Entscheidungsstichwort (Thema)

Zwangsversteigerung. Wiedereinsetzung gegen Fristversäumung. Ursächlichkeit fehlender Rechtsmittelbelehrung. Sofortige Beschwerde. Entscheidungen nach dem Zwangsversteigerungsgesetz kein Anwaltszwang. Entscheidung über den Zuschlag. Unwiderlegliche Vermutung für mangelndes Verschulden des Betroffenen. Beruhen der Fristversäumnis auf dem Fehlen der Belehrung

 

Leitsatz (amtlich)

a) Für die gem. §§ 869, 793 ZPO befristeten Rechtsmittel in Zwangsversteigerungsverfahren ergibt sich unmittelbar aus der Verfassung das Erfordernis einer Rechtsmittelbelehrung.

b) Unterbleibt die Rechtsmittelbelehrung, steht dies weder der Wirksamkeit der gerichtlichen Entscheidung noch dem Beginn des Laufs der Rechtsmittelfrist entgegen.

c) Ist der Belehrungsmangel für die Versäumung der Rechtsmittelfrist ursächlich, ist bei der Prüfung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fehlendes Verschulden des Rechtsmittelführers unwiderleglich zu vermuten.

 

Normenkette

ZVG § 98; ZPO §§ 869, 793

 

Verfahrensgang

LG Augsburg (Beschluss vom 06.08.2008; Aktenzeichen 4 T 2273/08)

AG Augsburg (Beschluss vom 11.06.2008; Aktenzeichen K 15/06)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1) wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Augsburg vom 6.8.2008 aufgehoben.

Dem Beteiligten zu 1) wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des AG Augsburg vom 11.6.2008 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 315.350 EUR.

 

Gründe

I.

[1] Der Schuldner und seine Ehefrau waren je zur Hälfte Miteigentümer des im Eingang des Beschlusses bezeichneten Grundstücks. Auf Antrag der Beteiligten zu 3) wurde die Zwangsversteigerung des Grundstücks wegen einer dinglichen Forderung angeordnet. Die Beteiligte zu 4) trat dem Verfahren wegen einer persönlichen Forderung bei, die Beteiligte zu 5), eine Bank, wegen einer vorrangigen dinglichen Forderung.

[2] Der Verkehrswert des Grundstücks wurde auf 900.000 EUR festgesetzt. Termin zur Versteigerung wurde auf den 7.2.2008 bestimmt. In dem Termin bot C. S. 320.000 EUR. Weitere Gebote erfolgten nicht. Der Zuschlag wurde gem. § 85a Abs. 1 ZVG versagt.

[3] Neuer Termin zur Versteigerung wurde auf den 4.6.2008 bestimmt. Der Schuldner nahm an dem Termin teil. Es erfolgte wiederum nur ein Gebot, nämlich das der Beteiligten zu 6), die 315.000 EUR bot. Termin zur Verkündung einer Entscheidung über den Zuschlag wurde auf den 11.6.2008 bestimmt.

[4] Mit Schriftsatz vom 9.6.2008 beantragte der Schuldner die "Zurückversetzung des Verfahrens in den Stand vom 7.2.2008" und die "Wiedereinrichtung der Bietgrenzen". Zur Begründung machte er geltend, C. S. sei Mitarbeiterin der Beteiligten zu 5). Sie habe im Termin vom 7.2.2008 nur deshalb ein Gebot abgegeben, um die in § 85a Abs. 1 ZVG bestimmte Grenze zu Fall zu bringen.

[5] Das AG hat mit Beschluss vom 11.6.2008 das Grundstück der Beteiligten zu 6) zugeschlagen. Es hat ausgeführt, das Gebot von Frau S. sei zu Recht zugelassen worden, weil diese nicht als Vertreterin der Beteiligten zu 5) an dem Termin vom 7.2.2008 teilgenommen habe. Der Beschluss ist dem Schuldner am 14.6.2008 zugestellt worden.

