Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterbrechung des Rechtsstreits infolge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Berufung nach Zwischenurteil. Anfechtbarkeit des Zwischenurteils. Gegenstand des Verfahrens Ansprüche, die weder die Insolvenzmasse noch Duldung der Zwangsvollstreckung nach dem Anfechtungsgesetz berühren

 

Leitsatz (amtlich)

Entscheidet das erstinstanzliche Gericht durch Zwischenurteil, dass eine Unterbrechung des Verfahrens wegen Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gem. § 17 AnfG oder § 240 ZPO eingetreten sei, kann der Kläger die Entscheidung wie ein Endurteil mit der Berufung anfechten, soweit er geltend macht, der erhobene Anspruch betreffe nicht die Insolvenzmasse und sei nicht auf Duldung der Zwangsvollstreckung nach dem Anfechtungsgesetz gerichtet (Fortführung von BGH, Beschl. v. 8.6.2004 - IX ZR 281/03, BGHReport 2004, 1516 = MDR 2004, 1312 = WM 2004, 1656).

 

Normenkette

AnfG § 17; ZPO §§ 240, 303, 511

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches OLG (Beschluss vom 27.08.2003; Aktenzeichen 1 U 73/03)

LG Lübeck

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 1. Zivilsenats des OLG Schleswig in Schleswig v. 27.8.2003 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 95.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Mutter der Beklagten ist am 3.3.2000 rechtskräftig verurteilt worden, der Klägerin ca. 923.000 DM nebst Zinsen und Kosten zu bezahlen. Die Zwangsvollstreckung der Klägerin gegen die Mutter der Beklagten verlief überwiegend erfolglos. Die Mutter der Beklagten hatte zuvor an die Beklagte Grundvermögen übertragen. In § 3 Abs. 4 des Übertragungsvertrages ist geregelt, dass auf Verlangen des Überlassers der Übernehmer das überlassene Grundstück unentgeltlich an den Überlasser zurückzuübertragen hat. Dieses Rückübertragungsrecht sei höchstpersönlich, nicht übertragbar und nicht vererblich.

Die Klägerin hat mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des AG v. 21.5.2001 sowohl den in § 3 Abs. 4 des Vertrages vorgesehenen Anspruch auf unentgeltliche Rückübertragung samt dem Anspruch auf Verlangen der unentgeltlichen Rückübertragung als auch den Anspruch auf Rückforderung des Grundstücks wegen Verarmung der Schenkerin (§ 528 BGB) pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen.

Mit der Klage verfolgt die Klägerin ggü. der Beklagten diese Ansprüche, hilfsweise den Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung in das Grundstück nach dem Anfechtungsgesetz.

Im Verlaufe des Rechtsstreits ist über das Vermögen der Mutter der Beklagten das Insolvenzverfahren eröffnet worden.

Durch Zwischenurteil hat das LG festgestellt, dass der Rechtsstreit durch das eröffnete Insolvenzverfahren insgesamt unterbrochen sei. Die hiergegen eingelegte Berufung hat das Berufungsgericht mit Beschluss v. 27.8.2003 als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

Die gem. § 522 Abs. 1 S. 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Frage der Anfechtbarkeit eines Zwischenurteils, mit dem die Unterbrechung des Verfahrens nach § 17 AnfG festgestellt wird, bisher höchstrichterlich nicht geklärt und von grundsätzlicher Bedeutung ist, § 574 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Gegen das Zwischenurteil des LG ist die Berufung gem. § 511 ff. ZPO gegeben.

1. Das angefochtene Urteil des LG bringt zum Ausdruck, dass die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche während des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Mutter der Beklagten von der Klägerin gegen die Beklagte nicht weiterverfolgt werden können, auch soweit es sich nicht um Ansprüche nach dem Anfechtungsgesetz, sondern um vertragliche Ansprüche und den gesetzlichen Anspruch aus § 528 BGB handelt. Das Urteil hat daher die Wirkung, dass die Klägerin auf unbestimmte Zeit - während der Dauer des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Mutter der Beklagten - ihre Ansprüche gegen die Beklagte nicht durchsetzen kann.

2. Der Berufung unterliegen gem. § 511 Abs. 1 ZPO die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile. Zwischenurteile über die Zulässigkeit der Klage (§ 280 Abs. 2 ZPO) und über den Grund (§ 304 Abs. 2 ZPO) sind Endurteilen gleichgestellt. Im Übrigen sind Zwischenurteile grundsätzlich nur zusammen mit dem Endurteil mit der Berufung anfechtbar (BGH v. 25.11.1987 - IVa ZR 135/86, BGHZ 102, 232 = MDR 1988, 298; Beschl. v. 29.5.1991 - IV ZA 5/91, BGHR § 303 ZPO Anfechtbarkeit 1).

Die Feststellung der Unterbrechung des Verfahrens kann durch Zwischenurteil geschehen (BGH v. 28.10.1981 - II ZR 129/80, BGHZ 82, 209 [218] = MDR 1982, 383; Beschl. v. 29.5.1991 - IV ZA 5/91, BGHR § 303 ZPO Anfechtbarkeit 1; Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 303 Rz. 6; Musielak, ZPO, 3. Aufl., § 303 Rz. 4). Ob ein solches Zwischenurteil in den Fällen des § 17 AnfG, § 240 ZPO anfechtbar ist, hat der BGH bisher nicht entschieden. In der Literatur ist die Frage streitig. Allgemein wird bei Zwischenurteilen eine gesonderte Anfechtbarkeit außerhalb der genannten Fälle der § 280 Abs. 2, § 304 Abs. 2 ZPO verneint (Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 303 Rz. 11; Musielak, ZPO, 3. Aufl., § 303 Rz. 7; Thomas/Putzo/Reichold, 25. Aufl., § 303 Rz. 7; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 303 Rz. 9).

