Leitsatz (amtlich)

a) Das Rechtsbeschwerdegericht prüft von Amts wegen, ob die sofortige Beschwerde zulässig war.

b) Die Beschwerdeschrift muss bei großzügiger Auslegung den Beschwerdeführer, die angefochtene Entscheidung und das Anliegen der Überprüfung derselben durch die höhere Instanz erkennen lassen. Eine zur Vorbereitung einer Entscheidung eingereichte Stellungnahme kann nicht in eine sofortige Beschwerde gegen diese Entscheidung umgedeutet werden.

 

Normenkette

ZPO § 557 Abs. 3 S. 2, § 569 Abs. 2 S. 2, § 577 Abs. 2 S. 3

 

Verfahrensgang

LG Stade (Beschluss vom 04.07.2002)

AG Tostedt

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des LG Stade v. 4.7.2002 wird auf Kosten des Schuldners als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 9.700 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.

Am 18.12.2002 beantragte die A. die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner wegen einer Forderung von 8.198,43 DM. Der vom Gericht bestellte vorläufige Insolvenzverwalter legte am 8.2.2002 ein Gutachten vor. Mit Beschl. v. 8.2.2002 eröffnete das AG Tostedt das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners. Der Beschluss wurde dem Schuldner am 13.2.2002 zugestellt. Am 11.2.2002 ging ein Schreiben des Schuldners v. 10.2.2002 beim AG ein, mit dem der Schuldner verschiedene Unterlagen vorlegte und bemängelte, dass das Insolvenzverfahren nur aus Schätzungen bestehe. Mit Schreiben v. 15.4., 26.4., 7.5., 14.5.und 18.5.2002 erinnerte der Schuldner an die Erledigung seines Schreibens v. 10.2.2002. Mit Beschl. v. 4.7.2002 legte die 7. Zivilkammer des LG Stade das Schreiben des Schuldners v. 10.2.2002 als sofortige Beschwerde aus und wies diese kostenpflichtig zurück. Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde des Schuldners, mit der geltend gemacht wird, die Voraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hätten nicht vorgelegen.

II.

Die nach § 7 InsO i. V. m. § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert, § 4 InsO i. V. m. § 574 Abs. 2 ZPO.

Auf die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Fragen kommt es nicht an, weil die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des AG unzulässig war.

Die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde ist im Rechtsbeschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen. Bei der Revision prüft das Revisionsgericht von Amts wegen gem. § 557 Abs. 3 S. 2 ZPO, ob die Berufung zulässig war, weil es andernfalls an einem gültigen und rechtswirksamen Verfahren vor dem Revisionsgericht fehlt (st. Rspr., vgl. BGH v. 30.9.1987 - IVb ZR 86/86, BGHZ 102, 37 [38] = MDR 1988, 131; Urt. v. 11.10.2002 - VIII ZR 321/99, MDR 2001, 408 = BGHReport 2001, 26 = ZIP 2000, 2222). Entsprechendes gilt bei der Rechtsbeschwerde gemäß der insoweit gleich lautenden Bestimmung des § 577 Abs. 2 S. 3 ZPO hinsichtlich der Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde (Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 557 Rz. 8, § 577 Rz. 2; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 25. Aufl., § 557 Rz. 5, § 577 Rz. 1, 2; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 557 Rz. 15, § 577 Rz. 3). Andernfalls fehlt es an einem gültigen und rechtswirksamen Verfahren vor dem Rechtsbeschwerdegericht.

Soweit eine Beschwerdeeinlegung in den Schreiben des Schuldners v. 15.4., 26.4., 7.5., 14.5.und 18.5.2002 gesehen werden könnte, wäre die sofortige Beschwerde nicht fristgerecht eingelegt. Der Beschluss des AG v. 8.2.2002 war dem Schuldner am 13.2.2002 zugestellt worden. Die Notfrist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde, die gem. § 4 InsO, § 569 Abs. 1 S. 1 ZPO zwei Wochen ab Zustellung betrug, war demgemäß am 27.2.2002 abgelaufen.

In dem Schreiben des Schuldners v. 10.2.2003 ist entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts nicht die Einlegung einer sofortigen Beschwerde zu sehen. Gemäß § 569 Abs. 2 S. 2 ZPO i. V. m. § 4 InsO muss die Beschwerdeschrift die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen die Entscheidung eingelegt werde. Wegen der geringen Formstrenge reicht es dabei aus, wenn die Schrift bei großzügiger Auslegung den Beschwerdeführer, die angefochtene Entscheidung und das Anliegen der Überprüfung derselben durch die höhere Instanz hinreichend klar erkennen lässt (BGH, Beschl. v. 8.10.1991 - XI ZB 6/91, MDR 1992, 182 = NJW 1992, 243; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 569 Rz. 7; Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 569 ZPO Rz. 7, 7a). Ist jedoch der Anfechtungswille auch bei großzügiger Auslegung nicht erkennbar, kann eine Eingabe an das Gericht nicht nachträglich dadurch zu einer Beschwerde gemacht werden, dass die Partei erklärt, ihre Eingabe möge als Beschwerde gewertet werden (vgl. Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 569 ZPO Rz. 7a). Eine ausreichende Bezeichnung der angegriffenen Entscheidung enthielt das Schreiben des Schuldners v. 10.2.2002 nicht. Der Beschluss des AG wird nicht erwähnt. Es ist aus dem Schreiben auch nicht ansatzweise erkennbar, dass der Schuldner Kenntnis von dem Eröffnungsbeschluss hatte und sich gegen diesen zur Wehr setzen wollte. Im Schreiben v. 18.5.2002 hat der Schuldner erklärt, dass er vor dem 13.2.2002 von dem Eröffnungsbeschluss gewusst habe. Bereits im Schreiben v. 26.4.2002 hatte der Schuldner dargelegt, er habe vor Bekanntgabe des Beschlusses vom vorläufigen Insolvenzverwalter am 12.2.2002 alles erfahren. Damit steht fest, dass dem Schuldner bei Abfassung seines Schreibens v. 10.2.2002 der Eröffnungsbeschluss unbekannt war ebenso wie bei der Einreichung des Schreibens am 11.2.2002.

Es fehlt sonach an dem erkennbaren Willen, gegen den Eröffnungsbeschluss Beschwerde einzulegen. Der Schuldner hatte vielmehr das Ziel, dass seine Ausführungen bei der Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens berücksichtigt werden. Damit kam der Schuldner zu spät. Eine derartige Stellungnahme kann nicht in eine Beschwerde umgedeutet werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1090822

NJW 2004, 1112

BGHR 2004, 413

BauR 2004, 561

FamRZ 2004, 531

JurBüro 2004, 455

WM 2004, 198

ZIP 2004, 684

MDR 2004, 348

NZI 2004, 166

ZInsO 2004, 89

RVGreport 2004, 280

ProzRB 2004, 128

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