Leitsatz (amtlich)

Hätte der Verkäufer, dem gegen den Käufer ein Schadensersatzanspruch aus Verhandlungsverschulden wegen Verletzung einer Aufklärungspflicht zusteht, bei Erfüllung dieser Pflicht statt des Geschäfts mit dem Käufer ein anderes abgeschlossen, so kann er das ersetzt verlangen, was ihm aus diesem Geschäft zugeflossen wäre. Liegt ein Handelskauf über marktgängige Ware zum Marktpreis vor, so braucht der Verkäufer in diesem Falle nicht darzulegen und nachzuweisen, daß er einen anderen Abnehmer für die Ware gehabt habe.

 

Orientierungssatz

Zur Eigenhaftung des Vertreters (hier Alleingeschäftsführer einer GmbH) aus Verhandlungsverschulden (hier unterlassene Offenbarung der Überschuldung der GmbH) wegen unmittelbaren wirtschaftlichen Eigeninteresses (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, Zitate im Text).

 

Tatbestand

Die Klägerin, eine Versandschlachterei, stand mit der Firma N.-Fleisch Import-Export GmbH (künftig: GmbH) in ständiger Geschäftsbeziehung. Der Beklagte war Gesellschafter und alleiniger Geschäftsführer der GmbH. Die Klägerin belieferte die GmbH im Oktober und November 1984 mit Frischfleisch, für das sie in der Zeit vom 1. Oktober bis 4. November 1984 Rechnungen in Höhe von insgesamt 173.151,09 DM mit einem Zahlungsziel von jeweils 14 Tagen ausstellte. Die GmbH bezahlte diese Rechnungen nicht. Sie gab am 8. November 1984 ihre Geschäftstätigkeit auf. Der Beklagte stellte am 23. November 1984 den Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der GmbH, der am 27. November 1984 von dem Amtsgericht mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse abgewiesen wurde. Bemühungen der Klägerin, aufgrund eines mit der GmbH vereinbarten verlängerten Eigentumsvorbehalts Zahlungen von deren Kunden, an die das Fleisch weiterverkauft worden war, zu erlangen, scheiterten. Ebenso blieben Vollstreckungsversuche der Klägerin aus einem von ihr gegen die GmbH erwirkten landgerichtlichen Zahlungsurteil erfolglos; die Gerichts-, Anwalts- und Vollstreckungskosten in Höhe von 7.920,58 DM konnten nicht beigetrieben werden.

Zu dem Zusammenbruch der GmbH kam es, nachdem ihr der von der V. Volksbank eingeräumte Kontokorrentkredit am 8. November 1984 gekündigt worden war. Diese Bank hatte der GmbH zunächst einen Kredit bis zu 500.000 DM gewährt, den sie später auf 900.000 DM erhöhte. Zur Sicherung hatten der Beklagte und seine Ehefrau auf einem ihnen gehörenden Grundstück eine Grundschuld von 409.000 DM bestellt und Bürgschaften in Höhe von 500.000 DM übernommen. Als der Debetsaldo der GmbH rund 1 Million DM betrug, forderte die Bank mit Schreiben vom 27. April 1984 die Rückführung des Kredits oder eine weitere Absicherung. Die GmbH trat ihr daraufhin am 2. Mai 1984 ihre bestehenden und künftigen Geschäftsforderungen gegen ihre Kunden ab und übereignete ihr zur Sicherheit ihr gesamtes Inventar einschließlich ihres Fuhrparks. Nennenswertes eigenes Vermögen besaß die GmbH danach nicht mehr. In der Folgezeit nahm die Überziehung ihres Kreditrahmens erheblich zu und lag im Herbst 1984 zwischen 1,3 und 1,5 Millionen DM. Zur Zeit der Kündigung des Kredits am 8. November 1984 hatte die GmbH neben den Verbindlichkeiten bei der Volksbank in Höhe von 1.128.593,14 DM nach einer von dem Beklagten erstellten Vermögensübersicht Schulden gegenüber ihren Lieferanten von 2.441.489 DM. Dem standen Vermögenswerte von 21.036,35 DM und Außenstände von 903.160 DM – davon uneinbringlich 188.712 DM – gegenüber.

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung ihrer Warenlieferungen vom Oktober und November 1984 sowie der Kosten ihrer erfolglosen Rechtsverfolgung gegen die GmbH in Höhe von insgesamt 181.071,67 DM mit der Begründung in Anspruch, er habe sie bei der Bestellung der Fleischlieferungen über die wirtschaftliche Lage der GmbH aufklären müssen. Der Beklagte hält dem entgegen, die GmbH sei bei Bestellung der Waren noch zahlungsfähig gewesen, die Kündigung des Kredits durch die Volksbank sei völlig überraschend gekommen.

