Leitsatz (amtlich)

Die Übergabe des vom Prozessbevollmächtigten unterschriebenen Schriftsatzes an die Kanzleiangestellte am Tag des Fristablaufs mit der Bitte, den Schriftsatz noch am selben Tag auszufertigen und einem auf der Akte angehefteten Zettel "Frist! Heute noch an OLG Jena faxen", macht ausreichende Vorkehrungen zur Ausgangs- und Fristenkontrolle am Tagesende nicht entbehrlich.

 

Normenkette

ZPO § 233

 

Verfahrensgang

Thüringer OLG (Beschluss vom 17.07.2012; Aktenzeichen 2 U 452/12)

LG Erfurt (Urteil vom 20.04.2012; Aktenzeichen 8 O 1816/10)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 2. Zivilsenats des OLG Jena vom 17.7.2012 wird auf Kosten des Beklagten verworfen.

Beschwerdewert: 5.500 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Mit Urteil vom 20.4.2012, das dem Beklagten am 27.4.2012 zugestellt wurde, hat das LG sein zuvor verkündetes Anerkenntnisvorbehaltsurteil für vorbehaltlos erklärt. Hiergegen hat der Beklagte rechtzeitig Berufung eingelegt und diese mit einem auf den 27.6.2012 datierten, bei Gericht per Telefax am 28.6.2012, somit verspätet eingegangenen Schriftsatz begründet. Mit Schriftsatz vom gleichen Tag hat der Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er glaubhaft gemacht, sein Prozessbevollmächtigter habe die Berufungsbegründung am 27.6.2012 fertig gestellt und unterschrieben, den Schriftsatz auf die Akte geheftet und diese seiner ansonsten zuverlässigen Kanzleiangestellten übergeben. Auf der Akte sei - wie in der Kanzlei üblich - ein gesonderter farblicher Zettel angebracht gewesen, auf dem die Bitte geäußert worden sei, den Schriftsatz auszufertigen, wobei auf dem Zettel der Zusatz "Frist! Heute noch an OLG Jena faxen" vermerkt gewesen sei. Bei der Übergabe der Akte habe der Rechtsanwalt seine Kanzleiangestellte auch noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Schriftsatz noch am selben Tag an das OLG gefaxt werden müsse. Nach der Übergabe der Akte habe er die Kanzlei wegen eines auswärtigen Termins verlassen müssen und sei an diesem Tag auch nicht mehr in die Kanzlei zurückgekehrt. Aufgrund eines Versehens habe die Kanzleiangestellte vergessen, den Schriftsatz noch am selben Tag an das OLG per Fax zu übersenden.

Rz. 2

Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Berufungsbegründungsfrist sei nicht schuldlos versäumt. Die Weisung seines Prozessbevollmächtigten, den Schriftsatz mittels Telefax an das Gericht zu übermitteln, mache ausreichende büroorganisatorische Maßnahmen einer wirksamen Ausgangskontrolle nicht entbehrlich. Eine qualifizierte Einzelweisung, welche die üblichen büroorganisatorischen Maßnahmen hätte überflüssig machen können, habe der Prozessbevollmächtigte nicht erteilt.

II.

Rz. 3

Die gem. §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.

Rz. 4

1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt den Beklagten weder in seinem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) noch in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. BGH v. 11.6.2008 - XII ZB 184/07, FamRZ 2008, 1605 Rz. 6 m.w.N.).

Rz. 5

2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten (§ 236 Abs. 2 ZPO). Hierzu gehört eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus der sich ergibt, auf welchen konkreten Umständen die Fristversäumnis beruht, und auf welche Weise und durch wessen Verschulden es zur Versäumung der Frist gekommen ist (vgl. BGH Beschl. v. 3.7.2008 - IX ZB 169/07, NJW 2008, 3501 Rz. 15 m.w.N.).

