Leitsatz (amtlich)

a) Die durch die Anzeige des Schadensfalls nach § 477 Abs. 1 Nr. 6 ZGB-DDR eingetretene Hemmung der Verjährung endete grundsätzlich mit Ablauf des 2.10.1990.

b) Auf den Ausgleichsanspruch des § 338 Abs. 3 ZGB-DDR ist ab dem 3.10.1990 unabhängig von seiner Einordnung als vertraglicher oder außervertraglicher Anspruch grundsätzlich die Verjährungsvorschrift des § 852 BGB a.F. anzuwenden.

c) Bei der nach Art. 231 § 6 Abs. 2 BGB gebotenen Vergleichsberechnung ist die Prüfung der Verjährung nach den Vorschriften des ZGB-DDR nach § 477 Abs. 1 Nr. 6 ZGB-DDR vorzunehmen, wenn eine bereits begonnene Hemmung der Verjährung nach früherem Recht über den Zeitpunkt des Beitritts hinaus fortdauerte.

 

Normenkette

BGB §§ 852, 208 a.F.; EGBGB Art. 231 § 6 Abs. 1-2; ZGB-DDR § 338 Abs. 3, § 474 Abs. 1 Nr. 3, § 477 Abs. 1 Nr. 6

 

Verfahrensgang

KG Berlin (Urteil vom 19.05.2003; Aktenzeichen 20 U 9090/00)

LG Berlin

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 20. Zivilsenats des KG v. 19.5.2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der am 25.4.1984 in Ost-Berlin geborene Kläger verlangt von der Beklagten Ersatz immateriellen Schadens, weil er im Jahre 1984 in deren Universitätsklinikum C. fehlerhaft behandelt worden sei.

Mit Schreiben v. 30.6.1987 zeigte seine alleinsorgeberechtigte Mutter den Schadensfall dem zuständigen Amtsarzt an. Daraufhin erkannte die Staatliche Versicherung der ehemaligen DDR als Versicherer des staatlichen Gesundheitswesens in einem Schreiben v. 29.9.1989, das der Mutter des Klägers damals nicht zugestellt werden konnte, die materielle Verantwortlichkeit der Klinik dem Grunde nach an.

Nachdem sich die Mutter am 9.3.1993 an den Chefarzt der Abteilung Kinderkardiologie des Universitätsklinikums gewandt hatte, antwortete dieser am 18.3.1993, beim Kläger seien wohl unzureichende Kontrollen durchgeführt worden. Auf ein weiteres Schreiben v. 1.6.1993 teilte die Beklagte am 18.10.1993 mit, dass sie den "gesamten Vorgang" zur weiteren Bearbeitung an ihren Haftpflichtversicherer übergeben habe. Dieser schrieb dem Kläger am 20.12.1993, dass zur weiteren Prüfung eine Einsicht in die Archivunterlagen notwendig, das Archiv aber derzeit nicht zugänglich sei. Er werde unaufgefordert weiter Stellung nehmen.

Auf ein Erinnerungsschreiben v. 20.8.1995 antwortete der Haftpflichtversicherer mit Schreiben v. 4.9.1995, welches oben rechts das Datum "14.2.1994" trug und der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 7.9.1995 zuging, wie folgt:

"Den geltend gemachten Schadensersatzanspruch gegenüber dem Universitätsklinikum C. haben wir zur Kenntnis genommen.

Nach Prüfung der uns vorliegenden Unterlagen ist festzustellen, dass auf der Grundlage des durch ihre Mandantin gestellten Schadensersatzantrags v. 30.6.1987 die Prüfung der materiellen Verantwortlichkeit eingeleitet wurde.

Das Ergebnis wurde mit Schreiben v. 29.9.1989 mitgeteilt und mit Datum v. 9.3.1990 erinnert. Durch den Postzusteller erhielten wir die Nachricht, dass der Empfänger unbekannt verzogen sei."

Als Anlage war u.a. eine Kopie des Schreibens der Staatlichen Versicherung der DDR v. 29.9.1989 beigefügt, das der Mutter des Klägers zuvor nicht zugegangen war. Darin wird ausgeführt:

"Von der ärztlichen Bezirksgutachterkommission B. ist nach Überprüfung der medizinischen Unterlagen ihres Kindes festgestellt worden, dass bei M. der operative Eingriff am 6.6.86 möglicherweise bei richtiger Katheterlage oder rechtzeitiger Korrektur vermeidbar gewesen wäre.