Das Landgericht hat der zunächst auf einen Teilbetrag von 10.000 DM beschränkten Klage stattgegeben. Unter Zurückweisung der Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht auf die Anschlußberufung der Klägerin den Beklagten zur Zahlung von 111.811,23 DM verurteilt und die Klage im übrigen abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Revision eingelegt und zugleich beantragt, die Revision der jeweils anderen Seite zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat hat die Revision der Klägerin angenommen, diejenige des Beklagten dagegen nicht angenommen.

I. Wenngleich somit nur noch darüber zu entscheiden ist, ob das Berufungsgericht die Klage zu Recht teilweise abgewiesen hat, bedarf es der erneuten Prüfung des Haftungsgrundes, weil der Nichtannahme seiner Revision insoweit Rechtskraftwirkungen hinsichtlich des abgewiesenen Teils der Klage nicht zukommen.

1. Hierzu hat das Berufungsgericht ausgeführt:

Der Klägerin stehe gegen den Beklagten ein Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluß zu, weil er es schuldhaft unterlassen habe, sie über die Überschuldung der GmbH aufzuklären. Seit spätestens Mitte 1984 sei die GmbH erheblich überschuldet gewesen, weil ihren Passiva von etwa 3 Millionen DM nur ein Aktivvermögen in einer Größenordnung von 900.000 DM gegenübergestanden habe. Der Beklagte habe der Klägerin bei der Bestellung der jetzt eingeklagten Fleischlieferungen die Überschuldung der GmbH offenbaren müssen, wozu er unabhängig davon verpflichtet gewesen sei, ob er auch Konkurs der GmbH habe anmelden müssen. Eine Überschuldung dieses Ausmaßes sei dem Beklagten ohne weiteres erkennbar gewesen, weil er die Bankverbindlichkeiten den Kontoauszügen habe entnehmen können und auch gewußt habe, welche Sachwerte der GmbH für eine Verwertung zur Verfügung gestanden hätten. Er habe sich daher veranlaßt sehen müssen, das Ausmaß der tatsächlichen Überschuldung festzustellen. Dies sei ihm ohne weiteres möglich gewesen, wie die von ihm aus Anlaß der Stellung des Konkursantrages angefertigte Aufstellung zeige.

Der Verstoß gegen die Aufklärungspflicht habe zu dem Schaden der Klägerin geführt. Es sei auszuschließen, daß die Klägerin Ware auf Kredit geliefert hätte, wenn der Beklagte sie über die finanzielle Lage ihrer Vertragspartnerin unterrichtet hätte. Der Beklagte hafte aus Verschulden bei Vertragsschluß, obgleich er lediglich Gesellschafter und gesetzlicher Vertreter der GmbH gewesen sei. Denn er habe ein besonderes wirtschaftliches Eigeninteresse am Zustandekommen der Verträge gehabt und aus den Geschäften eigenen Nutzen erstrebt. Zwar reiche hierfür seine Stellung als maßgeblicher Gesellschafter der GmbH für sich allein noch nicht aus. Hingegen genüge beispielsweise die Übernahme unbeschränkter selbstschuldnerischer Bürgschaften. Auch wenn der Gesellschafter keine unbeschränkte Haftung für Gesellschaftsschulden übernommen habe, könne er gleichwohl persönlich in Anspruch genommen werden, wenn zusätzliche Umstände ein hinreichend starkes besonderes wirtschaftliches Interesse ergäben. So liege es hier, weil der Beklagte seine wirtschaftliche Existenz eng mit dem Erfolg der Gesellschaft verknüpft habe. Nachdem er seinen Grundbesitz zur Sicherung des Geschäftskredits zur Verfügung gestellt und zusätzlich eine selbstschuldnerische Bürgschaft übernommen habe, hätten ihm weitere wesentliche Vermögenswerte nicht mehr zugestanden. Er habe davon ausgehen müssen, daß er im Sicherungsfall nicht nur seinen Grundbesitz verlieren, sondern auch persönlich in erheblichem Umfang in Anspruch genommen werde. Wegen der Kontoüberziehungen sei das Risiko des Eintritts des Sicherungsfalles akut geworden, zumal die GmbH von jedem nennenswerten Vermögen entblößt gewesen und nur noch aufgrund der Sicherheiten am Leben gehalten worden sei. Da somit das „Wohl und Wehe” der GmbH über dasjenige des Beklagten mitentschieden habe, sei eine solche Nähe seines eigenen wirtschaftlichen Interesses zu dem der GmbH erreicht gewesen, daß er wie für ein Handeln in eigener Sache einstehen müsse. Diese Lage sei jedenfalls mit den hohen Kontoüberziehungen im Sommer 1984 eingetreten. Den Hinweis auf die Vermögenslage der GmbH habe der Beklagte schuldhaft unterlassen, weil ihm bei kaufmännisch sorgfältigem Verhalten habe bewußt sein müssen, daß angesichts der Höhe der Verschuldung mit einer ordnungsgemäßen Abwicklung der Geschäfte nicht mehr zu rechnen sei.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand. Soweit das Berufungsgericht eine persönliche Haftung des Beklagten als des maßgeblichen Gesellschafters und Alleingeschäftsführers der GmbH aus Verhandlungsverschulden bejaht, befindet es sich in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (zuletzt BGHZ 87, 27; Urteile vom 27. Oktober 1982 – VIII ZR 187/81 = WM 1982, 1322; vom 25. Januar 1984 – VIII ZR 227/82 = WM 1984, 475 und vom 23. Oktober 1985 – VIII ZR 210/84 = WM 1985, 1526). An ihr wird trotz der von Teilen des Schrifttums geäußerten Kritik festgehalten.

