Entscheidungsstichwort (Thema)

Isolierte Kostenentscheidungen in Ehe- und Familienstreitsachen. Streitlose Hauptsacheregelung. Sofortige Beschwerde. Vergleich ohne Kostenregelung. Kostenaufhebung. Billiges Ermessen

 

Leitsatz (amtlich)

a) Isolierte Kostenentscheidungen in Ehe- und Familienstreitsachen, die nach streitloser Hauptsacheregelung erfolgen, sind mit der sofortigen Beschwerde nach den §§ 567 ff. ZPO anfechtbar.

b) Schließen die Beteiligten in einer Unterhaltssache einen Vergleich ohne Kostenregelung, ist die gesetzliche Wertung des § 98 ZPO (Kostenaufhebung) bei der gem. § 243 FamFG nach billigem Ermessen zu treffenden Kostenentscheidung neben den weiteren, in § 243 Satz 2 FamFG als Regelbeispiele aufgeführten Gesichtspunkten zu berücksichtigen.

 

Normenkette

FamFG §§ 38, 58 ff., § 80 ff., § 113 Abs. 1, § 243; ZPO §§ 91a, 99, 567 ff., § 574

 

Verfahrensgang

OLG Karlsruhe in Freiburg (Beschluss vom 06.12.2010; Aktenzeichen 5 WF 209/10)

AG Emmendingen (Entscheidung vom 12.08.2010; Aktenzeichen 3 F 127/10)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des 5. Familiensenats in Freiburg des OLG Karlsruhe vom 6.12.2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: bis 1.200 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe sie die Verfahrenskosten nach Abschluss eines Unterhaltsvergleichs jeweils zu tragen haben.

Rz. 2

Der im Jahr 2000 geborene Antragsteller hat von seinem Vater, dem Antragsgegner, Kindesunterhalt für die Zeit ab Juni 2010 i.H.v. monatlich 549 EUR sowie rückständigen Unterhalt begehrt. Vor dem FamG haben sich die Beteiligten dahin verglichen, dass der Antragsgegner dem Antragsteller ab Juni 2010 einen laufenden monatlichen Unterhalt von 497 EUR sowie rückständigen Unterhalt zu leisten habe. Der Vergleich enthält weder eine Erledigungserklärung hinsichtlich des Rechtsstreits noch eine Vereinbarung zur Kostentragung.

Rz. 3

Das AG hat dem Antragsgegner 4/5 und dem Antragsteller 1/5 der Verfahrenskosten auferlegt. Dabei hat es seinen Beschluss im Wesentlichen auf das Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens der Beteiligten gestützt.

Rz. 4

Auf die Beschwerde des Antragsgegners hat das OLG, dessen Entscheidung in FamRZ 2011, 749 veröffentlicht ist, die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben.

Rz. 5

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

Rz. 6

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

Rz. 7

1. Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft.

Rz. 8

Der Senat teilt die Auffassung des Beschwerdegerichts, wonach im vorliegenden Fall die sofortige Beschwerde gem. § 567 ZPO statthaft ist. Demgemäß richtet sich die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 1 ZPO (BGHZ 184, 323 = FGPrax 2010, 154 Rz. 5).

Rz. 9

Allerdings ist es in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob die in Ehe- und Familienstreitsachen ergangenen isolierten Kostenentscheidungen mit der Beschwerde nach § 58 FamFG oder mit der sofortigen Beschwerde gem. § 567 ZPO anzufechten sind. Die Frage stellt sich immer dann, wenn sich die Hauptsache anderweitig, in der Regel - wie auch hier - streitlos erledigt hat.

