Leitsatz (amtlich)

Haben Kaufleute in einem Individualvertrag vereinbart, Änderungen, Ergänzungen und die Aufhebung des Vertrages bedürften der Schriftform, der Verzicht auf dieses Formerfordernis könne ebenfalls nur schriftlich erklärt werden, so ist der Einwand, die Berufung auf die Formbedürftigkeit eines mündlichen Angebots zur Vertragsaufhebung sei treuwidrig und stelle deshalb eine unzulässige Rechtsausübung dar, grundsätzlich nur dann erheblich, wenn die Einhaltung der Schriftform bewußt vereitelt worden ist.

 

Normenkette

BGB §§ 125, 242

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Urteil vom 14.02.1974)

LG Duisburg

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 14. Februar 1974 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Kläger haben eigene, in die von ihnen gegründete Sch.-Grundstücks- und Vermögensverwaltungsgesellschaft eingebrachte Grundstücke (Sp.), Flur …, Flurstücke … und … und die von der Stadt Mü. durch notariellen Vertrag vom 26. Januar 1972 gekauften, aber noch nicht auf sie umgeschriebenen Flurstücke … und … an die Beklagte vermietet. Die Flurstücke … und … hatte der Bevollmächtigte der Kläger, der Kaufmann Wolfgang Sch. (Ehemann der Klägerin zu 1 und Vater des am 21. August 1954 geborenen Klägers zu 2 und der am 15. August 1952 geborenen Klägerin zu 3), zuvor gemietet und mit einer Lagerhalle bebaut.

In dem von den Parteien am 25. Januar 1972 über die genannten Grundstücke geschlossenen Mietvertrag ist u.a. bestimmt:

㤠1

Mietgegenstand

(1)

Das von der Vermieterin auf eigene Kosten und eigene Rechnung zu errichtende Gebäude ist in der Anlage 1 (Baubeschreibung und Bauleistungsverzeichnis vom 25.1.1972) hinsichtlich seiner technischen und baulichen Ausstattung beschrieben …

(2)

Die Vermieterin vermietet auf dem in der Vorbemerkung näher bezeichneten Grundstück an die Mieterin die in der Anlage 3 zu diesem Vertrag rot umrandete Grundstücksfläche samt dem darauf errichteten bzw. zu errichtenden Gebäude und den befestigten Außenanlagen einschließlich ausreichender Zuwegungen zum Betrieb eines Verbrauchermarktes und ca. 500 Parkplätze …

§ 2

Mietdauer

(1)

Das Mietverhältnis beginnt am 1. März 1972. Mit der Ausstattung und Einrichtung des Mietobjektes darf die Mieterin bereits am 1. Februar 1972 beginnen. Das Mietverhältnis kann erstmals zum 28. Februar 1982 gekündigt werden, wobei die Kündigung spätestens am 28. Februar 1981 zu erklären ist …

§ 3

Mietzins

(1)

Der Mietzins beträgt jährlich 750.000 DM zuzüglich Mehrwertsteuer ….

(4)

Der Mietzins ist in monatlichen Teilbeträgen von 62.500 DM zuzüglich Mehrwertsteuer … zu überweisen …

(5)

Für die Monate März, April, Mai und Juni 1972 ist lediglich der halbe Mietzins, das sind DM 31.250 zuzüglich Mehrwertsteuer, zu zahlen. Der volle Mietzins von monatlich DM 62.500 zuzüglich Mehrwertsteuer ist somit erst ab Juli 1972 zu entrichten …

(7)

Die Bezugsfertigkeit am 1. Februar 1972 setzt voraus, daß alle vermieterseitigen Bauarbeiten abgeschlossen sind, die die Einrichtungsarbeiten beeinträchtigen. Vier Wochen nach dem Bezugsfertigkeitstermin sollen sämtliche übrigen vermieterseitigen Bauarbeiten gemäß Abnahmeprotokoll vollendet sein und erfolgt die Übergabe …”

㤠4

Benutzung, Instandhaltung

(1)

Die Vermietung erfolgt zum Betrieb eines Verbrauchermarktes ….

§ 10

Schlußbestimmungen

(2)

Jede Änderung oder Ergänzung dieses Vertrages oder eine Vereinbarung über dessen Aufhebung bedarf, um Gültigkeit zu erlangen, der Schriftform. Auf das Formerfordernis kann nur durch eine schriftliche Erklärung verzichtet werden.

