Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerruf der Zulassung zum Rechtsanwalt

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Im Hinblick auf die Pfändung des Finanzamts wegen Steuerrückständen kann der Kläger in Anbetracht der Tatbestandswirkung des der Pfändung zugrundeliegenden Vollstreckungstitels mit dem von ihm vorgebrachten Einwand, es handele sich um Schätzbescheide mit zu hoch angesetzten Steuerrückständen, nicht gehört werden.

2. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls ist allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens, also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids oder – wenn das nach neuem Recht grundsätzlich vorgeschriebene Vorverfahren entbehrlich ist – auf den Ausspruch der Widerrufsverfügung abzustellen; die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen ist einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten.

 

Normenkette

BRAO § 14 Abs. 2 Nr. 7; AO § 249 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AGH Berlin (Urteil vom 27.10.2021; Aktenzeichen II AGH 3/20)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das am 27. Oktober 2021 verkündete Urteil des II. Senats des Anwaltsgerichtshofs Berlin wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Rz. 1

Der Kläger ist seit dem 19. Februar 2009 zur Rechtsanwaltschaft in B. zugelassen. Mit Bescheid vom 11. März 2020 widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO). Die Klage gegen den Widerrufsbescheid hat der Anwaltsgerichtshof abgewiesen. Der Kläger beantragt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.

 

Entscheidungsgründe

II.

Rz. 2

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO ist nicht gegeben (vgl. § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Insbesondere bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird. Zweifel an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen füllen den Zulassungsgrund dann nicht aus, wenn sie nicht die Richtigkeit des Ergebnisses erfassen (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 2. Oktober 2019 – AnwZ (Brfg) 44/19, juris Rn. 3 mwN). Daran fehlt es.

Rz. 3

1. Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls ist nach der Rechtsprechung des Senats allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens, also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids oder – wenn das nach neuem Recht grundsätzlich vorgeschriebene Vorverfahren entbehrlich ist – auf den Ausspruch der Widerrufsverfügung abzustellen; die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen ist einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 29. Juni 2011 – AnwZ (Brfg) 11/10, BGHZ 190, 187 Rn. 9 ff.; vom 10. März 2014 – AnwZ (Brfg) 77/13, juris Rn. 3 mwN und vom 12. Dezember 2018 – AnwZ (Brfg) 60/17, juris Rn. 4).

Rz. 4

2. Der Kläger hat sich zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheides vom 11. März 2020 in Vermögensverfall befunden.

Rz. 5

a) Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 21. April 2016 – AnwZ (Brfg) 1/16, juris Rn. 6 und vom 15. Dezember 2017 – AnwZ (Brfg) 11/17, juris Rn. 4; jeweils mwN).

Rz. 6

aa) Ein Vermögensverfall wird vermutet, wenn der Rechtsanwalt in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 882b ZPO) eingetragen ist (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbsatz 2 BRAO). Ein Rechtsanwalt, der in diesem Verzeichnis eingetragen ist, muss zur Widerlegung der Vermutung des Vermögensverfalls ein vollständiges und detailliertes Verzeichnis seiner Gläubiger und Verbindlichkeiten vorlegen und konkret darlegen sowie belegen, dass seine Vermögens- und Einkommensverhältnisse nachhaltig geordnet sind (vgl. Senatsbeschlüsse vom 30. Januar 2017 – AnwZ (Brfg) 61/16, juris Rn. 4; vom 7. Dezember 2018 – AnwZ (Brfg) 55/18, juris Rn. 8 und vom 17. November 2020 – AnwZ (Brfg) 20/20, juris Rn. 32, 34 ff.; jeweils mwN).

Rz. 7

bb) Beweisanzeichen für den Vermögensverfall des Rechtsanwalts sind offene Forderungen, Titel und Vollstreckungsmaßnahmen (vgl. etwa Senat, Beschlüsse vom 29. April 2019 – AnwZ (Brfg) 21/19, juris Rn. 5 und vom 16. Oktober 2019 – AnwZ (Brfg) 46/19, juris Rn. 5; jeweils mwN). Ein Rechtsanwalt, bei dem Beweisanzeichen für den Vermögensverfall wie offene Forderungen und Titel vorliegen, kann diese Schlussfolgerung nur dadurch entkräften, dass er umfassend darlegt, wie er die Forderungen zurückführen oder anderweitig regulieren wollte (vgl. Senat, Beschlüsse vom 29. April 2019 aaO Rn. 6 und vom 16. Oktober 2019 aaO Rn. 7; jeweils mwN).

