Entscheidungsstichwort (Thema)

Beginn der Rechtsmittelfrist bei Zustellung einer von der Urschrift abweichenden Urteilsausfertigung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach ständiger Rechtsprechung führen nur wesentliche Abweichungen zwischen Urschrift und Ausfertigung eines Urteils zur Unwirksamkeit der Zustellung.

2. Eine wesentliche Abweichung in diesem Sinn liegt nur dann vor, wenn die Mängel der Ausfertigung geeignet sind, die Entschließung des Zustellungsempfängers über die Einlegung eines Rechtsmittels zu beeinflussen, z. B. wenn der Umfang der Beschwer aus der Ausfertigung nicht ersichtlich ist.

 

Normenkette

ZPO § 574 Abs. 2

 

Verfahrensgang

KG Berlin (Beschluss vom 04.08.2005; Aktenzeichen 8 U 105/05)

LG Berlin (Urteil vom 21.04.2005; Aktenzeichen 12 O 168/05)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 8. Zivilsenat des KG in Berlin vom 4.8.2005 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.

Beschwerdewert: 50.000 EUR

 

Gründe

I.

[1] Mit Teilurteil vom 21.4.2005 hat das LG auf die Zwischenfeststellungswiderklage des Beklagten festgestellt, "dass die Klägerin verpflichtet ist, im Gesundheitszentrum K. S. einen OP-Bereich in Klinikstandard zu erstellen und dem Beklagten die Nutzungsmöglichkeit zu verschaffen sowie die Möglichkeit, seine Patienten nach der Operation für max. 72 Stunden dort stationär unterzubringen". In der dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 6.5.2005 zugestellten Ausfertigung des Teilurteils enthält der Tenor zwischen der Zahl 72 und dem Wort "Stunden" folgende Zeichen: "Select langbez, bezaz, raum, tel, kz, kamsort from Kammer where inaktiv = "O" order by kamsort". Ausweislich eines Vermerks in den Gerichtsakten wurde der Tenor in der vollstreckbaren Ausfertigung korrigiert und das Urteil den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 23.5.2005 zugestellt. Gegen das Teilurteil hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 23.6.2005, der am gleichen Tag bei dem KG eingegangen ist, Berufung eingelegt.

[2] Mit Beschluss vom 4.8.2005 hat das KG die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

[3] Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist jedoch unzulässig, weil es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt.

[4] 1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Zustellung einer von der Urschrift abweichenden Ausfertigung die Rechtsmittelfrist in Lauf setzt, ist höchstrichterlich geklärt.

[5] a) Nach ständiger Rechtsprechung führen nur wesentliche Abweichungen zwischen Urschrift und Ausfertigung zur Unwirksamkeit der Zustellung (Senatsbeschluss v. 24.1.2001 - XII ZB 75/00, MDR 2001, 646 = BGHReport 2001, 399 = NJW 2001, 1653, 1654 m.w.N.). Als wesentliche Abweichung ist es nur anzusehen, wenn die Mängel der Ausfertigung geeignet sind, die Entschließung des Zustellungsempfängers über die Einlegung eines Rechtsmittels zu beeinflussen. Davon ist insb. dann auszugehen, wenn dieser aus der Ausfertigung den Inhalt der Urschrift und den Umfang seiner Beschwer nicht erkennen kann (Senatsbeschluss v. 30.9.1981 - IVb ZB 805/81, VersR 1982, 70; BGH Beschlüsse v. 3.2.1987 - VI ZB 17/86 - BGHR ZPO § 170 Abs. 1 Urteilsausfertigung 1; v. 13.4.2000 - V ZB 48/99, NJW-RR 2000, 1665, 1666; Zöller/Vollkommer ZPO 26. Aufl., § 317 Rz. 6; Musielak ZPO 5. Aufl., § 317 Rz. 3, 10).

[6] b) Das ist hier nicht der Fall. Die den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 6.5.2005 zugestellte Ausfertigung gibt die Urschrift in Tenor, Tatbestand und Entscheidungsgründen vollständig wieder. Die im Tenor darüber hinaus zwischen der Zahl 72 und dem Wort "Stunden" eingefügten Zeichen, die im normalen Sprachgebrauch keinen Sinn ergeben und ersichtlich einen Computerbefehl wiedergeben, sind nicht geeignet, Zweifel an dem Umfang der Verurteilung aufkommen zu lassen.

[7] Wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, konnte die Klägerin der Entscheidung des LG zweifelsfrei entnehmen, dass der Zwischenfeststellungswiderklage des Beklagten, deren Inhalt sich aus dem im Tatbestand wiedergegebenen Antrag ergibt, in vollem Umfang stattgegeben worden war.

[8] 2. Aus diesem Grund ist auch keine Entscheidung des Beschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt den Anspruch der Klägerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes nicht dadurch, dass ihr der Zugang zu dem von der Zivilprozessordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer Weise erschwert wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1712162

FamRZ 2007, 372

CR 2007, 287

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