand im vorliegenden Fall den Mitgliedern der LPG nicht zu. In den auf Anregung des Beklagten formularmäßig geschlossenen Einzelverträgen ist der dort jeweils festgeschriebene Abfindungsbetrag zwar mit der „entsprechenden Anwendung der §§ 9, 10 des Kündigungsschutzgesetzes” begründet worden. Diese rechtliche Einordnung war aber insofern unzutreffend, als Kündigungsschutzprozesse nach dem unstreitigen Sachverhalt nicht geführt worden sind. Auch die Voraussetzungen des § 113 Abs. 3 BetrVG, der über Abs. 1 auf § 10 KSchG verweist, lagen nicht vor; denn diese Vorschrift ist nur anwendbar, wenn der Unternehmer eine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG durchführt, ohne gemäß § 112 BetrVG einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben. Das dort vorgesehene Verfahren setzt das Vorhandensein eines Betriebsrats voraus. Fehlt ein Betriebsrat, so laufen die §§ 111113 BetrVG leer (Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG 5. Aufl. § 111 Rdnr. 113). Der Unternehmer muß zwar nach § 1 BetrVG die Bildung eines Betriebsrats ermöglichen; verhalten sich die Arbeitnehmer aber passiv, dann kommt kein Betriebsrat zustande (Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG 17. Aufl. § 1 Rdnr. 156; Schweizer, Das Recht der landwirtschaftlichen Betriebe nach dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz 2. Aufl. Rdnr. 367). Wo ein solcher fehlt, kann ein Verfahren nach § 112 BetrVG nicht stattfinden. Aus diesem Grunde konnten auch keine Abfindungsansprüche aus einem in jenem Verfahren vorgesehenen, letztlich nach § 112 Abs. 4 BetrVG erzwingbaren Sozialplan entstehen.

Der Arbeitgeber ist allerdings nicht gehindert, ausscheidenden Arbeitnehmern – unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes – Abfindungen zu zahlen, ohne dazu nach den gesetzlichen Bestimmungen der §§ 9, 10 KSchG, 112 f BetrVG verpflichtet zu sein (vgl. BAG DB 1994, 1089 ff). Auf solche Leistungen besteht aber vor der Zusage des Arbeitgebers kein Anspruch. Es gibt außerhalb der genannten Vorschriften keinen umfassenden gesetzlichen Schutz des Arbeitsplatzes (Schlüter a.a.O. S. 31). Vielmehr handelt es sich insoweit um freiwillige Zuwendungen, die nicht durch eine in das Vermögen des Arbeitgebers gelangende Gegenleistung ausgeglichen werden. Im Liquidationsstadium einer Genossenschaft – wie auch anderer juristischer Personen – können deshalb Ansprüche auf solche freiwilligen Leistungen nicht mehr begründet werden. Diese stellen dann vielmehr eine unzulässige Vorwegverteilung von Genossenschaftsvermögen dar (vgl. Jaeger/Henckel, Konkursordnung 9. Aufl. § 29 Rdnr. 36, 42 zur Anfechtbarkeit derartiger freiwilliger Leistungen nach den §§ 30, 31 Nr. 1 KO).

III.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts muß danach aufgehoben werden; sie läßt sich nicht mit anderer Begründung aufrechterhalten. Die Klage ist nicht deswegen unbegründet, weil der Genossenschaft durch die unzulässigen Ausschüttungen kein Schaden entstanden wäre. Allerdings gehören zu der vom Kläger verwalteten Vermögensmasse auch Ansprüche gegen die Empfänger der Auszahlungen. Grundlage dafür dürfte, da das Genossenschaftsrecht keine den §§ 31 GmbHG und 62 AktG entsprechende Sondervorschrift enthält, § 812 BGB sein (Müller/Meulenbergh/Beuthien, GenG 12. Aufl. § 90 Rdnr. 6). Das Bestehen solcher Ansprüche läßt jedoch einen bei der Genossenschaft infolge der Auszahlungen eingetretenen Schaden nicht entfallen. Ein solcher kann grundsätzlich nicht deswegen verneint werden, weil ein anderweitiger Anspruch gegen einen Dritten besteht, durch dessen Realisierung der vom Schädiger verursachte Vermögensverlust ausgeglichen wird (BGH, Urt. v. 17. Februar 1982 – IV a ZR 284/80, NJW 1982, 1806 f). Der Bundesgerichtshof hat allerdings im Fall einer Unterbewertung von Sacheinlagen bei einer Aktiengesellschaft, die ein Gründungsprüfer nicht bemerkt hatte, einen Schadenseintritt verneint, solange nicht feststand, daß der Fehlbetrag durch Einziehung des Unterschiedsbetrags zwischen dem festgesetzten und dem wirklichen Wert der Einlagen nicht ausgeglichen werden konnte (BGHZ 64, 52, 62 f). Ebenso hat er in einem Fall entschieden, in dem ungerechtfertigte Gewinnausschüttungen an die Gesellschafter einer Publikumskommanditgesellschaft von den Mitgliedern des Aufsichtsrats der Gesellschaft nicht verhindert worden waren (BGH, Urt. v. 7. November 1977 – II ZR 43/76, NJW 1978, 425, 426). Der hinter dieser Rechtsprechung stehende Grundsatz kann aber auf einen Fall wie den vorliegenden nicht angewandt werden, in dem ein Insolvenzverwalter es mit einer Vielzahl (hier: 185) von Rückgewährschuldnern zu tun hat, gegen die er notfalls die einzelnen Ansprüche einklagen und beitreiben müßte. Der Beweis, daß und gegebenenfalls in welchem Umfang die ausgezahlten Gelder wieder eingezogen werden können, könnte praktisch erst nach Durchführung der entsprechenden Verfahren gegen alle Schuldner geführt werden, die nicht zur freiwilligen Leistung zu bewegen sind. Es kommt hier noch hinzu, daß auch in rechtlicher Hinsicht mit Einwendungen – etwa derjenigen des Wegfalls der Bereicherung – zu rechnen ist. Sich auf all dies einzulassen, kann dem Insolvenzverwalter nicht zugemutet werden; das wäre mit dem. Sinn des zügig abzuwickelnden Insolvenzverfahrens nicht vereinbar. Die genannten Risiken hat vielmehr in einem solchen Fall der Schädiger zu tragen.