Für die dadurch entstandenen komplikationsbedingten Beeinträchtigungen haben wir als Versicherer des staatlichen Gesundheitswesens die materielle Verantwortlichkeit o.g. Klinik dem Grunde nach anzuerkennen.

Damit hat M. Anspruch auf Schadenersatz, der gem. § 338 Zivilgesetzbuch zu regeln ist.

Zur Klärung desselben halten wir eine Aussprache für erforderlich (...)."

Mit Schreiben v. 18.10.1997 bezifferte der Kläger den Anspruch auf eine Entschädigungssumme von 70.000 DM und eine monatliche Schmerzensgeldrente von 300 DM. Daraufhin lehnte der Versicherer der Beklagten am 16.12.1997 einen Eintritt für den Schaden ab, weil die Ansprüche verjährt seien.

Das LG hat die auf Zahlung eines Schmerzensgeldes gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht führt aus, die nach dem Recht der ehemaligen DDR zu beurteilende Schmerzensgeldforderung des Klägers sei verjährt. Auch wenn sich die Verjährungsfristen und die Hemmung der Verjährung zunächst nach dem Zivilgesetzbuch der DDR (ZGB-DDR) richteten und deshalb die Verjährung gem. § 477 Abs. 1 Nr. 6 ZGB-DDR von der Anzeige des Versicherungsfalls bis zur Erklärung der Versicherungseinrichtung über ihre Leistungspflicht gehemmt gewesen sei, habe die Verjährungshemmung am 2.10.1990, 24.00 Uhr, geendet. Nach Art. 231 § 6 Abs. 1 S. 2 EGBGB bestimme sich die Hemmung der Verjährung nur für die Zeit vor dem Beitritt nach dem Recht der DDR. Mit dem 3.10.1990 habe deshalb gem. Art. 231 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB die dreijährige Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB a.F. zu laufen begonnen. Diese sei zwar jedenfalls ab dem 18.3.1993 nach §§ 852 Abs. 2, 205 BGB a.F. wegen Verhandlungen gehemmt gewesen. Selbst wenn die Verhandlungen nicht "mit dem Schreiben der A. v. 14.2.1994" ein Ende gefunden hätten, seien sie aber eingeschlafen, weil auf jenes Schreiben über einen Zeitraum von 18 Monaten hinweg keine Reaktion einer der beiden Seiten erfolgt sei. Zu einer Unterbrechung der Verjährung sei es nicht gekommen.

II.

Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

1. Ohne Rechtsfehler geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass auf Schadensersatzansprüche, welche der Kläger aus den Vorgängen nach seiner Geburt im Jahre 1984 herleitet, das Schadensrecht der ehemaligen DDR (§§ 92, 93, 338 Abs. 3 ZGB-DDR) anzuwenden ist. Für außervertragliche Ansprüche ergibt sich dies aus Art. 232 § 10 EGBGB, für Ansprüche wegen einer Vertragsverletzung aus Art. 232 § 1 EGBGB. Die danach gebotene Auslegung und Anwendung des Zivilrechts der DDR hat unter Berücksichtigung der Rechtspraxis in der ehemaligen DDR zu erfolgen; das fortgeltende Recht ist dabei so anzuwenden, wie es von den Gerichten der DDR angewendet worden wäre, wenn und insoweit es mit dem Grundgesetz vereinbar ist (BGH, Urt. v. 22.6.1993 - VI ZR 302/ 92, BGHZ 123, 65 [67 ff.] = MDR 1993, 847; v. 3.5.1994 - VI ZR 278/93, BGHZ 126, 87 [91 f.] = MDR 1994, 666; v. 25.3.1997 - VI ZR 63/96, BGHZ 135, 158 [161 f.]; v. 30.9.2003 - XI ZR 426/01, BGHZ 156, 232 [234 f.] = BGHReport 2004, 169). Rechtsstaatliche Bedenken gegen die Anwendung der hier in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 338 Abs. 3 ZGB-DDR bestehen nicht (BGH v. 22.6.1993 - VI ZR 302/92, BGHZ 123, 65 [69 ff.] = MDR 1993, 847).

