Entscheidungsstichwort (Thema)

Billigkeitsentscheidung nach Art. 17 Abs. 3 Satz 2 EGBGB beim Versorgungsausgleich bei im Ausland ohne Bezug zum deutschen Rechtskreis lebenden Ausgleichsberechtigten. Berücksichtigung von ausländischen Rentenanwartschaften im Rahmen der Billigkeitsentscheidung. Darlegungs- und Beweislast für bestrittene Behauptungen in echten Streitsachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Billigkeitsentscheidung nach Art. 17 Abs. 3 Satz 2 EGBGB, wenn der aus dem Versorgungsausgleich Berechtigte dauerhaft im Ausland (hier: Türkei) lebt und keinen Bezug zum deutschen Rechtskreis hat (Fortführung des Senatsbeschlusses BGH v. 10.11.1999 - X II ZB 132/98, FamRZ 2000, 418 f.)

 

Normenkette

EGBGB Art. 17 Abs. 3 S. 2

 

Verfahrensgang

KG Berlin (Beschluss vom 03.03.2003; Aktenzeichen 3 UF 10730/99)

AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Entscheidung vom 11.03.1998; Aktenzeichen 179 F 8814/97)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des 3. Zivilsenats des KG in Berlin als Senat für Familiensachen vom 3.3.2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das KG in Berlin zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 1.340 EUR

 

Gründe

I.

[1] Die Parteien, beide türkische Staatsangehörige, haben am 20.6.1956 in der Türkei geheiratet. Aus der Ehe sind vier inzwischen volljährige, in der Türkei aufgewachsene Kinder hervorgegangen. Der im Jahr 1933 geborene Ehemann (Antragsgegner) ist 1970 ohne seine Familie zur Erwerbstätigkeit nach Deutschland gekommen, wo er seither lebt. Die im Jahr 1942 geborene Ehefrau (Antragstellerin), die zu keinem Zeitpunkt sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, lebt im Haushalt eines ihrer Söhne in B./Türkei.

[2] Auf den am 4.9.1997 zugestellten Antrag der Ehefrau ist die Ehe durch Verbundurteil des AG - FamG - nach türkischem Recht geschieden worden. Gleichzeitig hat das FamG auf Antrag der Ehefrau nach Art. 17 Abs. 3 Satz 2 EGBGB den Versorgungsausgleich dahin geregelt, dass vom Versicherungskonto des Antragsgegners auf ein bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund; weitere Beteiligte zu 2)) einzurichtendes Versicherungskonto der Antragstellerin Rentenanwartschaften i.H.v. monatlich 436,80 DM (223,33 EUR), bezogen auf den 31.8.1997, übertragen werden. Nach den Feststellungen des AG - FamG - hat der Antragsgegner bei der Deutschen Rentenversicherung Oberbayern (DRV Oberbayern, weitere Beteiligte zu 1)) in der Ehezeit (1.6.1956 bis 31.8.1997, § 1587 Abs. 2 BGB) inländische Versorgungsanwartschaften i.H.v. monatlich 873,61 DM (446,67 EUR) erworben; die Antragstellerin verfügt über keine Rentenanwartschaften.

[3] Der Antragsgegner hat gegen die Entscheidung zum Versorgungsausgleich Beschwerde eingelegt und geltend gemacht, der Wertausgleich sei unter Billigkeitsgesichtspunkten auszuschließen. Er habe der Antragstellerin anlässlich verschiedener Besuche in der Türkei insgesamt 65.000 DM überlassen, damit sie durch den Erwerb einer Immobilie für ihr Alter vorsorgen könne. Die Ehefrau habe das Geld einem der gemeinsamen Söhne zur Verfügung gestellt, bei dem sie nun unentgeltlich bei freier Kost wohne. Die Antragstellerin hat den Erhalt jeglicher Zuwendungen bestritten und behauptet, der Antragsgegner habe, seitdem er die Türkei verlassen habe, allenfalls geringe Unterhaltsleistungen für die Familie erbracht. Wegen der Erziehung der gemeinsamen Kinder habe sie für ihr Alter nicht vorsorgen können. Inzwischen sei sie alt, krank und auf finanzielle Mittel angewiesen.