a) Ausnahmsweise kann auch ein Vertreter für ein Verschulden bei Vertragsverhandlungen dann haften, wenn er in besonderem Maße persönliches Vertrauen in Anspruch genommen hat oder dem Verhandlungsgegenstand besonders nahesteht, weil er wirtschaftlich selbst stark an dem Vertragsabschluß interessiert ist und aus dem Geschäft eigenen Nutzen erstrebt (Nachweise im Senatsurteil vom 23. Oktober 1985 aaO unter II 1a). Die grundsätzliche Möglichkeit einer Haftung des Vertreters (allein) wegen starken wirtschaftlichen Eigeninteresses ist in jüngster Zeit vom II. (Urteil vom 9. Oktober 1986 – II ZR 241/85 = WM 1987, 77 unter II 1b), V. (Urteile vom 20. März 1987 – V ZR 27/86 = WM 1987, 1222 unter II 1 und vom 16. Oktober 1987 – V ZR 153/86 = WM 1987, 1466 unter II 2) und IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 8. Oktober 1987 – IX ZR 143/86 = WM 1987, 1431 unter II) erneut bestätigt worden.

aa) Zu Unrecht wird dem entgegengehalten, ein starkes wirtschaftliches Eigeninteresse könne im Rahmen der Haftung für Verhandlungsverschulden nicht als zureichender Rechtsgrund einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht anerkannt werden (vgl. außer den Nachweisen im Senatsurteil vom 23. Oktober 1985 aaO jetzt wieder Steininger, Die Haftung des Geschäftsführers und/oder des Gesellschafter-Geschäftsführers aus culpa in contrahendo bei wirtschaftlicher Bedrängnis der Gesellschaft mbH, Diss., 1986, S. 76f, 126ff; ders. BB 1986, 1045). Dieser Einwand überschätzt die Bedeutung der ursprünglichen dogmatischen Herleitung der vorvertraglichen Haftung aus einer besonderen Vertrauensbeziehung und übergeht die vom erkennenden Senat in Fortentwicklung dieses Instituts gegebene Begründung, daß es nämlich dem gleichsam in eigener Sache tätigen Vertreter nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verwehrt sein muß, sich auf seine rechtliche Unzuständigkeit zu berufen, wenn er bei Vertragsverhandlungen einen für den anderen Teil schädlichen Fehler begangen hat (Senatsurteil vom 23. Oktober 1985 aaO unter II 1b m.Nachw.). In der Sache nichts anderes besagt die im Senatsurteil vom 27. Oktober 1982 (aaO unter II 2c) enthaltene – im Schrifttum gelegentlich als „überraschend” (Ulmer NJW 1983, 1577, 1579) oder „mysteriös” (Roth GmbHR 1985, 137, 138) empfundene – Formulierung, daß „die Berufung (des Vertreters einer GmbH) auf die alleinige Haftung der GmbH … dann (in Fällen eines derartigen Eigeninteresses) einen Mißbrauch der rechtlichen Selbständigkeit der Gesellschaft” darstelle. Die an der im Senatsurteil vom 23. Oktober 1985 gegebenen Begründung geübte Kritik, die Schutzwürdigkeit des Verhandlungspartners werde aus dem diesem regelmäßig nicht erkennbaren inneren Tatbestand der eigenen Interessenverfolgung des Gesellschafters/Geschäftsführers abgeleitet (so Steininger, Diss. aaO S. 129), geht fehl. Die Schutzwürdigkeit folgt aus dem Informationsbedürfnis desjenigen, der im Begriff ist, an einen überschuldeten Geschäftspartner Ware auf Kredit zu liefern. Das wirtschaftliche Eigeninteresse des Gesellschafters/Geschäftsführers führt hingegen zur Zurechnung einer Verletzung der Aufklärungspflicht und ist von einer Kenntnis des Verhandlungspartners unabhängig.