2. Nicht zu beanstanden ist auch die Auffassung des Berufungsgerichts, dass sich die Verjährung möglicher Ersatzansprüche bis zum Ablauf des 2.10.1990 nach den Regeln des Zivilgesetzbuchs der DDR richtet (vgl. Art. 231 § 6 Abs. 1 S. 2 EGBGB) und ein Schadensersatzanspruch bis zu diesem Zeitpunkt nicht verjährt war. Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden und von den Parteien nicht angegriffen ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass die gem. § 474 Abs. 1 Nr. 3 ZGB-DDR für vertragliche wie außervertragliche Schadensersatzansprüche geltende vierjährige Verjährungsfrist nach § 477 Abs. 1 Nr. 6 ZGB-DDR für die Zeit von der Anzeige des Versicherungsfalls bis zum Wirksamwerden des Beitritts gehemmt war, weil das Schreiben der Staatlichen Versicherung der DDR v. 29.9.1989 dem Kläger vorher nicht zugegangen ist.

3. Ohne Erfolg bringt die Revision vor, die durch die Anzeige des Schadensfalles nach § 477 Abs. 1 Nr. 6 ZGB-DDR eingetretene Hemmung der Verjährung habe über den 2.10.1990 hinaus bis zum Zugang des Schreibens der Staatlichen Versicherung der DDR am 7.9.1995 angedauert. Nach Art. 231 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB finden seit dem 3.10.1990 die Verjährungsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs nämlich grundsätzlich auch auf Ansprüche Anwendung, die auf der Grundlage des Rechts der ehemaligen DDR erworben worden sind. Lediglich für die Zeit zuvor sind gem. Art. 231 § 6 Abs. 1 S. 2 EGBGB die Bestimmungen des ZGB-DDR über den Beginn, die Hemmung und die Unterbrechung der Verjährung anzuwenden (BGH v. 12.6.2001 - XI ZR 283/00, BGHZ 148, 90 [93] = MDR 2001, 1101 = BGHReport 2001, 735; v. 30.9.2003 - XI ZR 426/01, BGHZ 156, 232 [241 f.] = BGHReport 2004, 169; Beschl. v. 17.5.1995 - XII ZA 3/95, MDR 1996, 169 f.; v. 5.3.1999 - BLw 36/98, WM 1999, 1138 [1140]; Urt. v. 7.7.2000 - V ZR 287/99, MDR 2000, 1307 = NJ 2001, 96 [97]; BAGE 93, 289 [292]; BAG, Urt. v. 23.1.1997, DtZ 1997, 295 f.; wohl a.A. OLG Brandenburg v. 13.5.1998 - 1 U 35/97, VersR 1999, 1110; Grambow, Die Haftung bei Gesundheitsschäden infolge medizinischer Betreuung in der DDR, 1997, S. 68 ff.). Dafür, dass Hemmungs- und Unterbrechungsvorschriften des ZGB-DDR abgesehen von im Streitfall nicht einschlägigen Sonderbestimmungen im Einigungsvertrag aufrechterhalten werden sollten, sprechen weder der Wortlaut des Gesetzes noch Sinn und Zweck der Regelungen (BGH v. 8.7.1999 - III ZR 159/98, BGHZ 142, 172 [181 f.]).

Bei der Anwendung von Verjährungsvorschriften kommt dem Wortlaut des Gesetzes besondere Bedeutung zu. Da der Rechtsverkehr klare Verhältnisse erfordert und die Vorschriften über die Verjährung, welche dazu dienen, Rechtssicherheit und Rechtsfrieden herbeizuführen, dementsprechend eine formale Regelung enthalten, ist es grundsätzlich geboten, sich bei der Anwendung solcher Vorschriften eng an deren Wortlaut zu halten (BGH v. 30.9.2003 - XI ZR 426/01, BGHZ 156, 232 [243 f.] = BGHReport 2004, 169, m.w.N.). Die vorgenommene Auslegung steht auch in Einklang mit den Gesetzesmaterialien. Auch nach ihnen sollte das Recht der Deutschen Demokratischen Republik lediglich für den Beginn der Verjährung sowie für Tatbestände der Hemmung und Unterbrechung der Verjährung, soweit diese vor In-Kraft-Treten des Gesetzes verwirklicht worden sind, anwendbar bleiben (BT-Drucks. 11/7817, 38).

