Leitsatz (amtlich)

Zu den Voraussetzungen einer zulässigen Vorlage nach § 28 Abs. 2 FGG gehört, dass die Rechtsauffassung, von der das vorlegende OLG abweichen will, für die Entscheidung des anderen OLG ausweislich des Inhalts dieser Entscheidung erheblich gewesen ist.

Zu den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2, Abs. 2 Berufsvormündervergütungsgesetz.

 

Normenkette

FGG § 28 Abs. 2; BVormVG § 1 Abs. 1 S. 2, Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Norderstedt

Schleswig-Holsteinisches OLG

 

Tenor

Die Sache wird an das Schleswig-Holsteinische OLG zur Behandlung und Entscheidung in eigener Zuständigkeit zurückgegeben.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Höhe der dem Beteiligten zu 1 zustehenden Betreuervergütung.

Der mittellose Betroffene wurde 1976 wegen Geistesschwäche entmündigt. 1994 wurde für ihn ein Vereinsbetreuer mit den Aufgabenkreisen "Bestimmung des Aufenthalts, Zustimmung zu ärztlichen Behandlungsmaßnahmen und Vertretung der Interessen gegenüber dem psychiatrischen Krankenhaus R. ..." bestellt. Am 9.10.2001 wurde - nach einem Umzug des Betroffenen - der bisherige Betreuer entlassen und der Beteiligte zu 1 als Berufsbetreuer für diese Aufgabenkreise bestellt.

Das Vormundschaftsgericht hat mit Beschl. v. 19.3.2002 die im Jahr 2001 angefallene Vergütung des Beteiligten zu 1) nach einem Stundensatz von 60 DM bemessen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 2) hat das LG mit Beschl. v. 29.10.2002 zurückgewiesen. Mit seiner zugelassenen sofortigen weiteren Beschwerde hält der Beteiligte zu 2) an seiner Auffassung fest, der Beteiligte zu 1) sei zwar Diplom-Betriebswirt, verfüge damit aber noch über keine nennenswerten Fachkenntnisse, die ihm bei der Wahrnehmung der ihm übertragenen Aufgabenkreise besonders zugute kämen.

Das Schleswig-Holsteinische OLG möchte der vom LG vertretenen Ansicht folgen, wonach die in § 1 Abs. 2 des Berufsvormündervergütungsgesetzes (BVormVG) enthaltene Vermutung für die Nutzbarkeit der besonderen - vergütungssteigernden - Kenntnisse in der konkreten Betreuung nur dann entfalle, wenn das Vormundschaftsgericht bei der Bestellung des Betreuers etwas anderes bestimmt habe, was hier nicht geschehen sei. Es möchte deshalb die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2) zurückweisen, sieht sich daran aber durch die Entscheidungen des damals zuständigen 15. Zivilsenats des OLG Dresden v. 14.3.2000 (OLG Dresden v. 14.3.2000 - 15 W 2381/99, OLGReport Dresden 2000, 449 = FamRZ 2000, 847) und v. 10.7.2000 (OLG Dresden v. 10.7.2000 - 15 W 1000/00, FamRZ 2000, 1306) gehindert. Wie die Auskünfte des Vorsitzenden des 15. Zivilsenats und eine schriftliche Mitteilung des nunmehr zuständigen 3. Zivilsenats des OLG Dresden ergeben hätten, beruhten die genannten Entscheidungen auf der Auffassung, dass die Vermutung des § 1 Abs. 2 BVormVG nur greife, wenn "die Ausbildung des Betreuers zum Kreis seiner Aufgaben passt". An dieser Auffassung halte das OLG Dresden auch fest.

Das Schleswig-Holsteinische OLG hat deshalb die Sache gem. § 28 Abs. 2 FGG dem BGH zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die Sache ist dem vorlegenden OLG zur Entscheidung in eigener Zuständigkeit zurückzugeben. Die Vorlage ist nicht zulässig.

Zu den Voraussetzungen einer zulässigen Vorlage gem. § 28 Abs. 2 FGG gehört, dass das vorlegende OLG von einer auf weitere Beschwerde ergangenen Entscheidung eines anderen OLG abweichen will. Die Abweichung muss dieselbe Rechtsfrage betreffen und die Beantwortung dieser Rechtsfrage muss für beide Entscheidungen erheblich sein. Der BGH ist zwar an die für die Entscheidungserheblichkeit maßgebende rechtliche Beurteilung des Falles, wie sie dem Vorlagebeschluss zu Grunde gelegt ist, gebunden. Er prüft aber, ob die Rechtsauffassung, von der das vorlegende OLG abweichen will, für die Entscheidung des anderen OLG erheblich gewesen ist (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschl. v. 1.7.1998 - XII ZB 181/97, FamRZ 1999, 22 [23]; v. 19.3.2003 - XII ZB 121/01, BGHReport 2003, 605 = MDR 2003, 934 = FamRZ 2003, 868 [869]). Die Entscheidung des anderen OLG muss also auf der abweichenden Beurteilung der Rechtsfrage beruhen. Dafür ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass die strittige Rechtsfrage in der Entscheidung des anderen OLG erörtert und beantwortet ist und das Ergebnis für die Entscheidung von Einfluss war (BGH, Beschl. v. 17.10.1988 - IVb ZB 37/88, FamRZ 1989, 48). An diesem Erfordernis fehlt es im vorliegenden Fall.

