Leitsatz (amtlich)

›1. Erklären die Parteien den Streitgegenstand der Hauptberufung in der Hauptsache für erledigt und beantragen sie insoweit eine Kostenentscheidung nach § 91a ZPO, so verliert die Anschlußberufung dadurch nicht ihre Wirkung.

2. Gegen den Beschluß, in dem das Oberlandesgericht die Anschlußberufung in analoger Anwendung des § 522 ZPO für wirkungslos erklärt, ist die sofortige Beschwerde zulässig.‹

 

Verfahrensgang

LG Traunstein

OLG München

 

Gründe

I. Die Beklagte ist durch Urteil des Landgerichts Traunstein vom 8. September 1983 zur Zahlung von 153.608,72 DM nebst 4 % Zinsen an die Klägerin sowie zur Übernahme der Verfahrenskosten verurteilt worden. Mit ihrer Berufung hat die Beklagte die Aufhebung des Urteils in Höhe von 5.122,69 DM begehrt. Nach Ablauf der Berufungsfrist hat die Klägerin Anschlußberufung eingelegt und weitergehende Zinsansprüche geltend gemacht.

Die Parteien haben alsdann den Rechtsstreit in Höhe von 5.122,69 DM übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt und wechselseitig Kostenanträge gestellt.

Durch den angefochtenen Beschluß vom 20. Dezember 1983 hat das Oberlandesgericht München - mit Einverständnis der Parteien im schriftlichen Verfahren - die Anschlußberufung der Klägerin für wirkungslos erklärt (Nr. 1 des Beschlusses) und der Klägerin die Kosten des Berufungsverfahrens und 3 1/3 % der erstinstanzlichen Verfahrenskosten auferlegt (Nr. 2 des Beschlusses).

Gegen diesen ihr am 27. Dezember 1983 zugestellten Beschluß hat die Klägerin am 3./10. Januar 1984 sofortige Beschwerde, hilfsweise Revision, höchstvorsorglich Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.

Das Bayerische Oberste Landesgericht hat die gegen den Kostenausspruch gemäß § 91 a ZPO gerichtete sofortige Beschwerde kostenpflichtig verworfen, im übrigen unter Berufung auf § 8 EGGVG, § 7 EGZPO und Art.21 AGGVG die Sache zuständigkeitshalber dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

II. 1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen Nr. 1 des angefochtenen Beschlusses ist zulässig. Das ergibt sich aus den §§ 567 Abs. 3 Satz 2, 522 a Abs. 3, 519 b , 547Abs. 2. Diese Vorschriften wollen verhindern, daß das Oberlandesgericht die Sachentscheidung über eine Anschlußberufung aus prozessualen Gründen zu Unrecht verweigert (vgl. BGHZ 40, 265, 268; RGZ 46, 415, 416). Die Vorschriften sind daher auch anwendbar, wenn das Berufungsgericht eine Anschlußberufung ohne gesetzliche Grundlage für wirkungslos erklärt.

Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluß vom 25. März 1981 - IVb ZB 824/80 = FamRZ 1981, 657, 658) kein Rechtsmittel gegeben, wenn eine unselbständige Anschlußberufung in den Fällen des § 522 Abs. 1 ZPO unwirksam wird und das Gericht diese kraft Gesetzes eintretende Rechtsfolge ausspricht. Ein solcher Ausspruch wirkt, wenn die Voraussetzungen des § 522 Abs. 1 ZPO vorliegen - in dem vom IVb-Zivilsenat entschiedenen Fall war das Hauptrechtsmittel als unzulässig verworfen worden -, nur deklaratorisch; streitentscheidende Bedeutung kommt ihm allenfalls dann zu, wenn im Einzelfall keine Einigkeit darüber besteht, ob eine wirksame Rücknahme des Hauptrechtsmittels vorliegt (vgl. BGHZ 46, 112, 114).