…”

In der Baubeschreibung für die Halle – Anlage 1 zum Mietvertrag – heißt es u.a.:

„Nr. 4

Hallenkonstruktion

… Die Dachkonstruktion ist statisch in der Lage, die eventuell erforderliche Sprinkler-Anlage … aufzunehmen.

Nr. 13

Feuerlöscheinrichtung

In der Halle sind 4 Stück Innenhydranten einschließlich Schlauchkästen und Pulverhandlöscher vorhanden, einschließlich einer Rauchmeldeanlage mit Anschluß zur Feuerwehr vorhanden.”

Am 24. März 1972 trafen Wolfgang Sch. und die Geschäftsführer St. und Ne. der Beklagten zu einer Besprechung zusammen, in der über die Kostentragung für eine Feuerlöschanlage (350.000 DM) verhandelt wurde, über den Inhalt des Gesprächs herrscht Streit. Mit Schreiben vom 27. März 1972 kam die Beklagte auf die Besprechung vom 24. März wie folgt zurück:

„Sehr geehrter Herr Sch.!

Wir beziehen uns auf die am vergangenen Freitag in Ihrem Hause … geführte Besprechung und übermitteln ihnen, wie vereinbart, unsere abschließende Stellungnahme wie folgt:

Nach Abwägung der eingehend erörterten Schwierigkeiten, wie sie sich aus den von uns behandelten offenen Fragen und aus den bereits vorliegenden und noch zu erwartenden behördlichen Auflagen ergeben, sind wir zu dem Entschluß gekommen, von Ihrem Angebot Gebrauch zu machen und auf die Eröffnung eines SB-Warenhauses auf Ihrem Grundstück zu verzichten.”

Die Kläger antworteten darauf mit Fernschreiben vom 30. März und Schreiben vom 5. April 1972. In dem Brief heißt es:

„…,

wir nehmen Bezug auf Ihr Schreiben vom 27.3.72 sowie unser Fernschreiben vom 27.3.72 und teilen Ihnen mit, daß der Unterzeichnete das Schreiben anläßlich des am 24.3.72 in unserem Hause geführten Gesprächs kein Angebot auf Verzicht zur Eröffnung des SB-Warenhauses durch Ihre Gesellschaft gemacht hat.

In diesem Zusammenhang weisen wir auch auf den § 10 Abs. 2 des Mietvertrages vom 25.1.1.972, in dem eindeutig vereinbart wurde, daß Änderungen bzw. Ergänzungen des Vertrages oder eine Aufhebung desselben, um Gültigkeit zu erlangen, der Schriftform bedürfen ….”

Die Beklagte beharrte auf ihrem Standpunkt.

Im Laufe des Rechtsstreits genehmigte die Stadt Mü. a.d. R. am 19. September 1972 auf entsprechenden Antrag der Kläger, die Lagerhalle zum Selbstbedienungsladen und Warenhaus auszubauen.

Seit dem 1. März 1973 ist die Lagerhalle anderweitig vermietet.

Die Kläger fordern mit der Klage Zahlung des Mietzinses für die Monate März bis Mai 1972 zuzüglich 11 % Mehrwertsteuer.

Das Landgericht hat die Klage nach Beweiserhebung über die behauptete Aufhebung des Mietvertrages abgewiesen.

Das Berufungsgericht hat dagegen den Klägern entsprechend ihrem zuletzt gestellten Antrag 115.445,64 DM nebst 11 % Mehrwertsteuer zugesprochen. Im Verlaufe des Berufungsverfahrens hatte die Beklagte gemäß Schreiben vom 18. Oktober 1973 ihre rechtsgeschäftlichen Erklärungen vom 25. Januar 1972 vorsorglich widerrufen. Die Klägerin zu 3 genehmigte den Mietvertrag am 18. Oktober 1973 und bevollmächtigte den Dipl. Kaufmann Schw., dies der Beklagten mitzuteilen. Für den Kläger zu 2 ist die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung am 22. Oktober 1973 erteilt worden. Beide Genehmigungen teilte Schwarzer der Beklagten am 22. Oktober 1973 mit. Dabei legte er eine Vollmacht der Eltern des Klägers zu 2 vom 19. Oktober 1973 vor.

Mit der Revision, um deren Zurückweisung die Kläger gebeten haben, erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage.

 

Entscheidungsgründe

Das angefochtene Urteil hält einer Nachprüfung im Ergebnis stand.