[6] Mit am 26.6.2008 eingegangenem Schriftsatz hat der Schuldner gegen den Beschluss vom 11.6.2008 sofortige Beschwerde erhoben. Das AG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem LG zur Entscheidung vorgelegt. Dieses hat den Schuldner mit Verfügung vom 10.7.2008 darauf hingewiesen, dass die Beschwerde unzulässig sei, weil die Beschwerdefrist nicht eingehalten sei. Am 14.7.2008 hat der Schuldner daraufhin Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gestellt. Zur Begründung hat er geltend gemacht, § 98 ZVG habe er nicht gekannt. Ein Migräneanfall habe ihn daran gehindert, die fertig gestellte Beschwerde noch am 25.6.2008 per Fax zu versenden. Auf den Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist hingewiesen, hat der Schuldner am 29.7.2008 Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist beantragt.

[7] Das LG hat die Anträge auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Beschwerde verworfen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Schuldner die Aufhebung des Zuschlags und dessen Versagung.

II.

[8] Das Beschwerdegericht meint, die sofortige Beschwerde sei verspätet, eine Wiedereinsetzung scheide aus. Weil der Schuldner an dem Versteigerungstermin vom 11.6.2008 teilgenommen habe, habe die Beschwerdefrist ihm gegenüber gem. § 98 Satz 2 ZVG mit der Verkündung des Zuschlagsbeschlusses am 11.6.2008 zu laufen begonnen. Soweit der Schuldner durch den Migräneanfall vom 25.6.2008 an der Übermittlung der Beschwerdeschrift an diesem Tag gehindert gewesen sei, sei das Hindernis am Folgetag entfallen. Die damit begonnene Frist, Wiedereinsetzung zu beantragen, habe der Schuldner versäumt. Der auch insoweit beantragten Wiedereinsetzung stehe entgegen, dass dem Schuldner die Unkenntnis der Wirkungen von § 98 ZVG vorzuwerfen sei.

III.

[9] Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

[10] Die Beschwerdefrist ist versäumt. Gegen das Fristversäumnis ist dem Schuldner entgegen der Meinung des Beschwerdegerichts Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

[11] 1. Weil der Schuldner an dem Versteigerungstermin vom 4.6.2008 teilgenommen hat, begann die Beschwerdefrist ihm gegenüber gem. § 98 Satz 2 ZVG mit der Verkündung des Zuschlagsbeschlusses am 11.6.2008. Die Frist endete gem. § 96 ZVG, §§ 569 Abs. 1, 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB mit dem Ablauf des 25.6.2008. Die am 26.6.2008 bei dem AG eingegangene Beschwerde ist daher verspätet. Daran ändert es nichts, dass der Schuldner über Form und Frist des gegen den Zuschlagsbeschluss eröffneten Rechtsmittels nicht belehrt worden ist (vgl. schon Senat, Beschl. v. 28.2.2008 - V ZB 107/07, NJW-RR 2008, 1084, 1085).

[12] 2. Das Unterbleiben einer Rechtsmittelbelehrung hat aber zur Folge, dass dem Schuldner Wiedereinsetzung gegen die Fristversäumung zu gewähren ist, wenn das Fehlen der Belehrung für die Versäumung ursächlich war.

[13] a) Allerdings sehen weder das Zwangsversteigerungsgesetz noch die auf die Verfahren nach diesem Gesetz gem. § 869 ZPO anzuwendende Zivilprozessordnung eine Rechtsmittelbelehrung vor. Ob sie trotzdem geboten ist und bei ihrem Fehlen der Weg für die Wiedereinsetzung eröffnet ist, hat der Senat im Beschl. v. 28.2.2008 - V ZB 107/07, NJW-RR 2008, 1084, 1085, offen gelassen. Die Frage ist zu bejahen. Das ergibt sich aus der Verfassung.

