Entscheidungsstichwort (Thema)

Sofortige Beschwerde gegen Kostenentscheidung. Kostenverteilung. Höherer Streitwert der Hauptsache gegenüber Berufungssumme. Voraussichtliches Unterliegen einer Partei

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der Prüfung der Frage, ob der Streitwert der Hauptsache die Berufungssumme übersteigt, ist grundsätzlich auf das voraussichtliche Unterliegen einer Partei abzustellen, von dem das Gericht bei seinem Kostenausspruch ausgegangen ist.

 

Normenkette

ZPO § 91a Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Charlottenburg

LG Berlin

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss der Zivilkammer 61 des LG Berlin v. 17.3.2003 aufgehoben.

Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen die Kostenentscheidung des Urteils des AG Charlottenburg, Zivilprozessabteilung 202, v. 28.8.2002 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger hat die Kosten beider Beschwerdeverfahren zu tragen.

 

Gründe

I.

Mit seiner Klage hatte der Kläger vom Beklagten u. a. die Rückzahlung einer Mietsicherheit i. H. v. 1.203,89 DM (615,54 Euro) verlangt. Die Erstattung dieser Kaution hatte der Beklagte wegen zu erwartender Nebenkostennachzahlungen abgelehnt. Nachdem der Beklagte die betreffenden Nebenkostenabrechnungen erstellt, mit der Nachforderung i. H. v. 562,78 DM (287,84 Euro) gegen den Rückzahlungsanspruch des Klägers aufgerechnet und den Restbetrag von 641,11 DM (327,79 Euro) dem Kläger überwiesen hatte, haben die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich der Mietsicherheit - von dem Zinsanspruch abgesehen - in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt. In dem Urt. v. 28.8.2002 hat das AG der Klage hinsichtlich der Zinsforderung stattgegeben und sie im Übrigen - bezüglich der zurückgeforderten halben Monatsmiete für den Monat Oktober 2000 - als unbegründet abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits hat es gem. §§ 92 Abs. 1, 91a ZPO zu 54 % dem Kläger und zu 46 % dem Beklagten auferlegt. Dabei hat es im Rahmen der nach § 91a ZPO getroffenen Ermessensentscheidung die Kosten entsprechend den voraussichtlich zu- bzw. abzuerkennenden Teilbeträgen von 562,78 DM und 641,11 DM geteilt.

Gegen die Kostenentscheidung nach § 91a ZPO hat der Kläger sofortige Beschwerde eingelegt. Auf dieses Rechtsmittel hat das LG die Kostenentscheidung des amtsgerichtlichen Urteils dahin abgeändert, dass der Kläger 1/9 und der Beklagte 8/9 des Rechtsstreits zu tragen haben. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom LG zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit der er die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung erstrebt.

II.

1. Zur Begründung hat das LG im Wesentlichen ausgeführt: Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen die Kostenmischentscheidung des AG sei statthaft und auch im Übrigen zulässig. Soweit es für die Statthaftigkeit nach § 91a Abs. 2 S. 2 ZPO auf den Streitwert ankomme, sei der Wert der für erledigt erklärten Hauptsache insgesamt und nicht lediglich des Teils maßgebend, hinsichtlich dessen das AG die Klage für unbegründet gehalten und dementsprechend die Kosten dem Kläger auferlegt habe. Die Beschwer dürfe nämlich nicht konkret nach dem der Kostenentscheidung entsprechenden (hypothetischen) Erfolg oder Misserfolg der Klage, sondern nur abstrakt für den Fall des vollständigen Unterliegens des Klägers ermittelt werden. Ob die Hauptsacheentscheidung ohne die Erledigungserklärung zu einer berufungsfähigen Beschwer geführt hätte, sei nicht in jedem Fall mit Sicherheit festzustellen. Vielmehr könnten bei der nach § 91a ZPO zu treffenden Billigkeitsentscheidung auch andere Gesichtspunkte als die unter Umständen unsicheren Erfolgsaussichten der Hauptsache eine Rolle spielen, etwa die Klageveranlassung oder der ungewisse Ausgang einer nicht mehr durchzuführenden Beweisaufnahme. Die sofortige Beschwerde sei begründet, weil - wie das LG im Einzelnen ausgeführt hat - die Kosten des für erledigt erklärten Teils des Rechtsstreits gem. § 91a ZPO insgesamt dem Beklagten aufzuerlegen seien.

2. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und zulässig (§§ 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, 575 ZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg; die Erwägungen des LG zur Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Gemäß § 91a Abs. 2 S. 2 ZPO findet gegen die nach Abs. 1 getroffene Kostenentscheidung die sofortige Beschwerde nur statt, wenn der Streitwert der Hauptsache die Berufungssumme des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO von 600 Euro übersteigt. Mit dieser - durch das Zivilprozessreformgesetz v. 27.7.2001 (BGBl. I, S. 1887) eingefügten - Vorschrift hat der Gesetzgeber den von der Rechtsprechung schon früher vertretenen Grundsatz, dass der Instanzenzug für die Anfechtung einer Nebenentscheidung nicht weiter gehen kann als derjenige in der Hauptsache, ausdrücklich im Gesetz verankert (BT-Drucks. 14/4722, 74; vgl. auch Musielak/Wolst, ZPO, 3. Aufl., § 91a Rz. 25; Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 91a Rz. 27). Dies gilt entsprechend für Fälle der so genannten Kostenmischentscheidung, in denen die Parteien den Rechtsstreit nur zum Teil in der Hauptsache für erledigt erklärt haben und über die Kosten deshalb lediglich hinsichtlich des für erledigt erklärten Teils nach § 91a ZPO, im Übrigen nach den allgemeinen Bestimmungen, insbesondere also den §§ 91, 92 ZPO, zu entscheiden ist. Mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar ist dann nur der Teil der Kostenentscheidung, der auf § 91a ZPO beruht (BGHZ 40, 265); im Übrigen gilt das Verbot der isolierten Kostenanfechtung des § 99 Abs. 1 ZPO (Musielak/Wolst, ZPO, 3. Aufl., § 91a Rz. 53; Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 91a Rz. 55).

