Leitsatz (amtlich)

Das zur Regelung des Umgangsrechts angerufene Familiengericht muß im Regelfall entweder Umfang und Ausübung der Umgangsbefugnis konkret regeln oder, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist, die Umgangsbefugnis ebenso konkret einschränken oder ausschließen; es darf sich nicht auf die Ablehnung einer gerichtlichen Regelung beschränken.

 

Normenkette

GG Art. 6 Abs. 2 S. 1; BGB § 1634 Abs. 2

 

Verfahrensgang

KreisG Erfurt

BezirksG Erfurt

 

Tenor

Auf die weitere Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluß des 3. Zivilsenats – Familiensenat – des Bezirksgerichts Erfurt vom 26. Mai 1992 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde, an das Bezirksgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 2.000 DM.

 

Gründe

I.

Aus der Ehe der Beteiligten zu 1 und 2, die durch Urteil des Kreisgerichts Erfurt vom 27. Februar 1990 geschieden worden ist, stammt ihre am 25. November 1978 geborene Tochter Daniela. Das Kreisgericht hat das Erziehungsrecht (Recht der elterlichen Sorge) nach Einholung eines psychologischen Gutachtens der Mutter übertragen; eine Regelung des Umgangsrechtes des Vaters erfolgte nicht. Die gegen das Urteil eingelegte Berufung des Vaters hat das Bezirksgericht durch Urteil vom 12. September 1990 zurückgewiesen.

Im März 1991 hat der Vater beantragt, sein Umgangsrecht mit Daniela gerichtlich zu regeln. Das Kreisgericht hat Stellungnahmen des Jugendamtes und der Mutter eingeholt sowie das Kind persönlich angehört. Mit Beschluß vom 22. August 1991 hat es den Antrag im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, daß einer Kontaktaufnahme zum Vater gegenwärtig der ernsthafte Wille des Kindes entgegenstehe; diesen gewaltsam zu brechen, diene nicht dem Kindeswohl. Dagegen hat der Vater Beschwerde eingelegt und sie mit den Anträgen verbunden,

  • „mit Hilfe eines familientherapeutisch kompetenten und mit familiensystematischer Sichtweise vertrauten Sachverständigen, den Kindeseltern möglichst umgehend zu einer einvernehmlichen Handhabung der elterlichen Verantwortung und der Kontakte zu verhelfen;
  • hilfsweise,

    die nach den Erhebungen des Sachverständigen erforderlichen Maßnahmen im Sorgerechts- und Kontaktbereich zu treffen, die gewährleisten, daß den Kindesbedürfnissen tatsächlich Rechnung getragen wird;

  • hilfsweise,

    gemäß § 1671 Abs. 5 BGB für die gemeinsame Tochter Daniela zumindest Aufenthaltsbestimmungspflegschaft einzurichten.”

Der Vater ist der Auffassung, daß der von dem Kind geäußerte Wille von der Mutter gesteuert werde, die ihre Wünsche dem Kinde signalisiere. Das Bezirksgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen, ohne ein weiteres Sachverständigengutachten zu erholen; es hat die weitere Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zugelassen, ob im Rahmen von Sorgerechts- und Umgangsregelungsverfahren eine Sachverständigenintervention im Sinne einer Familientherapie möglicherweise auch gegen den Willen betroffener Elternteile und/oder als selbständiges Verfahrensziel angeordnet werden kann (der Beschluß ist veröffentlicht in FamRZ 1992, 1333).

Mit der weiteren Beschwerde verfolgt der Vater seine Anträge aus dem Beschwerdeverfahren weiter. Die Mutter beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

II.

Die weitere Beschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das Beschwerdegericht.