Unbeschadet dieses allgemeinen Grundsatzes zu § 303 ZPO wird teilweise angenommen, dass ein Zwischenurteil anfechtbar sei, wenn es eine Unterbrechung bejahe (Stein/Jonas/Roth, ZPO, 21. Aufl., vor § 239 Rz. 12; Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., vor § 239 Rz. 3). Im Falle, dass auf die Unterbrechung lediglich durch Beschluss hingewiesen und eine Terminsbestimmung abgelehnt wird, soll eine sofortige Beschwerde entsprechend § 252 ZPO statthaft sein (OLG München v. 24.4.1995 - 7 W 1103/95, OLGReport München 1995, 161 = NJW-RR 1996, 228; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 62. Aufl., § 252 Rz. 4; Feiber in MünchKomm/ZPO, § 252 Rz. 15).

3. Nach Auffassung des Senats sind Zwischenurteile, die eine Unterbrechung feststellen, anfechtbar, wenn geltend gemacht wird, Gegenstand des Rechtsstreits seien Ansprüche, die weder die Insolvenzmasse betreffen (§ 240 ZPO) noch von § 17 AnfG erfasst werden.

a) Versagt das Gericht in einem zunächst nach § 240 ZPO, § 17 AnfG unterbrochenen Verfahren derjenigen Person, die eine Aufnahme des Rechtsstreits erklärt, die Befugnis, als Kläger aufzutreten, wird diese also von der Prozessführung fern gehalten, so ist ein solches Urteil wegen der für die davon betroffene Partei ausgehenden Wirkungen wie ein Endurteil anfechtbar (BGH, Beschl. v. 8.6.2004 - IX ZR 281/03, BGHReport 2004, 1516 = MDR 2004, 1312 = WM 2004, 1656, m.zahlr.N. zu Rspr. und Literatur). Auch in dem Fall, dass infolge eines Zwischenurteils eine Partei gegen ihren Willen aus dem Prozess ausscheidet, hat der BGH angenommen, dass ein solches Zwischenurteil von den betroffenen Parteien wie ein Endurteil angefochten werden kann (BGH, Urt. v. 10.11.1980 - II ZR 96/80, NJW 1981, 989). Wenn eine Partei durch einen Ausspruch der Unterbrechung des Verfahrens daran gehindert wird, Ansprüche weiterzuverfolgen, die von den Wirkungen des § 240 ZPO, § 17 AnfG nicht berührt werden, ist sie in vergleichbarer Weise beschwert. Sie müsste in diesem Fall auf unbestimmte Zeit auf die Wahrnehmung ihrer Rechte verzichten, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen der Unterbrechung nicht vorliegen. Dies wäre mit der Justizgewährungspflicht des Staates nicht vereinbar.

b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist das Zwischenurteil rechtsmittelfähig. Sofern Zwischenurteile anfechtbar sind, werden sie wie Endurteile behandelt (§ 280 Abs. 2, § 304 Abs. 2 ZPO). In entsprechender Anwendung ist deshalb auch hier das Rechtsmittel der Berufung gegeben. Selbst wenn man annähme, dass es sich inhaltlich um eine Aussetzung des Verfahrens handelt (so z.B. Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., Anm. F II), könnte die Klägerin entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht darauf verwiesen werden, dass hiergegen nur das - allerdings verfristete - Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben sei. Nachdem das LG für seine Entscheidung die Form des Urteils gewählt hat, kann die Klägerin nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz hiergegen auch mit dem Rechtsmittel der Berufung vorgehen, das der erkennbar gewordenen und gewollten Entscheidungsart entspricht (Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., vor § 511 Rz. 30).

4. Der Beschluss des IV. Senats v. 29.5.1991 (BGH, Beschl. v. 29.5.1991 - IV ZA 5/91, BGHR § 303 ZPO Anfechtbarkeit 1) steht dieser Entscheidung schon deshalb nicht entgegen, weil dort kein Fall des § 240 ZPO, § 17 AnfG zu beurteilen war, sondern ein Fall des Verlustes der Prozessfähigkeit nach § 241 Abs. 1, § 52 ZPO. Dieser liegt auch insoweit anders, als dort ohne weiteres ein Prozesspfleger hätte bestellt und der Unterbrechungsgrund (kurzfristig) hätte beseitigt werden können. In gleicher Weise wirksame Einflussmöglichkeiten auf die Dauer der Unterbrechung, etwa durch Einwirkung auf die Fortführung des Insolvenzverfahrens, haben die Parteien in den Fällen der § 17 AnfG, § 240 ZPO nicht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1261814

DStZ 2005, 207

NJW 2005, 290

BGHR 2005, 332

WM 2005, 43

ZIP 2004, 2399

DZWir 2005, 126

InVo 2005, 111

InVo 2005, 56

MDR 2005, 345

NZI 2005, 63

ZInsO 2004, 1310

ZVI 2004, 746

ZVI 2006, 63

ProzRB 2005, 156

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