bb) Der Grundsatz der Vertreterhaftung bei Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens oder starkem wirtschaftlichen Eigeninteresse ist auch in Fällen anwendbar, in denen es um die Haftung von (Allein-) Gesellschaftern und/oder (Allein-) Geschäftsführern einer GmbH geht (Nachw. im Senatsurteil vom 23. Oktober 1985 aaO; ebenso jetzt BGH Urteil vom 8. Oktober 1987 – IX ZR 143/86 = WM 1987, 1431 unter II). Diese Rechtsprechung setzt sich nicht in Widerspruch zu dem in der GmbH geltenden Haftungssystem (§ 13 Abs. 2 GmbH), weil nicht eine Haftung des Gesellschafters/Geschäftsführers für Verbindlichkeiten der Gesellschaft, sondern die von besonderen selbständigen Voraussetzungen abhängige Setzung eines persönlichen Haftungsgrundes aus eigenem Verschulden in Rede steht (Senat aaO unter II 1b).

cc) Das Berufungsgericht hat auch nicht übersehen, daß die Beteiligung des Beklagten an der GmbH für sich allein nicht ausreichte, um seine Haftung aus Verhandlungsverschulden wegen unmittelbaren wirtschaftlichen Eigeninteresses zu begründen (Senatsurteil vom 23. Oktober 1985 aaO unter II 1c; ebenso BGH Urteile vom 10. März 1986 – II ZR 107/85 = WM 1986, 854 unter II 3 und vom 8. Oktober 1987 aaO unter II 2). Das Berufungsgericht hat indessen mit der Grundschuldbelastung des Hausgrundstücks des Beklagten und seiner Bürgschaftsübernahme besondere Umstände festgestellt, aus denen es ohne Rechtsfehler dessen starkes Eigeninteresse an den zwischen der Klägerin und der GmbH geschlossenen Kaufverträgen entnommen hat. Entgegen der Auffassung des Beklagten hat es hiermit nicht die in den Senatsurteilen vom 23. Oktober 1985 (aaO unter II 1d) und 25. Januar 1984 (VIII ZR 227/82 = WM 1984, 775 unter V 1b, dort für die KG) aufgestellten Grundsätze für eine Eigenhaftung des Gesellschafters/Geschäftsführers verkannt. Wenn dort die Übernahme einer unbeschränkten selbstschuldnerischen Bürgschaft genannt worden ist, so handelte es sich um einen – in den Besonderheiten des der Senatsentscheidung vom 25. Januar 1984 zugrunde liegenden Sachverhalts begründeten – Beispielsfall. Auch aus der Bestellung beschränkter Sicherheiten – hier der Grundschuld in Höhe von 409.000 DM und der Bürgschaft über 500.000 DM – kann ein zur persönlichen Haftung führendes starkes wirtschaftliches Eigeninteresse folgen, wenn der Gesellschafter/Geschäftsführer – was das Berufungsgericht verfahrensfehlerfrei festgestellt hat – „seine wirtschaftliche Existenz weitgehend mit dem Erfolg der Gesellschaft” verknüpft hat und ein besonderes eigenes Interesse an dem Abschluß der Verträge mit der Klägerin haben mußte, weil mit deren Erfüllung durch die Klägerin und dem Weiterverkauf des gelieferten Fleisches sich seine eigene Haftung gegenüber der Volksbank verminderte.

