Entscheidungsstichwort (Thema)

Standsicherheit von Straßenbäumen

 

Leitsatz (amtlich)

  1. Die öffentlich-rechtlich ausgestaltete Straßenverkehrssicherungspflicht umfaßt auch die Sorge für die Standsicherheit von Straßenbäumen. Diese Pflicht dient auch dem Zweck, Anliegergrundstücke vor Beschädigungen durch umstürzende Bäume zu schützen.
  2. Dem Amtshaftungsanspruch eines infolge der Verletzung dieser Pflicht an seinem Grundstückseigentum geschädigten Anliegers kann das Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB nicht entgegengehalten werden (Fortführung von Senat BGHZ 75, 134 = VersR 79, 1009 und 118, 368 = VersR 92, 1399).
 

Normenkette

GG Art. 34; BGB § 839; BerlStrG § 7

 

Tatbestand

Am 12. Mai 1990 wurde während eines heftigen Unwetters eine in einer Straße des beklagten Landes vor dem Grundstück des Klägers stehende Kastanie mit dem Wurzelteller aus dem Erdreich herausgedrückt und stürzte auf die Garage des Klägers, die dadurch beschädigt wurde. Im Jahre 1986 hatten die B. Wasserbetriebe in der Straße einen Kanal verlegt; danach hatte das Tiefbauamt S. durch einen privaten Unternehmer die Gehwegüberfahrt zum Grundstück des Klägers pflastern lassen. Der Kläger behauptet, dabei sei eine Haltewurzel der Kastanie gekappt worden; dadurch mitbedingt habe der Baum seine Standfestigkeit verloren. Außerdem habe das Gartenbauamt weder während der Bauarbeiten noch nach deren Abschluß die Standsicherheit der Straßenbäume ausreichend kontrolliert.

Der Kläger hat von dem beklagten Land Schadensersatz in Höhe von 7.423, 68 DM nebst Zinsen verlangt. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben; das Kammergericht hat sie abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Forderung weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1.

Zutreffend geht das Kammergericht davon aus, daß als Anspruchsgrundlage für die Klageforderung allein die Amtshaftung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) in Betracht kommt. In B. sind die mit der Überwachung der Verkehrssicherheit der öffentlichen Straßen zusammenhängenden Aufgaben als Pflichten des öffentlichen Rechts wahrzunehmen (§ 7 Abs. 5 Satz 1 des Berliner Straßengesetzes (BerlStrG) vom 28. Februar 1985 (GVBl S. 518)). Bei der hier in Rede stehenden Straße handelte es sich um eine solche in der Straßenbaulast des beklagten Landes B. Zu der Straße gehörte auch die Kastanie; sie unterfällt dem Begriff des "Straßengrüns" in § 2 Abs. 2 Nr. 3 BerlStrG, der allgemein die der Straße zugeordnete Bepflanzung umfaßt. Insoweit unterscheidet sich der hier zu beurteilende Sachverhalt von demjenigen, der dem Senatsurteil vom 19. Januar 1989 (III ZR 258/87 = BGHR BGB § 823 Abs. 1 Verkehrssicherungspflicht 22) zugrundegelegen hatte. Dort hatte der Senat ausgeführt, ein am Rande eines an die Straße grenzenden Waldstücks stehender Baum könne der Straße nicht zugerechnet werden, solange er keine Eigentümlichkeiten aufweise, die ihn vom Waldsaum abhoben und äußerlich der Straße zuordneten. Hier dagegen geht es um einen Baum, der Teil der Straßenbepflanzung war und bei dem somit eine derartige äußerliche Zuordnung ohne weiteres zu bejahen war. Die aus einer etwaigen mangelnden Standsicherheit des Baumes drohenden Gefahren gingen somit im Sinne der im Senatsurteil vom 19. Januar 1989 (a.a.O.) entwickelten Grundsätze "von der Straße" selbst aus. Die Straßenverkehrssicherungspflicht umfaßte demnach auch die Verpflichtung, den Bestand an Straßenbäumen so zu erhalten, daß er nach den Grundsätzen forstwissenschaftlicher Erkenntnis gegen Windbruch und Windwurf gesichert ist (Senatsbeschluß vom 12. Juli 1990 - III ZR 192/89 = BGHR BGB § 839 Abs. 1 Satz 1 Verkehrssicherungspflicht 3). Diese Pflicht schützt nicht nur die Verkehrsteilnehmer, sondern auch das Eigentum an den Anliegergrundstücken.

2.

Das Kammergericht hat hieraus die Folgerung gezogen, daß dem beklagten Land das Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB zugute komme; der Kläger müsse sich vorrangig an den für die im Zuge der seinerzeitigen Pflasterungsarbeiten vorgenommene Kappung der Haltewurzel verantwortlichen Bauarbeiter oder dessen Arbeitgeber, den mit der Durchführung der Arbeiten beauftragten Bauunternehmer, halten.

Darin kann dem Kammergericht nicht gefolgt werden.

3.