Darum geht es im vorliegenden Fall jedoch nicht: Unstreitig sind die Voraussetzungen des § 522 ZPO - Rücknahme oder Verwerfung des Hauptrechtsmittels - hier nicht gegeben. Das Oberlandesgericht hat trotzdem die in § 522 ZPO vorgesehene Rechtsfolge mit der Begründung ausgesprochen, im Falle einer beiderseitigen Erledigungserklärung für den Streitgegenstand der Hauptberufung bestehe für die rechtliche Behandlung der Anschlußberufung eine Regelungslücke, die durch analoge Anwendung des § 522 ZPO zu schließen sei. Damit hat das Berufungsgericht nicht eine sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebende Rechtsfolge festgestellt, sondern eine prozessuale Entscheidung gefällt, die in ihrer Wirkung einer Verwerfung der Anschlußberufung als unzulässig gleichkommt. In einem vergleichbaren Fall analoger Anwendung des § 522 ZPO - bei Abschluß eines Vergleichs über die mit der Hauptberufung verfolgten Ansprüche - hat das Bundesarbeitsgericht die Anschlußberufung ausdrücklich als unzulässig verworfen (vgl. Leitsatz des Urteils vom 14. Mai 1976 - 2 AZR 539/75 = NJW 1976, 2143). Die Anfechtbarkeit einer solchen Entscheidung hängt von ihrer Wirkung in der Sache, nicht von der Formulierung der Entscheidungsformel ab.

2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.

Die Anschlußberufung der Klägerin ist nicht dadurch wirkungslos geworden, daß die Parteien den Klageanspruch, soweit er aufgrund der Hauptberufung noch im Streit war, in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Der erkennende Senat schließt sich insoweit der Rechtsauffassung des VIII. Zivilsenats an (Urteil vom 30. Oktober 1963 - VIII ZR 81/62 = NJW 1964, 108). Entgegen der Ansicht von Habscheid/Lindacher (NJW 1964, 2395) erscheint eine analoge Anwendung des § 522 ZPO in einem solchen Fall nicht gerechtfertigt. Nach dem Grundgedanken dieser Vorschrift soll nämlich eine Anschlußberufung nur dann ihre Wirkung verlieren, wenn eine Abänderung des angefochtenen Urteils zum Nachteil des Anschlußberufungsklägers nicht mehr möglich ist. So liegt es in den - in § 522 ZPO ausdrücklich geregelten - Fällen der Rücknahme und der Verwerfung der Berufung ebenso wie in dem - vom Bundesarbeitsgericht (NJW 1976, 2143) entschiedenen - Fall, daß die Parteien über den Streitgegenstand der Hauptberufung einen Vergleich schließen, der auch die Kostenfolgen entweder ausdrücklich regelt oder zur Anwendung des § 98 ZPO führt. Im Gegensatz dazu hat das Rechtsmittelgericht im Fall einer beiderseitigen Erledigungserklärung noch eine Kostenentscheidung nach § 91 a ZPO zu treffen, die ein Eingehen auf die Erfolgsaussichten des Hauptrechtsmittels vor der Erledigung erfordert und zu einer Abänderung der vorinstanzlichen Kostenregelung zum Nachteil des Anschlußrechtsmittelklägers führen kann; auf diesen entscheidenden Unterschied hat bereits das Bundesarbeitsgericht, aaO., hingewiesen.

3. Die Aufhebung beschränkt sich nicht auf Nr. 1 des angefochtenen Beschlusses, sondern ergreift auch die Kostenentscheidung in Nr. 2.

Soweit darin die auf den in der Hauptsache erledigten Klageteil entfallenden Kosten gemäß § 91 a ZPO dem Kläger auferlegt worden sind, ist die Entscheidung allerdings nicht anfechtbar (BGH, Urteil vom 24. Februar 1967 - V ZR 110/65 = NJW 1967, 1131; vgl. ferner BGHZ 58, 341); insoweit hat das Bayerische Oberste Landesgericht die sofortige Beschwerde zu Recht als unzulässig verworfen.

Die Kostenentscheidung zu Nr. 2 des angefochtenen Beschlusses umfaßt aber die gesamten Kosten des Berufungsverfahrens, also auch die der Anschlußberufung. Insoweit kann es aber nach der Zurückverweisung bei einem Erfolg der Beklagten in der Hauptsache auch zu einer anderen Kostenregelung kommen. Dem Berufungsgericht wird durch Aufhebung des gesamten Beschlusses Gelegenheit gegeben, eine neue Kostenentscheidung zu treffen; dabei sind die auf den erledigten Teil entfallenden Kosten auszusondern und als rechtskräftig verteilt zu betrachten (BGHZ 58, 341, 342; vgl. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 20. Aufl., § 91 a Rdn. 34).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992737

NJW 1986, 852

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