Leitsatz (amtlich)

Hat die Partei Prozesskostenhilfe für die Einlegung und Begründung einer Berufung beantragt, wird die Wiedereinsetzungsfrist nicht dadurch in Gang gesetzt, dass das Gericht auf Bedenken hinsichtlich der Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung hinweist und dem Antragsteller Gelegenheit zur Stellungnahme gibt.

 

Normenkette

ZPO §§ 233, 234 Abs. 2, § 114 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

OLG Bamberg (Beschluss vom 13.08.2015; Aktenzeichen 1 U 126/14)

LG Aschaffenburg (Entscheidung vom 23.10.2014; Aktenzeichen 12 O 586/09)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 1. Zivilsenats des OLG Bamberg vom 13.8.2015 im Kostenpunkt sowie insoweit aufgehoben, als der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 22.982,50 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Kläger verlangt im Wege der Insolvenzanfechtung Rückgewähr von Gesellschaftsanteilen zur Masse des Verbraucherinsolvenzverfahrens über das Vermögen der G. M. . Mit Urteil vom 4.9.2014 hat das LG die Beklagten zur Rückgewähr von Gesellschaftsanteilen verurteilt und die weitergehende Klage abgewiesen. Das Urteil ist dem Kläger zu Händen seiner Prozessbevollmächtigten am 30.10.2014 zugestellt worden. Am 1.12.2014, einem Montag, hat der Kläger Prozesskostenhilfe für eine Berufung beantragt, mit welcher er im wesentlichen einen in erster Instanz nicht beschiedenen Hilfsantrag, bestehend aus einem Zahlungs- und einem Feststellungsantrag, verfolgen wollte.

Rz. 2

Mit Beschluss vom 2.4.2015 hat das Berufungsgericht den Kläger darauf hingewiesen, dass "nach derzeitigem Streitstand" beabsichtigt sei, den Antrag auf Prozesskostenhilfe zurückzuweisen, weil der Senat "der vorläufigen Auffassung" sei, die beabsichtigte Berufung habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg; der Kläger erhalte Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zweier Wochen nach Zustellung des Beschlusses. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 29.4.2015 Stellung genommen.

Rz. 3

Mit Beschluss vom 28.5.2015 hat das Berufungsgericht den Antrag auf Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Dieser Beschluss ist dem Kläger zu Händen seiner Prozessbevollmächtigten nicht vor dem 5.6.2015 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 19.6.2015, bei Gericht eingegangen am selben Tage, hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, Berufung gegen das landgerichtliche Urteil eingelegt und die Berufung begründet.

Rz. 4

Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Nichteinhaltung der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 ZPO abgelehnt und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers, mit welcher dieser die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Wiedereinsetzung in die versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung erreichen will.

II.

Rz. 5

Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO); denn der angefochtene Beschluss erschwert dem Kläger den Zugang zur Berufungsinstanz unter Verstoß gegen die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, soweit er den Kläger beschwert. Das Berufungsgericht hätte die Wiedereinsetzung nicht wegen Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 ZPO ablehnen dürfen.

Rz. 6

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Kläger habe schon durch den am 24.4.2015 zugestellten Hinweisbeschluss Kenntnis davon erhalten, dass er nicht mit einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe rechnen konnte. Nach einer Überlegungsfrist von längstens vier Tagen habe die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO begonnen. Darauf, dass über den Antrag auf Prozesskostenhilfe noch nicht entschieden worden sei, komme es nicht an. Bei Eingang des Wiedereinsetzungsantrags sei die Frist längst abgelaufen gewesen.

Rz. 7

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Rz. 8

a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gem. § 233 Abs. 1 ZPO zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist oder eine Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 ZPO einzuhalten. Die Wiedereinsetzung muss gem. § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Gemäß § 234 Abs. 2 ZPO beginnt die Frist mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

Rz. 9

b) Eine mittellose Partei ist regelmäßig schon wegen ihrer Armut an der Beauftragung eines Rechtsanwalts und damit an der rechtzeitigen Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels gehindert. Hat sie beim zuständigen Gericht fristgerecht einen vollständigen Antrag auf Prozesskostenhilfe eingereicht, kann sie zunächst darauf vertrauen, alles ihr Zumutbare zur Behebung des Hindernisses unternommen zu haben (vgl. BGH, Beschl. v. 12.6.2001 - XI ZR 161/01, BGHZ 148, 66, 69; v. 8.1.2016 - I ZB 41/15, NJW-RR 2016, 507 Rz. 9). Das in den fehlenden Mitteln liegende Hindernis wird durch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe behoben. Wird der Antrag wegen fehlender Bedürftigkeit oder mangels Erfolgsaussicht abgelehnt, kann die Partei während eines auf drei bis vier Tage zu bemessenden Überlegungszeitraums entscheiden, ob sie das Rechtsmittel auf eigene Kosten einlegen und durchführen will. Die Wiedereinsetzungsfrist beginnt nach Ablauf dieser Frist.