Rz. 10

Von ihrer Beantwortung hängt nicht nur ab, nach welchen Normen sich das Verfahren der Rechtsbeschwerde richtet, sondern auch, welche Anforderungen an das Beschwerdeverfahren zu stellen sind (s. dazu auch Schürmann FuR 2010, 425, 429). Beachtliche Unterschiede bestehen namentlich hinsichtlich der erforderlichen Beschwer (§ 61 FamFG: über 600 EUR allerdings mit Zulassungsmöglichkeit; § 567 Abs. 2 ZPO über 200 EUR), der Beschwerdefrist (§ 63 Abs. 1 FamFG: binnen eines Monats; § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO: Notfrist von zwei Wochen), der Möglichkeit der Abhilfe (§ 68 Abs. 1 Satz 2 FamFG: nicht gegeben; § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO: Abhilfe möglich), der Besetzung des Beschwerdegerichts (§ 68 Abs. 4: grundsätzlich gesamter Spruchkörper; § 568 Abs. 1 Satz 1 ZPO: originärer Einzelrichter) sowie hinsichtlich des Erfordernisses einer Rechtsbehelfsbelehrung, die nur nach § 39 FamFG vorgesehen ist.

Rz. 11

a) Einerseits wird vertreten, dass Kostenentscheidungen, die in Ehe- und Familienstreitsachen erfolgen, mit der Beschwerde gem. § 58 Abs. 1 FamFG anzufechten seien. Dies wird u.a. damit begründet, dass eine isolierte Kostenentscheidung in solchen Verfahren eine Endentscheidung i.S.d. §§ 38 Abs. 1, 58 Abs. 1 FamFG darstelle. Durch § 113 Abs. 1 Satz 1 FamFG würden die Vorschriften zum Beschwerderecht (§§ 58 bis 69 FamFG) nicht verdrängt. Im Übrigen ersetze § 243 FamFG als lex specialis in Unterhaltssachen die Kostenbestimmungen der Zivilprozessordnung (OLG Oldenburg FamRZ 2010, 1831 f.; im Ergebnis ebenfalls für eine Anwendung von § 58 FamFG: OLG Bremen Beschl. v. 18.4.2011 - 4 WF 23/11 - juris Rz. 13 ff.; OLG Brandenburg NJW-RR 2010, 943; Keidel/Giers FamFG 16. Aufl., § 243 Rz. 11; Schürmann FuR 2010, 425, 428 f.; vgl. auch Rüntz/Viefhues FamRZ 2010, 1285, 1292).

Rz. 12

b) Demgegenüber spricht sich die wohl überwiegende Meinung für die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde gem. § 567 ZPO aus (OLG Bamberg FamRZ 2011, 1244 f.; KG NJW 2010, 3588; OLG Nürnberg FamRZ 2010, 1837, OLG Frankfurt FamRZ 2010, 1696 f.; Schulte-Bunert/Weinreich FamFG 2. Aufl., § 58 Rz. 14; Keidel/Meyer-Holz FamFG 16. Aufl., § 58 Rz. 97; Prütting/Helms/Bömelburg FamFG § 243 Rz. 11; Bömelburg FPR 2010, 153, 158; Schael FPR 2009, 11, 13; Wendl/Schmitz Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 8. Aufl., § 10 Rz. 603). Dabei wird u.a. auf die Gesetzesbegründung Bezug genommen, wonach ausweislich der Subsidiaritätsklausel des § 58 Abs. 1 FamFG über § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG die §§ 91a Abs. 2 und 269 Abs. 5 ZPO zur Anwendung gelangen, die als statthafte Rechtsmittel ausdrücklich die sofortige Beschwerde nach §§ 567 ff. ZPO bestimmten (vgl. etwa OLG Bamberg FamRZ 2011, 1244, 1245).

Rz. 13

c) Der Senat folgt der zuletzt genannten Auffassung.

Rz. 14

Dass in Fallkonstellationen der vorliegenden Art die sofortige Beschwerde nach § 567 ZPO das statthafte Rechtsmittel ist, folgt nicht schon aus dem Wortlaut der in Betracht kommenden Vorschriften (vgl. Musielak/Borth/Grandel FamFG 2. Aufl., § 58 Rz. 6). Die Anwendbarkeit der ZPO-Vorschriften ergibt sich vielmehr aus einer Gesamtschau der weiteren Auslegungskriterien.

Rz. 15

aa) Gemäß § 58 Abs. 1 FamFG findet die Beschwerde gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Endentscheidungen der AG und LG in Angelegenheiten nach diesem Gesetz statt, sofern durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Dies könnte für die Anwendung der Beschwerde nach § 58 FamFG sprechen, weil die nach streitloser Hauptsacheregelung ergangene Kostenentscheidung eine Endentscheidung nach §§ 38, 58 FamFG darstellt (BT-Drucks. 16/12717, 60; Schürmann FuR 2010, 425, 428).