[14] aa) Das Grundgesetz gewährleistet durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG, den Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz. Die Rechtschutzgewährung durch die Gerichte bedarf dabei einer normativen Ausgestaltung. In dieser kann der Gesetzgeber Regelungen treffen, die für ein Rechtsschutzbegehren, insb. auch für Rechtsmittel, besondere formelle Voraussetzungen vorsehen und sich dadurch für den Rechtsuchenden einschränkend auswirken (BVerfGE 93, 99, 107). Hierzu gehören Form- und Fristerfordernisse, durch die einer unangemessenen Dauer des Verfahrens entgegen gewirkt wird. Die insoweit notwendigen Regelungen müssen jedoch, was ebenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt, die betroffenen Belange angemessen gewichten und in Bezug auf ihre Auswirkung auf den einzelnen Rechtsuchenden den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Hierzu gehört eine Rechtsmittelbelehrung, wenn diese erforderlich ist, um unzumutbare Schwierigkeiten auszugleichen, die die Ausgestaltung eines Rechtsmittels andernfalls mit sich brächte. So verhält es sich, wenn die Erfordernisse eines Rechtsmittels so kompliziert und schwer zu erfassen sind, dass nicht erwartet werden kann, der Rechtsmittelsuchende werde sich in zumutbarer Weise hierüber rechtzeitig Aufklärung verschaffen können. Das gilt namentlich für Verfahren, in denen kein Anwaltszwang besteht (BVerfGE, a.a.O., 108).

[15] bb) Das ist bei den Entscheidungen nach dem Zwangsversteigerungsgesetz, insb. bei der Entscheidung über den Zuschlag, der Fall.

[16] Gegen die Entscheidungen in Zwangsversteigerungsverfahren findet die sofortige Beschwerde statt, §§ 869, 793 ZPO. Die Beschwerde kann sowohl bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, als auch bei dem Beschwerdegericht eingelegt werden. Sie unterliegt nicht dem Anwaltszwang. Die Beschwerdefrist beträgt zwei Wochen; sie beginnt grundsätzlich mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung, § 569 Abs. 1 Satz 1, 2 ZPO.

[17] Hiervon weicht das ZVG für die Entscheidung über den Zuschlag ab. Soweit ein Beteiligter an dem Termin zur Verkündung der Entscheidung über den Zuschlag teilgenommen hat, braucht ihm die Entscheidung nicht zugestellt zu werden, § 88 ZVG. Unabhängig von der Frage der Teilnahme an dem Versteigerungstermin oder dem Verkündungstermin oder auch der Zustellung der Entscheidung beginnt die Frist für die Anfechtung einer Entscheidung, durch die der Zuschlag versagt wird, mit deren Verkündung, § 98 Satz 1 ZVG. Nach § 98 Satz 2 ZVG gilt "das Gleiche .... im Falle der Erteilung des Zuschlags für die Beteiligten, welche im Versteigerungstermin oder im Verkündungstermin erschienen waren". Soweit es sich so verhält, bedarf es der Zustellung des Zuschlagsbeschlusses daher nicht; die Beschwerdefrist beginnt unabhängig von dessen Zustellung mit der Verkündung der Entscheidung über den Zuschlag. Das gilt auch dann, wenn ein Beteiligter zwar nicht an dem Verkündungstermin, wohl jedoch an dem Versteigerungstermin, aufgrund dessen über den Zuschlag zu entscheiden ist, teilgenommen hat und die Entscheidung über den Zuschlag nicht kennt.

[18] Die Regelung dient der Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahrens (Stöber, ZVG, 18. Aufl., § 98 Rz. 1). Einem juristischen Laien erschließt sich weder der Inhalt der Regelung, noch erschließt sich das mit dieser verfolgte Ziel. Ohne eine Belehrung seitens des Gerichts ist die gesetzliche Regelung mit dem heutigen Verständnis des verfassungsrechtlich gesicherten Anspruchs auf wirkungsvollen Rechtsschutz (BVerfGE 93, 99, 108) nicht zu vereinbaren. Das zeigt insb. die Entscheidung über den Zuschlag, um die es im vorliegenden Fall geht. Durch den Zuschlag verliert der Schuldner das Eigentum an seinem Grundstück. Die Entscheidung bildet den Kern des Zwangsversteigerungsverfahrens. Dass der Beginn der Frist zur Anfechtung dieser Entscheidung für den Schuldner davon abhängt, dass er in dem dem Verkündungstermin vorausgehenden Versteigerungstermin zugegen war, liegt in solchem Maße fern, dass der Schuldner ohne eine Belehrung seitens des Gerichts hiermit nicht rechnen kann.