[4] Das KG hat mit Beschluss vom 21.9.1998 die Entscheidung zum Versorgungsausgleich zunächst dahin abgeändert, dass vom Versicherungskonto des Ehemannes auf ein einzurichtendes Konto der Antragstellerin bei der DRV Bund Rentenanwartschaften i.H.v. monatlich 145,60 DM (74,44 EUR), bezogen auf den 31.8.1997, zu übertragen seien. Die Kürzung gem. Art. 17 Abs. 3 Satz 2 letzter Halbs. EGBGB auf ein Drittel des hälftigen Wertunterschieds hat es mit den im Vergleich zu Deutschland geringeren Lebenshaltungskosten in der Türkei begründet. Im Übrigen habe der Antragsgegner die behaupteten Zahlungen i.H.v. 65.000 DM an die Antragstellerin weder belegt noch "genauer nach Zeit sowie Ort und Umständen der Übergabe substantiiert", weshalb der Vortrag unbeachtlich sei.

[5] Auf die zugelassene weitere Beschwerde der Antragstellerin hat der Senat mit Beschluss vom 10.11.1999 (BGH v. 10.11.1999 - X II ZB 132/98, FamRZ 2000, 418 f.) die Entscheidung des KG aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Bei der erforderlichen Überprüfung nach Art. 17 Abs. 3 Satz 2 letzter Halbs. EGBGB, ob die Durchführung des Versorgungsausgleichs der Billigkeit entspreche, sei unberücksichtigt geblieben, dass Rentenleistungen an im Ausland lebende Berechtigte nach § 113 Abs. 3 SGB VI regelmäßig nur i.H.v. 70 % ausgezahlt würden. Bei der Beurteilung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse könne zudem nicht nur auf die geringeren Lebenshaltungskosten in der Türkei abgestellt werden. Es müsse auch Berücksichtigung finden, dass der Antragsgegner in Deutschland in die allgemeine soziale Sicherung, einschließlich der gesetzlichen Krankenversicherung und der ggf. eintretenden ergänzenden Sozialhilfe, einbezogen sei. Die Antragsgegnerin verfüge hingegen über keine eigene Krankenversicherung und müsse für ihre medizinische Versorgung selbst aufkommen.

[6] Mit Beschluss vom 3.3.2003 hat das KG eine Herabsetzung auf 50 % des hälftigen Wertunterschieds befürwortet und die Entscheidung des AG - FamG - zum Versorgungsausgleich dahin abgeändert, dass vom Versicherungskonto des Antragsgegners bei der DRV Oberbayern auf ein einzurichtendes Konto der Antragstellerin bei der DRV Bund Rentenanwartschaften i.H.v. 111,67 EUR (218,40 DM), bezogen auf den 31.8.1997, übertragen werden.

[7] Hiergegen wendet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Antragsgegners, mit der er einen Ausschluss des Versorgungsausgleichs erreichen möchte.

II.

[8] Das zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an das KG.

