Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtswegzuständigkeit für insolvenzrechtliche Anfechtungsklagen gegen Sozialversicherungsträger

 

Leitsatz (amtlich)

Für insolvenzrechtliche Anfechtungsklagen gegen Sozialversicherungsträger ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben.

 

Normenkette

GVG § 13

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Beschluss vom 28.01.2009; Aktenzeichen I-12 W 76/08)

LG Düsseldorf (Beschluss vom 14.11.2008; Aktenzeichen 16 O 63/08)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 12. Zivilsenats des OLG Düsseldorf vom 28.1.2009 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Der Wert des Gegenstands der Rechtsbeschwerde wird auf 6.508,23 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Kläger ist Verwalter in dem am 21.4.2005 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners. Er begehrt von der Beklagten, einer gesetzlichen Krankenkasse, im Wege der Insolvenzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO Rückzahlung von 19.524,68 EUR, die der Schuldner auf erhebliche Beitragsrückstände bei der Beklagten im Zeitraum vom 15.4.1999 bis 15.12.2001 geleistet hat, sowie Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren i.H.v. 1.561,28 EUR, jeweils zzgl. Zinsen.

Rz. 2

Die Beklagte hat die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten gerügt. Das LG hat durch Beschluss den Rechtsweg zu den Zivilgerichten für zulässig erklärt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das OLG zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit dieser verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, den Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit festzustellen.

II.

Rz. 3

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 17a Abs. 4 Satz 4 GVG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Der BGH ist an die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das OLG gebunden (§ 17a Abs. 4 Satz 6 GVG). Sie ist auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO).

Rz. 4

Das Rechtsmittel ist jedoch in der Sache unbegründet. Gemäß § 13 GVG ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nach § 51 SGG liegt nicht vor.

Rz. 5

1. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH gehört der Anfechtungsrechtsstreit als bürgerlich-rechtlicher Rechtsstreit gem. § 13 GVG vor die ordentlichen Gerichte. Für die Bestimmung des Rechtswegs ist die Natur des Rechtsverhältnisses entscheidend, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (Gemeinsamer BGH der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschl. v. 29.10.1987 - GmS - OGB 1/86, BGHZ 102, 280, 283). Ob der Insolvenzverwalter bestimmte Rechtshandlungen anfechten und daraus einen Rückgewähranspruch herleiten kann, ist nach den Rechtssätzen der Insolvenzordnung zu entscheiden. Dieser Rückgewähranspruch ist generell ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch, der die materiellen Ordnungsvorstellungen des Insolvenzrechts gegenüber sämtlichen Gläubigern nach Maßgabe der §§ 129 ff. InsO durchsetzt. Er verdrängt grundsätzlich die außerhalb der Insolvenz geltenden allgemeinen Regelungen etwa im Sozialversicherungs-, Steuer- oder Abgabenrecht. Es handelt sich mithin nach der Rechtsnatur der zu beurteilenden Verhältnisse um einen Rechtsstreit i.S.d. § 13 GVG (BGH, Urt. v. 7.5.1991 - IX ZR 30/90, BGHZ 114, 315, 320 f.; v. 21.9.2006 - IX ZR 89/05, ZIP 2006, 2234 Rz. 10; Beschl. v. 2.6.2005 - IX ZB 235/04, ZIP 2005, 1334, 1335; v. 2.4.2009 - IX ZB 182/08, ZIP 2009, 825 Rz. 10).

Rz. 6

Der anfechtungsrechtliche Rückgewähranspruch ist von Ansprüchen aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis wesensverschieden und folgt eigenen Regeln. Er verdrängt in seinem Anwendungsbereich die allgemeineren Regeln der zugrunde liegenden Rechtsverhältnisse und eröffnet dem Insolvenzverwalter eine Rückforderungsmöglichkeit, die nach dem außerhalb der Insolvenz geltenden Rechte dem Verfügenden selbst verwehrt ist. Bei dem Rückgewähranspruch handelt es sich um einen originären gesetzlichen Anspruch, der mit Insolvenzeröffnung entsteht und der dem Insolvenzverwalter vorbehalten ist, mit dessen Amt er untrennbar verbunden ist. Der Insolvenzverwalter handelt materiell-rechtlich wie prozessual im eigenen Namen und aus eigenem Recht, jedoch mit Wirkung für und gegen die Masse; er wird dabei in Erfüllung der ihm durch die Insolvenzordnung auferlegten gesetzlichen Verpflichtungen tätig (BGH, Beschl. v. 2.4.2009 - IX ZB 182/08, a.a.O., Rz. 13 m.w.N.).