Entgegen der Auffassung der Revision verliert dadurch Art. 231 § 6 Abs. 1 S. 2 EGBGB seine Bedeutung nicht. Ohne diese Bestimmung könnte der vorstehende S. 1 dahin verstanden werden, die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über Beginn, Hemmung und Unterbrechung der Verjährung seien rückwirkend auf die Zeit vor dem 3.10.1990 anzuwenden.

Unergiebig ist insoweit der von der Revision vorgebrachte Art. 229 EGBGB. Diese Vorschrift ist erst später und ohne sachliche Verknüpfung zu Art. 231 § 6 EGBGB entstanden. Sie lässt daher keinen Rückschluss auf die Auslegung des Art. 231 § 6 Abs. 1 EGBGB zu.

4. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen vermag der erk. Senat abschließend zu beurteilen, dass die Auffassung des Berufungsgerichts, der Klageanspruch sei verjährt, nicht zutrifft.

a) Entgegen der Auffassung der Revision ist das Berufungsgericht allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass für den geltend gemachten Ausgleichsanspruch - unabhängig von seiner Einordnung als vertraglicher oder außervertraglicher Anspruch - grundsätzlich die dreijährige Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB a.F. gilt.

Die Dauer der Verjährungsfrist wird nach Art. 231 § 6 Abs. 2 S. 1 EGBGB ab dem 3.10.1990 grundsätzlich nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs berechnet, wenn dieses eine kürzere Verjährungsfrist vorsieht als das Recht der ehemaligen DDR. Nach § 474 Abs. 1 Nr. 3 ZGB-DDR verjährten Schadensersatzansprüche aus Vertrag und außervertragliche Ansprüche in vier Jahren. An die Stelle dieser Frist ist ab der Wiedervereinigung die dreijährige Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB a.F. getreten.

Trotz der Unterschiede, die § 338 Abs. 3 ZGB-DDR im Vergleich zu § 847 Abs. 1 BGB a.F. in Zweckbestimmung, Anwendungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen aufweist, erfasst der in § 338 Abs. 3 ZGB-DDR gewährte Ausgleichsanspruch Defizite in einer Breite, die hinter dem Anspruch aus § 847 Abs. 1 BGB a.F. allenfalls in Randbereichen zurückbleibt (eingehend BGH v. 22.6.1993 - VI ZR 302/92, BGHZ 123, 65 [69 ff.] = MDR 1993, 847, m.w.N.). Wegen dieser weit gehenden Übereinstimmung ist es folgerichtig, auf den Ausgleichsanspruch die Verjährungsvorschrift des § 852 BGB a.F. anzuwenden. Dies gilt gleichermaßen für einen aus einer vertraglichen Beziehung entsprungenen Ausgleichsanspruch wie für einen außervertraglichen Anspruch. Die Zielrichtung des Zivilgesetzbuchs ging dahin, Schadensersatzansprüche aus Verträgen und aus deliktischem Verhalten möglichst gleichen Regelungen zu unterwerfen und insoweit eine Anspruchskonkurrenz zu vermeiden (BGH v. 3.5.1994 - VI ZR 278/93, BGHZ 126, 87 [93 f.] = MDR 1994, 666, m.w.N.). Deshalb verweist § 93 ZGB-DDR auch für Schadensersatzansprüche aus Verträgen auf die Bestimmungen für außervertraglich verursachte Schäden (§§ 330 ff. ZGB-DDR) und ist auch die Verjährungsfrist für vertragliche und außervertragliche Ansprüche gleich (§ 474 Abs. 1 Nr. 3 ZGB-DDR). Folgerichtig wurden unter der Geltung des Zivilgesetzbuchs Ansprüche nach § 338 Abs. 3 ZGB-DDR verjährungsrechtlich stets als außervertragliche Ansprüche angesehen (Kommentar zum Zivilgesetzbuch, 2. Aufl., 1985, Anm. 2 zu § 475 ZGB). Dem entspricht es, auf sie nunmehr die dreijährige deliktsrechtliche Verjährungsfrist anzuwenden und nicht etwa die dreißigjährige des § 195 BGB a.F. (BGH v. 30.9.2003 - XI ZR 426/01, BGHZ 156, 232 [241 f.] = BGHReport 2004, 169; OLG Naumburg v. 10.6.1997 - 11 U 430/97, NJW 1998, 237 [239 f.]).