b) Diese Grundsätze hat das LG nicht verkannt. Rechtsfehlerhaft ist aber seine Annahme, für den "Streitwert der Hauptsache" i. S. d. § 91a Abs. 2 S. 2 ZPO komme es nicht auf den konkreten hypothetischen Erfolg oder Misserfolg der Klage an, den das Gericht bei der Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes seiner Kostenentscheidung nach § 91a ZPO zugrunde gelegt habe; maßgeblich sei wegen der Besonderheiten jener Kostenentscheidung vielmehr der Streitwert des gesamten für erledigt erklärten Teils der Hauptsache. Jedenfalls dann, wenn das Gericht - wie hier - seine Kostenentscheidung an dem voraussichtlichen Obsiegen oder Unterliegen der Parteien ausrichtet und danach die Kosten verteilt, ist dies für die Bemessung des Beschwerdewerts maßgebend. Nur eine solche Verknüpfung der Anfechtbarkeit des Kostenausspruches mit dem hypothetischen Unterliegen einer Partei wird dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 91a Abs. 2 S. 2 ZPO gerecht. Die vom LG vertretene Auffassung hätte zur Folge, dass selbst dann, wenn aufgrund der Erwägungen des Gerichts die Unzulässigkeit einer (hypothetischen) Berufung wegen Nichterreichens der Berufungssumme (§ 511 ZPO) mit hoher Wahrscheinlichkeit feststünde, die sofortige Beschwerde gegen die nach § 91a ZPO getroffene Kostenentscheidung statthaft wäre. Dieses Ergebnis wäre mit dem gesetzgeberischen Ziel des Gleichlaufs der beiden Rechtsmittelzüge, das der Einfügung der Bestimmung des § 91a Abs. 2 S. 2 ZPO zugrunde liegt, nicht zu vereinbaren.

c) Grundsätzlich ist daher bei der Prüfung der Frage, ob der Streitwert der Hauptsache die Berufungssumme übersteigt, auf das voraussichtliche Unterliegen einer Partei abzustellen, von dem das Gericht bei seinem Kostenausspruch ausgegangen ist und das deshalb die Höhe der hypothetischen Beschwer in der Hauptsache und damit die Obergrenze für den Wert des Beschwerdegegenstandes i. S. d. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO bestimmt. Nur dadurch ist sichergestellt, dass der Instanzenzug für die Anfechtung der Kostenentscheidung mit demjenigen für die (hypothetische) Anfechtung der Hauptsache übereinstimmt. Ob ausnahmsweise Fallgestaltungen denkbar sind, in denen die bei der Kostenentscheidung nach § 91a Abs. 1 ZPO vom Gericht angestellten Billigkeitserwägungen so sehr im Vordergrund stehen, dass die Kostenverteilung zwischen den Parteien keinen Anhaltspunkt für ihre hypothetische Beschwer aus einem Urteil darstellt und damit auch für den Beschwerdewert des § 91a Abs. 2 S. 2 ZPO nicht maßgebend sein kann, wie das LG meint, bedarf hier keiner Entscheidung. Die Ausführungen des AG zum voraussichtlichen Teil-Obsiegen und teilweisen Unterliegen des Klägers boten im vorliegenden Fall in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht eine sichere Grundlage sowohl für die genaue Kostenverteilung als auch für die Feststellung der (hypothetischen) Beschwer des Klägers in der Hauptsache. Eine von der Kostenquote abweichende Bemessung dieser Beschwer war unter den gegebenen Umständen nicht gerechtfertigt.

3. Nach den Erwägungen des AG wäre der Kläger, soweit es um den übereinstimmend für erledigt erklärten Teil des Rechtsstreits geht, voraussichtlich mit einem Teilbetrag von 562,78 DM (287,74 Euro) unterlegen. Da die Berufungssumme des § 511 ZPO mithin nicht überschritten war, war die sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung unstatthaft (§ 91a Abs. 2 S. 2 ZPO). Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten ist der angefochtene Beschluss des LG daher aufzuheben, und die Beschwerde des Klägers gegen die in dem Urteil des AG Charlottenburg v. 28.8.2002 enthaltene Kostenentscheidung ist als unzulässig zu verwerfen (§ 577 Abs. 4 und 5 ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 972513

BB 2003, 2093

BGHR 2003, 1228

FamRZ 2003, 1650

NJW-RR 2003, 1504

JurBüro 2003, 603

NZM 2003, 798

MDR 2004, 45

WuM 2003, 576

AGS 2003, 437

MietRB 2003, 66

PA 2003, 154

RVGreport 2004, 78

KammerForum 2004, 58

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