[19] Das Zwangsversteigerungsverfahren gehört auch nicht zu den Verfahren, von denen angenommen werden kann, dass sie allgemein vertraut sind. Weil das für die Entscheidungen nach dem Zwangsversteigerungsgesetz eröffnete Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nicht dem Anwaltszwang unterliegt, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Beteiligten an einem solchen Verfahren wegen der Anfechtung einer Entscheidung den Rat eines Rechtsanwalts in Anspruch nehmen (vgl. BVerfGE 93, 99, 108).

[20] cc) Dementsprechend hat der Senat für das auf Wohnungseigentumssachen früher anzuwendende Verfahren nach dem Gesetz über die Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, FGG, unmittelbar aus der Verfassung das Gebot hergeleitet, über Form und Frist der gegen die Entscheidungen in diesem Verfahren gegebenen Rechtsmittel zu belehren (BGH BGHZ 150, 390, 393 ff., weitergehend OLG Hamm OLGReport Hamm 2003, 302 ff., für die Verfahren nach dem FGG im Allgemeinen; Demharter, GBO, 26. Aufl., § 1 Rz. 53 für das Verfahren nach der GBO).

[21] b) Unterbleibt die von Verfassungs wegen gebotene Rechtsmittelbelehrung, kommt dem Betroffenen - entsprechend dem Rechtsgedanken aus § 44 Satz 2 StPO - die unwiderlegliche Vermutung zugute, dass ihn an der Versäumung der Rechtsmittelfrist kein Verschulden trifft, sofern der Belehrungsmangel für die Versäumung der Rechtsmittelfrist ursächlich geworden ist (Senat, Beschl. v. 28.2.2008 - V ZB 107/07, NJW-RR 2008, 1084, 1085; ferner BGHZ 150, 390, 397 ff. zu § 43 WEG a.F.). Für die Ursächlichkeit spricht bei einem nicht anwaltlich vertretenen Beteiligten eine tatsächliche Vermutung.

[22] 3. Eine Belehrung des Schuldners über den Beginn der Frist zur sofortigen Beschwerde gegen den Zuschlagsbeschluss ist nicht erfolgt. Damit ist nach dem Vorstehenden unwiderleglich zu vermuten, dass die Versäumung der Frist von dem Schuldner nicht verschuldet ist. Da er nicht anwaltlich beraten war, ist ferner zu vermuten, dass die Fristversäumung auf dem Fehlen der Belehrung beruht. Dass er die Beschwerdefrist versäumt hat, hat er erst durch den Hinweis des Beschwerdegerichts vom 10.7.2008 erfahren. Damit begann die in § 234 ZPO bestimmte Frist, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist zu beantragen. Die Frist ist durch den Antrag vom 14.7.2008 gewahrt. Die beantragte Wiedereinsetzung ist dem Schuldner zu gewähren.

III.

[23] In der Sache besteht Anlass zu dem Hinweis, dass es für die Entscheidung, ob der von § 85a ZVG gewährte Schutz durch ein nicht zuschlagsfähiges Gebot im ersten Termin unterlaufen wird, nicht darauf ankommt, ob ein solches Gebot von einem Vertreter des Gläubigers abgegeben wurde (Senat, Beschl. v. 17.7.2008 - V ZB 1/08, WM 2008, 299 f.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2158931

BGHZ 2009, 199

BGHR 2009, 849

EBE/BGH 2009, 158

NJW-RR 2009, 890

NZM 2009, 491

ZIP 2009, 2472

ZfIR 2009, 523

JA 2009, 899

MDR 2009, 829

NJ 2009, 296

Rpfleger 2009, 405

ZZP 2010, 236

FoVo 2009, 160

GuT 2009, 216

NJW-Spezial 2009, 393

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