Aus den Vorschriften über eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen und ihnen gleichgestellte Rechtshandlungen (§§ 32a, b GmbHG) läßt sich entgegen der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgetragenen Ansicht des Beklagten nichts gegen eine persönliche Haftung des Gesellschafters/Geschäftsführers bei Eigeninteresse aufgrund einer Bürgschaftsübernahme und/oder einer Grundschuldbestellung herleiten. Diese Vorschriften, deren Rechtsfolgen sich ohnehin nur auf das Innenverhältnis zwischen Gesellschafter und Gesellschaft beziehen, sollen eine Umgehung des gesetzlichen Kapitalsicherungsrechts verhindern (z.B. Scholz/Karsten Schmidt, GmbH-Gesetz, 7. Aufl., §§ 32a, b Rdn. 14); ebensowenig wie sie eine deliktische Haftung nach allgemeinen Regeln bei Hinzutreten besonderer Umstände berühren (z.B. Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 14. Aufl., § 32a Rdn. 13), vermögen sie die persönliche Haftung des wie in eigener Sache handelnden Gesellschafters/Geschäftsführers wegen Verhandlungsverschuldens zu ersetzen oder zu beschränken.

b) Zu Recht hat das Berufungsgericht auch eine Aufklärungspflicht des Beklagten bejaht.

aa) Gegen die Feststellung einer Überschuldung der GmbH durch das Berufungsgericht wendet der Beklagte lediglich ein, hierbei seien keine Warenbestände der GmbH berücksichtigt worden. Er räumt indessen zugleich ein, daß er hierzu in den Instanzen nichts vorgetragen hatte. Selbst mit der Begründung der Revision des Beklagten wird nicht geltend gemacht, daß im Zeitpunkt der fraglichen Fleischbestellungen ein nennenswerter, der Annahme einer Überschuldung der GmbH entgegenstehender Warenbestand vorhanden war.

bb) Bei erkennbarer Überschuldung der GmbH ist der erkennende Senat wegen der dann gegebenen besonderen Gefährdung der Vertragsdurchführung von einer Offenbarungspflicht des für die GmbH handelnden Gesellschafters/Geschäftsführers beim Abschluß von Verträgen ausgegangen, die auf Lieferung von Waren auf Kredit gerichtet sind (Senatsurteile vom 27. Oktober 1982 – VIII ZR 187/81 = WM 1982, 1322 unter II 2d und vom 25. Januar 1984 aaO).