b) Nach Art. 231 § 6 Abs. 2 S. 2 EGBGB ist allerdings die längere Frist des Zivilgesetzbuchs der DDR anzuwenden, wenn diese früher abläuft als die an sich kürzere Frist nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Deshalb bedarf es einer vergleichenden Berechnung des Ablaufs beider Fristen, wobei - wie dargelegt - für eine Hemmung oder Unterbrechung bis zum 2.10.1990 das Recht der ehemaligen DDR maßgebend ist, danach die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Staudinger-Rauscher, BGB, Neubearb. 2003, Art. 231 § 6 EGBGB Rz. 74). Ist die Verjährung nach einer der beiden Fristen eingetreten, so ist der Anspruch verjährt.

c) Dies trifft im Streitfall jedoch nicht zu.

aa) Eine Verjährung ist nicht nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs eingetreten.

(1) Zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass zwischen den Parteien Verhandlungen i.S.d. § 852 Abs. 2 BGB a.F. stattgefunden haben, welche nach § 205 BGB a.F. zu einer Hemmung der Verjährung führten. Das für den Beginn der Verjährungshemmung maßgebliche "Verhandeln" ist weit zu verstehen. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats genügt dafür jeder Meinungsaustausch über den Schadensfall zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten, sofern nicht sofort und eindeutig jeder Ersatz abgelehnt wird. Verhandlungen schweben daher schon dann, wenn der in Anspruch Genommene Erklärungen abgibt, die dem Geschädigten die Annahme gestatten, der Verpflichtete lasse sich auf die Erörterung über die Berechtigung von Schadensersatzansprüchen ein (BGH, Urt. v. 20.2.2001 - VI ZR 179/00, MDR 2001, 688 = BGHReport 2001, 414 = VersR 2001, 1167; v. 8.5.2001 - VI ZR 208/00, MDR 2001, 936 = BGHReport 2001, 594 = VersR 2001, 1255 [1256], jeweils m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht davon ausgehen, die Parteien seien durch die Schreiben des Klägers v. 9.3.und 1.6.1993 und die Antwortschreiben von Beklagtenseite v. 18.3.1993 und 18.10.1993 im März 1993 in Verhandlungen über den Anspruch des Klägers eingetreten. Mit der Revision ist allerdings eine Hemmung bereits ab dem 9.3.1993 anzunehmen, weil die Verjährungshemmung auf den Zeitpunkt der Geltendmachung der Ansprüche des Berechtigten zurückwirkt (BGH, Urt. v. 11.11.1958 - VI ZR 231/57, VersR 1959, 34 [36]; v. 13.2.1962 - VI ZR 195/61, VersR 1962, 615 [616]; v. 7.3.1967 - VI ZR 135/65, VersR 1967, 502 [503]; Urt. v. 28.3.1985 - III ZR 20/84, VersR 1985, 642 [644]).

(2) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts endete diese Hemmung der Verjährung aber nicht vor dem Zugang des Schreibens des Haftpflichtversicherers der Beklagten v. 4.9.1995, welches dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 7.9.1995 zuging.

Die Verjährungshemmung nach § 205 BGB a.F. dauert fort, bis eine Partei die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert (§ 852 Abs. 2 BGB a.F.) oder ein Abbruch durch "Einschlafenlassen" der Verhandlungen erfolgt. Wegen seiner Bedeutung für die Durchsetzbarkeit der geltend gemachten Ansprüche muss ein Abbruch durch klares und eindeutiges Verhalten zum Ausdruck gebracht werden (BGH, Urt. v. 30.6.1998 - VI ZR 260/97, MDR 1998, 1101 = VersR 1998, 1295).

Im Streitfall hat das Berufungsgericht keine Tatsachen festgestellt, aus denen ein Abbruch der Verhandlungen abzuleiten wäre. Die Revision wendet sich überdies zu Recht gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, die Verhandlungen seien bereits vor dem Erinnerungsschreiben des Klägers v. 20.8.1995 "eingeschlafen", weil über einen Zeitraum von über 18 Monaten keine Reaktion auf das Schreiben des Haftpflichtversicherers der Beklagten "v. 14.2.1994" erfolgt sei. Dabei ist das Berufungsgericht offensichtlich davon ausgegangen, das Schreiben des Haftpflichtversicherers v. 4.9.1995, welches oben rechts das Datum "14.2.1994" trug und der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 7.9.1995 zuging, sei bereits am 14.2.1994 abgesendet worden und dem Kläger alsbald danach zugegangen. Geht man in Übereinstimmung mit dem vom Berufungsgericht in Bezug genommenen unstreitigen erstinstanzlichen Tatbestand und dem Vorbringen der Parteien im Revisionsverfahren davon aus, dass dieses Schreiben dem Kläger erst am 7.9.1995 zuging, liegt kein Abbruch der Verhandlungen durch "Einschlafenlassen" vor.

Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats tritt ein Abbruch der Verhandlungen durch "Einschlafenlassen" ein, wenn der Berechtigte den Zeitpunkt versäumt, zu dem eine Antwort auf die letzte Anfrage des Ersatzpflichtigen spätestens zu erwarten gewesen wäre, falls die Regulierungsverhandlungen mit verjährungshemmender Wirkung hätten fortgesetzt werden sollen (BGH v. 5.11.2002 - VI ZR 416/01, BGHZ 152, 298 [303] = MDR 2003, 215 = BGHReport 2003, 163; v. 7.1.1986 - VI ZR 203/84, MDR 1986, 489 = VersR 1986, 490 [491]; v. 6.3.1990 - VI ZR 44/89, MDR 1990, 809 = VersR 1990, 755 [756], jeweils m.w.N.). Anlass zu einer weiteren Äußerung hat der Berechtigte jedoch nicht, wenn für die Regulierung des Schadens eine Verhandlungspause vereinbart wird. Dann ist es grundsätzlich Sache des Haftpflichtversicherers, die Initiative wegen einer Wiederaufnahme der Verhandlungen zu ergreifen, wenn er die Hemmung einer Verjährung der Ersatzansprüche beenden will. Der den Verjährungsvorschriften innewohnende Sinn und Zweck, den Schuldner davor zu schützen, nicht mit unvorhersehbaren Ansprüchen "überfallen" zu werden oder infolge Zeitablaufs in Darlegungs- und Beweisschwierigkeiten zu geraten, kommt bei dieser Sachlage nicht zum Tragen (BGH, Urt. v. 7.1.1986 - VI ZR 203/84, MDR 1986, 489 = VersR 1986, 490 [492]). Eine solche Situation liegt auch vor, wenn der Haftpflichtversicherer - wie hier mit Schreiben v. 20.12.1993 - mitteilt, man müsse zur weiteren Prüfung des erhobenen Anspruchs Einsicht in derzeit nicht zugängliche Archivunterlagen nehmen und werde unaufgefordert weiter Stellung nehmen.

(3) Den Rügen der Revision halten auch nicht die Ausführungen des Berufungsgerichts stand, mit denen es eine Unterbrechung der Verjährung abgelehnt hat. Insoweit ist es - entgegen den vorstehenden Ausführungen - davon ausgegangen, dass zum Zeitpunkt des Schreibens des Haftpflichtversicherers v. 4.9.1995, dem als Anlage eine Kopie des Schreiben der Staatlichen Versicherung der DDR v. 29.9.1989 beigefügt war, die Verjährungsfrist bereits abgelaufen war, ohne die Schreiben in ihrem Gesamtzusammenhang im Einzelnen zu würdigen. Dies wird den Umständen des Streitfalls nicht gerecht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH genügt für ein verjährungsunterbrechendes Anerkenntnis nach § 208 BGB a.F. ein tatsächliches Verhalten des Schuldners ggü. dem Gläubiger, aus dem sich das Bewusstsein vom Bestehen der Forderung unzweideutig entnehmen lässt und angesichts dessen der Gläubiger darauf vertrauen darf, dass sich der Schuldner nicht auf den Ablauf der Verjährung berufen wird (st.Rspr. BGH v. 8.7.1999 - III ZR 159/98, BGHZ 142, 172 [182]; Urt. v. 21.11.1996 - IX ZR 159/95, MDR 1997, 294 = VersR 1997, 631 [632]; v. 27.1.1999 - XII ZR 113/97, MDR 1999, 421 = NJW 1999, 1101 [1103], jeweils m.w.N.). Der Schuldner muss dabei sein Wissen, zu etwas verpflichtet zu sein, klar zum Ausdruck bringen, wobei allerdings ein Anerkenntnis auch in einem schlüssigen Verhalten und sogar in einem bloßen Stillschweigen liegen kann (BGH, Urt. v. 27.1.1999 - XII ZR 113/97, MDR 1999, 421 = NJW 1999, 1101 [1103]; v. 8.5.2002 - I ZR 28/00, MDR 2003, 78 = BGHReport 2002, 1057= NJW-RR 2002, 1433 [1434], jeweils m.w.N.). Wie sein Verhalten zu verstehen ist, beurteilt sich maßgebend nach dem - objektiven - Empfängerhorizont des Gläubigers (BGH, Urt. v. 27.1.1999 - XII ZR 113/97, MDR 1999, 421 = NJW 1999, 1101 [1103]; v. 22.7.2004 - IX ZR 482/00, BGHReport 2004, 1546 = MDR 2005, 90 = VersR 2004, 1278 [1279], jeweils m.w.N.).

