Entscheidungsstichwort (Thema)

Rücknahme eines zulässigen Anschlussrechtsmittels. Umselbstständige Anschlussberufung. Kostentragung des Rechtsmittelklägers

 

Leitsatz (amtlich)

Verliert ein zulässig erhobenes Anschlussrechtsmittel seine Wirkung durch Rücknahme des Rechtsmittels, sind dem Rechtsmittelkläger im Regelfall auch die Kosten des Anschlussrechtsmittels aufzuerlegen (im Anschluss an BGHZ 4, 229 [233 ff.]; BGH v. 11.3.1981 - GSZ 1/80, BGHZ 80, 146 [150] = MDR 1981, 638; v. 6.5.1987 - IVb ZR 51/86, BGHZ 100, 383 [390] = MDR 1987, 829).

 

Normenkette

ZPO § 516 Abs. 3 S. 1, § 524 Abs. 4

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 18.05.2004; Aktenzeichen 1 UF 185/03)

AG Weilburg

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 1. Senats für Familiensachen des OLG Frankfurt v. 18.5.2004 im Kostenausspruch abgeändert.

Die Kosten des Berufungsverfahrens und des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Beklagte zu tragen.Beschwerdewert: bis 600 EUR.

 

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Kindes- und Trennungsunterhalt. Das AG hat den Beklagten verurteilt, an die Klägerin Unterhalt für die beiden minderjährigen Kinder i.H.v. 121 % des jeweiligen Regelbetrages abzgl. halben Kindergeldes sowie rückständigen und laufenden Trennungsunterhalt zu zahlen. Mit seiner Berufung hat der Beklagte eine Herabsetzung des Trennungsunterhalts beantragt. Die Klägerin hat mit ihrer unselbständigen Anschlussberufung eine Erhöhung des Trennungsunterhalts im Umfang ihrer ursprünglichen Anträge begehrt. Das OLG hat den Parteien die jeweils für ihr Rechtsmittel beantragte Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht versagt und ihnen lediglich Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen die Berufung der anderen Partei bewilligt. Darauf hat der Beklagte die Berufung gegen das Urteil des AG zurückgenommen. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das OLG den Verlust des eingelegten Rechtsmittels festgestellt und die Kosten des Berufungsverfahrens gegeneinander aufgehoben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde wendet sich die Klägerin gegen diese Kostenentscheidung.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig (§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 ZPO) und begründet.

1. Das Berufungsgericht hat trotz der von ihm zitierten abweichenden Rechtsprechung des BGH und anderer OLG an der Auffassung festgehalten, dass im Falle einer Rücknahme der Berufung über die Kosten einer unselbständigen Anschlussberufung nicht nach § 516 Abs. 3 S. 1 ZPO, sondern nach den Grundsätzen des § 91a ZPO zu entscheiden sei. Dieses gelte "gerade unter Berücksichtigung der Änderung der Zivilprozessordnung im Bereich des Berufungsrechts und insb. der Vorschrift des § 524 ZPO". Unter Anwendung dieser Grundsätze seien die Kosten des Berufungsverfahrens gegeneinander aufzuheben, weil die Berufungen beider Parteien bei etwa gleichem Streitwert nur in geringem Umfang erfolgreich gewesen wären. Das hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand.

2. Nach § 97 Abs. 1 ZPO fallen die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels der Partei zur Last, die es eingelegt hat. Diese Rechtsfolge wird in den §§ 516 Abs. 3 S. 1, 565 ZPO ausdrücklich auch auf die Rücknahme eines Rechtsmittels erstreckt.

Nach st.Rspr. des BGH finden diese Vorschriften allerdings auf die unselbständige Anschließung an ein gegnerisches Rechtsmittel grundsätzlich keine Anwendung, weil diese ihrem Wesen nach kein eigenes Rechtsmittel, sondern nur ein Antrag innerhalb des vom Prozessgegner eingelegten Rechtsmittels ist (BGH BGHZ 4, 229 [233, 235]; BGHZ 17, 398 [399]; BGHZ 67, 305 [306]). Dem Berufungs- oder Revisionsbeklagten sind die Kosten seiner nach den §§ 524 Abs. 4, 565 ZPO wirkungslos gewordenen Anschließung also nicht schon deshalb aufzuerlegen, weil sie durch den Verlust des eingelegten Rechtsmittels letztlich ohne Erfolg geblieben ist (BGH v. 11.3.1981 - GSZ 1/80, BGHZ 80, 146 [150] = MDR 1981, 638; Beschl. v. 8.12.1982 - IVb ZB 753/81, BGHZ 86, 51 [52] = MDR 1983, 386). Dem haben sich das BVerwG (BVerwG, Beschl. v. 28.5.1957 - VI C 86.56; BVerwGE 26, 297 [300 f.]), das BAG (BAG, Beschl. v. 30.4.1958 - 2 AZR 506/57, AP Nr. 1 zu § 515 ZPO; Beschl. v. 7.5.1963 - 5 AZR 19/63, AP Nr. 2 zu § 556 ZPO), das Bundessozialgericht (BSG BSGE 24, 247; Urt. v. 22.9.1981 - 1 RJ 94/80, MDR 1982, 349) und der BFH (BFH v. 13.3.1981 - III R 83/80, BFHE 132, 515; Beschl. v. 26.11.1991 - III R 42/91) angeschlossen.