In seiner Entsch. v. 14.3.2000 (OLG Dresden v. 14.3.2000 - 15 W 2381/99, OLGReport Dresden 2000, 449 = FamRZ 2000, 847) hat das OLG Dresden einer Vereinsbetreuerin einen Stundensatz nach § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BVormVG (60 DM abzgl. 10 % gem. Art. 4 BtÄndG; höchster Stundensatz) zugebilligt. Die Betreuerin verfügte über einen nach Art. 37 Einigungsvertrag anerkannten Hochschulabschluss als Diplomlehrerin für Mathematik und Physik; sie hatte im Rahmen ihrer Ausbildung über vier Semester die Fächer Pädagogik und Psychologie belegt und entsprechende Hauptprüfungen abgelegt. Nach Auffassung des OLG hatte die Betreuerin damit Fachkenntnisse erworben, die für die ihr übertragenen Wirkungskreise Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitsfürsorge nutzbar und durch eine in ihrem Kernbereich auf die Vermittlung dieser Fachkenntnisse ausgerichtete Hochschulausbildung erworben waren. Von diesem Ausgangspunkt, dessen Richtigkeit hier nicht zu überprüfen ist, hatte das OLG Dresden keinen Anlass, sich in der zitierten Entscheidung mit § 1 Abs. 2 BVormVG und der hierzu vom vorlegenden OLG thematisierten Rechtsfrage auseinander zu setzen: Der Betreuerin war, folgt man dem OLG Dresden, der höchste Stundensatz bereits nach § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BVormVG zuzubilligen; auf die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 BVormVG kam es deshalb nicht an. Diese Vorschrift findet ebenso wie die vom vorlegenden OLG herausgestellte Rechtsfrage in der Entscheidung des OLG Dresden folglich auch keine Erwähnung.

In seiner Entsch. v. 10.7.2000 (OLG Dresden v. 10.7.2000 - 15 W 1000/00, FamRZ 2000, 1306) hat das OLG Dresden einem Betreuer einen Stundensatz nach § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BVormVG (45 DM abzgl. 10 % gem. Art. 4 BtÄndG; mittlerer Stundensatz) verweigert. Der Betreuer, der für die Aufgabenkreise der Vertretung in Wohnungsangelegenheiten und gegenüber Ämtern sowie der Energieversorgung und für das Öffnen von Post bestellt war, verfügte über eine Berufsausbildung als Altenpfleger; ihm waren im Rahmen seiner Ausbildung in Nebenfächern auch rechtliche und wirtschaftliche Kenntnisse vermittelt worden. Nach Auffassung des OLG sind Rechtskenntnisse zwar für Betreuungen stets nutzbar; die Ausbildung zum Altenpfleger sei jedoch nicht in ihrem Kernbereich auf die Vermittlung solcher Kenntnisse ausgerichtet. Fachwissen, das soziale Kompetenz im Verhältnis zum Betreuten und zwischenmenschliche Kommunikationsfähigkeit vermittle, könne zwar für die Betreuung nutzbar sein; doch sei hier im Einzelfall zu prüfen, ob die jeweilige Ausbildung des Betreuers die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 BVormVG (mittlerer und höchster Stundensatz) erfülle. Das sei hier nicht der Fall. Die Ausbildung zum Altenpfleger vermittle in ihrem Kernbereich medizinisches Grundlagenwissen sowie Kenntnisse über die Pflege von alten und kranken Menschen; dieses Wissen sei jedoch nur dann für die konkrete Betreuung nutzbar, wenn diese - anders als hier - auch die Gesundheitssorge umfasse.

Auch bei Zugrundelegung dieser Beurteilung, die vom Senat nicht auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen ist, hatte das OLG Dresden keinen Anlass, sich mit der vom vorlegenden OLG herausgestellten Rechtsfrage auseinander zu setzen: Da das OLG Dresden zwar Rechtskenntnissen eine generelle Betreuungsrelevanz zuerkannt, dem im Rahmen der Ausbildung zum Altenpfleger erwobenen Fachwissen eine solche allgemeine Nutzbarkeit für Betreuungen jedoch abgesprochen hat, blieb für eine Anwendung des § 1 Abs. 2 BVormVG von vornherein kein Raum. Auch in dieser Entscheidung hat das OLG Dresden folglich § 1 Abs. 2 BVormVG nicht angesprochen und die vom vorlegenden OLG thematisierte Frage, ob die Vorhaltung eines für Betreuungen allgemein nutzbaren Fachwissens zwingend eine höhere Vergütung des Betreuers bewirke, falls das Vormundschaftsgericht nicht nach § 1 Abs. 2 S. 2 BVormVG etwas anderes bestimme, nicht erörtert.