I. Abschluß des Mietvertrages

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Mietvertrag vom 25. Januar 1972 sei wirksam zustande gekommen. Auf die entsprechende Aufforderung der Beklagten vom 18. Oktober 1973 hätten die Kläger rechtzeitig innerhalb der Zweiwochenfrist des § 1829 Abs. 2 BGB mitgeteilt, daß das Rechtsgeschäft von der inzwischen volljährig gewordenen Klägerin zu 3 selbst und vom zuständigen Vormundschaftsgericht für den Zweitkläger genehmigt worden sei.

Darin hat das Berufungsgericht recht.

1. Die Genehmigungsbedürftigkeit des Mietvertrages gemäß § 1643 Abs. 1, 1822 Nr. 5 BGB ist außer Streit. Die Revision wendet sich auch nicht gegen die Annahme der Vorinstanz, daß der schwebend unwirksame Vertrag noch bis zum Ablauf der erst mit Zugang des Schreibens vom 18. Oktober 1973 in Lauf gesetzten Frist von zwei Wochen wirksam werden konnte.

2. Die Revisionsangriffe gegen die Wirksamkeit der Mitteilung über die inzwischen herbeigeführten Genehmigungen gehen fehl. Das Schreiben vom 22. Oktober 1973, das die Mitteilung enthält, hat Dipl. Kaufmann Schw. unterzeichnet. Bei der Mitteilung, welche § 1829 Abs. 1 BGB zum Wirksamwerden der vom Vormundschaftsgericht nachträglich oder vom volljährig gewordenen Mündel erteilten Genehmigung fordert, handelt es sich nicht um eine höchstpersönliche Erklärung. Stellvertretung ist deshalb möglich. Die Klägerin zu 3 hat die Bevollmächtigung Schw. ausdrücklich auf die Mitteilung erstreckt. Die von den gesetzlichen Vertretern des Klägers zu 2 erteilte Vollmacht hat das Berufungsgericht dahin ausgelegt, daß sie auch die Befugnis zur Mitteilung der Genehmigung an den Vertragspartner umfasse. Diese Auslegung ist sachgerecht und, mit Rücksicht auf die gegebenen Umstände, zwingend. Als die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit des Mietvertrages in der mündlichen Verhandlung am 18. Oktober 1973 erstmals erörtert wurde, hatten die Kläger bereits 15 Monate lang um den Bestand des Mietvertrages gekämpft. Ein Grund, der die Eltern des Klägers zu 2 hätte veranlassen können, anderen Sinnes zu werden, ist nicht ersichtlich und auch von der Revision nicht aufgezeigt worden. Von ihrem Standpunkt aus gesehen gab es nichts zu überlegen. Sie hatten rasch zu handeln, um das Scheitern des Klagebegehrens an der Vorschrift des § 1829 Abs. 2 BGB zu verhüten. Die in diesem Zusammenhang von der Revision vorgebrachten Bedenken liegen deshalb im vorliegenden Falle neben der Sache.

II. Aufhebung des Mietvertrages

Das Berufungsgericht hat durch die als wahr unterstellten Aussagen der im ersten Rechtszuge vernommenen Zeugen Ne. und Schw. und die Bekundungen des Geschäftsführers der Beklagten, St., nicht als bewiesen angesehen, daß die Parteien den Mietvertrag einverständlich aufgehoben haben. Aus den Äußerungen des Bevollmächtigten der Kläger bei der Besprechung am 24. März 1972 könne nicht der Schluß gezogen werden, er habe hierzu ein vertraglich bindendes Angebot gemacht. Wegen der im Vertrage gerade auch für die Aufhebung ausdrücklich vorgesehenen Schriftform widerspreche es der natürlichen Interessenlage, die Kläger an eine mündliche Willenserklärung zu binden, der Beklagten dagegen den Schutz der Klausel zu belassen. Das Berufungsgericht hat gemeint, obwohl es die vom Landgericht erhobenen Beweise „anders gewertet habe” als jenes, habe es einer erneuten Vernehmung der Zeugen und des Geschäftsführers der Beklagten nicht bedurft.