Nur wenn ausnahmsweise über das Anschlussrechtsmittel in der Sache entschieden wird, sei es, dass es als unbegründet zurückgewiesen wird (RGZ 44, 374 [377]; BGH BGHZ 4, 229 [235]), sei es, dass es selbst unzulässig war (BGH BGHZ 4, 229 [240]; BGHZ 67, 305 [306]; BFH BFHE 98, 461), sei es, dass die nach § 521 Abs. 4 ZPO wirkungslos gewordene Anschlussberufung weiterverfolgt wird und diese als unzulässig zu verwerfen ist (BGH, Beschl. v. 6.5.1987 - IVb ZR 51/86, BGHZ 100, 383 [390] = MDR 1987, 829; Beschl. v. 6.7.2000 - VII ZB 29/99, MDR 2000, 1269 = NJW 2000, 2315), ist das Anschlussrechtsmittel auf Kosten dessen zu verwerfen, der es eingelegt hat. Dann ergeht über das unselbständige Anschlussrechtsmittel eine eigene Entscheidung, die nach dem Grundsatz des § 97 Abs. 1 ZPO bei der einheitlichen Kostenentscheidung zu berücksichtigen ist. Gleiches gilt, wenn der Anschlussrechtsmittelkläger in die Rücknahme des Rechtsmittels eingewilligt hat und die Einwilligung zur Wirksamkeit der Rücknahme notwendig war. Denn dann hat er selbst daran mitgewirkt, sein unselbständiges Anschlussrechtsmittel zu Fall zu bringen. Auch in solchen Fällen fehlt es an einer Abhängigkeit der Anschließung von dem eingelegten Rechtsmittel, weil der Rechtsmittelkläger bei der im notwendigen Einverständnis bewirkten Rücknahme dem Anschlussrechtsmittelkläger die Möglichkeit zur Durchführung des Verfahrens nicht in freier Entschließung nimmt. Auch in diesen Fällen versagt der Grundgedanke für die Anwendung des § 516 Abs. 3 S. 1 ZPO hinsichtlich der Kosten der Anschließung (BGH BGHZ 4, 229 [241 f.]; BFH BFHE 98, 461).

3. An dieser Rechtsprechung hat sich durch die zum 1.1.2002 in Kraft getretene Reform des Zivilprozessrechts nichts geändert. Nach § 521 Abs. 1 und 2 ZPO kann sich der Berufungsbeklagte nach Ablauf seiner eigenen Berufungsfrist der Berufung des Gegners bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründung im Wege der unselbständigen Anschlussberufung anschließen. Diese Anschließung verliert nach § 521 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung, wenn die Berufung zurückgenommen, verworfen oder durch Beschluss zurückgewiesen wird. Die unselbständige Anschlussberufung (und die unselbständige Anschlussrevision) ist damit auch weiterhin kein eigenes Rechtsmittel, sondern ein auch angriffsweise wirkender Antrag innerhalb des fremden Rechtsmittels. Sie begründet ein durch die Einlegung des Hauptrechtsmittels erworbenes Recht des Rechtsmittelbeklagten, auch von sich aus durch Anträge die Grenzen der neuen Verhandlung zu bestimmen, wobei es sich auch weiterhin um das einheitliche vom Rechtsmittelkläger eingelegte Rechtsmittel handelt.

Durch die Neuregelung des § 516 Abs. 1 ZPO ist die Wirkung des unselbständigen Anschlussrechtsmittels sogar noch stärker dem Einfluss des Anschlussrechtsmittelklägers entzogen, als dieses nach dem früheren Prozessrecht der Fall war. Denn jetzt kann der Berufungskläger die Berufung auch ohne Zustimmung des Berufungsbeklagten bis zur Verkündung des Berufungsurteils zurücknehmen. Wird die Anschließung aber durch die - im Belieben des Rechtsmittelklägers stehende - Rücknahme des Rechtsmittels hinfällig, lässt sich weder durch unmittelbare noch durch entsprechende Anwendung der Kostenvorschriften der §§ 91 ff. ZPO begründen, dem Anschlussrechtsmittelkläger die Kosten für seine durch eine Prozesshandlung des Rechtsmittelklägers ohne Sachentscheidung hinfällig gewordene Anschließung aufzuerlegen. Ist das Anschlussrechtsmittel also - wie hier - weder unzulässig, noch in der Hauptsache zu bescheiden, bleibt es bei dem Grundsatz, dass der Rechtsmittelkläger sowohl die Kosten seines eigenen Rechtsmittels, dessen er durch Rücknahme verlustig gegangen ist, als auch die Kosten der hierdurch wirkungslos gewordenen Anschließung trägt (§§ 516 Abs. 3 S. 1, 524 Abs. 4 ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1325020

BGHR 2005, 747

FamRZ 2005, 513

FuR 2005, 237

NJW-RR 2005, 727

ZAP 2005, 652

FPR 2005, 412

MDR 2005, 704

AGS 2005, 356

BrBp 2005, 212

PA 2005, 65

RENOpraxis 2005, 126

RVG-B 2005, 120

RVGreport 2005, 238

ProzRB 2005, 267

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