Leitsatz (amtlich)

a) Zu den Anforderungen an die Ausgangskontrolle bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze durch Telefax.

b) Die Rechtsbeschwerde gegen einen die Wiedereinsetzung versagenden Beschluss des Berufungsgerichts kann grundsätzlich nicht auf Tatsachen gestützt werden, die nicht schon im Verfahren der Wiedereinsetzung vorgetragen worden sind (im Anschluss an BGH v. 18.9.2003 - IX ZB 40/03, BGHZ 156, 165 = BGHReport 2004, 54 = MDR 2004, 107).

 

Normenkette

ZPO § 85 Abs. 2, §§ 233, 574 Abs. 2, § 577 Abs. 2 S. 4

 

Verfahrensgang

OLG Karlsruhe (Beschluss vom 16.01.2003; Aktenzeichen 5 UF 189/02)

AG Offenburg

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des OLG Karlsruhe v. 16.1.2003 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Beschwerdewert: 23.322 EUR

 

Gründe

I.

Der Kläger war in der Zeit von Ende 1988 bis Anfang 1993 mit der Beklagten befreundet, hatte die Vaterschaft für ihre am 22.2.1990 geborene Tochter N. anerkannt und für das Kind Unterhalt i.H.v. insgesamt 38.113,70 DM gezahlt. Nachdem in der Folgezeit rechtskräftig festgestellt wurde, dass N. nicht von ihm abstammt, verlangt der Kläger von der Beklagten Auskunft über den Namen des leiblichen Vaters ihres Kindes, hilfsweise Rückzahlung des geleisteten Kindesunterhalts.

Das AG hat die Klage mit einem, dem Kläger am 19.6.2002 zugestellten, Urteil abgewiesen. Dagegen hat der Kläger am 17.7.2002 Berufung eingelegt, die er mit einem am (Dienstag) 20.8.2002 eingegangenen Schriftsatz v. 19.8.2002 begründet hat. Mit einem ebenfalls am 20.8.2002 eingegangenen Schriftsatz hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung trägt er vor, sein Prozessbevollmächtigter habe den Berufungsschriftsatz rechtzeitig am 19.8.2002 gefertigt und sodann postalisch versandt. Zur Fristwahrung habe die äußerst zuverlässige und insb. mit Fristangelegenheiten äußerst gewissenhafte Rechtsanwaltsfachgehilfin L. den Schriftsatz vorab per Telefax an das Gericht übersandt. Dabei habe sie versehentlich eine falsche Nummer gewählt (anstatt 205-3028 versehentlich 805-3028). Ebenfalls versehentlich sei sie davon ausgegangen, dass die Übertragung mit einem "o.k." bestätigt worden war. Zur Glaubhaftmachung hat der Kläger eine eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsfachgehilfin L. v. 20.8.2002 eingereicht, in der es auszugsweise heißt:

"... Gemäß grundsätzlicher Anweisung von Herrn RA. N. müssen Schriftsätze, deren Fristen noch am gleichen Tag, an denen sie geschrieben werden, ablaufen, vorab per Fax abgesandt werden. Da mir bewusst war, dass die Frist in der Sache W./N. am 19.8.2002 endete, wurde der Schriftsatz kurz vor 16.00 Uhr von mir per Fax abgesandt. Da ich auf Grund arbeitsvertraglicher Regelung um 16.00 Uhr die Kanzlei verlasse, wurde von mir das Protokoll nicht mehr angesehen. Heute Vormittag sah ich die Protokolle der am 19.8.2002 abgesandten Faxschreiben durch und stellte fest, dass das Fax an das OLG Karlsruhe, Zivilsenate in Freiburg nicht durchging ..."

Mit Beschluß v. 19.12.2002 wies das Berufungsgericht den Kläger auf die Verspätung und darauf hin, dass nicht von einer unverschuldeten Fristversäumung durch den Kläger ausgegangen werden könne. Der Kläger hat ergänzend vorgetragen, dass die Mitarbeiterinnen im Büro seines Prozessbevollmächtigten regelmäßig angewiesen werden, stets auf die korrekte Eingabe der Empfängernummer sowie die ordnungsgemäße und vollständige Übermittlung der Dokumente zu achten und dabei immer auch das Sendeprotokoll zu prüfen. Diesen Vortrag hat er durch ergänzende eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten L. v. 10.1.2003 belegt. Mit Beschluß v. 16.1.2003 hat das Berufungsgericht dem Kläger die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und die Berufung als unzulässig verworfen.