Dem Berufungsgericht ist im Ergebnis darin beizupflichten, daß die Besprechung am 24. März 1972 und die daran anknüpfende Korrespondenz nicht zur Aufhebung des Mietvertrages geführt haben. Der Sachvortrag der Beklagten rechtfertigt eine derartige Schlußfolgerung nicht. Deshalb kommt es auf das Ergebnis der im ersten Rechtszuge durchgeführten Beweisaufnahme nicht an, so daß dahingestellt bleiben konnte, ob die Revisionsrüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§§ 286, 398 ZPO) durchgreifen würde.

1. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist, soweit ersichtlich, seit den Entscheidungen des Reichsgerichts vom 23. November 1910 (JW 1911 S. 94) und vom 5. Juli 1912 (Warn. 1912 Nr. 367) anerkannten Rechts, daß auch bei Vereinbarung einer Schriftformklausel mit konstitutiver Wirkung (vgl. Boergen, Die Effektivität vertraglicher Schriftformklauseln, BB 1971, 202) mündliche Absprachen gleichwohl bindend sein können. Das gilt für die Begründung vertraglicher Pflichten (vgl. RGZ 95, 175; Senatsurteil vom 20. März 1967 – VIII ZR 199/64), für ihre Ergänzung (vgl. BGH Urteile vom 20. Juni 1962 – V ZR 157/60 = WM 1962, 1091 = LM BGB § 505 Nr. 3 und vom 26. Oktober 1966 – VIII ZR 173/65 = WM 1966, 1335) und für ihre Einschränkung (vgl. BGH Urteile vom 26. November 1964 – VII ZR 111/63 = WM 1965, 175 = LM BGB § 125 Nr. 20 und vom 8. Mai 1968 – VIII ZR 82/67). Die Gültigkeit derartiger formfreier – nicht notwendig ausdrücklicher – Absprachen wird dann bejaht, wenn die Parteien übereinstimmend die Maßgeblichkeit des mündlich Vereinbarten gewollt haben, sich also darüber einig waren, daß für ihre vertraglichen Beziehungen neben dem Urkundeninhalt auch jene mündliche Abrede gelten solle (so schon RGZ 95, 175, 176 und später die zitierte BGH Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 26. Oktober 1966 a.a.O.). Die Gültigkeit des mündlich Abgesprochenen wird mit der Erwägung bejaht, daß die Bindung, der sich die Parteien durch Vereinbarung der im Gesetz nicht vorgesehenen Schriftform unterworfen haben, nur so lange und soweit bestehen bleibt, als die Vertragsschließenden keinen anderen Willen zum Ausdruck bringen, die Schriftformklausel also nicht außer Kraft setzen (Senatsurteil vom 19. September 1966 = WM 1966, 1200). Die übereinstimmend gewollte mündliche Absprache macht, soweit sie reicht, das gewillkürte Formerfordernis hinfällig (so schon RG Urteil vom 23. November 1910 a.a.O.). Das Vorhandensein des übereinstimmenden Parteiwillens, mündlich Vereinbartes solle Geltung haben, festzustellen, ist Sache des Tatrichters. Dabei ist besondere Zurückhaltung geboten. Daß die formfreie Absprache gelten soll, muß klar erkennbar sein, wenn nicht der Zweck der Schriftformvereinbarung, immer Klarheit über den Vertragsinhalt zu haben, völlig ausgehöhlt werden soll. Ergibt sich dabei, daß die Vertragspartner sich entsprechend der Absprache verhalten haben, so wird dies für die Annahme sprechen, sie hätten insofern das Erfordernis der Schriftform beseitigen wollen (Senatsurteil vom 25./27. November 1969 – VIII ZR 259/67 = WM 1970, 93, 94).

An den aufgezeigten Grundsätzen hält der erkennende Senat fest. Sie gelten auch dann, wenn im Vertrage, wie im vorliegenden Falle geschehen, nicht nur für Änderungen und Ergänzungen, sondern auch für einen etwaigen Aufhebungsvertrag bereits das Schriftformerfordernis vereinbart wird (§ 10 Abs. 2 Satz 1 Mietvertrag).

