Verfahrensgang

OLG Celle (Beschluss vom 25.11.1996)

AG Lüneburg (Urteil vom 05.06.1996)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluß des 17. Zivilsenats – Senat für Familiensachen – des Oberlandesgerichts Celle vom 25. November 1996 aufgehoben.

Dem Beklagten wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Lüneburg vom 5. Juni 1996 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Beschwerdewert: 3.120 DM.

 

Tatbestand

I.

Das in einem Unterhaltsabänderungsverfahren ergangene Urteil des Familiengerichts wurde dem Beklagten zu Händen seines erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten am 7. Juni 1996 zugestellt. Mit einem am 8. Juli 1996, einem Montag, beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz beantragte der Beklagte, ihm für die beabsichtigte Berufung gegen das Urteil Prozeßkostenhilfe zu bewilligen und kündigte an, seinen Antrag zu einem späteren Zeitpunkt zu begründen. Mit Verfügung vom 9. August 1996 wies der Berichterstatter des Berufungsgerichts den Beklagten auf die Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts hin, in der die Auffassung vertreten wird, in einem Gesuch um Bewilligung von Prozeßkostenhilfe zur Einlegung der Berufung müsse innerhalb der Berufungsfrist erläutert worden sein, in welchen Punkten und aus welchen Gründen die vorinstanzliche Entscheidung angegriffen werde. Daraufhin legte der Beklagte, nachdem er mit einem am 22. August 1996 beim Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz den Prozeßkostenhilfeantrag begründet hatte, am 28. August 1996 Berufung ein und beantragte vorsorglich, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu bewilligen. Durch Beschluß vom 25. September 1996 gab das Oberlandesgericht dem Wiedereinsetzungsantrag statt und wies den Prozeßkostenhilfeantrag mangels Erfolgsaussicht ab. Dieser Beschluß wurde dem Beklagten zu Händen seines zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten am 30. September 1996 zugestellt. Am 16. Oktober 1996 begründete der Beklagte die Berufung und bat gleichzeitig um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Hierzu ließ er durch seinen zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten, Rechtsanwalt Z., unter anwaltlicher Versicherung sowie unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung der Büroangestellten A. vortragen:

In der Kanzlei des Rechtsanwalts Z. gelte die generelle Anweisung, daß anläßlich der Anfertigung einer Berufungsschrift die Berufungsbegründungsfrist sowie eine Vorfrist, die eine Woche vor der Berufungsbegründungsfrist ablaufe, im Fristenkalender notiert werde. Ferner bestehe die allgemeine Anweisung, daß dem Rechtsanwalt am Tage des Ablaufs der Vorfrist die Handakte mit einem aufgehefteten Fristenzettel in DIN-A 4 Format, auf dem das Datum des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist in Rotschrift notiert sei, vorgelegt werde.

Im vorliegenden Fall habe die Büroangestellte A., die die Berufungsschrift angefertigt habe, weder die Berufungsbegründungsfrist noch eine Vorfrist notiert. Dieses Versäumnis habe dazu geführt, daß seinem Prozeßbevollmächtigten die Handakte erst im Zusammenhang mit dem Beschluß vom 25. September 1996 vorgelegt worden sei. Sein Anwalt habe den Beschluß am 2. Oktober 1996 bearbeitet und dabei festgestellt, daß die Berufungsbegründungsfrist bereits abgelaufen sei. Die Rechtsanwalts- und Notargehilfin A., die seit 1992 ganztags bei Rechtsanwalt Z. beschäftigt sei und – wie regelmäßige Stichproben ergeben hätten – stets sorgfältig und zuverlässig gearbeitet und die vorgenannten Anweisungen korrekt beachtet habe, müsse die Eintragungen im Fristenkalender vergessen haben.

Das Oberlandesgericht verwarf die Berufung als unzulässig und versagte die begehrte Wiedereinsetzung. Dagegen wendet sich der Beklagte mit der form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde.

 

Entscheidungsgründe

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 ZPO bereits an dem Tage beginnt, an dem der verantwortliche Anwalt bei Anwendung der unter den gegebenen Umständen von ihm zu erwartenden Sorgfalt die eingetretene Säumnis hätte erkennen können (BGH Beschluß vom 12. Oktober 1989 – I ZB 3/89 – BGHR ZPO § 234 Abs. 2 Fristbeginn 1). Richtig ist ferner, daß dies davon abhängt, wann der Anwalt Anlaß hatte zu prüfen, ob das Fristende richtig ermittelt und festgehalten war (st.Rspr. vgl. BGH Beschluß vom 31. Januar 1990 – VIII ZB 44/89 – BGHR aaO Fristbeginn 3 = VersR 1990, 543, 544), und daß ein solcher Anlaß nach ebenfalls gefestigter Rechtsprechung gegeben ist, wenn die Akte dem Anwalt zur Vorbereitung der Rechtsmitteleinlegung oder – begründung vorgelegt wird (siehe etwa BGH Beschluß vom 14. Juli 1988 – III ZB 40/87 – BGHR ZPO § 234 Abs. 1 Fristbeginn 1) oder sich sonst die Notwendigkeit einer Fristenüberprüfung aufdrängen muß (BGH Beschluß vom 8. November 1972 – IV ZB 76/72 – VersR 1973, 128).