alpha) Die hieran von einem Teil des Schrifttums geübte Kritik (insbesondere Ulmer NJW 1983, 1577, 1579f; ders. GmbHR 1984, 256, 264; ders. in: Hachenburg, GmbHG, Großkommentar, 7. Aufl., § 64 Rdn. 65; Brandner, Festschrift für Winfried Werner, 1984, S. 53, 55 Fußn. 1; zustimmend dagegen Roth GesRZ 1985, 1ff; ders. GmbHR 1985, 137ff; ders. ZGR 1986, 371, 380f; ders. JuS 1987, 196; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 1986, 817; im Ergebnis auch Nirk, Festschrift für Stimpel, 1985, S. 443, 450f; differenzierend zur Aufklärungspflicht der GmbH selbst Steininger, Diss. aaO S. 37ff), die der Beklagte sich zu eigen macht, vermag nicht zu überzeugen. Es trifft nicht zu, daß die Rechtsprechung des erkennenden Senats deshalb zu einem Bruch mit den bisher anerkannten Grundsätzen der Haftung wegen fahrlässiger Konkursverschleppung (§ 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 64 Abs. 1 GmbHG) führe, weil der Verstoß gegen § 64 Abs. 1 GmbHG nach Auffassung des Bundesgerichtshofs (z.B. BGHZ 29, 100, 104; 75, 96, 106) nur eine auf den Quotenschaden, d.h. die durch die Konkursverschleppung verursachte Verringerung der Konkursquote, begrenzte Haftung nach sich ziehe. Denn entgegen der Auffassung Brandners (aaO) sind die dieser Rechtsprechung zugrunde liegenden und die vom erkennenden Senat beurteilten Sachverhalte nicht „weithin deckungsgleich”. Der Unterschied ergibt sich zum einen aus der unterschiedlichen Ausgangsposition der Alt- und der Neugläubiger bei Abschluß der Verträge und damit der Begründung ihrer Kreditorenpositionen (zutreffend Roth GmbHR 1985, 137, 140): Während der Schaden des Altgläubigers, dem gegenüber nicht eine Aufklärungspflicht bei Abschluß des Vertrages, sondern (nur) später die Konkursantragspflicht verletzt wurde, in der Schmälerung seiner Konkursquote besteht, hätte der Neugläubiger, wäre ihm die Überschuldung der GmbH offenbart worden, das Geschäft regelmäßig nicht abgeschlossen und die Ware nicht – gegen Erwerb lediglich einer wertlosen Forderung – geliefert. Zum anderen sind die Sachverhalte auch deshalb nicht „deckungsgleich”, weil der besondere Grund für die persönliche Haftung des Gesellschafters/Geschäftsführers – die Inanspruchnahme besonderen Vertrauens oder sein starkes wirtschaftliches Eigeninteresse – nicht Voraussetzung des Tatbestandes der fahrlässigen Konkursverschleppung ist. Entgegen der Ansicht Ulmers (NJW 1983, 1577, 1580; ebenso z.B. Steininger, Diss. aaO S. 81; ähnlich wohl Schanze, Einmanngesellschaft und Durchgriffshaftung, 1975, S. 107) stehen die Entscheidungen des erkennenden Senats auch nicht mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Widerspruch, nach der es nicht Schutzzweck des § 64 Abs. 1 GmbHG ist, Gläubiger einer GmbH davor zu bewahren, mit einer überschuldeten Gesellschaft noch in Geschäftsbeziehungen zu treten (BGHZ 29, 100, 104, 106; BGH Urteile vom 2. Februar 1960 – VI ZR 13/59 = WM 1960, 641; vom 4. Juli 1961 – VI ZR 84/60 = WM 1961, 1103, 1106 und vom 22. Januar 1962 – III ZR 198/60 = WM 1962, 527, 530). Diese Rechtsprechung betraf ausschließlich die deliktische Haftung des Gesellschafters und/oder Geschäftsführers einer GmbH, vertragliche Ansprüche bestanden nicht (z.B. BGH Urteil vom 4. Juli 1961 aaO unter III) oder blieben ausdrücklich ungeprüft (z.B. BGHZ 29, 100, 106f). Die aus der Vertragsanbahnung unter bestimmten Umständen folgende Pflicht zur Aufklärung des Verhandlungspartners unterscheidet sich in Voraussetzungen und Rechtsfolgen von dem Tatbestand der fahrlässigen Konkursverschleppung. Soweit der Senat in seinem Urteil vom 27. Oktober 1982 (aaO unter II 2d) auf § 64 Abs. 1 GmbHG hingewiesen hat, ging es nicht um die Rechtsfrage des Schutzzweckcharakters dieser Vorschrift (dazu zuletzt BGH Urteile vom 3. Februar 1987 – VI ZR 268/85 = WM 1987, 556 unter II 4 und vom 8. Oktober 1987 – IX ZR 143/86 = WM 1987, 1431 unter III), sondern darum, inwieweit tatsächlich durch die Stellung des Konkursantrags die Durchführung des Vertrages mit dem Gläubiger gefährdet wird. Hierfür ist ohne Bedeutung, wem gegenüber die Pflicht zur Stellung des Konkursantrages besteht. Kommt der Geschäftsführer dieser ihm nach dem Gesetz bei Überschuldung der GmbH obliegenden Pflicht, ohne schuldhaftes Zögern die Eröffnung des Konkursverfahrens oder des gerichtlichen Vergleichsverfahrens zu beantragen, nach, so kann die Gefährdung der Durchführung des anzubahnenden Vertrages schlechterdings nicht bezweifelt werden. Denn mit der Stellung des Konkursantrages wird sich in aller Regel die „Hoffnung auf eine Überwindung der Krise” (Ulmer aaO 1579) und darauf, daß die Überschuldung der GmbH nicht zu ihrer Zahlungsunfähigkeit führen werde, zerschlagen. Sanierungsversuche können nicht zu Lasten eines Verhandlungspartners unternommen werden, der auf Kredit Waren liefern soll (zutreffend Roth GesRZ 1985, 1, 6; ders. GmbHR 1985, 137, 140, 142).