Die vom vorlegenden OLG mitgeteilten Auskünfte der Vorsitzenden des 3. und des 15. Zivilsenats des OLG Dresden belegen nichts anderes. Sie sind auch sonst nicht geeignet, eine Abweichung i. S. d. § 28 Abs. 2 FGG zu begründen. Das Vorliegen einer solchen Abweichung muss sich aus den Entscheidungen, von denen abgewichen werden soll, selbst ergeben. Das ist hier nicht der Fall.

III.

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

1. § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 2 BVormVG knüpft die Vergütungssteigerung an besondere, durch Ausbildung erworbene Kenntnisse, die für die konkrete Betreuung "nutzbar" sind. Diese Kenntnisse müssen also nicht - im Sinne einer conditio sine qua non - für eine ordnungsgemäße Amtsführung des Betreuers erforderlich sein. Das Gesetz begnügt sich vielmehr mit der potenziellen Nützlichkeit dieser Fachkenntnisse; eine konkrete Nutzung des vom Betreuer vorgehaltenen Wissens wird nicht verlangt (vgl. etwa Wagenitz in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 1836 Rz. 28). Das vorlegende OLG hat nicht festgestellt, dass den Fachkenntnissen, die durch das Studium der Betriebswirtschaft vermittelt werden, eine solche Nützlichkeit gerade für die Wahrnehmung der dem Beteiligten zu 1 übertragenen Aufgabenkreise zukommt. Dagegen dürfte nichts zu erinnern sein.

2. Die vom vorlegenden OLG herangezogene Regelung des § 1 Abs. 2 S. 1 BVormVG normiert eine - widerlegbare - Vermutung, nach der besondere Kenntnisse des Betreuers, die für Betreuungen allgemein nutzbar sind, auch für die konkrete Betreuung nutzbar sind. Diese Regelung wird man sinngemäß auch dann anwenden können, wenn ein Betreuer über Fachkenntnisse verfügt, die zwar nicht für alle Arten von Betreuung, wohl aber für bestimmte Aufgabenkreise allgemein nutzbar sind und deren Nutzbarkeit deshalb für die konkrete Betreuung vermutet wird, wenn die konkrete Betreuung diesen Aufgabenkreis umfasst (BT-Drucks. 13/7158, 15 linke Sp. 1. Abs.). Die Anwendung des § 1 Abs. 2 S. 1 BVormVG setzt allerdings stets die vorrangige Feststellung der allgemeinen Nutzbarkeit dieser Fachkenntnisse voraus - sei es, dass dieses Erfordernis auf jedwede Art von Betreuungen, sei es, dass es nur auf Betreuungen mit bestimmten Aufgabenkreisen bezogen wird. Bei dieser in erster Linie dem Tatrichter obliegenden Beurteilung dürften strenge Maßstäbe anzulegen sein. So wird man dem Fachwissen eines Betriebswirtes keine allgemeine Betreuungsrelevanz beimessen können; auch dürfte es eher fern liegen, diesem Fachwissen eine allgemeine Nützlichkeit für die gerade hier in Frage stehenden Aufgabenkreise zu attestieren.

3. Fehlt es an der allgemeinen - sei es für jedwede Art von Betreuungen, sei es für Betreuungen mit bestimmten Aufgabenkreisen geltenden - Nutzbarkeit von Fachkenntnissen, bleibt für eine Anwendung des § 1 Abs. 2 S. 1 BVormVG von vornherein kein Raum. § 1 Abs. 2 S. 2 BVormVG steht dem nicht entgegen: Mit der hiernach möglichen anderweitigen Bestimmung des Vormundschaftsgerichts soll dem Vormundschaftsgericht vorrangig die Möglichkeit eröffnet werden, Betreuer, die an sich über für die konkrete Betreuung nutzbare Fachkenntnisse verfügen, bei einem Überangebot in dieser Weise qualifizierter Betreuer "unter Wert" zu beschäftigen (Soergel/Zimmermann, BGB, 13. Aufl,. § 1836a Rz. 54 f.; vgl. auch BT-Drucks. 13/7158, 15 mit Zweifeln, ob dieses Ziel im Hinblick auf die Möglichkeit jedes Betreuers, die Nutzbarkeit seiner Fachkenntnisse nachzuweisen und so eine Vergütungssteigerung nach § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 2 BVormVG zu erwirken, erreichbar ist). Zwar mag die Vorschrift auch eine Handhabe bieten, die Vermutung des § 1 Abs. 2 S. 1 BVormVG - im Hinblick auf die besonderen tatsächlichen Verhältnisse der konkreten Betreuung - gleichsam von vornherein zu widerlegen. Sie bewirkt jedoch nach Sinn und Systematik nicht, dass eine Widerlegung dieser Vermutung - das Vorliegen der Vermutungsvoraussetzungen (dazu oben unter 2.) unterstellt - auf die Fälle einer nach § 1 Abs. 2 S. 2 BVormVG zu treffenden anderweitigen Bestimmung des Vormundschaftsgerichts beschränkt wäre.

 

Fundstellen

Haufe-Index 978313

BGHR 2003, 1331

FamRZ 2003, 1653

FuR 2004, 165

NJW-RR 2003, 1585

MDR 2003, 1356

FamRB 2003, 394

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