1. Das Bezirksgericht vertritt die Auffassung, dem Vater sei nach der Abweisung seines Antrages auf gerichtliche Regelung das Umgangsrecht mit seiner Tochter durch keine gerichtliche Entscheidung versagt oder eingeschränkt worden. Das Kreisgericht habe es lediglich abgelehnt, den Umfang der Umgangsbefugnis gegen den Willen des Kindes festzulegen. Durch seine im Beschwerdeverfahren gestellten Anträge gebe der Vater zu erkennen, daß er keine gerichtliche Regelung des Umgangsrechtes mehr erstrebe und dieses gegen den Willen der Tochter nicht durchsetzen wolle; sein Begehren sei jetzt auf die gerichtliche Anordnung einer Therapie gerichtet, um den Eltern zu einer einvernehmlichen Handhabung der elterlichen Verantwortung und Kontakte (Sorge und Umgang) zu verhelfen. Diesem erstmals mit der Beschwerde verfolgten Antrag könne nicht entsprochen werden, weil sich hierfür im Gesetz keine Grundlage finde. Das Gericht könne im Rahmen von Sorge- und Umgangsrechtsverfahren niemanden gegen seinen Willen verpflichten, sich einer Therapie zu unterziehen, auch wenn eine solche auf freiwilliger Basis möglicherweise im Kindesinteresse liege und daher wünschenswert sei. Für den zweiten Hilfsantrag (Anordnung einer Pflegschaft zur Aufenthaltsbestimmung) fehle dem Beschwerdegericht schon die Zuständigkeit; darüber hinaus enthalte die Beschwerde auch keine Begründung, die eine solche Maßnahme erforderlich erscheinen lasse.

2. Die angefochtene Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

a) Mit Erfolg wendet sich der Vater bereits gegen die Ansicht, daß er mit dem Beschwerdebegehren die in erster Instanz angestrebte gerichtliche Regelung des Umgangsrechtes mit der Tochter nicht mehr weiterverfolge. In einer den Verfahrensvorschriften des FGG unterliegenden selbständigen Familiensache ist es nicht erforderlich, die Beschwerde gemäß § 621e Abs. 1 ZPO mit einem bestimmten Antrag zu verbinden (BGH, Beschluß vom 17. Januar 1979 – IV ZB 111/78 – FamRZ 1979, 232 unter II). Es ist lediglich erforderlich aber auch ausreichend, daß der Beschwerdeführer darlegt, warum er sich durch die Entscheidung beschwert fühlt und was er an ihr mißbilligt (vgl. Senatsbeschluß vom 18. Dezember 1991 – XII ZB 128/91 – BGHR ZPO § 621e Abs. 3, Beschwerdebegründung 1 = FamRZ 1992, 538 unter Hinweis auf BGH, Beschluß vom 20. Juni 1979 – IV ZB 147/78 – FamRZ 1979, 909, 910). Einem gleichwohl formulierten Antrag kommt danach im FGG-Verfahren auch nicht die Bedeutung zu, die die Zivilprozeßordnung einem Sachantrag – insbesondere in § 308 ZPO – zumißt. Der Richter, der der Ausgestaltung des Umgangsrechtes in der in einen Antrag gekleideten Form nicht entsprechen will, darf daher eine andere Regelung nicht schon deshalb außer Betracht lassen, weil sie nicht förmlich beantragt ist. Der Beschluß des Beschwerdegerichts muß daher schon deshalb aufgehoben werden, weil er auf einer Verletzung dieser Grundsätze beruht. Denn es ist nicht auszuschließen, daß die Entscheidung anders ausgefallen wäre, wenn das Begehren des Beschwerdeführers als (fortdauernder) Antrag auf gerichtliche Regelung des Umgangsrechtes verstanden worden wäre.

b) Auf durchgreifende rechtliche Bedenken stößt darüber hinaus die Beurteilung des Beschwerdegerichts, das Kreisgericht habe aufgrund des festgestellten eindeutigen Willens des (damals 12jährigen) Kindes, sich einer Kontaktaufnahme zu widersetzen, dessen Antrag auf gerichtliche Regelung des Umgangsrechtes schlechtweg ablehnen dürfen, ohne eine andere Regelung – notfalls eine Einschränkung oder den Ausschluß des Umgangsrechtes für eine bestimmte Zeit – zu treffen.