[9] 1. Das KG hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Auf Antrag der Ehefrau sei gem. Art. 17 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 EGBGB der Versorgungsausgleich regelwidrig nach deutschem Recht durchzuführen. Das nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB maßgebliche türkische Scheidungsstatut kenne den Versorgungsausgleich nicht; der Antragsgegner habe aber in der Ehezeit inländische Anwartschaften erworben. Die nach Art. 17 Abs. 3 Satz 2 letzter Halbs. EGBGB erforderliche Billigkeitsabwägung unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse führe allerdings zu einer Beschränkung des Wertausgleichs auf die Hälfte des sich nach § 1587b Abs. 1 BGB errechnenden Ausgleichsanspruchs der Ehefrau (111,67 EUR statt 223,34 EUR). Deren Lebenshaltungsniveau sei - unter Berücksichtigung der konkreten Lebenssituation beider Ehegatten - niedriger als das des in Deutschland lebenden Antragsgegners. Bei der Abwägung sei auch zu berücksichtigen, dass sich die Antragstellerin in der Türkei um die Erziehung der gemeinsamen Kinder gekümmert habe und deshalb keine eigene Altersversorgung habe aufbauen können. Krankenversichert sei sie lediglich zeitweise kostenlos über ihren Sohn E. Hingegen könne die Übertragung von Anrechten der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung unter bestimmten Voraussetzungen sogar dazu führen, dass die Antragstellerin Pflichtmitglied in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung werde. Einen Anspruch auf Teilhabe an einem durch die Verhältnisse in Deutschland geprägten höheren Lebensstandard habe die Antragstellerin jedoch nicht. Auch sei der Wertausgleich nicht deshalb ungekürzt durchzuführen, weil der in Deutschland lebende Antragsgegner seine infolge des Versorgungsausgleichs unzureichende Rente durch ergänzende Sozialhilfe aufbessern könne. Auf der anderen Seite könne nicht deshalb von der Durchführung des Wertausgleichs abgesehen werden, weil bereits die ungekürzte Rente des Antragsgegners nicht ausreiche, dessen Lebensunterhalt ohne ergänzende Sozialhilfe zu sichern. Entsprechende Selbstbehaltgrenzen gebe es beim Versorgungsausgleich nicht. Der Wertausgleich sei auch wirtschaftlich sinnvoll, da die in der Türkei lebende Antragstellerin ohne weitere Beitragszeiten einen durchsetzbaren Rentenanspruch erhalte, der ihr auf der Grundlage des deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommens ungekürzt ausgezahlt werde. Sonstige Umstände, die eine weitere Herabsetzung oder gar einen Ausschluss des Versorgungsausgleichs rechtfertigten, habe der Antragsgegner nicht dargetan. Insbesondere habe er trotz Ankündigung nichts Erhebliches mehr zu seiner Behauptung vorgetragen, die Antragstellerin habe bereits der Altersvorsorge dienende 65.000 DM erhalten. Sein darauf gestützter Antrag auf Ausschluss des Versorgungsausgleichs könne deshalb bereits aus den Gründen des Beschlusses vom 21.9.1998 keinen Erfolg haben.

[10] Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

[11] 2. Das Beschwerdegericht hat im Ansatz zu Recht nach Art. 17 Abs. 3 Satz 2 letzter Halbs. EGBGB eine Billigkeitsabwägung unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien vorgenommen und dabei insb. das gegenüber Deutschland niedrigere Lebenshaltungsniveau in der Türkei berücksichtigt. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers dient die Billigkeitsprüfung dazu, die wirtschaftlichen Verhältnisse der Eheleute zu berücksichtigen und internationalen Aspekten des Eheverlaufs Rechnung zu tragen. Gerechtigkeitserwägungen sollen bereits bei der Weichenstellung zum deutschen Recht hin ausgewogene Berücksichtigung finden; vor allem sollen unbillige Ergebnisse vermieden werden, die sich dadurch ergeben könnten, dass ein Ehegatte inländische Anwartschaften abgeben muss, während der andere Ehegatte bereits seiner Alterssicherung dienende Vermögenswerte im Ausland besitzt, an denen der Ausgleichspflichtige nicht partizipieren kann (BGH v. 23.2.1994 - XII ZB 39/93, MDR 1994, 690 = FamRZ 1994, 825, 826; vgl. auch BT-Drucks. 10/5632, 42 f.). Die Anwendung einer derartigen Billigkeitsklausel und die Würdigung eines gefundenen Ergebnisses unter dem Gesichtspunkt, "ob es der Billigkeit nicht widerspricht", ist in erster Linie dem Tatrichter vorbehalten. Sie ist im Verfahren der Rechtsbeschwerde nur begrenzt, insb. dahin nachprüfbar, ob der Tatrichter die maßgeblichen Umstände ausreichend und umfassend in seine Abwägung einbezogen hat (Senatsbeschluss vom 10.11.1999a.a.O. S. 419). Auf der Grundlage dieser eingeschränkten Überprüfbarkeit kann der angefochtene Beschluss aber keinen Bestand haben.