Rz. 6

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH gehört es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Rechtsanwalt eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren und insb. einen Fristenkalender führen. Die Fristenkontrolle muss gewährleisten, dass die fristgebundene Maßnahme rechtzeitig ergriffen wird. Erst wenn dies geschehen ist, darf die fristwahrende Maßnahme im Kalender als erledigt gekennzeichnet werden. Die Erledigung fristgebundener Sachen ist am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders zu überprüfen (BGH Beschl. v. 12.4.2011 - VI ZB 6/10, NJW 2011, 2051 Rz. 7 m.w.N.). Es muss sichergestellt sein, dass die im Fristenkalender vermerkten Fristen erst gestrichen oder in anderer Weise als erledigt gekennzeichnet werden, wenn die fristgebundene Maßnahme durchgeführt, der fristwahrende Schriftsatz also rechtzeitig vor Ablauf der Notfrist postfertig gemacht und nötigenfalls vorab per Telefax übermittelt worden ist. Dabei muss der Prozessbevollmächtigte auch Vorkehrungen treffen, die geeignet sind, versehentliche Erledigungsvermerke im Fristenkalender zu verhindern (vgl. BGH Beschl. v. 10.7.1997 - IX ZB 57/97, NJW 1997, 3177 [3178 m.w.N.]).

Rz. 7

3. Nach diesen Maßstäben hat der Beklagte die Fristversäumung nicht ausreichend entschuldigt. Der Wiedereinsetzungsantrag enthielt keinerlei Angaben darüber, welche organisatorischen Vorkehrungen der Prozessbevollmächtigte zur Einhaltung von Fristen und zur Ausgangskontrolle getroffen hatte, auch nicht darüber, ob die konkrete Frist in einem Kalender eingetragen und die Fristenkontrolle an dem Tag durchgeführt worden war.

Rz. 8

Ausreichende allgemeine Organisationsanweisungen waren auch nicht dadurch entbehrlich und für die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag unerheblich geworden, dass der Prozessbevollmächtigte die Akte mitsamt dem unterschriebenen Schriftsatz seiner Kanzleiangestellten übergeben und ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass der Schriftsatz noch am selben Tag an das OLG gefaxt werden müsse. Denn dieser Hinweis wiederholt lediglich die Frist, die im Kalender ohnehin eingetragen war oder hätte eingetragen gewesen sein müssen. Sie macht ausreichende Vorkehrungen zur Ausgangs- und Fristenkontrolle am Tagesende nicht entbehrlich.

Rz. 9

Zwar kann der Rechtsanwalt seinen Sorgfaltspflichten unabhängig von allgemeinen Organisationsanweisungen dadurch genügen, dass er seiner Kanzleiangestellten eine Einzelanweisung erteilt. Auch dann müssen aber ausreichende Sicherheitsvorkehrungen dagegen getroffen werden, dass diese nicht in Vergessenheit gerät und die zu treffende Maßnahme unterbleibt (vgl. BGH v. 7.3.2012 - XII ZB 277/11, FamRZ 2012, 863 Rz. 11; v. 25.3.2009 - XII ZB 150/08, FamRZ 2009, 1132 m.w.N.).

Rz. 10

Das ist im vorliegenden Fall nicht geschehen. Die Übergabe der Akte an die Kanzleiangestellte mit dem Hinweis, dass der Schriftsatz noch am selben Tag an das OLG gefaxt werden müsse, bedeutet keine Anweisung zur sofortigen Erledigung vor allen anderen Arbeiten, auf deren Befolgung sich der Prozessbevollmächtigte unabhängig von allgemeinen büroorganisatorischen Maßnahmen einer wirksamen Fristen- und Ausgangskontrolle hätte verlassen dürfen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3627938

DB 2013, 1905

DB 2013, 8

EBE/BGH 2013, 84

FamRZ 2013, 695

NJW-RR 2013, 572

IBR 2013, 247

ZAP 2013, 396

AnwBl 2013, 294

JZ 2013, 259

MDR 2013, 616

NJ 2013, 3

FF 2013, 172

FamRB 2013, 183

RENOpraxis 2013, 82

BRAK-Mitt. 2013, 118

Mitt. 2013, 203

RENO 2013, 22

Rafa-Z 2013, 8

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