beta) Zu Unrecht macht der Beklagte schließlich geltend, das Berufungsgericht habe nicht festgestellt und die Klägerin nicht einmal behauptet, daß er selbst die den Lieferungen vom Oktober/November 1984 zugrunde liegenden Bestellungen aufgegeben habe. Die Verhandlungsführung ist zwar ein für die Eigenhaftung eines Gesellschafters/Geschäftsführers einer GmbH maßgeblicher Gesichtspunkt (Senatsurteil vom 25. Januar 1984 aaO; BGH Urteil vom 9. Oktober 1986 – II ZR 241/85 = WM 1987, 77 unter II 1b). Entgegen der Darstellung des Beklagten hatte die Klägerin aber in der Klageschrift und nochmals ausdrücklich mit Schriftsatz vom 24. Juni 1985 vorgetragen, der Beklagte habe die fraglichen Geschäfte für die GmbH abgeschlossen, ohne daß dies von dem Beklagten bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht bestritten worden war. Dem Zusammenhang des Berufungsurteils ist auch zu entnehmen, daß das Oberlandesgericht von Vertragsabschlüssen durch den Beklagten ausgegangen ist, wenn es ausführt, der Beklagte habe die Klägerin „bei der Bestellung” aufklären müssen. Daß das Berufungsgericht diese Feststellung verfahrensfehlerhaft getroffen habe, zeigt der Beklagte nicht auf.

Nach alledem hat das Berufungsgericht eine Haftung des Beklagten dem Grunde nach zu Recht bejaht.

III. Die Revision der Klägerin, die sich gegen die teilweise Abweisung der Klage richtet, hat Erfolg.

1. Hierzu hat das Berufungsgericht ausgeführt:

Der Umfang des Schadensersatzanspruchs aus Verschulden bei Vertragsschluß richte sich auf das negative Interesse, so daß die Klägerin so zu stellen sei, wie sie bei vertragsgemäßer Aufklärung über die finanzielle Lage der GmbH gestanden hätte. Vollen Ersatz ihrer Rechnungsforderungen könne sie nur verlangen, wenn sie von der GmbH sofortige Bezahlung ihrer Lieferungen hätte erreichen oder die Ware anderweit zu mindestens den gleichen Preisen hätte veräußern können. Das erstere habe sie nicht vorgetragen, das letztere weder substantiiert dargelegt noch unter Beweis gestellt. Es verstehe sich auch keineswegs von selbst, daß sie anstelle der GmbH kurzfristig andere Abnehmer für ihr Frischfleisch gefunden hätte. Ihr stehe daher nur der Materialwert nach Abzug des Gewinns zu. Da sie zu ihrer Kalkulation auch auf Befragen keine Angaben gemacht habe, könne ihr daher nur ein Mindestschaden in Höhe des Warenwertes zugebilligt werden, der mangels Darlegung geeigneter Schätzungsgrundlagen mit 60% des Rechnungsbetrages zu veranschlagen sei.

2. Die Revision der Klägerin beanstandet zu Recht, daß das Berufungsgericht mit diesen Ausführungen die Darlegungs- und Beweislast verkannt hat.

a) Zutreffend ist noch der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts: Gemäß § 249 BGB hat der Schädiger den von ihm verursachten Schaden grundsätzlich voll zu ersetzen. Der Geschädigte ist also so zu stellen, wie er ohne die Pflichtwidrigkeit des anderen Teils gestanden hätte. Welcher Schaden dabei erstattungsfähig ist, richtet sich angesichts der Vielgestaltigkeit, in der ein Verschulden bei Vertragsschluß in Betracht kommen kann, nach der Ursächlichkeit des schadenstiftenden Verhaltens für den eingetretenen Schaden im Einzelfall (Senatsurteile BGHZ 69, 53, 56 und vom 1. April 1981 – VIII ZR 51/80 = WM 1981, 689 unter II 2a m.Nachw.). Der Anspruch geht in aller Regel auf Ersatz des sog. negativen Interesses, das allerdings nicht durch das Erfüllungsinteresse begrenzt wird, dieses vielmehr im Einzelfall auch übersteigen kann (BGHZ 69, 53, 56). Die Klägerin ist so zu stellen, wie sie bei Erfüllung der den Beklagten treffenden Offenbarungspflicht gestanden hätte. Hätte sie dann statt des Geschäfts mit der GmbH ein anderes abgeschlossen, so kann sie ersetzt verlangen, was ihr aus diesem Geschäft zugeflossen wäre (z.B. Staudinger/Medicus, BGB, 12. Aufl., § 252 Rdn. 8; Staudinger/Dilcher aaO § 122 Rdn. 7; Soergel/Wiedemann, BGB, 11. Aufl., Rdn. 112 vor § 275; Freudling JuS 1984, 193, 194ff).