2. Der Mietvertrag vom 25. Januar 1972 enthält jedoch gegenüber den bisher in der Rechtsprechung behandelten Fällen die Besonderheit, daß die Parteien vereinbart haben, „auf das Formerfordernis” könne „nur durch eine schriftliche Erklärung verzichtet werden” (§ 10 Abs. 2 Satz 2 Mietvertrag). Diese Klausel hat ersichtlich den einzigen Zweck, die Aushöhlung der Schriftformvereinbarung durch Bindung der Vertragspartner an mündliche Erklärungen oder gar an schlüssiges Verhalten unmöglich zu machen. Rechtliche Bedenken gegen eine solche Regelung bestehen dann nicht, wenn sie, wie hier, unter Kaufleuten in einem Individualvertrag getroffen wird. Die Vertragsfreiheit erlaubt ihnen, ihre rechtsgeschäftlichen Beziehungen starr an bestimmte Formen zu binden. Für die hier getroffene Absprache, die Aufhebung der gewillkürten Schriftform solle ebenso, wie ihre Begründung, formbedürftig sein, läßt sich neben anderen Gesichtspunkten als gewichtiger Grund anführen, daß die Vertragsschließenden erkennbar auf Sicherheit in ihren rechtsgeschäftlichen Beziehungen zueinander entscheidenden Wert gelegt haben, wie sie durch die gewählte Formstrenge gewährleistet wird. Entschließen sich Kaufleute, denen das Gesetz bei der Abgabe bestimmter Willenserklärungen in stärkerem Maße Formfreiheit zugesteht als anderen Teilnehmern am privaten Rechtsverkehr (§ 350 HGB), in dieser Hinsicht zu freiwilliger Bindung, weil der damit verbundene Vorteil, immer Klarheit über den Inhalt von Verträgen zu haben, den Nachteil einer weniger großen Beweglichkeit im geschäftlichen Alltag aufwiegt, so verdient das gerade im Hinblick auf die Vertragsfreiheit strikte Beachtung. Für die Führung eines Unternehmens – wie der Beklagten – mit einem weitverzweigten Netz von Einzelhandelsgeschäften, die nicht in eigenen Gewerberäumen betrieben werden, mag dieser Gesichtspunkt von nicht unerheblicher Bedeutung sein.

Eine schriftliche Verzichtserklärung im Sinne des § 10 Abs. 2 Satz 2 Mietvertrag liegt aber ebensowenig vor, wie ein schriftliches Angebot der Kläger zur Vertragsaufhebung. Das als Annahmeerklärung gedachte Schreiben der Beklagten vom 27. März 1972 hat danach als Angebot zu gelten, das jedoch von den Klägern mit Fernschreiben vom 30. März und Brief vom 5. April 1972 abgelehnt worden ist.

Danach kann die Beklagte sich nicht mit Erfolg darauf berufen, der Mietvertrag sei im März 1972 einverständlich aufgehoben worden.

3. Ohne Einfluß auf die Entscheidung des Rechtsstreits ist schließlich, daß die Vorinstanz nicht erwogen hat, ob es gegen Treu und Glauben verstößt und deshalb eine unzulässige Rechtsausübung darstellt, daß die Kläger sich für den Aufhebungsvertrag auf die Schriftformklausel berufen.

Der allgemeine Arglisteinwand (§ 242 BGB) beansprucht, sofern er sich als begründet erweist, grundsätzlich Geltung auch gegenüber äußerster Formstrenge, die von den Vertragsschließenden für rechtsgeschäftliche Erklärungen vereinbart worden ist. Dies gilt um so mehr, als er, wenn auch in seltenen Ausnahmefällen, selbst bei der Berufung auf gesetzliche Formvorschriften durchgreifen kann (vgl. Senatsurteil vom 28. November 1962 – VIII ZR 142/61 = WM 1963, 172 und vom 5. Juli 1967 – VIII ZR 124/65 = WM 1967, 907; ferner BGH Urteil vom 27. Oktober 1967 – V ZR 153/64 = BGHZ 48, 396 und Anm. von Mattern zu dieser Entscheidung in LM BGB § 313 Nr. 31).

Auch bei gewillkürter Schriftform kommt der Arglisteinwand nur zum Zuge, wenn besondere Umstände das rechtfertigen. Hier, wie in den Fällen gesetzlicher Formvorschriften, ist entscheidend, welchem Zweck die Formvorschrift dient und welche Bedeutung ihr die Vertragsschließenden beigemessen haben. Haben Kaufleute, wie im vorliegenden Falle, die Relevanz mündlicher Erklärungen oder schlüssigen Verhaltens in einem Individualvertrage ersichtlich in Kenntnis und im Hinblick auf die unter II 1 dargestellte höchstrichterliche Rechtsprechung ausschließen wollen, so kann grundsätzlich nur die bewußte Vereitelung der Formwahrung den Arglisteinwand rechtfertigen. Die Beachtung anderer Verhaltensweisen würde auf einem Umweg den dargestellten Sinn und Zweck der Klausel zwangsläufig aushöhlen. Das erscheint nicht gerechtfertigt. Die Gründe, die den Gesetzgeber veranlaßt haben, Kaufleuten größere Formfreiheit zuzubilligen, nämlich bessere Kenntnis von der Bedeutung und Tragweite rechtsgeschäftlicher Erklärungen, wie etwa der Bürgschaft oder eines Schuldanerkenntnisses, sowie größere Erfahrung im rechtsgeschäftlichen Verkehr, gebieten es, ihre Freiheit, sich starrem Formzwang zu unterwerfen in gleichem Maße zu beachten.