Die rechtliche Würdigung, die der erk. Senat selbst vorzunehmen hat, führt unter den gegebenen Umständen zu dem Ergebnis, dass hier die Verjährung wegen eines der Beklagten zuzurechnenden Anerkenntnisses i.S.d. § 208 BGB a.F. unterbrochen worden ist.

Zu berücksichtigen ist, dass es sich um ein Schreiben des Haftpflichtversicherers der Beklagten handelte, nachdem diesem "der gesamte Vorgang" zur Bearbeitung übergeben worden war, der Kläger Schadensersatzansprüche geltend gemacht hatte und der Haftpflichtversicherer in eine Prüfung der Angelegenheit eingetreten war. Bei dieser Situation durfte ein objektiver Empfänger des Schreibens erwarten, dass ihm nach der erfolgten Einsicht in die Unterlagen das Ergebnis der Prüfung im Sinne einer inhaltlichen Stellungnahme des Haftpflichtversicherers mitgeteilt werde. Wenn dieser unter solchen Umständen in seinem Schreiben v. 4.9.1995 ohne weitere Ausführungen auf das Ergebnis der Prüfung der materiellen Verantwortlichkeit für den Schadensfall durch die Staatliche Versicherung der DDR Bezug nahm und deren Schreiben in Kopie beifügte, in welchem es heißt: "Damit hat M. Anspruch auf Schadenersatz, der gem. § 338 ZPO zu regeln ist", gab er aus der Sicht eines objektiven Empfängers dieses Schreibens zu erkennen, dass die Prüfung der schadensrechtlichen Verantwortlichkeit und damit die Berechtigung des klägerischen Anspruchs dem Grunde nach mit Wirkung gegen die Beklagte entschieden sei. Darin liegt ein Anerkenntnis i.S.d. § 208 BGB a.F.. Dieses ist der Beklagten zuzurechnen, da verjährungsunterbrechende Erklärungen auch durch einen Bevollmächtigten des Schuldners abgegeben werden können (BGH, Urt. v. 17.3.1970 - VI ZR 148/68, VersR 1970, 549; v. 12.12.1978 - VI ZR 159/77, VersR 1979, 284 [285]; Urt. v. 28.9.1995 - IX ZR 227/94, MDR 1996, 641 = VersR 1996, 113 [114]). Der hier handelnde Haftpflichtversicherer ist von der Beklagten als ihr Haftpflichtversicherer benannt worden. Daher kommt es nicht darauf an, ob dieser möglicherweise gem. § 3 S. 2 des Gesetzes über die Errichtung der "Staatlichen Versicherung der DDR in Abwicklung" (vgl. Anlage I Kap. IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 45 EinigVtr. BGBl. II 1990, 885, 991) nur im Auftrag der durch dieses Gesetz gegründeten Anstalt gehandelt hat. Er war in jedem Fall befugt, ein die Verjährung unterbrechendes Anerkenntnis mit Wirkung auch für die Beklagte abzugeben.

(4) Somit begann die dreijährige Verjährungsfrist nach Zugang des Anerkenntnisses am 7.9.1995 von neuem zu laufen (§ 217 BGB a.F.). Als die Klage am 7.10.1998 zugestellt wurde, war diese Frist noch nicht abgelaufen. Denn mit Eingang des klägerischen Prozesskostenhilfeantrags v. 31 3./30.6.1998 beim LG am 2. April/3.7.1998 ist eine Hemmung der Verjährung nach § 203 BGB a.F. eingetreten, welche bis zur Klagezustellung fortdauerte. Der ordnungsgemäße und entscheidungsreife Prozesskostenhilfeantrag hemmte die Verjährung solange, bis über ihn entschieden war (BGHZ 70, 235 [239]; Feldmann in MünchKomm/BGB, 3. Aufl., § 203 Rz. 7, m.w.N.). Als das LG die Prozesskostenhilfe durch Beschluss v. 13.10.1998 verweigerte, war die Klage bereits zugestellt worden.

bb) Auch nach dem Recht der ehemaligen DDR ist eine Verjährung nicht eingetreten.

