Entscheidungsstichwort (Thema)

Postulationsfähigkeit. Vertreter

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, wann das Handeln eines nicht postulationsfähigen Rechtsanwalts als amtlich bestellter Vertreter für einen postulationsfähigen Rechtsanwalt hinreichend deutlich erkennbar ist (Abgrenzung zu BGH, Beschl. v. 22.10.1998 - VII ZB 15/98, MDR 1999, 191 = NJW 1999, 365 = BGHR ZPO § 78 Abs. 1 Vertreter, amtlicher 4).

 

Normenkette

ZPO § 78 Abs. 1 S. 2; BRAO § 53

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 24.01.2005; Aktenzeichen 3 U 178/04)

LG Frankfurt am Main

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 3. Zivilsenats des OLG Frankfurt v. 24.1.2005 aufgehoben.

Die Sache wird an das Berufungsgericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens vorbehalten bleibt.

 

Gründe

I.

Die in M. wohnhafte Klägerin erhob, vertreten durch die dortige Rechtsanwaltssozietät Dr. H., E. und Kollegen, die aus den Rechtsanwälten Dr. H., E., F., D., S. und Dr. S. bestand, vor dem LG F. gegen die Beklagte, ein Telekommunikationsdienstleistungsunternehmen, Klage auf Schadensersatz wegen Ausfalls einer Telefonleitung. Sachbearbeitender Anwalt war Rechtsanwalt S., der auch die Klageschrift verfasst und unterzeichnet hatte. Die Klage wurde durch Urteil des LG F. v. 13.7.2004, der Klägerin zugestellt am 18.8.2004, abgewiesen. Mit Schriftsatz der Anwaltssozietät Dr. H., E. und Kollegen v. 24.8.2004, beim Berufungsgericht eingegangen am 26.8.2004, legte die Klägerin Berufung ein. Die Berufungsschrift war wiederum von Rechtsanwalt S. unterzeichnet, der nicht bei einem OLG zugelassen ist. Zumindest ein weiteres Mitglied der Sozietät, Rechtsanwalt F., besaß jedoch die Zulassung bei einem OLG; Rechtsanwalt S. war, wie die Klägerin vorträgt, zum allgemeinen Vertreter von Rechtsanwalt F. bestellt worden. Nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zum 25.10.2004 verlängert worden war, begründete Rechtsanwalt S. die Berufung mit einem am 22.10.2004 eingegangenen Schriftsatz, der drucktechnisch ebenso gestaltet war wie die Berufungsschrift selbst.

Durch den angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen, da innerhalb der Berufungsfrist und der Berufungsbegründungsfrist weder eine der gesetzlichen Form entsprechende Berufungsschrift noch eine dieser Form entsprechende Berufungsbegründungsschrift bei Gericht eingegangen sei. Sowohl die Berufungsschrift (§ 519 ZPO) als auch die Berufungsbegründungsschrift (§ 520 ZPO) müsse von einem beim OLG zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein (§ 78 Abs. 1 S. 2 ZPO). Im vorliegenden Fall seien die Berufungsschrift und die Berufungsbegründungsschrift von dem bei keinem OLG zugelassenen Rechtsanwalt S. unterzeichnet, und zwar jeweils ohne einen Zusatz dahingehend, dass dieser in Vertretung einer anderen Person (hier: des postulationsfähigen Rechtsanwalts F.) gehandelt habe.

Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist von Gesetzes wegen statthaft (§ 522 Abs. 1 S. 4 i.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Sie ist auch im Übrigen zulässig. Zwar bindet die Zulassung einer kraft Gesetzes statthaften Rechtsbeschwerde durch das Berufungsgericht das Rechtsbeschwerdegericht nicht (BGH, Beschl. v. 20.2.2003 - V ZB 59/02, MDR 2003, 645 = BGHReport 2003, 632 = BGHR ZPO § 574 Abs. 1 Rechtsbeschwerde, statthafte 1). Der Senat bejaht jedoch auf Grund eigener Sachprüfung den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

a) Zutreffend ist der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass die Parteien sich vor den OLG durch einen bei einem OLG zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen (§ 78 Abs. 1 S. 2 ZPO). Die Berufung ist im vorliegenden Fall daher nur dann frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden, wenn Rechtsanwalt S. den Einlegungs- und den Begründungsschriftsatz nicht im eigenen Namen, sondern als amtlich bestellter Vertreter für Rechtsanwalt F. unterschrieben hat. Um darüber keinerlei Missverständnisse aufkommen zu lassen, wäre es zwar zweckmäßig gewesen, wenn Rechtsanwalt S. sich in jenen Schriftsätzen ausdrücklich als "allgemeiner Vertreter" oder "amtlich bestellter Vertreter" bezeichnet hätte; notwendig für die Wirksamkeit der Prozesshandlung ist ein solcher Zusatz aber nicht (BGH, Beschl. v. 9.2.1993 - XI ZB 2/93, MDR 1993, 469 = BGHR ZPO § 78 Abs. 1 Vertreter, amtlicher 2, m.w.N.). Es reicht aus, wenn das Handeln als Vertreter sich aus den Umständen ergibt (BGH, Beschl. v. 9.2.1993 - XI ZB 2/93, MDR 1993, 469 = BGHR ZPO § 78 Abs. 1 Vertreter, amtlicher 2).

