Entscheidungsstichwort (Thema)

Kostenerstattungsanspruch obsiegender Streitgenossen. Vertretung durch gemeinschaftlichen Rechtsanwalt. Erstattung eines der wertmäßigen Beteiligung entsprechenden Bruchteils. Anrechnung des Ausgleichsanspruchs

 

Leitsatz (amtlich)

Waren Streitgenossen in einem Prozess, in welchem ein Streitgenosse obsiegt hat und ein anderer unterlegen ist, durch einen gemeinschaftlichen Anwalt vertreten, so kann der obsiegende Streitgenosse grundsätzlich nur den seiner Beteiligung am Rechtsstreit entsprechenden Bruchteil der Anwaltskosten von dem Prozessgegner erstattet verlangen (Aufgabe von BGH, Beschl. v. 12.2.1954 - I ZR 106/51, JurBüro 1969, 941).

 

Normenkette

ZPO § 91 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

OLG Hamburg (Entscheidung vom 12.08.2002)

LG Hamburg

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 8. Zivilsenates des OLG Hamburg v. 12.8.2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das OLG zurückverwiesen.

Der Beschwerdewert wird auf 1.000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.

Der Kläger hat die Beklagte zu 2) gemeinsam mit einem anderen Beklagten auf Zahlung in Anspruch genommen. Beide Beklagte waren im Prozess durch denselben Anwalt vertreten. Gegenüber dem Beklagten zu 1) hat der Kläger obsiegt, die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Klage ist abgewiesen worden. Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Beklagten hat das LG entschieden, dass der Beklagte zu 1) diese selbst zu tragen hat, während die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) dem Kläger auferlegt wurden.

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss v. 2.7.2002 hat das LG antragsgemäß die der Beklagten zu 2) entstandenen und vom Kläger zu erstattenden anwaltlichen Gebühren mit jeweils 10/10 festgesetzt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das OLG mit Beschl. v. 12.8.2002 zurückgewiesen. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Kläger sein Ziel weiter, dass die Kosten lediglich in Höhe des auf die Beklagte zu 2 entfallenden Bruchteils der Kosten des gemeinsamen Anwalts der Beklagten festgesetzt werden.

II.

Das Beschwerdegericht hat im Wesentlichen ausgeführt: Dem Kläger stehe keine Teilhabe an dem Kostenvorteil zu, der sich daraus ergebe, dass die beiden Beklagten sich durch einen gemeinschaftlichen Rechtsanwalt hätten vertreten lassen. Da es den Beklagten freigestanden hätte, sich jeweils einzeln vertreten zu lassen, sei nicht einzusehen, weshalb der Verzicht hierauf sich zugunsten des Klägers auswirken solle. Vor allem aber schulde die Beklagte als Gesamtschuldnerin ihrem Prozessbevollmächtigten Vergütung in der angemeldeten Höhe. Die unter Umständen gegebene Möglichkeit eines internen Regresses gegen ihren Streitgenossen ändere daran nichts. Die Klärung der Frage, ob ein solcher Regress im Einzelfall rechtlich möglich und tatsächlich durchsetzbar sei, überfordere die beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Kostenfestsetzungsverfahrens bei weitem.

1. Die Erwägungen des OLG halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Beklagten zu 2) steht nur ein Anspruch auf Erstattung eines ihrer wertmäßigen Beteiligung entsprechenden Bruchteils an den Kosten des gemeinschaftlichen Anwalts zu.

2. Die Frage, ob der obsiegende Streitgenosse unabhängig von der Haftung im Innenverhältnis gegen den Gegner die vollen Kosten, die durch die Beauftragung eines gemeinsamen Anwalts entstanden sind und für die er dem Anwalt als Gesamtschuldner haftet, festsetzen lassen kann, oder ob ihm ein Erstattungsanspruch nur in Höhe seiner wertmäßigen Beteiligung an dem Rechtsstreit zusteht, ist allerdings seit langem umstritten.

a) Nach einer Ansicht sind einer Partei die Anwaltskosten "erwachsen" i. S. d. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO bereits mit dem Tätigwerden des Anwalts im Rechtsstreit und nicht erst damit, dass die Partei ihrem Prozessbevollmächtigten die entsprechende Gebührenschuld tatsächlich gezahlt hat. Das gelte für jeden einzelnen Streitgenossen. Dem Kostenschuldner seien Einwendungen aus der materiellrechtlichen Beziehung zwischen dem Kostengläubiger und seinem Prozessbevollmächtigten wie Erlass oder anderweitige Erfüllung der Schuld abgeschnitten. Das weitere "rechtliche Schicksal" dieser Gebührenschuld könne im Festsetzungsverfahren nicht erörtert werden (so BGH, Beschl. v. 12.2.1954 - I ZR 106/51, JurBüro 1969, 941 mit abl. Anm. Schneider).