Rz. 16

Andererseits ist gem. § 113 Abs. 1 Satz 1 FamFG in Ehesachen und Familienstreitsachen, wozu gem. § 112 Nr. 1 FamFG auch die Unterhaltssachen nach § 231 Abs. 1 FamFG zählen, die Anwendung der Kostenregelungen der §§ 80 bis 85 FamFG ausgeschlossen; nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG gelten die allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung und diejenigen über das Verfahren vor den LG entsprechend. Ausweislich § 99 Abs. 2 Satz 1 ZPO findet gegen die Kostenentscheidung die sofortige Beschwerde statt, wenn die Hauptsache durch eine aufgrund eines Anerkenntnisses ausgesprochene Verurteilung erledigt ist. Ebenso sieht § 91a Abs. 2 Satz 1 ZPO die sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung bei Erledigung der Hauptsache nach § 91a Abs. 1 ZPO vor. Zutreffend hat das Beschwerdegericht darauf hingewiesen, dass die §§ 99 Abs. 2, 91a Abs. 2 ZPO nach allgemeiner Auffassung im Fall einer Entscheidung über die Kosten eines abgeschlossenen Vergleichs i.S.d. § 98 ZPO entsprechend anzuwenden sind; insoweit wäre also ebenfalls die sofortige Beschwerde statthaft (vgl. OLG Nürnberg MDR 1997 974; OLG Frankfurt OLGReport Frankfurt 2007, 962; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl., § 98 Rz. 11; Zöller/Herget ZPO, 28. Aufl., § 98 Rz. 1; Giebel in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 98 Rz. 9).

Rz. 17

bb) Da der Wortlaut mithin offen ist, kommt den weiteren Auslegungskriterien maßgebliche Bedeutung zu.

Rz. 18

(1) Schon eine systematische Auslegung spricht für eine Anwendung der Vorschriften der Zivilprozessordnung.

Rz. 19

Dies ergibt sich bereits, wenn man die Regelungen des Gesetzes über Gerichtskosten in Familiensachen (FamGKG) in die Betrachtung einbezieht, was in Anbetracht der zu regelnden Materie (Anfechtung von Kostenentscheidungen) naheliegt. Darin hat der Gesetzgeber in der Anlage 1 (Kostenverzeichnis) unter der laufenden Nr. 1910 "Verfahren über die Beschwerden in den Fällen des (...) §§ 91a Abs. 2, 99 Abs. 2 und 269 Abs. 5 ZPO" ausdrücklich aufgeführt. Diese Regelung ergibt nur einen Sinn, wenn auch ein entsprechendes Rechtsmittel statthaft ist.

Rz. 20

(2) Für eine Anwendung der entsprechenden ZPO-Vorschriften spricht daneben die teleologische Auslegung. Der Gesetzgeber wollte mit Einführung des FamFG die Familienstreitsachen weitergehend den Verfahrensmaximen der Zivilprozessordung unterstellen als die übrigen Familiensachen. Deshalb bestimmt sich auch das Rechtsmittel gegen die Zurückweisung eines Verfahrenskostenhilfeantrags in Familienstreitsachen nach den §§ 127 Abs. 2, 567 bis 572 ZPO (BGH v. 18.5.2011 - XII ZB 265/10, FamRZ 2011, 1138 Rz. 9). Zudem soll die Beschwerde in Ehe- und Familienstreitsachen in erster Linie die Funktion der Berufung in Zivilsachen übernehmen (so auch Schürmann FuR 2010, 425, 428).