Durch die bloße Ablehnung des Antrages auf gerichtliche Regelung tritt ein Zustand ein, der weder für die Beteiligten zumutbar erscheint noch dem besonderen verfassungsrechtlichen Schutz gerecht wird, unter dem das Umgangsrecht des nicht sorgeberechtigten Elternteils steht. Denn durch eine Entscheidung, durch die das Umgangsrecht weder versagt noch in irgendeiner Weise eingeschränkt wird, die aber eine gerichtliche Hilfe zur tatsächlichen Ausgestaltung verweigert, bleibt das Umgangsrecht nur scheinbar unberührt. Der umgangsberechtigte Elternteil weiß nämlich nicht, in welcher Weise er das Recht tatsächlich wahrnehmen darf und in welchem zeitlichen Abstand er einen neuen Antrag auf gerichtliche Regelung zu stellen berechtigt ist. Ohne gerichtliche Entscheidung ist er auf die willkürliche Gewährung eines Umgangs durch den Inhaber der elterlichen Sorge – in der Regel also den anderen Elternteil – angewiesen, eine Rechtsfolge, gegen die der Bundesgerichtshof schon unter der Geltung der früheren Gesetzesfassung Bedenken geäußert hat (BGHZ 51, 219, 223 ff). Auch das betroffene Kind weiß nicht, wie es sich im fortdauernden Meinungsstreit zwischen dem sorge- und dem umgangsberechtigten Elternteil verhalten soll. Ein solcher Rechtszustand steht nicht im Einklang mit der besonderen Bedeutung, die dem Umgangsrecht als einer unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG stehenden Rechtsposition zukommt. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. zuletzt Beschluß vom 18. Februar 1993 – 1 BvR 692/92 – FamRZ 1993, 662, 663 m.w.N.), daß in Fällen, in denen sich die Eltern über die Ausübung des Umgangsrechts nicht einigen können, die Gerichte eine Entscheidung zu treffen haben, die sowohl die beiderseitigen Grundrechtspositionen der Eltern als auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigt. Es ist daher der auch in Literatur und Rechtsprechung überwiegend vertretenen Auffassung der Vorzug zu geben, daß das zur Umgangsregelung angerufene Familiengericht entweder Umfang und Ausübung der Umgangsbefugnis konkret regeln (§ 1634 Abs. 2 Satz 1 BGB) oder, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist, die Umgangsbefugnis ebenso konkret einschränken oder ausschließen muß (§ 1634 Abs. 2 Satz 2 BGB), sich aber jedenfalls im Regelfall nicht auf die Ablehnung einer gerichtlichen Regelung beschränken darf (ebenso KG, 17. Zivilsenat, FamRZ 1985, 639; OLG Celle FamRZ 1990, 1026, 1027; Johannsen/Henrich/Jaeger Eherecht 2. Aufl. § 1634 BGB Rdn. 43; Schwab, Handbuch des Scheidungsrechts, 2. Aufl. Teil III Rdn. 233; Soergel/Strätz BGB 12. Aufl. § 1634 Rdn. 19; RGRK/Wenz BGB 12. Aufl. § 1634 Rdn. 27; Palandt/Diederichsen BGB 52. Aufl. § 1634 Rdn. 34; Rolland 1. EheRG, 2. Aufl. § 1634 Rdn. 13; a.A.: Staudinger/Peschel-Gutzeit BGB 12. Aufl. § 1634 Rdn. 279; OLG Hamburg FamRZ 1988, 1316; OLG Karlsruhe FamRZ 1990, 655, 656). Soweit sich die in der Rechtsprechung vertretene Gegenansicht, wonach generell auch die bloße Ablehnung eines Regelungsantrages möglich ist, auf den Wortlaut des § 1634 Abs. 2 Satz 2 BGB („… kann … einschränken oder ausschließen, wenn …”) beruft (vgl. OLG Hamburg aaO), ist ihr entgegenzuhalten, daß das Gesetz durch diese Formulierung lediglich den Rahmen für die gerichtliche Entscheidung absteckt (zutreffend Jaeger aaO und Peschel-Gutzeit aaO Rdn. 277). Die Frage, ob es in besonderen Ausnahmefällen bei der bloßen Ablehnung eines Regelungsantrages belassen werden kann (vgl. zu einem Fall der kurz bevorstehenden Volljährigkeit des Kindes OLG Zweibrücken FamRZ 1993, 728), braucht nicht entschieden zu werden; ein solcher Fall ist hier nicht gegeben.