[12] a) Ohne Erfolg beanstandet die Rechtsbeschwerde allerdings, das Beschwerdegericht habe bei seiner Billigkeitsabwägung den Vortrag des Antragsgegners fehlerhaft nicht berücksichtigt, er habe zwischen 1979 und 1982 der Antragstellerin für ihre Altersvorsorge 65.000 DM (33.233,97 EUR) zukommen lassen. Dem Beschwerdegericht ist kein Verfahrensverstoß durch Unterlassung gebotener Beweiserhebung unterlaufen.

[13] aa) Im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen zwar grundsätzlich von Amts wegen vorzunehmen und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben (§ 12 FGG). Das Verfahren betreffend den Versorgungsausgleich ist indessen eine echte Streitsache der freiwilligen Gerichtsbarkeit, bei der sich die Ehegatten regelmäßig als Gegner mit widerstreitenden vermögensrechtlichen Interessen privatrechtlicher Natur gegenüberstehen (vgl. Senatsbeschlüsse v. 27.10.1982 - IVb ZB 719/81, BGHZ 85, 180, 188 = MDR 1983, 116 und BGH v. 3.11.1993 - XII ZB 33/92, MDR 1994, 486 = FamRZ 1994, 234, 236). Hier obliegt es den beteiligten Ehegatten, die ihnen vorteilhaften Umstände, die dem Gericht nicht ohne Weiteres bekannt sein können, von sich aus vorzubringen und durch eingehende Tatsachendarstellung und geeigneten Beweisantritt an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken (vgl. Senatsbeschlüsse vom 3.11.1993a.a.O. S. 236 und vom 23.3.1988 - IVb ZB 51/87, MDR 1988, 764 = FamRZ 1988, 709, 710). Die Ermittlungspflicht des Gerichts endet deshalb grundsätzlich dort, wo es ein Verfahrensbeteiligter allein oder in erster Linie in der Hand hat, die notwendigen Erklärungen abzugeben. Bei der Billigkeitsklausel des Art. 17 Abs. 3 Satz 2 letzter Halbs. EGBGB handelt es sich - wie bei § 1587c BGB - um eine anspruchsbegrenzende Norm mit Ausnahmecharakter (vgl. BGH v. 9.5.1990 - XII ZB 58/89, FamRZ 1990, 1341, 1342). Für das Vorliegen dieses Ausnahmetatbestandes muss der Beteiligte, der sich darauf beruft, dessen tatsächliche Voraussetzungen unter Berücksichtigung der allgemeinen Darlegungs- und Beweislastregeln geltend machen (Keidel/Kuntze/Schmidt FGG 15. Aufl., § 12 Rz. 121 f.; vgl. für § 1587c BGB Senatsbeschlüsse vom 9.5.1990a.a.O. S. 1342 und vom 23.3.1988a.a.O. S. 710).