Im vorliegenden Falle kann nicht davon die Rede sein, daß der Kaufmann Wolfgang Sch. die Vertreter der Beklagten am 24. März 1972 davon abgehalten hätte, das behauptete Angebot zur Vertragsaufhebung von ihm schriftlich zu erbitten (vgl. § 127 S. 2 BGB).

III. Fristlose Kündigung des Mietvertrages

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das Mietverhältnis sei nicht durch fristlose Kündigung beendet worden. Das Schreiben vom 27. März 1972 könne zwar als Kündigungserklärung gelten, die Beklagte habe jedoch keinen Kündigungsgrund gehabt. Den Klägern könne eine Vertragsverletzung nicht angelastet werden. Sie hätten insbesondere das Gebäude, für das Baubeschreibung und Bauleistungsverzeichnis in einem Schriftstück vereint vorläge, „so hingestellt, wie sie es mußten”. Beschaffung und Montage der Sprinkler-Anlage habe nicht zu ihrer Leistungspflicht gehört. Soweit noch Bauarbeiten auszuführen gewesen seien, seien sie auf Wunsch der Beklagten zurückgestellt worden. Die Beklagte habe eine nach Lage der Dinge ausreichende Eigentumsbestätigung (Vorbemerkung zum Mietvertrag) erhalten. Auf das Fehlen oder die zu späte Erwirkung behördlicher Genehmigungen könne die fristlose Kündigung nicht gestützt werden, weil die Beklagte den Vermietern keine Frist zur Abhilfe gesetzt habe.

2. Die Verneinung eines außerordentlichen Kündigungsrechts aus § 542 BGB begegnet im Ergebnis keinen Bedenken.

a) Das Berufungsgericht hat darin recht, daß die Kläger die Pflicht, ihre Verfügungsbefugnis über die vermieteten Grundstücke nachzuweisen, erfüllt haben. Diesen Streitpunkt greift die Revision nicht auf.

b) Dem Berufungsgericht kann ferner darin gefolgt werden, die Kläger hätten die geschuldeten baulichen Leistungen erbracht; von einer Verletzung der Pflicht, über die Anlage 1 zum Mietvertrag hinaus eine Baubeschreibung und ein Bauleistungsverzeichnis zu erstellen, könne deshalb keine Rede sein.

aa) Das, was an Gebäuden und Anlagen bei Abschluß des Mietvertrages vorhanden war, genügte allerdings dem Vertragszweck (Betrieb eines Verbrauchermarktes) nicht. Deshalb wird in § 1 Mietvertrag in Absatz 1 und 2 von dem „von der Vermieterin auf eigene Kosten zu errichtenden Gebäude” gesprochen. Es waren also, wie im übrigen auch die Rohbauabnahmebescheinigung vom 13. Februar 1972 zeigt, von den Klägern noch Baumaßnahmen durchzuführen.

bb) Die Formulierung des § 1 Abs. 1 Mietvertrag spricht für die Auslegung des Berufungsgerichts, daß die Kläger Kosten für die technische und bauliche Ausstattung nur nach Maßgabe der Baubeschreibung und des damit in der Tat vereinten Bauleistungsverzeichnisses (Anl. 1 zum Mietvertrag) tragen sollten. Von der Sprinkler-Anlage, der einzigen konkret umstrittenen technischen Einrichtung, ist darin lediglich insofern die Rede, als es heißt, die Dachkonstruktion könne die eventuell erforderliche Sprinkler-Anlage aufnehmen. Daß die Kläger die Kosten der Sprinkler-Anlage zu tragen hätten, ist weder ausdrücklich noch sonst erkennbar gesagt worden.