b) Diese Grundsätze verkennt vom rechtlichen Ansatz her auch das Berufungsgericht nicht. Entgegen der von dem Berufungsgericht weiter vertretenen Auffassung ist jedoch hier nach den Umständen davon auszugehen, dass Rechtsanwalt S. nicht im eigenen Namen, sondern in seiner Eigenschaft als amtlich bestellter Vertreter für Rechtsanwalt F. gehandelt hat.

aa) Sowohl die Berufungsschrift als auch die Berufungsbegründungsschrift trugen die Briefköpfe der gesamten Anwaltssozietät. Die Verwendung des Plurals ("legen wir namens und in Vollmacht unserer Mandantin Berufung ein"; "begründen wir namens der Klägerin und Berufungsklägerin die ... Berufung") lässt zwanglos die Deutung zu, dass nach außen hin diejenigen Mitglieder der Sozietät handeln wollten, die beim Berufungsgericht postulationsfähig waren. Daraus ergab sich weiter der Rückschluss, dass Rechtsanwalt S. insoweit kraft der ihm zustehenden Vertretungsmacht für dasjenige Mitglied der Sozietät handeln wollte, das rechtlich in der Lage war, auf Grund der ihm zustehenden Postulationsfähigkeit die betreffenden Prozesshandlungen vor dem OLG wirksam vorzunehmen. Eine andere Deutung würde Rechtsanwalt S. den Willen zu einer eindeutig unzulässigen Prozesshandlung unterstellen und damit gegen den Auslegungsgrundsatz verstoßen, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (BGH, Beschl. v. 9.2.1993 - XI ZB 2/93, MDR 1993, 469 = BGHR ZPO § 78 Abs. 1 Vertreter, amtlicher 2; ebenso Beschl. v. 3.5.1995 - XII ZB 53/95, BGHR ZPO § 78 Abs. 1 Vertreter, amtlicher 3).

bb) Etwas anderes lässt sich auch nicht aus dem Beschluss des VII. Zivilsenats des BGH v. 22.10.1998 (BGH v. 22.10.1998 - VII ZB 15/98, MDR 1999, 191 = NJW 1999, 365 = BGHR ZPO § 78 Abs. 1 Vertreter, amtlicher 4) entnehmen, auf den sich das Berufungsgericht vornehmlich stützt. Der dort in Rede stehende Beschwerdeschriftsatz hatte den Briefkopf des (nicht postulationsfähigen) Rechtsanwalts enthalten, hatte diesen als Prozessbevollmächtigten der dortigen Beklagten bezeichnet und war auch von ihm unterschrieben worden. Im Gegensatz zu dem vorliegenden Fall war der tatsächlich postulationsfähige Anwalt dort weder in dem Schriftsatz selbst noch in sonstiger Weise in Erscheinung getreten. Jene Fallkonstellation, bei der der VII. Zivilsenat ein rechtswirksames Handeln des nicht postulationsfähigen Rechtsanwalts als amtlich bestellter Vertreter für einen postulationsfähigen Rechtsanwalt nicht für hinreichend deutlich erkennbar erachtet hat, ist mithin mit der hier zu beurteilenden nicht vergleichbar.

c) Der angefochtene Beschluss kann daher nicht bestehen bleiben. Die Sache war an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Anzumerken ist noch, dass die in der Verfügung des Berufungsgerichts v. 28.12.2004 geäußerten Bedenken gegen die Wirksamkeit der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht durchgreifen. Die Fristverlängerung wäre auch dann wirksam, wenn der um sie nachsuchende Rechtsanwalt beim Berufungsgericht nicht postulationsfähig gewesen sein sollte (BGH, Beschl. v. 22.10.1997 - VIII ZB 32/97, MDR 1998, 365 = NJW 1998, 1155).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1412920

BB 2005, 2099

NJW 2005, 3415

BGHR 2005, 1553

JurBüro 2006, 51

ZAP 2005, 1297

MDR 2006, 108

MDR 2006, 552

VersR 2006, 991

Info M 2005, 319

NJW-Spezial 2005, 526

PA 2005, 184

BRAK-Mitt. 2005, 279

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