Das bedeutet, daß der Beklagte die der Genossenschaft und damit der Masse durch die Auszahlungen entzogene Liquidität zu ersetzen hat und darauf angewiesen ist, seinerseits die abgeflossenen Gelder von den Empfängern wieder hereinzuholen. Es spricht viel dafür, die Grundlage hierfür in § 255 BGB zu sehen, wonach dem Beklagten nicht nur ein Zurückbehaltungsrecht, sondern auch ein selbständiger, noch nach seiner Verurteilung zur Schadensersatzleistung durchsetzbarer Anspruch auf Abtretung der Rückgewähransprüche gegen die Empfänger zustehen würde (BGHZ 52, 39, 42). Voraussetzung dafür ist allerdings, daß diese einerseits und der Beklagte andererseits nicht als Gesamtschuldner anzusehen sind, sondern der Vermögensabfluß wegen fehlender Gleichstufigkeit letztlich in vollem Umfang von den Genossenschaftsmitgliedern auszugleichen ist. Diese Frage (vgl. dazu allgemein BGHZ 106, 313, 320 f; BGH, Urt. v. 17. Februar 1982 a.a.O. u. v. 21. September 1983 – VIII ZR 163/82, JZ 1984, 230, 231 f m. Anm. Reinicke/Tiedtke; Soergel/Mertens, BGB 12. Aufl. § 255 Rdnr. 2 ff m.w.N.; Palandt/Heinrichs, BGB 55. Aufl. § 255 Rdnr. 2) ist für die Entscheidung des Streitfalls ohne Bedeutung und deshalb hier nicht zu beantworten.

IV.

Die Sache ist nicht entscheidungsreif.

1. Dem Zahlungsantrag kann zur Zeit nicht stattgegeben werden, weil bislang nicht festgestellt ist, daß die fehlerhafte Beratung durch den Beklagten für den eingetretenen Schaden tatsächlich ursächlich war. Dies ist der Fall, wenn die Auszahlungen bei zutreffender Belehrung über die Rechtslage unterblieben wären. Zu beweisen, daß es so war, ist Sache des Klägers. Dabei wird nach der Lebenserfahrung davon auszugehen sein, daß der Vorstand der LPG von den Ausschüttungen abgesehen hätte, wenn er auf deren Unzulässigkeit hingewiesen worden wäre (vgl. BGHZ 123, 311, 314 ff). Letztlich bedarf es insoweit aber einer tatrichterlichen Würdigung, in die auch der Umstand miteinzubeziehen sein wird, daß, wie das Berufungsgericht festgestellt hat, noch vor Abschluß der Individualvereinbarungen „starker Druck der Mitglieder zur Teilausschüttung auf die festgesetzten Abfindungsbeträge führte”.

2. Soweit die Klage auf Feststellung der Ersatzpflicht wegen solcher Schäden gerichtet ist, die über die ausgezahlten Beträge hinausgehen, läßt sich auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht beurteilen, ob das hierfür erforderliche Rechtsschutzbedürfnis vorhanden ist. Der Kläger ist nicht verpflichtet, weitere Zahlungsbegehren der Genossenschaftsmitglieder aufgrund der mit ihnen geschlossenen Verträge zu erfüllen. Er hat jedoch vorgetragen, die Ansprüche aus den Individualvereinbarungen seien „teilweise bereits tituliert”. Soweit es sich dabei um nicht rechtskräftige Titel handelt, kann er sich gegen die Verurteilung wehren. Ein Rechtsschutzbedürfnis ist insoweit zu bejahen, als die Mitglieder bereits rechtskräftige Vollstreckungstitel erwirkt haben. Daraus sich ergebende Forderungen müßte der Kläger in das Vermögensverzeichnis eintragen, sofern er sie nicht etwa durch eine Wiederaufnahme- oder eine Vollstreckungsgegenklage abwehren könnte (§ 11 Abs. 3 Satz 2 GesO; vgl. dazu Smid in Smid/Zeuner, Gesamtvollstreckungsordnung, 1994, § 11 Rdn. 61 f). Die Gefahr sonstiger Schäden – beispielsweise durch nicht betreibbare Kostenbelastungen – müßte der Kläger dartun.

V.

Die Sache muß an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, damit die noch fehlenden Feststellungen zu den Fragen der Kausalität und des Rechtsschutzbedürfnisses für den Feststellungsantrag – gegebenenfalls nach Ergänzung des Parteivorbringens – getroffen werden können.

 

Unterschriften

Kreft, Stodolkowitz, Kirchhof, Fischer, Ganter

 

Fundstellen

Haufe-Index 1237701

Nachschlagewerk BGH

ZIP 1996, 1762

MDR 1997, 98

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