[14] bb) Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 23.6.1998 vorgetragen, er habe der Antragstellerin im Jahr 1979 10.000 DM, im Jahr 1980 20.000 DM, im Jahr 1981 15.000 DM und im Jahr 1982 20.000 DM über den ältesten Sohn für den Erwerb einer Immobilie als Altersvorsorge zukommen lassen. Die Antragstellerin hat den Vortrag zulässig mit der Behauptung bestritten, der Antragsteller wolle lediglich mit unrichtiger Sachverhaltsdarstellung den Ausschluss des Versorgungsausgleichs erreichen. Da der Umfang der Darlegungslast vom Bestreiten des Gegners abhängig ist, oblag es nun dem für die Voraussetzungen des anspruchsbegrenzenden Art. 17 Abs. 3 Satz 2 letzter Halbs. EGBGB darlegungs- und beweisbelasteten Antragsgegner, den bisher allgemein gehaltenen Vortrag hinsichtlich Zeitpunkt, Ort und konkreter Umstände der Zahlungen zu substantiieren, um der Antragstellerin eine weitere Erklärungslast aufzuerlegen (vgl. Zöller/Greger ZPO 26. Aufl., § 138 Rz. 8 a) und das Vorbringen ggf. einer Beweisaufnahme zugänglich zu machen. Dem ist der Antragsgegner nicht nachgekommen. Die im Schriftsatz vom 23.6.1998 angekündigten Bankbelege für die behaupteten Zahlungen hat er nicht vorgelegt; ebenso hat er entgegen den mit Schriftsatz vom 25.7.2000 angekündigten "Ergänzungen des Vorbringens zu den Überweisungen" nichts weiter vorgetragen. Auch der vorgelegte Beleg einer türkischen Bank vom 25.5.1980 für die Überweisung von 150.000 Türkischen Lira an den ältesten Sohn Y. der Parteien vermag entgegen der Rechtsbeschwerde die behauptete Zahlung von 10.000 DM (5.112,92 EUR) an die Antragstellerin im Jahr 1980 nicht zu untermauern. Der ausgewiesene Betrag entsprach 1980 umgerechnet nur ca. 3.000 DM (1.533,88 EUR). Lediglich mit Schriftsatz vom 23.6.1998 hat der Antragsgegner konkretisierend ausgeführt, im Dezember 1980 habe er seinem Sohn Y. weitere 10.000 DM in der Wohnung des benannten Zeugen Y.A. in Istanbul übergeben. Dass diese Summe es der damals erst 38 Jahre alten und in der Türkei ohne eigene Einkünfte lebenden, allein erziehenden Antragstellerin ermöglicht haben soll, mittels Immobilienerwerbs für ihr Alter vorzusorgen, ist indes auch vor dem Hintergrund geringer Lebenshaltungskosten in der Türkei nicht nachvollziehbar. Mangels substantiierten Tatsachenvortrags und damit wegen fehlender Beweisbedürftigkeit (vgl. Musielak/Foerste ZPO 4. Aufl., § 284 Rz. 16) musste das Beschwerdegericht über die behaupteten Geldzahlungen keinen Beweis erheben, insb. konnte es von einer Vernehmung der benannten Zeugen E.A. und Y.A. absehen.

[15] cc) Der Antragsgegner kann sich dabei nicht darauf berufen, das Beschwerdegericht habe es versäumt, ihn vor Erlass der angegriffenen Entscheidung auf die fehlende Substantiierung seines Vortrags hinzuweisen. Zwar besteht grundsätzlich eine entsprechende gerichtliche Hinweispflicht (vgl. BGH, Urt. v. 22.4.1999 - I ZR 37/97 - NJW 1999, 3716). Spätestens seit dem Beschluss des Beschwerdegerichts vom 21.9.1998, in dem u.a. die behaupteten Zahlungen als "nicht ausreichend dargetan" behandelt wurden, war dem Antragsgegner aber der Mangel seines Vortrags bekannt. Auch durfte er, nachdem der genannte Beschluss durch den Senat aus anderen Gründen aufgehoben und zurückverwiesen worden war, nicht davon ausgehen, das KG habe seine entsprechende Auffassung geändert. Mit Beschluss vom 28.8.2000 hat es vielmehr angekündigt, unter "Berücksichtigung der Rechtsauffassung des BGH und etwaigem ergänzenden Sachvortrag" neu zu entscheiden. Daraus folgt, dass das Beschwerdegericht eine Beweisaufnahme über die behaupteten Geldzahlungen weiterhin nicht für erforderlich hielt.