Rz. 7

2. Soweit die SG sich bislang mit dieser Frage zu befassen hatten, haben sie den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für gegeben erachtet (LSG Rheinland-Pfalz, ZInsO 2003, 195). Derselben Meinung ist die sozialgerichtliche Literatur (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9. Aufl., § 51 Rz. 39 Stichwort Insolvenz). Die Rechtsbeschwerde zeigt keine abweichende Entscheidung der SG oder abweichende Auffassungen in der Literatur auf.

Rz. 8

3. Demzufolge werden in ständiger, bislang nicht in Frage gestellter Praxis die Insolvenzanfechtungsklagen der Insolvenzverwalter und Treuhänder gegen Sozialversicherungsträger von den ordentlichen Gerichten entschieden.

Rz. 9

4. An dieser Beurteilung etwas zu ändern gibt die Entscheidung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27.9.2010 keinen Anlass. Dieser hat für insolvenzrechtliche Anfechtungsklagen gegen Arbeitnehmer auf Rückzahlung von Lohn die ArbG für zuständig erachtet (Beschl. v. 27.9.2010 - GmS - OGB 1/09, ZIP 2010, 2418, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ). Hieraus ergibt sich nichts für einen Rechtsweg zu den SG bei Anfechtungsklagen gegen Sozialversicherungsträger.

Rz. 10

a) Der Gemeinsame Senat hat insolvenzrechtliche Anfechtungsklagen gegen Arbeitnehmer als bürgerlich-rechtliche Rechtsstreitigkeit angesehen und auf die bisherige Rechtsprechung des Gemeinsamen Senats zur Abgrenzung öffentlich- und bürgerlich-rechtlicher Streitigkeiten Bezug genommen (Beschluss vom 27.9.2010, a.a.O., Rz. 6). Danach richtet sich, wenn - wie hier - eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung des Gesetzgebers fehlt, die Frage, ob eine Streitigkeit öffentlich oder bürgerlich-rechtlich ist, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (Gemeinsamer BGH, Beschl. v. 10.4.1986 - GmS - OGB 1/85, BGHZ 97, 312, 313 f.; vom 29.10.1987 - GmS - OGB 1/86, BGHZ 102, 280, 283). Es kommt darauf an, ob die an der Streitigkeit Beteiligten zueinander in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen und ob sich die Träger hoheitlicher Gewalt der besonderen, ihnen zugeordneten Rechtssätze des ordentlichen Rechts bedienen, oder ob sie den für jedermann geltenden zivilrechtlichen Regelungen unterstellt sind (Gemeinsamer Senat, Beschluss vom 10.4.1986, a.a.O.; vom 29.10.1987, a.a.O.).

Rz. 11

Für die Annahme einer bürgerlich-rechtlichen Streitigkeit ist zwar noch nicht ausreichend, dass sich der Kläger auf eine zivilrechtliche Anspruchsgrundlage beruft. Maßgebend ist, dass der Parteivortrag - seine Richtigkeit unterstellt - Rechtsbeziehungen oder Rechtsfolgen ergibt, für welche die Zuständigkeit der Zivilgerichte besteht (Gemeinsamer Senat, Beschluss vom 10.4.1986, a.a.O., S. 284).

Rz. 12

Die Rechtsfolge, die sich aus der insolvenzrechtlichen Anfechtung ergibt, ist gem. § 143 Abs. 1 InsO der Rückgewähranspruch. Dabei handelt es sich - wie ausgeführt - um einen originären gesetzlichen Anspruch des Insolvenzverwalters. Die Rückgewährpflicht hat ihre Grundlage nicht im Sozialversicherungsrecht, sondern allein im Insolvenzrecht. Die Insolvenzordnung eröffnet mit der Insolvenzanfechtung eine Rückforderungsmöglichkeit, die dem Schuldner selbst gerade verwehrt ist und die der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger dient. Die zugrunde liegende Rechtsbeziehung zwischen Schuldner und Anfechtungsgegner wird dadurch nicht umgestaltet. Die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit sind vielmehr an Verwaltungsakte, auch diejenigen der Sozialversicherungsträger, in den Grenzen ihrer Bestandskraft gebunden. Sie haben diese, selbst wenn sie fehlerhaft sind, zu beachten, solange sie nicht durch die zuständigen Behörden oder durch die zuständigen Gerichte aufgehoben worden sind. Sie haben sie folglich ihrer Entscheidungsfindung auch im Rahmen des Insolvenzanfechtungsrechts zugrunde zu legen, ohne deren Rechtmäßigkeit zu prüfen (BGH, Urt. v. 21.9.2006 - IX ZR 89/05, ZIP 2006, 2234 Rz. 14 m.w.N.). Deshalb kommt die insolvenzrechtliche Anfechtung von Verwaltungsakten (und Gerichtsurteilen), auch wenn sie von Insolvenzgläubigern erlassen wurden, nicht in Betracht.