Rz. 21

(3) Daneben lässt sich den Gesetzesmaterialen entnehmen, dass der Gesetzgeber das Problem durchaus erkannt, gleichwohl von "einer klarstellenden Regelung" abgesehen hat (BT-Drucks. 16/12717, 60). Seiner Auffassung nach lässt sich die Antwort auf diese Frage unmittelbar aus dem Gesetz entnehmen. Der Anwendung des § 58 Abs. 1 FamFG stehe die Subsidiaritätsklausel entgegen. Denn "über § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG gelangen in den genannten Fallgruppen § 91a Abs. 2 und § 269 Abs. 5 ZPO zur Anwendung, die als statthaftes Rechtsmittel ausdrücklich die sofortige Beschwerde nach §§ 567 ff. ZPO bestimmen" (BT-Drucks. 16/12717, 60).

Rz. 22

cc) Die von der Gegenauffassung angeführten Argumente vermögen das gefundene Ergebnis nicht in Frage zu stellen.

Rz. 23

(1) Die für Unterhaltssachen i.S.d. §§ 112 Nr. 1, 231 Abs. 1 FamFG maßgebliche Kostenvorschrift des § 243 FamFG tritt nicht insgesamt an die Stelle der Kostenbestimmungen der Zivilprozessordnung, also auch der Rechtsmittelvorschriften, (so aber OLG Oldenburg FamRZ 2010, 1831, 1832), sondern ersetzt als lex specialis lediglich die Vorschriften über die Verteilung der Kosten. Die Norm verhält sich damit allein zum "wie" einer Kostenentscheidung. Sie verhält sich dagegen nicht zu der Frage, "ob" überhaupt eine Kostenentscheidung erfolgen kann und nach welchen Vorschriften eine solche Kostenentscheidung anzufechten ist (s. auch OLG Bamberg FamRZ 2011, 1244, 1245).

Rz. 24

(2) Entgegen der Auffassung des OLG Oldenburg (FamRZ 2010, 1831, 1832) lässt sich § 243 FamFG auch nicht entnehmen, dass in Unterhaltssachen eine isolierte Kostenanfechtung möglich sein soll. Zwar ist es richtig, dass der Gesetzgeber wegen der in § 81 Abs. 2 FamFG neu eingeführten Orientierung der Kostenentscheidung am Verfahrensverhalten der Beteiligten davon Abstand genommen hat, das in § 20a Abs. 1 Satz 1 FGG ausgesprochene Verbot der isolierten Anfechtung der Kostenentscheidung in das FamFG zu übernehmen (BT-Drucks. 16/6308, 216). Das gilt jedoch nur für die Verfahren, die nach altem Recht zur Freiwilligen Gerichtsbarkeit gehörten (im Ergebnis ebenso OLG Bamberg FamRZ 2011, 1244 [1245]; s. auch 16. DFGT AK 9 Brühler Schriften zum Familienrecht 2010, 114, 116). Denn die zitierte Gesetzesbegründung bezieht sich ausschließlich auf § 20a Abs. 1 Satz 1 FGG, der nur für solche Verfahren, nicht aber für Zivilprozesse, wie sie jetzt die Ehe- bzw. Familienstreitsachen darstellen, maßgeblich war. Der vom Gesetzgeber in diesem Kontext ausdrücklich in Bezug genommene § 81 FamFG findet gem. § 113 Abs. 1 Satz 1 FamFG in Ehe- und Familienstreitsachen zudem keine Anwendung. Dass damit auch das aus § 99 Abs. 1 ZPO folgende - und im Zivilprozess bewährte - Verbot einer isolierten Kostenanfechtung namentlich in Familienstreitsachen in Form von Unterhaltssachen keine Anwendung mehr finden sollte, ist der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen. Denn zur Vorschrift des § 99 Abs. 1 ZPO verhält sie sich nicht, obgleich der Gesetzgeber grundsätzlich von der Anwendung der sofortigen Beschwerde ausgegangen war (BT-Drucks. 16/12717, 60). Allein das Bestreben des Gesetzgebers, mit § 243 FamFG "die Kostenentscheidung in Unterhaltssachen flexibler und weniger formal" zu handhaben (BT-Drucks. 16/6308, 259), lässt nicht auf die Notwendigkeit schließen, grundsätzlich eine isolierte Kostenentscheidung zu ermöglichen.