Das Berufungsgericht hat angenommen, dies sei spätestens am 30. September 1996 der Fall gewesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Dem Beklagten sei an diesem Tag der Beschluß vom 25. September 1996 zu Händen seines Prozeßbevollmächtigten zugestellt worden. Aus diesem Beschluß habe sich ergeben, daß eine Berufungsfrist laufe, ohne daß zu erkennen gewesen sei, wie lange sie noch laufe bzw. ob sie bereits abgelaufen sei, und daß die Berufung zu begründen sei, wenn sie durchgeführt werden solle. Den Fristenlauf habe Rechtsanwalt Z. nicht ohne die Prüfung der Handakten beurteilen können, deren Vorlage er deshalb habe veranlassen müssen. Die Notwendigkeit der besonders sorgfältigen Sachbehandlung und Überprüfung habe sich darüber hinaus aufgedrängt, weil schon die Berufungsfrist versäumt worden und nach der Rechtsmitteleinlegung und dem hiermit verbundenen Wiedereinsetzungsantrag bereits geraume Zeit verstrichen gewesen sei. Durch die deshalb gebotene eigenverantwortliche Fristenprüfung habe Rechtsanwalt Z. den Ablauf der Frist am Montag, den 30. September 1996, feststellen und einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stellen können, dem nach der ihm bekannten Praxis des Berufungsgerichts entsprochen worden wäre, so daß der Ablauf der Frist habe verhindert werden können.

Das begegnet im Ergebnis durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Die im Zusammenhang mit der Zustellung des Beschlusses vom 25. September 1996 erfolgte Vorlage der Handakten diente nicht der Vorbereitung einer fristwahrenden Maßnahme.

Eine solche war durch den betreffenden Beschluß nicht veranlaßt. Die Berufungsbegründungsfrist hatte bereits mit der Einlegung der Berufung begonnen; durch das Gesuch des Beklagten um Wiedereinsetzung in die Berufungseinlegungsfrist und durch die Entscheidung des Gerichts hierüber ist der Ablauf der Begründungsfrist nicht berührt worden (BGH, Beschluß vom 9. Januar 1989 – II ZB 11/88 – BGHR ZPO § 519 Abs. 2 Satz 2 Fristbeginn 2). Auch die (ablehnende) Prozeßkostenhilfentscheidung hat weder eine Frist in Gang gesetzt noch sich auf den Lauf der Berufungsbegründungsfrist ausgewirkt.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts war der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten auch nicht aufgrund der weiteren Umstände verpflichtet, die Handakten daraufhin durchzusehen, wann die Berufungsbegründungsfrist endete.

Die an die Sorgfalt des Anwalts zu stellenden Anforderungen würden überspannt, wenn man von ihm verlangen würde, den Fristablauf oder die Erledigung von Fristnotierungen stets auch dann selbst zu prüfen, wenn ihm die Sache – wie hier ohne Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozeßhandlung vorgelegt wird oder ohne daß Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, die zur Fristwahrung getroffenen Maßnahmen könnten versagt haben (vgl. BGH Beschluß vom 12. Juli 1983 – VI ZB 6/83 – VersR 1983, 988 f. und vom 8. November 1972 aaO). Etwas anderes gilt selbst dann nicht, wenn sich aus dem Grund der Aktenvorlage gewisse Anhaltspunkte für einen nahe bevorstehenden Ablauf der Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels ergeben könnten. Auch dann darf der Anwalt darauf vertrauen, daß ihm die Sache aufgrund der im Fristenkalender notierten Fristen (erneut) vorgelegt wird (Senatsbeschluß vom 29. April 1998 – XII ZB 140/95NJW-RR 1998, 1526 f.).

Da der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten somit zunächst keinen Anlaß zu einer eigenverantwortlichen Prüfung der Berufungsbegründungsfrist hatte, begann die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 ZPO erst mit der tatsächlichen Kenntniserlangung der Fristversäumnis, die nach dem glaubhaft gemachten Sachverhalt am 2. Oktober 1996 bei der Bearbeitung des Beschlusses vom 25. September 1996 erfolgt ist.

Durch den am 16. Oktober 1996 eingegangenen Wiedereinsetzungsantrag ist die Frist daher gewahrt worden.

2. Das Wiedereinsetzungsgesuch ist auch begründet,weil der Beklagte hinreichend glaubhaft gemacht hat, daß die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht auf einem Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten beruht, das er sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müßte.

Ein Rechtsanwalt kann die Berechnung üblicher und in seiner Praxis häufig vorkommender Fristen sowie die Führung des Fristenkalenders seinem gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büropersonal überlassen, wenn er durch geeignete organisatorische Maßnahmen dafür sorgt, daß Fristversäumnisse möglichst vermieden werden (BGH Beschluß vom 8. Februar 1996 – IX ZB 95/95 – NJW 1996, 1349, 1350). Diese Voraussetzungen erfüllt die in der Kanzlei des Rechtsanwalts Z. bestehende Organisation. Damit fehlt es an einem Organisationsverschulden des Prozeßbevollmächtigten des Beklagten, für das letzterer hätte einstehen müssen. Daß dem Anwalt auch sonst kein Verschulden anzulasten ist, ergibt sich aus den Ausführungen unter Ziffer 1. Die Fristversäumnis ist mithin allein auf das Verschulden der Anwaltsgehilfin A. zurückzuführen und deshalb für die Partei als unverschuldet im Sinne des § 233 ZPO anzusehen.

 

Unterschriften

Blumenröhr, Krohn, Gerber, Sprick, Weber-Monecke

 

Fundstellen

Haufe-Index 1523687

FamRZ 1999, 649

NJW-RR 1999, 429

SGb 1999, 466

VersR 2000, 201

BRAK-Mitt. 1999, 74

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