Rz. 8

b) Der Anwaltsgerichtshof hat den Vermögensverfall des Klägers aus der gesetzlichen Vermutung des Vermögensverfalls gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO hergeleitet, da der Kläger mehrfach im Schuldnerverzeichnis eingetragen sei. Zudem hätten zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheides gegen den Kläger erhebliche, fällige, titulierte und in der Vollstreckung befindliche Forderungen bestanden.

Rz. 9

c) Zwar wird, soweit der Anwaltsgerichtshof eine mehrfache Eintragung des Klägers in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 882b ZPO) als Grundlage der gesetzlichen Vermutung des Vermögensverfalls feststellt, nicht deutlich, welche Eintragungen in dem Schuldnerverzeichnis betroffen sind. Indes liegen mit den vom Anwaltsgerichtshof angeführten Vollstreckungstiteln Beweisanzeichen im Sinne der vorgenannten Senatsrechtsprechung für den Vermögensverfall des Klägers vor.

Rz. 10

Soweit der Kläger insofern in Bezug auf das Urteil des Landgerichts B. vom 25. September 2019 (), durch das er zur Zahlung von 200.000 EUR an die klagende Darlehensgeberin verurteilt worden ist, anführt, das Urteil sei sachlich unrichtig, er werde dem Titel gemäß § 826 BGB wegen Urteilsmissbrauchs entgegentreten, weil das Vorgehen der Titelgläubigerin sittenwidrig sei, kann er damit im Widerrufsverfahren nicht gehört werden. Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung von einer Tatbestandswirkung der Titel und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen aus. Im Widerrufsverfahren nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO werden Titel und Vollstreckungsmaßnahmen nicht auf ihre inhaltliche und verfahrensrechtliche Richtigkeit überprüft. Dies gilt auch für noch nicht rechtskräftige Urteile als Vollstreckungstitel. Fehler sind in den jeweils vorgesehenen Verfahren geltend zu machen, nicht im Widerrufsverfahren (vgl. Senat, Beschlüsse vom 5. September 2016 – AnwZ (Brfg) 39/15, juris Rn. 16; vom 29. Mai 2018 – AnwZ (Brfg) 71/17, juris Rn. 5; vom 18. Februar 2019 – AnwZ (Brfg) 65/17, juris Rn. 8; vom 29. März 2019 – AnwZ (Brfg) 24/18, juris Rn. 8 und vom 10. September 2020 – AnwZ (Brfg) 21/20, juris Rn. 16; jeweils mwN).

Rz. 11

Eine Tatbestandswirkung im vorgenannten Sinne kommt auch dem Versäumnisurteil des Landgerichts B. vom 31. Januar 2019 () zu, durch das der Kläger zur Zahlung von 40.580,93 EUR verurteilt worden ist.

Rz. 12

Im Hinblick auf die Pfändung des Finanzamts P. wegen Steuerrückständen i.H.v. 50.128,67 EUR kann der Kläger in Anbetracht der Tatbestandswirkung des der Pfändung zugrundeliegenden Vollstreckungstitels mit dem von ihm vorgebrachten Einwand, es handele sich um Schätzbescheide mit zu hoch angesetzten Steuerrückständen, ebenfalls nicht gehört werden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 2. Januar 2020 – AnwZ (Brfg) 63/19, juris Rn. 7 f. und vom 10. September 2020 – AnwZ (Brfg) 21/20, juris Rn. 16; jeweils mwN).

Rz. 13

Soweit der Kläger in Bezug auf den Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts U. zugunsten der H. GmbH & Co. KG anführt, bezüglich dieser Forderung habe es im Widerrufszeitpunkt eine Tilgungsvereinbarung gegeben, hat er – wie indes erforderlich – eine solche Vereinbarung weder konkret dargelegt noch belegt. Im Übrigen kommt es hierauf angesichts der vorstehenden Vollstreckungstitel und -maßnahmen auch nicht an.

Rz. 14

Ob eine Tatbestandswirkung im vorgenannten Sinne auch dem in dem Verzeichnis gemäß § 882b ZPO eingetragenen Vorbehaltsurteil des Landgerichts B. vom 24. Oktober 2017 () zukommt, hinsichtlich dessen nach den Angaben des Klägers noch ein Nachverfahren im Sinne von § 600 ZPO anhängig ist, kann ebenfalls dahinstehen. Denn bereits die vorstehenden Forderungen und Vollstreckungstitel sowie -maßnahmen sind deutliche und hinreichende Beweisanzeichen für einen Vermögensverfall des Klägers.

Rz. 15

Diese Beweisanzeichen hat der Kläger nicht entkräftet. Insbesondere hat er nicht umfassend dargelegt, wie er sämtliche vorgenannten Forderungen zurückführen oder anderweitig regulieren wollte.

III.

Rz. 16

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.

 

Unterschriften

Limperg, Remmert, Liebert, Schäfer, Lauer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15286984

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