Unbeschadet der grundsätzlichen Fortgeltung der Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB (vgl. dazu z.B.: Senatsurteil vom 19. März 1992 - III ZR 117/90III ZR 117/90 = BGHR BGB § 839 Abs. 1 Satz 2 Verweisungsprivileg 1 m.w.N.), hat die Senatsrechtsprechung den Anwendungsbereich dieser Vorschrift zunehmend eingeengt.

a)

Das Verweisungsprivileg entfällt schlechthin bei der dienstlichen Teilnahme eines Amtsträgers am allgemeinen Straßenverkehr (BGHZ 68, 217), soweit keine Sonderrechte, etwa nach § 35 StVO, in Anspruch genommen werden (BGHZ 113, 164). Für den allgemeinen Straßenverkehr hat sich ein eigenständiges Haftungssystem entwickelt, in dem der Grundsatz haftungsrechtlicher Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer gilt. In diesem Ordnungssystem gibt es keine Rechtfertigung für die haftungsrechtliche Benachteiligung etwaiger Mitschädiger, die bei Geltung des Verweisungsprivilegs den auf den Beamten/Staat entfallenden Haftungsanteil sonst mittragen müßten (Krohn, VersR 1991, 1085, 1088).

b)

Mit Urteil vom 12. Juli 1979 (BGHZ 75, 134) hat der Senat ausgesprochen, daß das Verweisungsprivileg auch dann entfällt, wenn ein Amtsträger durch Verletzung der ihm als hoheitliche Aufgabe obliegenden Straßenverkehrssicherungspflicht einen Verkehrsunfall schuldhaft verursacht. Der Senat hat hierbei vor allem auf den engen Zusammenhang zwischen den Pflichten im allgemeinen Straßenverkehr und der Verkehrssicherungspflicht sowie auf die inhaltliche Übereinstimmung der öffentlich-rechtlich ausgestalteten Amtspflicht zur Sorge für die Verkehrssicherheit mit der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht abgestellt (Senatsurteil vom 11. Juni 1992 - III ZR 134/91III ZR 134/91 = BGHR BGB § 839 Abs. 1 Satz 2 Straßenverkehr 2 = BGHZ 118, 368, 371 m. zahlr.w.N.).

4.

Zu Unrecht hat das Berufungsgericht es abgelehnt, diese Grundsätze auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Der für den Wegfall des Verweisungsprivilegs bei Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht maßgebende Grundgedanke wird in unzulässiger Weise verkürzt, wenn man - wie das Berufungsgericht - allein auf den Schutz der Verkehrsteilnehmer abstellt. Zwar hat der Senat in BGHZ 75, 134 den Zusammenhang, in dem die Pflicht zur Sorge für die Sicherheit einer öffentlichen Straße mit denjenigen Pflichten steht, die einem Amtsträger als Teilnehmer am allgemeinen Straßenverkehr obliegen, mit der Erwägung begründet, daß zum reibungslosen Ablauf des Straßenverkehrs eine verkehrssichere Straße ebenso notwendig sei wie die Beachtung der Verkehrsvorschriften durch die Verkehrsteilnehmer und die Benutzung technisch einwandfreier Fahrzeuge. In diesem Sinne treffen die Pflichten der Amtsträger, die die Sicherung der Straßen zum Gegenstand haben, mit den Pflichten der Teilnehmer des Straßenverkehrs zusammen, die diese zu sichernden Straßen benutzen (Nüßgens, Festschrift für Willi Geiger, 1989, 456, 466). Dies ist indes lediglich ein - wenn auch wichtiger - Teilaspekt für die Begründung des Wegfalls des Verweisungsprivilegs in diesem Bereich. Er ist nämlich eingebettet in den umfassenden Grundsatz, daß die öffentlich-rechtlich gestaltete Amtspflicht zur Sorge für die Verkehrssicherheit inhaltlich der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht entspricht (vgl. Nüßgens a.a.O.). Tragender Grundgedanke für die haftungsrechtliche Gleichbehandlung ist daher die Deckungsgleichheit der dem Amtsträger als hoheitliche Aufgabe obliegenden Pflichten mit der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht, die jedermann trifft, sofern er nur einen Verkehr eröffnet (Senatsurteil BGHZ 118, 368, 372).

5.

Die Verkehrssicherungspflicht für öffentliche Verkehrsflächen stellt lediglich einen Unterfall der allgemeinen (Verkehrs-) Sicherungspflicht dar, wie sie für jedermann besteht, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage schafft oder andauern läßt und gehalten ist, alle ihm zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, die zur Abwendung der Dritten drohenden Gefahren geboten sind (BGB-RGRK/Kreft 12. Aufl. (1980) § 839 Rn. 109 m. zahlr.w.N. aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs). Eben diese Gefahr hat sich - nach dem für das Revisionsverfahren maßgebenden Klagevorbringen - hier zu Lasten des Klägers verwirklicht. Es liegt nicht etwa eine Fallkonstellation vor, bei der die wahrzunehmenden Amtspflichten ausschließlich dem hoheitlichen Pflichtenkreis entlehnt sind, alle Merkmale hoheitlichen Handelns aufweisen und sich aus diesem Bereich auch nicht ausgliedern lassen, und wo deshalb für einen Wegfall des Verweisungsprivilegs kein Raum wäre (vgl. Senatsurteil BGHZ 118, 368, 372 m.w.N.). Daraus folgt, daß die für den Wegfall des Verweisungsprivilegs maßgebenden Grundsätze im vorliegenden Fall auch dem Kläger zugute kommen müssen.

6.

Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben. Da das Verweisungsprivileg hier von vornherein keine Anwendung findet, braucht die weitere Frage nicht geklärt zu werden, ob die vom Berufungsgericht in Erwägung gezogenen Ansprüche gegen den Bauarbeiter und dessen Arbeitgeber ihrer Art nach überhaupt als anderweitige Ersatzmöglichkeiten im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB in Betracht gekommen wären.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456023

BGHZ, 102

NJW 1993, 2612

NVwZ 1993, 1126

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