Diese Ansicht wird - teilweise gestützt auf weitere, vom Hanseatischen OLG Hamburg in dem angefochtenen Beschluss wiedergegebene Argumente - von verschiedenen Obergerichten vertreten (z. B. OLG Bamberg JurBüro 1988, 1182; JurBüro 1988, 1689, JurBüro 1994, 476; OLG Hamm v. 4.3.1993 - 23 W 53/93, 23 W 54/93, MDR 1994, 102 = OLGReport Hamm 1993, 300; OLG Oldenburg JurBüro 1988, 484).

b) Die in der Rechtsprechung überwiegende und in der Kommentarliteratur einhellig vertretene Gegenmeinung billigt dem obsiegenden Streitgenossen grundsätzlich nur einen Anspruch auf Erstattung eines seiner wertmäßigen Beteiligung entsprechenden Bruchteils an den Kosten des gemeinsamen Anwalts zu. Sie geht von der Kostengrundentscheidung nach der von der Rechtsprechung übernommenen Baumbach'schen Formel aus, die nicht dadurch unterlaufen werden dürfe, dass der obsiegende Streitgenosse die vollen Kosten des gemeinsamen Anwalts vom Gegner liquidiere. Der Begriff der "erwachsenen Kosten" müsse im Zusammenhang mit der Einschränkung auf die Notwendigkeit der erstattungsfähigen Kosten einer Partei in § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO gesehen werden; notwendig in diesem Sinne seien aber nur die Kosten, mit denen der Streitgenosse auf Dauer in seinem Vermögen belastet werde. Überdies führe die Gegenmeinung zu dem unbilligen Ergebnis, dass der Prozessgegner entgegen der Kostengrundentscheidung die vollen Anwaltskosten der Streitgenossen tragen müsse und der ihm gegenüber unterlegene Streitgenosse keinen Anteil an diesen Kosten zu übernehmen brauche (so insbesondere OLG Stuttgart JurBüro 1990, 625; OLG Karlsruhe JurBüro 1992, 546; OLG Düsseldorf JurBüro 1993, 355 mit zust. Anm. Mümmler; OLG München v. 30.4.1993 - 11 W 1044/93, MDR 1993, 804 = OLGReport München 1993, 169; v. 17.9.1993 - 11 W 2027/93, MDR 1994, 215 = OLGReport München 1994, 48; OLG Oldenburg v. 1.9.1993 - 3 W 2/93, MDR 1994, 416; OLG Karlsruhe - ZS Freiburg, v. 11.1.1994 - 13 W 225/93, Rpfleger 1994, 316; OLG Dresden v. 16.6.1998 - 15 W 708/98, OLGReport Dresden 1999, 315 = NJW-RR 1999, 293; Belz in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 91 Rz. 90; Zöller/Herget, ZPO, 23. Aufl., § 91 Rz. 13, Stichwort "Streitgenossen" unter 3).

3. Der Senat schließt sich der letztgenannten Meinung an; er hält sie sowohl in der Begründung als auch im Ergebnis für zutreffend. An dieser Entscheidung ist der Senat nicht durch den Beschluss des I. Zivilsenates des BGH v. 12.2.1954 (BGH, Beschl. v. 12.2.1954 - I ZR 106/51, JurBüro 1969, 941) gehindert, weil der I. Senat auf Anfrage erklärt hat, dass er an seiner Rechtsauffassung nicht mehr festhält (§ 132 Abs. 3 S. 1 GVG).

a) Der Wortlaut des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO steht dem nicht entgegen. Insbesondere der Begriff der "erwachsenen Kosten" ist mehrdeutig und lässt sich zwanglos im Sinne einer dauerhaften Vermögensbelastung verstehen. Eine solche liegt aber erst und nur dann vor, wenn feststeht, dass die Partei diese Kosten tatsächlich bezahlen muss oder dass sie, wenn sie über ihren Anteil hinaus gezahlt hat, von ihrem (oder ihren) Streitgenossen den ihr an sich zustehenden Ausgleich nicht erhalten kann. Vor allem aber darf der Begriff nicht isoliert, sondern nur im Gesamtzusammenhang einschließlich von Sinn und Zweck der Vorschrift ausgelegt werden. Danach sind zu ersetzen nur die Kosten, die einer Partei erwachsen sind und zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Soweit es um die Kosten für einen gemeinsamen Anwalt geht, folgt daraus, dass eine Leistung, die im Innenverhältnis zwischen den Streitgenossen "freiwillig", d. h. ohne rechtliche Verpflichtung erfolgt, im Verhältnis zum Prozessgegner nicht als notwendig anzuerkennen ist.