[16] b) Ebenfalls ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, die angegriffene Entscheidung sei widersprüchlich und mangelhaft begründet. Sie beanstandet, das KG habe in seiner ursprünglichen Entscheidung vom 21.9.1998 den nach § 1587b BGB ermittelten Ausgleichsbetrag zunächst um 67 % gekürzt. Nach der Aufhebung und Zurückverweisung durch den Senat halte es nun eine Kürzung um lediglich 50 % für geboten, obwohl neue, eine Herabsetzung rechtfertigende Argumente nicht hinzugetreten seien. Der Senat hatte in seiner Entscheidung vom 10.11.1999 (a.a.O.) den Beschluss des KG jedoch insgesamt aufgehoben und zurückverwiesen. Er hatte dabei dem Beschwerdegericht entsprechend § 565 Abs. 2 ZPO a.F. bindend (vgl. Senatsbeschluss vom 22.10.1997 - XII ARZ 27/97, FamRZ 1998, 477; MünchKomm/Finger ZPO 2. Aufl., § 621e Rz. 70) aufgegeben, erneut in die Billigkeitsabwägung nach Art. 17 Abs. 3 Satz 2 letzter Halbs. EGBGB einzutreten. Bei der erneuten Abwägung der maßgeblichen Umstände musste sich das KG deshalb nicht an den tragenden Gründen seiner Entscheidung vom 21.9.1998 orientieren. Zwar trifft es zu, dass Rentenzahlungen der Deutschen Rentenversicherung an in der Türkei lebende Berechtigte - trotz der geringeren Lebenshaltungskosten - ungekürzt ausgezahlt werden (vgl. Art. 35 des Abkommens der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 30.4.1964, BGBl. 1965 II, 1170 f.; anders noch Senatsbeschluss vom 10.11.1999a.a.O. S. 419). Auch spricht dieser Umstand bei der Abwägung nach Art. 17 Abs. 3 Satz 2 letzter Halbs. EGBGB eher für eine Kürzung des Wertausgleichs. Es blieb dem Beschwerdegericht dennoch unbenommen, den Aspekt der niedrigeren Lebenshaltungskosten anders als in der Ausgangsentscheidung zu gewichten und den Ausgleichsbetrag in geringerem Umfang herabzusetzen.

[17] c) Die Rechtsbeschwerde wendet allerdings zu Recht ein, das KG habe bei seiner Entscheidung den Vortrag des Antragsgegners nicht berücksichtigt, die Antragstellerin verfüge in der Türkei über eigene Rentenanwartschaften. Nach dem für das Rechtsbeschwerdeverfahren als wahr zu unterstellenden Vortrag des Antragsgegners soll die Antragstellerin nach türkischem Sozialversicherungsrecht in den Zeiten kostenfrei gesetzlich rentenversichert sein, in denen ihr Sohn E. - in dessen Haushalt sie lebt - sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist. Das Beschwerdegericht hat zum Bestehen und zur Höhe eines solchen Versicherungsanspruchs keine Feststellungen getroffen. Zwar bliebe ein solches Anrecht bei der Berechnung des eigentlichen Ausgleichsanspruchs unberücksichtigt, weil es weder mit Hilfe des Vermögens noch durch die Arbeit der Ehegatten begründet oder aufrechterhalten worden wäre (vgl. § 1587 Abs. 1 Satz 2 BGB). In die Billigkeitsabwägung nach Art. 17 Abs. 3 Satz 2 letzter Halbs. EGBGB wäre es dennoch - da die wirtschaftliche Situation der Antragstellerin verbessernd - einzubeziehen.

[18] 4. Der angefochtene Beschluss kann daher nicht bestehen bleiben. Die Sache ist unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an das KG zurückzuverweisen, damit es Feststellungen dazu treffen kann, ob bzw. in welcher Höhe die Antragstellerin über das behauptete Anrecht aus der türkischen gesetzlichen Rentenversicherung verfügt. Dabei kann das Beschwerdegericht der Antragstellerin zunächst entsprechend § 11 Abs. 2 VAHRG aufgeben, genaue Angaben zu einem möglichen Rentenanspruch zu machen. Ebenso kann es über die Verbindungsstelle der Deutschen Rentenversicherung für die Türkei mit einem Auskunftsersuchen an den türkischen Versicherungsträger herantreten. Schließlich bleibt dem Beschwerdegericht auch die Möglichkeit, einen Sachverständigen zu Rate zu ziehen (vgl. allgemein zur Ermittlung ausländischer Anrechte: Rahm/Künkel/Paetzold Handbuch des FamGverfahrens Kap. VIII Rz. 1082 ff.).