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers. Zur Begründung trägt er vor, die Rechtsanwaltsfachangestellte L. sei wegen eines Fehlers beim Ablesen des Versendeprotokolls davon ausgegangen, dass der Schriftsatz beim OLG eingegangen sei. Deswegen sei der - ihm nicht zurechenbare - Fehler beim Ablesen des Sendeprotokolls und nicht etwa eine unzureichende Büroorganisation kausal für die Fristversäumung geworden. Zur Glaubhaftmachung hat der Kläger eine zweite ergänzende eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten L. v. 3.2.2003 eingereicht, in der es auszugsweise heißt:

"... erkläre ich hiermit, dass Herr RA. S. N. mir die Führung des Fristenkalenders übertragen hat. Ich prüfe alle Schriftsätze und ihre entsprechenden Fristen. Morgens öffne ich die Post und trage alle Fristen ein. Dies wurde auch in der Sache W. gegen N. in dieser Form unternommen. Am 19.8.2002 habe ich dann den Berufungsbegründungsschriftsatz abgesandt und das Versendungsprotokoll - falsch - abgelesen. Ich habe die Frist daraufhin gestrichen. Herr RA. S. N. fragte noch nach, ob der Schriftsatz ordnungsgemäß eingegangen sei, was ich auch bejaht habe. Die Frist wurde noch am 19.8.2002 von mir gestrichen, wie ich das immer am Abend bevor ich nach Hause gehe unternehme."

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 S. 4, 238 Abs. 2 ZPO), aber unzulässig.

1. Entgegen der Auffassung des Klägers kommt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Sache, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann (BGH v. 4.7.2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 [223] = BGHReport 2002, 948 = MDR 2002, 1207). Das ist hier nicht der Fall. Die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht eines Rechtsanwalts bei der Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze sind in der Rechtsprechung des BGH hinreichend geklärt (zur Versendung fristgebundener Schriftsätze durch Fax BGH v. 23.10.2003 - V ZB 28/03, BGHReport 2004, 266 = MDR 2004, 408 = FamRZ 2004, 262; v. 2.7.2001 - II ZB 28/00, NJW-RR 2002, 60; v. 3.4.2001 - XI ZB 2/01, BGHR ZPO § 233 Ausgangskontrolle 15 (Gründe); v. 16.6.1998 - XI ZB 13/98, VersR 1999, 996; v. 18.12.1997 - X ZB 16/97, NJWE-VHR 1998, 86; BFH v. 19.11.1997 - VIII ZB 33/97, NJW 1998, 907). Nach dieser Rechtsprechung endet die Pflicht des Rechtsanwalts zur Ausgangskontrolle bei Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax erst dann, wenn feststeht, dass der Schriftsatz wirklich übermittelt worden ist. Mit Rücksicht auf die Risiken beim Einsatz eines Telefaxgerätes kommt der Rechtsanwalt seiner Verpflichtung zu einer wirksamen Ausgangskontrolle nur dann nach, wenn er seinen dafür zuständigen Mitarbeitern die Weisung erteilt, sich einen Einzelnachweis ausdrucken zu lassen, auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu prüfen und die Notfrist erst nach Kontrolle des Sendeberichts zu löschen. Ob die Büroorganisation des Prozessbevollmächtigten des Klägers diesen Anforderungen genügt, ist eine Frage des Einzelfalles und damit einer Verallgemeinerung nicht zugänglich.

2. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO erfordert eine Entscheidung des BGH nur in Fällen einer Divergenz oder dann, wenn bei der Auslegung oder Anwendung revisiblen Rechts Fehler über die Einzelfallentscheidung hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berühren. Letzteres ist vor allem dann der Fall, wenn Verfahrensgrundsätze, insb. die Grundrechte auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf ein objektiv willkürfreies Verfahren (Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt sind. Dabei sollen Art und Weise eines Rechtsfehlers nach dem Willen des Gesetzgebers aber nur dann Bedeutung erlangen, wenn sie geeignet sind, das Vertrauen in die Rechtsprechung im Ganzen zu beschädigen. Regelmäßig ist eine auf § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO gestützte Rechtsbeschwerde deswegen nur zulässig, wenn dargelegt ist, dass ein Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte im Einzelfall klar zu Tage tritt, also offenkundig ist, und die angefochtene Entscheidung hierauf beruht (BGH v. 4.7.2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 [227] = BGHReport 2002, 948 = MDR 2002, 1207; v. 11.2.2004 - XII ZB 263/03, FamRZ 2004, 696, m.w.N.).

a) Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, die Rechtsschutzgarantie und das rechtliche Gehör zu gewährleisten. Die Verfahrensgrundsätze auf Gewährleistung wirkungsvollen Rechtsschutzes und auf rechtliches Gehör gebieten es daher, den Zugang zu den Gerichten und den weiteren Instanzen nicht in unzumutbarer, sachlich nicht gerechtfertigter Weise zu erschweren. Deswegen dürfen gerade bei der Auslegung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung die Anforderungen an die Sorgfalt eines Rechtsanwalts und die Kausalität einer Pflichtverletzung nicht überspannt werden (BGH v. 4.7.2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 [227 f.] = BGHReport 2002, 948 = MDR 2002, 1207, m.w.N. aus der Rspr. des BVerfG).

b) Gegen diese Grundsätze hat das Beschwerdegericht nicht verstoßen.

Die Rechtsbeschwerde hat keinen erheblichen Unterschied der angefochtenen Entscheidung zu den zitierten Entscheidungen des BGH aufgezeigt. Eine Divergenz kommt nur dann in Betracht, wenn nach den Darlegungen der Rechtsbeschwerde der angefochtenen Entscheidung ein Rechtssatz zu Grunde liegt, der von einem die Entscheidung tragenden Rechtssatz eines höherrangigen Gerichts, eines anderen Spruchkörpers desselben Gerichts oder eines anderen gleichgeordneten Gerichts abweicht (BGH v. 4.7.2002 - V ZR 75/02, BGHReport 2002, 947 = MDR 2002, 1206 = NJW 2002, 2957; v. 5.11.2002 - VI ZB 40/02, MDR 2003, 299 = BGHReport 2003, 252 = NJW 2003, 437). Das ist hier nicht der Fall.

Nach der zitierten Rechtsprechung des BGH darf die Notfrist im Fristenkalender bei Übermittlung eines Schriftsatzes per Fax erst nach einer Kontrolle des Sendeberichts gelöscht werden. Auf eine solche allgemein organisatorische Vorkehrung kommt es nur dann nicht an, wenn im Einzelfall konkrete Anweisungen erteilt worden sind, deren Befolgung die Fristwahrung ebenso sichergestellt hätte. Das hat der Kläger im Verfahren der Wiedereinsetzung nicht glaubhaft gemacht.

Nach dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers im Wiedereinsetzungsverfahren beschränkte sich die Büroorganisation auf die Sorgfalt beim Absenden eines Telefax, ließ aber die Löschung der Notfrist schon vor der endgültigen Kontrolle der vollständigen Übermittlung zu. Denn nach dem Inhalt der zur Begründung der beantragten Wiedereinsetzung eingereichten Eidesstattlichen Versicherungen ist die Frist ohne erneute Prüfung des Sendeprotokolls gelöscht und die fehlerhafte Übermittlung erst am Folgetag bemerkt worden. Hätte demgegenüber eine allgemeine Anweisung bestanden, Notfristen erst nach Kontrolle der vollständigen Übermittlung anhand des Protokolls zu löschen, wäre die noch ausstehende Frist für die Berufungsbegründung noch rechtzeitig am Abend des 19.8.2002 bemerkt worden.

Auf den Inhalt der erst nach Erlass der angefochtenen Entscheidung vorgelegten und von den früheren eidesstattlichen Versicherungen abweichenden "Zweiten ergänzenden eidesstattlichen Versicherung" der Rechtsanwaltsfachangestellten L. v. 3.2.2003 kann es für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde schon deswegen nicht ankommen, weil im Verfahren der Rechtskontrolle grundsätzlich keine neuen Tatsachen festgestellt werden können (BGH, Beschl. v. 18.9.2003 - IX ZB 40/03, BGHZ 156, 165 [167 f.] = BGHReport 2004, 54 = MDR 2004, 107 = FamRZ 2004, 180 [181]).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1209805

NJW 2004, 3490

BGHR 2004, 1580

FamRZ 2004, 1549

MDR 2004, 1433

MDR 2006, 556

VersR 2005, 856

ProzRB 2005, 101

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