Rz. 25

(3) Der Gesetzgeber war auch nicht gehalten, die Anfechtung der Kostenentscheidungen in "FGG-Familiensachen" und in Familienstreitsachen gleich auszugestalten (ebenso OLG Bamberg FamRZ 2011, 1244 [1245]; a.A. Schürmann FuR 2010, 425, 428 f.). Zwar mag ein solcher Gleichlauf zur durchaus erwünschten - und auch mit der Einführung des FamFG angekündigten - Vereinfachung des Verfahrensrechts führen. Jedoch ist das neue Verfahrensrecht in seiner Struktur ohnehin so konzipiert, dass es zwischen den FGG-Familiensachen und Familienstreitsachen differenziert und insoweit wegen seiner diversen Verweise nicht nur innerhalb des FamFG, sondern auch auf die Vorschriften der Zivilprozessordnung von einem Gleichlauf weit entfernt ist.

Rz. 26

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Beschwerdegericht hat von dem ihm gem. § 243 FamFG eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch gemacht.

Rz. 27

a) Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung, die Kosten gegeneinander aufzuheben, auf § 243 FamFG i.V.m. § 98 ZPO gestützt und dies wie folgt begründet: Nach § 243 FamFG entscheide das FamG abweichend von den Kostenverteilungsvorschriften der Zivilprozessordnung und zwar grundsätzlich nach billigem Ermessen, wobei insb. die in § 243 Satz 2 FamFG genannten Umstände besonders zu berücksichtigen seien. Da die in Satz 2 genannte Auflistung jedoch nicht abschließend sei, könne im Rahmen der Ermessensausübung auch der Rechtsgedanke von § 98 ZPO einfließen. Nach § 98 Satz 2 ZPO seien die Kosten eines durch einen Prozessvergleich erledigten Rechtsstreits gegeneinander aufzuheben, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart hätten. Vorliegend ergäben sich aus der Auslegung des Vergleichs keine zureichenden Anhaltspunkte dafür, dass eine Abweichung von der Kostenaufhebung dem mutmaßlichen Willen der Parteien entsprochen hätte. Die Regel des § 98 Satz 2 ZPO habe als besonderes Abwägungskriterium in die Ermessensprüfung des § 243 FamFG einzufließen. Deshalb sei eine Kostenaufhebung unabhängig von dem Maß des Obsiegens und Unterliegens der Beteiligten vorzunehmen.

Rz. 28

b) Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Rz. 29

aa) Gemäß § 243 Satz 1 FamFG entscheidet das Gericht in Unterhaltssachen abweichend von den entsprechenden Vorschriften der Zivilprozessordnung nach billigem Ermessen über die Verteilung der Kosten des Verfahrens auf die Beteiligten. Dabei sind nach Satz 2 insb. zu berücksichtigen: das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen einschließlich der Dauer der Unterhaltsverpflichtung (Nr. 1), das Befolgen einer Aufforderung u.a. zur Auskunftserteilung vor Beginn des Verfahrens (Nr. 2), der Umstand, dass ein Beteiligter seiner gerichtlichen Auskunftspflicht gem. § 235 Abs. 1 FamFG nicht hinreichend nachgekommen ist (Nr. 3) sowie ein sofortiges Anerkenntnis nach § 93 ZPO (Nr. 4). Die Vorschrift enthält damit Sonderregelungen über die Kostenverteilung. Durch das Wort "insb." wird klargestellt, dass die in den Nr. 1 bis 4 aufgezählten Gesichtspunkte nicht abschließend sind. Insgesamt soll die Kostenentscheidung in Unterhaltssachen flexibler und weniger formal gehandhabt werden können, um namentlich dem - von der Streitwertermittlung nicht hinreichend zu erfassenden - Dauercharakter der Verpflichtung Rechnung tragen zu können (BT-Drucks. 16/6308, 259).

