Leitsatz (amtlich)

In einer Betreuungssache wird die Beschwerdefrist für einen Betroffenen, der die Aufhebung einer bestehenden Betreuung begehrt, nur dann in Lauf gesetzt, wenn der Beschluss, mit dem die Aufhebung der Betreuung abgelehnt wird, wirksam an den Betroffenen selbst förmlich zugestellt wurde (im Anschluss an BGH v. 10.7.2013 - XII ZB 411/12, FamRZ 2013, 1566).

 

Normenkette

FamFG § 15 Abs. 2, § 41 Abs. 1 S. 2, § 63 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG Deggendorf (Beschluss vom 21.03.2018; Aktenzeichen 13 T 38/18)

AG Deggendorf (Beschluss vom 09.01.2018; Aktenzeichen XVII 402/17)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Deggendorf vom 21.3.2018 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 5.000 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Für die Betroffene wurde mit Beschluss vom 22.9.2016 eine umfassende Betreuung eingerichtet. Mit Schreiben vom 11.12.2017 hat die Betroffene die "Kündigung" der Betreuung erklärt.

Rz. 2

Das AG hat dieses Schreiben als Antrag auf Aufhebung der Betreuung gewertet und ihn mit Beschluss vom 9.1.2018 zurückgewiesen, der der Betroffenen noch am selben Tag formlos bekanntgegeben worden ist.

Rz. 3

Mit einem am 16.3.2018 beim AG eingegangenen Schreiben vom 4.3.2018 hat die Betroffene selbst und durch die von ihr bevollmächtigten Eltern Beschwerde gegen den amtsgerichtlichen Beschluss eingelegt.

Rz. 4

Das LG hat die Beschwerde der Betroffenen verworfen. Hiergegen richtet sich ihre Rechtsbeschwerde.

II.

Rz. 5

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht. Das LG hat die Beschwerde der Betroffenen zu Unrecht wegen Nichteinhaltung der Beschwerdeeinlegungsfrist (§ 63 Abs. 1 FamFG) verworfen.

Rz. 6

1. Das LG hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Rz. 7

Die Beschwerde sei zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der Monatsfrist des § 63 Abs. 1 FamFG eingelegt worden sei. Der amtsgerichtliche Beschluss gelte gegenüber der Betroffenen gem. § 15 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 FamFG drei Tage nach der am 9.1.2018 erfolgten Aufgabe zur Post als bekanntgegeben. Deshalb sei die am 16.3.2018 eingegangene Beschwerde verfristet. Ob die gesonderte Bekanntgabe der Entscheidung an die Eltern für diese eine eigenständige Beschwerdefrist in Gang gesetzt habe, könne dahinstehen. Die Eltern seien selbst nicht nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG beschwerdebefugt, weil sie im ersten Rechtszug nicht beteiligt worden seien.

Rz. 8

2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Rz. 9

a) Nach § 63 Abs. 1 FamFG ist die Beschwerde innerhalb einer Frist von einem Monat einzulegen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses an die Beteiligten (§ 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG). Die Bekanntgabe kann durch Zustellung nach den §§ 166 bis 195 ZPO oder dadurch bewirkt werden, dass das Schriftstück unter der Anschrift des Adressaten zur Post gegeben wird (§ 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG). Welche der beiden Möglichkeiten der Bekanntgabe das Gericht wählt, liegt grundsätzlich in dessen pflichtgemäßem Ermessen.

Rz. 10

Eine Wahlmöglichkeit besteht allerdings nicht, wenn spezielle gesetzliche Regelungen eine bestimmte Form vorschreiben. So ist nach § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG ein anfechtbarer Beschluss demjenigen zuzustellen, dessen erklärtem Willen er nicht entspricht. Deshalb wird in einer Betreuungssache die Beschwerdefrist für einen Betroffenen, der mit der Einrichtung der Betreuung nicht einverstanden ist, nur dann in Lauf gesetzt, wenn der Beschluss über die Betreuerbestellung wirksam an ihn selbst zugestellt wurde (BGH, Beschl. v. 10.7.2013 - XII ZB 411/12, FamRZ 2013, 1566 Rz. 8 m.w.N.).

Rz. 11

b) Danach hätte im vorliegenden Fall der amtsgerichtliche Beschluss der Betroffenen förmlich zugestellt werden müssen, weil er mit der Beschwerde nach § 58 FamFG anfechtbar war und dem erklärten Willen der Betroffenen, die die Aufhebung der Betreuung erreichen wollte, widersprach. Das Unterbleiben einer gem. § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG erforderlichen Zustellung führt zur Unwirksamkeit der Bekanntgabe, weshalb die Beschwerdefrist im vorliegenden Fall nicht nach § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG zu laufen begonnen hat (vgl. BGH v. 13.5.2015 - XII ZB 491/14, FamRZ 2015, 1374 Rz. 7 m.w.N.).

Rz. 12

3. Gemäß § 74 Abs. 5 und 6 Satz 2 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das LG zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 12414103

NJW 2018, 8

FamRZ 2019, 477

FuR 2019, 100

FGPrax 2019, 48

BtPrax 2019, 31

JZ 2019, 72

MDR 2019, 181

Rpfleger 2019, 85

FamRB 2019, 282

FamRB 2019, 8

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