3. Danach ist unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses die Zurückverweisung der Sache zur neuen Behandlung und Entscheidung geboten. Dafür erscheinen noch folgende Hinweise veranlaßt.

a) Der völlige Ausschluß des Umgangs auf Dauer als der einschneidenste Eingriff darf nur angeordnet werden, wenn der Gefährdung des Kindes durch eine bloße Einschränkung des Umgangsrechtes und dessen sachgerechte Ausgestaltung nicht ausreichend vorgebeugt werden kann (vgl. Senatsbeschluß vom 12. Juli 1984 – IVb ZB 95/83 – FamRZ 1984, 1084 m.w.N.).

b) Das Bezirksgericht hat den Antrag des Vaters, mit Hilfe eines familientherapeutisch kompetenten Sachverständigen den Kindeseltern zu einer einvernehmlichen Handhabung der elterlichen Verantwortung und der Kontakte zu verhelfen, zutreffend als ein Begehren verstanden, das auf die gerichtliche Anordnung einer Therapie unter Einbeziehung beider Eltern möglicherweise selbst gegen den Willen eines Elternteiles gerichtet ist. Dem hat das Bezirksgericht zu Recht nicht entsprochen. Eine Sachverständigenintervention im Sinne einer Familientherapie als selbständiges Verfahrensziel kann gerichtlich nicht angeordnet werden.

Das Umgangsregelungsverfahren unterliegt dem Grundsatz der Amtsermittlung (§ 12 FGG). In diesem Rahmen kann das Gericht zwar zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlichenfalls Gutachten durch Sachverständige einholen und insbesondere das minderjährige Kind einer psychologischen Begutachtung unterziehen lassen. Es ist jedoch nicht befugt, diese Mittel „therapeutisch” einzusetzen und zu versuchen, mit ihrer Hilfe auf die Beteiligten einzuwirken und diese zu einer bestimmten einvernehmlichen Handhabung des Umgangs mit dem Kinde zu bewegen.

c) Ohne Rechtsfehler hat das Bezirksgericht auch den zweiten Hilfsantrag des Vaters abgelehnt. Die Übertragung der Befugnis, den Aufenthalt des Kindes – stets oder nur jeweils für die Dauer der Wahrnehmung des Umgangsrechtes des Vaters – zu bestimmen, würde einen Eingriff in das der Mutter zustehende Recht der Personensorge bedeuten. Änderungen in diesem Bereich wären zwar unter den Voraussetzungen des § 1671 Abs. 5 BGB nicht von vornherein ausgeschlossen, bedürften aber jedenfalls eines besonderen Verfahrens gemäß § 1696 BGB, das mit einem entsprechenden Antrag in erster Instanz einzuleiten wäre. Das Bezirksgericht hat daher über ein solches vom Vater erstmals in der Beschwerdeinstanz geäußertes Begehren zu Recht nicht entschieden.

d) Soweit die weitere Beschwerde verfahrensrechtliche Rügen zum Umfang der Beweiserhebung durch das Beschwerdegericht erhoben hat, wird in der wiedereröffneten Beschwerdeinstanz Gelegenheit zu neuem Vortrag bestehen. Im Hinblick auf die seit der Erstentscheidung inzwischen vergangene Zeit und das nunmehr erreichte Alter des betroffenen Kindes wird das Bezirksgericht ohnehin von Amts wegen in eine neue umfassende Prüfung des Sachverhalts unter Einschluß der erforderlichen Ermittlungen eintreten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI609867

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