b) Übersehen hat das Berufungsgericht jedoch die Beweiserleichterung, die dem Geschädigten durch die Vorschrift des § 252 Satz 2 BGB eingeräumt wird. Da für den Anspruch aus Verhandlungsverschulden die allgemeinen Regeln des Schadensrechts gelten (z.B. Soergel/Wiedemann aaO Rdn. 99 vor § 275; Jauernig/Vollkommer, BGB, 4. Aufl., § 276 Anm. VI 4a), kommt auch dem von einer vorvertraglichen Pflichtverletzung Betroffenen die Vorschrift des § 252 BGB zugute (BGHZ 69, 34, 36). Bei Anwendung dieser Bestimmung nimmt der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung an, es entspreche im Handelsverkehr dem „gewöhnlichen Lauf der Dinge”, daß ein Kaufmann marktgängige Waren zum Marktpreis hätte verkaufen können (BGHZ 2, 310, 313; 29, 393, 399f; 62, 103, 105f; Palandt/Heinrichs, BGB, 47. Aufl., § 252 Anm. 2c; Baumgärtel/Strieder, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, Bd. I, § 252 Rdn. 14f). Ebensowenig wie der Käufer (dazu BGHZ 62, 103, 105) braucht beim Handelskauf der Verkäufer nachzuweisen, daß er Abnehmer für die Ware gehabt habe. Diese Grundsätze sind zwar zumeist im Rahmen eines Anspruchs des Gläubigers auf den Nichterfüllungsschaden angewendet worden; die aus ihnen folgende Vermutung muß gleichermaßen aber auch für einen Anspruch aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen gelten, auf den, wie ausgeführt, die Vorschriften der §§ 249ff BGB ebenso anwendbar sind.

Die Grundlagen für die Anwendung des genannten Grundsatzes stehen fest. Bei dem Frischfleisch handelte es sich um marktgängige Ware. Dem Vortrag der Klägerin, sie hätte diese Ware mindestens zum gleichen Preis anderweit verkaufen können, ist die Behauptung zu entnehmen, die mit der GmbH ausgehandelten Preise hätten Marktpreise dargestellt. Das ist weder vom Beklagten ausdrücklich bestritten worden noch sind Anhaltspunkte für das Gegenteil ersichtlich. Da die Beweiserleichterung des § 252 BGB auch die Darlegungslast der Klägerin mindert (z.B. Baumgärtel/Strieder aaO Rdn. 3 m.Nachw.), hat das Berufungsgericht zu Unrecht einen näheren substantiierten Vortrag und einen Beweisantritt der Klägerin vermißt. Es hat auch nicht festgestellt, daß die Klägerin das Fleisch nicht anderweitig zu denselben Preisen hätte absetzen können, sondern nur angenommen, dieses verstehe sich „keineswegs von selbst”.

c) Gleichwohl sieht sich der Senat gehindert, selbst in der Sache zu entscheiden. Denn der ersatzpflichtige Beklagte kann die aus § 252 Satz 2 BGB folgende Vermutung durch den Beweis entkräften, daß der Gewinn im tatsächlichen Verlauf doch nicht gemacht worden wäre (z.B. Baumgärtel/Strieder aaO m.Nachw.), die Klägerin das Fleisch also nicht oder nicht zu den mit der GmbH vereinbarten Preisen hätte verkaufen können. Zwar hat sich der Beklagte bisher darauf beschränkt, pauschal die Schadenshöhe zu bestreiten. Ihm muß indessen Gelegenheit gegeben werden, näher zu der Frage eines Weiterverkaufs der Ware durch die Klägerin vorzutragen. Nach dem bisherigen Verfahrensverlauf hatte er hierzu keine Veranlassung. Vor dem Landgericht war nur ein Teilbetrag von 10.000 DM eingeklagt, dessen Höhe selbst der reine Warenwert des Fleisches ohne Zweifel erreichte. Nach der Klageerweiterung in der Berufungsinstanz hat das Berufungsgericht in der mündlichen Verhandlung, wie die Entscheidungsgründe des Berufungsurteils und auch der Beschluß vom 19. Februar 1987, mit dem der Tatbestandsberichtigungsantrag der Klägerin zurückgewiesen worden ist, ausweisen, allein die Klägerin zur Errechnung des Vertrauensschadens befragt. Dem konnte der Beklagte entnehmen, daß das Berufungsgericht ihn nicht für darlegungs- und beweispflichtig hielt; so hat es dann auch – wenngleich rechtsfehlerhaft – entschieden. Unter diesen Umständen kann dem Beklagten nicht die Möglichkeit abgeschnitten werden, zur Entkräftung der Vermutung vorzutragen und erforderlichenfalls Beweis anzutreten. Das führt zur – teilweisen – Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 650371

NJW 1988, 2234

ZIP 1988, 505

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