Zusammenfassung

Der Beschluss der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft, einem Vorstandsmitglied das Vertrauen zu entziehen, ist nicht schon dann offenbar unsachlich oder willkürlich, wenn sich die Gründe für den Vertrauensentzug als nicht zutreffend erweisen.

Hintergrund: Unregelmäßigkeiten bei der Bewerbung auf eine Ausschreibung

Der Kläger war eines von zwei Vorstandsmitgliedern der beklagten Aktiengesellschaft. Die einzige Aktionärin der AG beschloss in der außerordentlichen Hauptversammlung vom 29.02.2013, dem Kläger das Vertrauen zu entziehen. Vorangegangen waren Unregelmäßigkeiten bei einer Bewerbung der Aktiengesellschaft auf eine Ausschreibung. Auf der Grundlage des Hauptversammlungsbeschlusses fasste der Aufsichtsrat noch am selben Tag den Beschluss, die Bestellung des Klägers zum Vorstand der Beklagten zu widerrufen und seinen Dienstvertrag zu kündigen.

Dagegen wehrte sich der Kläger. Er machte geltend, dass nicht er für die benannten Unregelmäßigkeiten verantwortlich sei. Deshalb sei der Vertrauensentzug unsachlich und willkürlich, und deshalb sei auch die darauf beruhende Abberufung nicht wirksam. In der Beweisaufnahme ließen sich die gegen das Vorstandsmitglied erhobenen Vorwürfe tatsächlich nicht erhärten, so dass das Landgericht München I und anschließend das Oberlandesgericht München dem Kläger Recht gaben. Der Bundesgerichtshof hob die Entscheidung des OLG München allerdings auf und verwies zur erneuten Entscheidung zurück.

Urteil des BGH v. 15.11.2016 – Az. II ZR 217/15: Vertrauensentzug durch Hauptversammlung als wichtiger Grund

Der BGH verwies darauf, dass das Aktienrecht dem Aufsichtsrat zwar nur unter eingeschränkten Voraussetzungen erlaube, die Bestellung eines Vorstandsmitglieds vorzeitig zu widerrufen, nämlich insbesondere dann, wenn hierfür ein wichtiger Grund vorliege. Ein solcher wichtiger Grund liege aber stets dann vor, wenn die Hauptversammlung dem Vorstand das Vertrauen entzogen habe. Dieser Vertrauensentzug unterliege seinerseits nicht denselben strengen Anforderungen wie der Aufsichtsratsbeschluss und setze insbesondere weder eine Pflichtwidrigkeit noch einen wichtigen Grund voraus, sondern dürfe nur nicht auf offenbar unsachlichen Gründen beruhen. Offenbar unsachlich sei aber nur ein willkürlicher, haltloser oder wegen des damit verfolgten Zwecks sittenwidriger, treuwidriger oder sonst rechtswidriger Entzug des Vertrauens. Der nur möglicherweise oder erst nach längerer Prüfung als ungerechtfertigt erscheinende Vertrauensentzug sei nicht gemeint, sondern nur ein Vertrauensentzug, dessen Unsachlichkeit bei Beschlussfassung auf der Hand liege. Wenn die Hauptversammlung innerhalb dieser Grenzen zu der Auffassung gelange, ein Vorstandsmitglied sei wegen bestimmter Vorgänge nicht mehr tragbar, sei der Aufsichtsrat berechtigt, dessen Bestellung zu widerrufen und zwar auch dann wenn dem Vorstandsmitglied subjektiv kein Vorwurf zu machen war oder es sogar objektiv im Recht gewesen sein sollte.

Anmerkung

Es ist zu begrüßen, dass der BGH den weiten Beurteilungsspielraum, den der Gesetzgeber den Aktionären beim Vertrauensentzug einräumt, nicht beschneidet, indem nachträglich jeder Beschluss inhaltlich überprüft wird. Nicht umsonst spricht das Gesetz schließlich abstrakt vom "Vertrauen" der Aktionäre. Als Kontrollinstanz des Aktionärswillens hat der Gesetzgeber nicht die Gerichte, sondern den Aufsichtsrat vorgesehen. Ihm obliegt es, den Aktionärswillen zum Wohle der Gesellschaft zu mediatisieren und zu entscheiden, ob er den Vertrauensentzug zum Anlass nimmt, den Vorstand abzuberufen oder nicht. Eine Abberufung ist nur dann unzulässig, wenn der Hauptversammlungsbeschluss offensichtlich willkürlich, haltlos oder wegen des damit verfolgten Zwecks sittenwidrig, treuwidrig oder sonst rechtswidrig ist. Dies liegt auch im Interesse des Vorstands. Denn für eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Einzelheiten umstrittener Vorgänge ist die Hauptversammlung regelmäßig der falsche Ort.

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