Rz. 10

c) Kenntnis von den fehlenden Voraussetzungen für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe erhält die Partei regelmäßig durch den Gerichtsbeschluss, mit welchem Prozesskostenhilfe versagt wird. Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. Kann die Partei nach den gegebenen Umständen - etwa deshalb, weil sie ihrem Antrag die in § 117 Abs. 2 und 3 ZPO vorgeschriebene Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht beigefügt hat - nicht mit einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe rechnen, kommt eine Wiedereinsetzung von vornherein nicht in Betracht. Muss die Partei aufgrund eines gerichtlichen Hinweises mit der Ablehnung seines Prozesskostenhilfegesuchs rechnen, beginnt die Wiedereinsetzungsfrist mit dem Zugang des Hinweises (BGH, Beschl. v. 19.11.2008 - XII ZB 102/08, NJW 2009, 854 Rz. 11 f.; v. 13.1.2010 - XII ZB 108/09, NJW-RR 2010, 424 Rz. 4 f.; v. 13.1.2015 - VI ZB 61/14, NJW-RR 2015, 703 Rz. 8). Wird der Partei dagegen eine Frist zur Vervollständigung ihrer Angaben gesetzt, kann sie auf eine Bewilligung vertrauen, wenn sie der Auflage nachkommt; andernfalls endet ihr rechtlich geschütztes Vertrauen mit dem ergebnislosen Ablauf der gesetzten Frist (BGH, Beschl. v. 13.2.2008 - XII ZB 151/07, NJW-RR 2008, 942 Rz. 12). Die Partei muss nicht schon dann mit einer Ablehnung ihres Antrags rechnen, wenn das Berufungsgericht im Rahmen der sofortigen Beschwerde gegen die erstinstanzliche Ablehnung von Prozesskostenhilfe einen für sie nachteiligen Rechtsstandpunkt vertreten hat (Kazele/Milger in Prütting/Gehrlein, ZPO, 8. Aufl., § 234 Rz. 6).

Rz. 11

d) Im vorliegenden Fall ging es um die Erfolgsaussicht des Rechtsmittels, nicht um die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 2.4.2015 ausführlich dargelegt, aus welchen Gründen die beabsichtigte Rechtsverfolgung - die Berufung gegen das landgerichtliche Urteil - keine Aussicht auf Erfolg versprach. Es hat aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Einschätzung sich auf den "derzeitigen" Streitstand bezog und der Beschluss nur die "vorläufige" Auffassung des Senats wiedergab. Zudem hat es dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung des Beschlusses gegeben. Wäre die im angegriffenen Beschluss vertretene Auffassung des Berufungsgerichts richtig, hätte der Kläger nunmehr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen und Berufung einlegen müssen. Mit Hilfe der Fristsetzung hätte das Berufungsgericht ihn zu einer für ihn sinnlosen Handlung - der ergänzenden Stellungnahme - veranlasst und ihn dadurch von der zur Wahrnehmung seiner Interessen gebotenen Handlung - dem Wiedereinsetzungsantrag nebst Berufung - abgehalten. Das kann nicht sein. Die Partei, die einen gerichtlichen Hinweis erhält, darf darauf vertrauen, dass dieser Hinweis das Verfahren fördert. Die Hinweispflicht des § 139 ZPO dient nicht dazu, die Partei in die Irre zu führen und ihr zu schaden. Dementsprechend führt das Befolgen eines gerichtlichen Hinweises nicht dazu, dass die Partei nicht mehr gutzumachende Rechtsnachteile erleidet. Der Kläger konnte den Hinweis wie jede vernünftige Partei dahingehend verstehen, dass er Gelegenheit zur Stellungnahme hatte und dass die Sache nach fristgerechtem Eingang seiner Stellungnahme nochmals beraten werden würde. Nachdem er Stellung genommen hatte, konnte er die endgültige Entschließung des Gerichts abwarten, ohne einen Verschuldensvorwurf fürchten zu müssen.

III.

Rz. 12

Der angefochtene Beschluss kann damit keinen Bestand haben, soweit zum Nachteil des Klägers entschieden worden ist. Er wird aufgehoben; die Sache wird zur erneuten Entscheidung über die Wiedereinsetzung und die Berufung an das Berufungsgericht zurückverwiesen (§ 577 Abs. 4 ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 9872131

DB 2016, 7

NJW 2016, 10

FamRZ 2017, 49

FA 2017, 81

WM 2016, 2150

JZ 2017, 15

MDR 2017, 482

BRAK-Mitt. 2017, 23

RENO 2017, 20

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