[19] a) Im Rahmen einer erneuten Prüfung kann sich der Antragsgegner dabei für eine weitergehende Kürzung des Versorgungsausgleichs nicht allein darauf berufen, der Wertausgleich gefährde seinen "Mindestbedarf" und führe dazu, dass er verstärkt auf Sozialhilfeleistungen zur Sicherung seines Lebensunterhalts angewiesen sei. Unterhaltsrechtlich erhebliche Selbstbehaltgrenzen bestehen beim Versorgungsausgleich nicht (vgl. BGH v. 20.1.1993 - XII ZB 59/90, MDR 1993, 768 = FamRZ 1993, 682, 684 und vom 18.5.1988 - IVb ZB 109/87 = FamRZ 1989; 46, 47; Palandt/Brudermüller BGB § 1587c Rz. 21; MünchKomm/Dörr BGB 4. Aufl., § 1587c Rz. 19; Schwab/Hahne Handbuch des Scheidungsrechts 5. Aufl. Kap. VI Rz. 283). Dieser Gesichtspunkt kann im Rahmen der Billigkeitsabwägung eine Kürzung des Ausgleichsanspruchs nur dann rechtfertigen, wenn der Wertausgleich die Erhöhung einer bereits ausreichenden Versorgung des im Ausland lebenden Berechtigten zur Folge hätte, dem Verpflichteten hingegen für seinen Lebensunterhalt dringend benötigte Anrechte entziehen würde, und so ein erhebliches wirtschaftliches Ungleichgewicht die Folge wäre (vgl. für § 1587c BGB Senatsbeschlüsse vom 20.1.1993a.a.O. S. 684 und vom 18.5.1988a.a.O. S. 47; a.A. OLG Frankfurt v. 22.12.1998 - 2 UF 146/96, FamRZ 2000, 163, 164). Sollte das Beschwerdegericht deshalb im weiteren Verfahren feststellen, dass die Antragstellerin über die behaupteten Rentenanrechte in der Türkei verfügt, wird es bei seiner Abwägung nach Art. 17 Abs. 3 Satz 2 letzter Halbs. EGBGB zu berücksichtigen haben, inwieweit diese Anrechte - auch vor dem Hintergrund vergleichsweise niedriger Lebenshaltungskosten in der Türkei - eine angemessene Versorgung im Alter gewährleisten.

[20] b) Der Antragsgegner kann allerdings nicht erreichen, dass der Versorgungsausgleich vollständig ausgeschlossen wird. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das KG auch zugunsten der Antragstellerin das Verbot der reformatio in peius zu beachten haben (für dessen Geltung im Versorgungsausgleichsverfahren vgl. Senatsbeschluss BGHZ a.a.O. S. 185 ff.; für den Fall der Zurückverweisung vgl. Senatsbeschluss vom 24.5.1989 - IVb ZB 28/88, MDR 1989, 979 = FamRZ 1989, 957, 958). Mit ihrem erfolgreichen Rechtsmittel gegen den Beschluss vom 21.9.1998 hat die Antragstellerin erst die Grundlage für die zweite Entscheidung des KG vom 3.3.2003 geschaffen, gegen die sich nun die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners richtet. Das Beschwerdegericht kann deshalb den Versorgungsausgleich nicht mit einem Betrag durchführen, der den mit Beschluss vom 21.9.1998 der Antragstellerin zugesprochenen Ausgleichsbetrag unterschreitet.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1685485

BGHR 2007, 302

EBE/BGH 2007, 2

FamRZ 2007, 366

NJW-RR 2007, 361

MDR 2007, 660

FamRBint 2007, 30

NJW-Spezial 2007, 251

FK 2007, 102

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