Rz. 13

Das Insolvenzverfahren schafft jedoch zwischen den Verfahrensbeteiligten, insb. dem Schuldner, den Gläubigern und den Aus- und Absonderungsberechtigten, Rechtsbeziehungen, die bürgerlich-rechtlicher Natur sind. In der Gesamtvollstreckung gibt es keine Privilegierung von Hoheitsträgern; Gläubiger, die gegenüber dem Schuldner ihre Zahlungsansprüche in einem Über-/Unterordnungsverhältnis durch öffentlich-rechtliche Leistungsbescheide selbst titulieren und außerhalb des Insolvenzverfahrens selbst vollstrecken können, verlieren im Insolvenzverfahren diese Befugnis (§ 89 InsO; Jaeger/Eckardt, InsO § 89 Rz. 13). Sie sind im laufenden Insolvenzverfahren den anderen Gläubigern gleichgestellt. Maßgebend für die Insolvenzfestigkeit der erfolgten Befriedigung von Insolvenzgläubigern ist allein die Insolvenzordnung.

Rz. 14

b) Nur für das Verhältnis zwischen den ordentlichen Gerichten und der Arbeitsgerichtsbarkeit hat der Gemeinsame Senat im Beschluss vom 27.9.2010 den anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch nicht als rechtswegbestimmend und die Rechtsnatur des Anfechtungsrechts für belanglos angesehen. Insoweit handele es sich um einen Streit aus einem Arbeitsverhältnis. Dies wird mit arbeitsrechtlichen Überlegungen, der schnelleren und kostengünstigeren Abwicklung der Verfahren in der Arbeitsgerichtsbarkeit, der Nutzung der Kenntnisse von im Arbeitsleben (nicht im Insolvenzrecht) erfahrenen Personen und mit dem geringeren Kostenrisiko vor den ArbG begründet. Auch dem Umstand, dass sich die Parteien kostenlos von volljährigen Familienangehörigen oder Gewerkschaftern (von letzteren in allen Instanzen) vertreten lassen können, wird Bedeutung beigemessen. Zudem wird auf die Möglichkeit des § 11a Arbeitsgerichtsgesetz Bezug genommen, wonach einem beklagten Arbeitnehmer auch dann ein Rechtsanwalt beigeordnet werden kann, wenn seine Rechtsverteidigung keine Aussicht auf Erfolg hat (Gemeinsamer Senat, a.a.O., Rz. 10 ff.). Diese Schutzbestimmungen des Arbeitsgerichtsgesetzes zugunsten der Arbeitnehmer sollen vollen Umfangs auch für Insolvenzanfechtungsklagen gegen Arbeitnehmer aufrechterhalten werden (Gemeinsamer Senat, a.a.O., Rz. 13).

Rz. 15

c) Diese Argumente sind auf die Sozialgerichtsbarkeit - aber auch auf die anderen Gerichtsbarkeiten, die über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten zu entscheiden haben - nicht übertragbar. Den Sozialversicherungsträgern ist durch die Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes gegenüber den Beitragspflichtigen kein besonderer verfahrensrechtlicher Schutz eingeräumt, den es gegenüber dem Insolvenzverwalter, der im Interesse der Gläubigergleichbehandlung Anfechtungsansprüche geltend zu machen hat, zu erhalten gilt.

Rz. 16

5. Soweit der Kläger die außergerichtlich angefallene Vergütung seines Rechtsanwalts als Verzugsschaden geltend macht, wird von der Rechtsbeschwerde nichts gegen die Annahme eingewandt, dass es sich hierbei um eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit handelt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2658455

DB 2011, 1051

DB 2011, 6

NJW 2011, 1365

NJW 2011, 8

NWB 2011, 2114

EBE/BGH 2011

EWiR 2011, 281

NZG 2011, 713

WM 2011, 998

ZIP 2011, 683

AnwBl 2011, 121

DZWir 2011, 510

MDR 2011, 631

NJ 2011, 5

NZI 2011, 323

NZS 2011, 501

ZInsO 2011, 723

GWR 2011, 194

GuT 2012, 78

NJW-Spezial 2011, 279

NWB direkt 2011, 700

VIA 2011, 36

info-also 2011, 235

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