Nach Art. 231 § 6 Abs. 2 S. 2 EGBGB ist die längere vierjährige Verjährungsfrist des § 474 Abs. 1 Nr. 3 ZGB-DDR anzuwenden, wenn diese früher abgelaufen ist als die kürzere Frist des § 852 Abs. 1 BGB a.F.. Das Berufungsurteil enthält keine Feststellungen dazu, wann die Verjährungsfrist gem. § 475 ZGB-DDR zu laufen begonnen hat. Aus ihm ergibt sich aber, dass die Verjährung nach § 477 Abs. 1 Nr. 6 ZGB-DDR von der Anzeige des Versicherungsfalls durch die Mutter des Klägers mit Schreiben v. 30.6.1987 bis zur Erklärung der Versicherungseinrichtung über ihre Leistungspflicht gehemmt gewesen ist. Diese Erklärung ist dem Kläger erst am 7.9.1995 zugegangen. Deshalb ist vor diesem Zeitpunkt nach dem Recht der ehemaligen DDR eine Verjährung nicht eingetreten. Zwar bestimmt Art. 231 § 6 Abs. 2 EGBGB nicht ausdrücklich, ob bei der gebotenen Vergleichsberechnung im Falle einer nach früherem Recht eingetretenen und zum Zeitpunkt des Beitritts noch fortdauernden Hemmung auch insoweit die Vorschriften des ZGB-DDR oder die des Bürgerlichen Gesetzbuchs Anwendung finden sollen. Der Zweck des Abs. 2, einerseits den Gläubiger vor unerwarteter Verjährung zu schützen und andererseits eine unangemessene Verlängerung von Verjährungsfristen zu vermeiden (Staudinger/Rauscher, BGB, Neubearb. 2003, Art. 231 § 6 EGBGB Rz. 73; BT-Drucks. 11/7817, 38) spricht aber dafür, die vergleichsweise durchzuführende Prüfung der Verjährung jedenfalls dann nach § 477 Abs. 1 Nr. 6 ZGB-DDR vorzunehmen, wenn - wie hier - eine bereits begonnene Hemmung der Verjährung nach früherem Recht über den Zeitpunkt des Beitritts hinaus fortdauerte. Demgemäß wurde die bei einer Vergleichsbeurteilung nach dem Recht der ehemaligen DDR eingetretene Hemmung erst mit dem Zugang des Anerkenntnisses am 7.9.1995 beendet. Danach wurde die Verjährung sowohl nach § 476 Abs. 1 Nr. 1 ZGB-DDR als auch nach § 208 BGB a.F. unterbrochen mit der Folge, dass die Verjährungsfrist erneut zu laufen begann (§ 476 Abs. 2 ZGB-DDR, § 217 BGB a.F.) und - wie bereits ausgeführt - sowohl die kürzere Verjährungsfrist des § 852 BGB a.F. als auch die vierjährige Verjährungsfrist des § 474 Abs. 1 Nr. 3 ZGB-DDR bis zur Zustellung der Klage am 7.10.1998 noch nicht abgelaufen waren. Auf die im Schrifttum angesprochene Frage, ob Art. 231 § 6 Abs. 1 S. 2 EGBGB bei Handlungen, die zur Hemmung oder Unterbrechung einer Verjährung nach dem 3.10.1990 führen, auf die zu vergleichenden Fristläufe in gleicher Weise anzuwenden sind, kommt es demnach nicht an (Staudinger/Rauscher, BGB, Neubearb. 2003, Art. 231 § 6 EGBGB Rz. 74).

III.

Nach alledem ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die materielle Berechtigung des Anspruchs prüfen kann.

 

Fundstellen

BGHR 2005, 974

EBE/BGH 2005, 4

NJW-RR 2005, 1044

MedR 2005, 468

NJ 2005, 368

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