Dem kann auch nicht, wie das OLG meint, entgegengehalten werden, die Streitgenossen hätten sich von vornherein jeweils einen eigenen Anwalt nehmen können. Das Kostenrecht, insbesondere in den §§ 91, 92 und 100 ZPO, ist geprägt von dem Grundsatz, dass eine obsiegende Partei nicht mit Kosten belastet werden soll und dass die unterliegende Partei die entstandenen Kosten zu tragen hat. Die Bereicherung einer Partei auf Kosten des Gegners lässt das Kostenrecht nicht zu; auch sonst kann eine Partei nicht Kosten ersetzt verlangen, die ihr nicht entstanden sind, deren Erstattung sie aber, wären sie tatsächlich angefallen, ohne weiteres hätte fordern können.

Ebenso unbegründet ist schließlich der Einwand, materiell-rechtliche Erwägungen seien dem Kostenfestsetzungsverfahren fremd. Welche Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig i. S. d. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO sind, bestimmt sich häufig nach materiellem Recht. Warum das bei der Kostenfestsetzung in einer Fallgestaltung wie der vorliegenden nicht gelten soll, ist nicht ersichtlich. Im Übrigen beschränkt sich diese Prüfung bei der hier zu beantwortenden Fragestellung darauf, wie die materiellrechtliche Regelung des § 426 Abs. 1 S. 1 BGB auf die prozessuale Beteiligung der Streitgenossen zu übertragen ist.

b) Die vom Senat vertretene Meinung vermeidet überdies die unbilligen Ergebnisse, zu denen die Gegenansicht führen kann, wenn Streitgenossen, wie hier, als Gesamtschuldner verklagt werden und somit bei gleichartiger Beteiligung an dem Rechtsstreit - von der Erhöhung nach § 6 Abs. 1 S. 2 und 3 BRAGO abgesehen - auch ihrem Rechtsanwalt als Gesamtschuldner haften (§ 6 Abs. 2 S. 1 BRAGO). Könnte der obsiegende Streitgenosse, dessen notwendige Kosten der Kläger nach der Baumbach'schen Formel selbst bei einer vollständigen Verurteilung des weiteren Streitgenossen zu tragen hat, die vollen Anwaltskosten erstattet verlangen und damit zugleich die Verpflichtung des unterlegenen Streitgenossen gegenüber seinem Rechtsanwalt erfüllen, ginge dies zulasten des Klägers, obwohl der unterlegene Streitgenosse nach der Kostenentscheidung für seine eigenen außergerichtlichen Kosten aufkommen muss. Dieser Nachteil wird durch die Möglichkeit, dem Kläger einen Anspruch auf Abtretung des Ausgleichsanspruchs des obsiegenden gegen den unterlegenen Streitgenossen aus dem Innenverhältnis (§ 426 Abs. 1 BGB) zu gewähren, nicht ausgeglichen. Es wäre unbillig, den Kläger als außenstehenden Dritten auf einen Regressanspruch aus einem ihm fremden Rechtsverhältnis zu verweisen.

c) Voraussetzung für die Anrechnung des Ausgleichsanspruchs des obsiegenden Streitgenossen auf seinen Kostenerstattungsanspruch ist allerdings, dass der obsiegende Streitgenosse auf Dauer und vollständig von außergerichtlichen Kosten befreit bleibt. Dies wird im Allgemeinen durch den für den Regelfall gesetzlich vorgeschriebenen Ausgleich im Innenverhältnis der Gesamtschuldner erreicht (§ 426 Abs. 1 S. 1 BGB). Soweit dieser Ausgleich an der Zahlungsunfähigkeit des ausgleichspflichtigen Streitgenossen scheitert, hat jedoch auch nach der herrschenden Meinung der obsiegende Streitgenosse nicht nur in anteilmäßiger, sondern in voller Höhe einen Erstattungsanspruch gegen den Prozessgegner. Dazu braucht er lediglich glaubhaft zu machen, dass er im Innenverhältnis wegen der Zahlungsunfähigkeit seines Streitgenossen keinen Ausgleich zu erlangen vermag, was die Beklagte zu 2) jedoch nicht geltend macht. Eine unangemessene Belastung des Kostenfestsetzungsverfahrens ist damit nicht verbunden.

4. Nach alledem ist der angefochtene Beschluss aufzuheben, und die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das OLG zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 S. 1 ZPO).

 

Fundstellen

NJW 2003, 3419

BGHR 2003, 1047

NJW-RR 2003, 1217

JurBüro 2004, 197

ZAP 2003, 950

EzFamR aktuell 2003, 266

MDR 2003, 1140

Rpfleger 2003, 537

VersR 2004, 489

BRAGOreport 2003, 177

KammerForum 2003, 405

LMK 2003, 199

Mitt. 2003, 532

ProzRB 2003, 287

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