Rz. 30

§ 243 FamFG lässt eine unmittelbare Anwendung der §§ 91 ff. ZPO, soweit sie die Kostenverteilung regeln, nicht zu (vgl. OLG Bamberg FamRZ 2011, 1244, 1245); hiervon betroffen ist auch § 98 ZPO (a.A. Zöller/Herget ZPO, 28. Aufl., § 243 FamFG Rz. 6). Zwar enthält § 83 Abs. 1 FamFG eine dem § 98 ZPO entsprechende Regelung. Diese findet gem. § 113 Abs. 1 Satz 1 FamFG aber auf Familienstreitsachen in Form von Unterhaltssachen nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers keine Anwendung. Jedoch sind im Rahmen der Ermessensprüfung des § 243 FamFG die Rechtsgedanken zu berücksichtigen, die den verdrängten ZPO-Vorschriften zugrunde liegen (MünchKomm/ZPO/Dötsch 3. Aufl., § 243 FamFG Rz. 4). Damit kommt im Falle eines Vergleichsabschlusses über das Wort "insb." auch die Wertung des § 98 ZPO - mittelbar - zum Tragen. Das bedeutet, dass diese neben den bereits in § 243 Satz 2 FamFG aufgelisteten Regelbeispielen steht, sie indes nicht verdrängt (vgl. Bahrenfuss/Schwedhelm FamFG § 243 Rz. 3). Das Gericht wird seiner Verpflichtung, eine umfassende Ermessensprüfung anhand aller kostenrechtlich relevanten Umstände durchzuführen, mithin nicht enthoben. Allerdings ist der Tatrichter grundsätzlich in der Bewertung frei, welche Gewichtung er den einzelnen Kriterien verleihen will und wie er damit letztlich die Kostenquote ermittelt (kritisch hierzu Bahrenfuss/Schwedhelm FamFG § 243 Rz. 2).

Rz. 31

bb) Dem wird die Beschwerdeentscheidung nicht gerecht.

Rz. 32

Allerdings ist das Beschwerdegericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Regelung des § 98 ZPO im Rahmen des § 243 FamFG zu berücksichtigen ist. Nicht zu folgen ist dem Beschwerdegericht jedoch dahin, dass nach § 243 FamFG nur "grundsätzlich" eine Ermessensentscheidung zu treffen sei. Offensichtlich hat es in der Regelung des § 98 ZPO, die es als besonderes Abwägungskriterium bezeichnet hat, eine Ausnahme von dem vorgenannten Grundsatz gesehen und deshalb das Maß des Obsiegens und Unterliegens, das als Abwägungskriterium von § 243 Satz 2 Nr. 1 FamFG ausdrücklich erfasst wird, unberücksichtigt gelassen. Der Rechtsgedanke des § 98 ZPO vermag die in § 243 Satz 2 FamFG genannten, und damit vom Gesetzgeber als besonders gewichtig qualifizierten Abwägungskriterien jedoch nicht zu verdrängen.

Rz. 33

Zwar verbietet es § 243 FamFG nicht, dass der Tatrichter im Einzelfall einem einzigen Abwägungskriterium ein solches Gewicht beimisst, dass ein anderes im Rahmen der Kostenentscheidung dahinter zurückbleibt. Das setzt allerdings eine - hier fehlende - nachvollziehbare Ermessensausübung des Tatrichters voraus. Das Beschwerdegericht hätte sich insb. mit der Frage auseinandersetzen müssen, in welchem Verhältnis die genannte Regelvermutung des § 98 ZPO und das Maß des Obsiegens und Unterliegens im vorliegenden Fall zueinander stehen. Solche Überlegungen mussten sich auch deswegen aufdrängen, weil das AG in seiner Ausgangsentscheidung zu einer Kostenquote von 1/5 zu 4/5 gelangt war.

Rz. 34

3. Gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO war die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.

Rz. 35

Der Senat vermag in der Sache nicht abschließend zu entscheiden (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO), weil das Beschwerdegericht sein tatrichterliches Ermessen nicht ausgeübt und vor allem auch keine Feststellungen zu den weiteren Abwägungskriterien nach § 243 Satz 2 FamFG getroffen hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2801694

NJW 2011, 3654

NJW 2011, 6

EBE/BGH 2011

FamRZ 2011, 1933

FuR 2012, 88

JurBüro 2012, 97

FPR 2012, 284

MDR 2011, 1439

AGS 2011, 615

FF 2011, 511

FamRB 2011, 372

RVGreport 2012, 160

FK 2012, 31

PAK 2012, 2

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