cc) Hinzu kommt, daß die Beklagte im Schriftsatz vom 19. Juli 1972 selbst vorgetragen und unter Beweis gestellt hat, die Parteien hätten vereinbart und deutlich zum Ausdruck gebracht, daß … „die Beklagte alles zu tun hatte, was die Inneneinrichtung der Gebäude als Verbrauchermarkt erforderte, wie Fleischereieinrichtung, Kühlanlagen, Theken, Lichter, Sprinkler-Anlage etc.” Ihr späteres Vorbringen hierzu im Schriftsatz vom 2. Oktober 1972 steht dazu nicht in Widerspruch. Darin heißt es nach einer Erläuterung des Zustandekommens der – mündlichen – Absprache zusammenfassend lediglich ganz allgemein, es sei „geklärt und vereinbart” worden, daß die Kläger „für alles, was das Gebäude betreffe, zuständig seien und die E. für die Innereien verantwortlich zeichne”. Mit „Innereien” im zuletzt genannten Schriftsatz ist ersichtlich nichts anderes gemeint, als mit der Formulierung „Inneneinrichtung” im Schriftsatz vom 19. Juli 1972.

Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe zu dem hier in Rede stehenden Sachvortrag der Schriftsätze vom 19. Juli und 2. Oktober 1972 die darin benannten Zeugen nicht vernommen und deshalb gegen § 286 ZPO verstoßen, geht danach fehl.

dd) Die Revision übersieht schließlich, daß die behauptete Absprache, selbst wenn darin die Sprinkler-Anlage zu den Bauleistungen der Kläger gerechnet worden wäre, mangels Einhaltung der Schriftform keine Verbindlichkeit erlangt haben würde.

c) Was schließlich fehlende oder verspätet eingeholte behördliche Genehmigungen angeht, hat das Berufungsgericht zutreffend dargelegt, daß das Kündigungsrecht mangels Bestimmung einer angemessenen Abhilfefrist nicht besteht. Da das Fehlen insbesondere der bau- und feuerpolizeilichen Genehmigung die Nutzung des Gebäudes als Verbrauchermarkt nicht erlaubt hätte, würde bei fruchtlosem Fristablauf der Tatbestand des § 542 BGB erfüllt gewesen sein. Deshalb kann der Revision nicht zugegeben werden, daß im vorliegenden Falle neben § 542 BGB noch ein außerordentliches Kündigungsrecht aus § 242 BGB zu erwägen gewesen wäre.

IV. Befreiung vom Mietzins aufgrund von Mängeln der Mietsache

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, nach dem Sinn und Zweck der getroffenen Vereinbarungen habe die Beklagte ab März 1972 mit dem ungestörten Einbau der Inneneinrichtung beginnen sollen, damit das Kaufhaus im September 1972 eröffnet werden konnte. Durch die zwar in Gang gebrachten, aber noch nicht abgeschlossenen behördlichen Genehmigungsverfahren sei sie daran nicht gehindert, sondern nur „verunsichert” gewesen. Dieses Risiko habe sie in Kauf genommen. Etwaige Übertreibungen des Bevollmächtigten der Kläger über den Verfahrensstand oder seinen Einfluß auf die Erteilung der Genehmigungen sei für das Handeln der Beklagten als nicht entscheidend zu bewerten, solange alle Genehmigungen „aussichtsvoll” blieben. Die weitere Zusammenarbeit sei allein an dem Streit über die Kosten der Feuerlöschanlage gescheitert, einem Punkte also, „in dem die Beklagte eindeutig im Unrecht war”.

2. Auch dagegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.

Die Frage, ob die Beklagte angesichts unstreitig noch fehlender behördlicher Genehmigungen das Investitionsrisiko für die Inneneinrichtung des Verbrauchermarktes zu tragen hatte, hat, wie auch die Revision einräumt, gegenüber, dem Streit, welche der Vertragsparteien die Kosten der Feuerschutzanlage (350.000 DM) zu tragen hatte, keine selbständige Bedeutung. Die Feststellung des Berufungsgerichts aber, daß die Beklagte in diesem Streit im Unrecht gewesen sei, begegnet, wie gesagt, keinen durchgreifenden Bedenken.

V. Die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels hat die Beklagte zu tragen, § 97 ZPO.

 

Unterschriften

Braxmaier, Hoffmann, Wolf, Merz, Treier

 

Fundstellen

Haufe-Index 1523032

BGHZ

BGHZ, 378

NJW 1976, 1395

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