Entscheidungsstichwort (Thema)

Familiensache

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Durchführung des Versorgungsausgleichs, wenn der Versorgungsträger unter Verstoß gegen § 10d VAHRG dem ausgleichspflichtigen Ehegatten Beiträge erstattet hat (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 18. September 1991 – XII ZB 92/89 – FamRZ 1992, 45).

 

Normenkette

VAHRG § 10d; BGB § 1587 ff.

 

Verfahrensgang

OLG Hamburg

AG Hamburg

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken werden der Beschluß des 7. Zivilsenats als 4. Familiensenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 1. Oktober 1993 sowie der Beschluß des Amtsgerichts – Familiengericht – Hamburg vom 17. September 1991 aufgehoben.

Ein Versorgungsausgleich findet nicht statt.

Die Gerichtskosten aller Instanzen tragen die Parteien je zur Hälfte. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Beschwerdewert: 1.000 DM.

 

Gründe

I.

Die Parteien waren seit 13. Mai 1981 verheiratet. Ende 1985 betrieb die Ehefrau (Antragstellerin, deutsche Staatsangehörige) das Scheidungsverfahren. Dem Ehemann (Antragsgegner, türkischer Staatsangehöriger) wurde der Scheidungsantrag am 30. April 1986 in Deutschland zugestellt. In der Folge gestalteten sich die Ermittlungen zur Durchführung des Versorgungsausgleich schwierig, weil die Ehefrau die erforderlichen Auskünfte nicht erteilte und zeitweise unbekannten Aufenthalts war.

Durch Urteil vom 25. April 1989 erkannte das Amtsgericht – Familiengericht – vorab auf Scheidung der Ehe der Parteien. Der Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken (weitere Beteiligte zu 2 – im folgenden LVA O.), die bereits am 27. Januar 1987 eine Auskunft über die Versorgungsanwartschaften des Ehemannes in der gesetzlichen Rentenversicherung erteilt hatte, teilte das Gericht durch ein Schreiben vom 18. April 1990 mit, daß „das Verfahren … von den Parteien nicht betrieben” werde. Auf Antrag des Ehemannes, der sich zu dieser Zeit bereits in der Türkei aufhielt, wurden ihm von diesem Versorgungsträger aufgrund Bescheides vom 6. März 1991 seine Beiträge in Höhe von 12.264,65 DM erstattet. Am 17. September 1991 entschied das Familiengericht in Unkenntnis dessen über den Versorgungsausgleich und regelte ihn dahin, daß im Wege des Splittings vom Versicherungskonto des Ehemannes bei der LVA O. auf das Versicherungskonto der Ehefrau bei der Landesversicherungsanstalt Baden (weitere Beteiligte zu 1 – im folgenden LVA B.) Rentenanwartschaften in Höhe von 38,55 DM, bezogen auf den 31. März 1986, übertragen werden.

Gegen diesen Beschluß legte die LVA O. Beschwerde ein, mit der sie geltend machte, daß infolge der Beitragserstattung die zuvor bei ihr bestehenden Rentenanwartschaften des Ehemannes erloschen seien und infolgedessen nicht mehr für den Versorgungsausgleich zur Verfügung stünden. Das Oberlandesgericht folgte dem nicht; es änderte das Splitting geringfügig auf einen Monatsbetrag von 37,56 DM ab und wies das Rechtsmittel im übrigen zurück. Dagegen richtet sich die zugelassene weitere Beschwerde der LVA O., mit der sie den Ausspruch begehrt, daß ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet.

II.

Das Rechtsmittel ist begründet.

1. Das Oberlandesgericht ist ohne Begründung davon ausgegangen, daß die deutschen Gerichte für die Scheidung und Scheidungsfolgen international zuständig sind und ein Versorgungsausgleich nach den Regeln der §§ 1587 ff BGB in Betracht kommt. Insoweit bestehen keine Bedenken. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte folgt aus § 606a Abs. 1 Nr. 1 ZPO, weil die Ehefrau Deutsche ist (vgl. Senatsbeschluß vom 26. Oktober 1989 – IVb ZB 36/86 FamRZ 1990, 386 m.w.N.). Da der Scheidungsantrag vor Inkrafttreten des IPR-Neuregelungsgesetzes 1986 zugestellt worden ist, richtet sich das anzuwendende Sachrecht nach Art. 17 EGBGB in der zuvor geltenden Fassung. Bei Ehen mit einem deutschen Partner ist danach für die Scheidung und die Scheidungsfolgen deutsches Sachrecht anzuwenden (vgl. etwa Senatsurteil vom 18. Oktober 1989 – IVb ZR 76/88 NJW 1990, 636, 637 f m.w.N.).

2. Zu den Folgen der im Jahre 1991 durchgeführten Beitragserstattung für den Versorgungsausgleich hat das Oberlandesgericht ausgeführt: Diese habe nicht zum Erlöschen der Versorgungsanrechte des Ehemannes bei der LVA O. gemäß § 1303 Abs. 7 RVO geführt, weil sie im Verhältnis zur Ehefrau als der Ausgleichsberechtigten ohne Wirkung sei. Das ergebe sich aus entsprechender Anwendung des § 135 BGB. Die LVA O. habe durch die Beitragserstattung an den Ehemann über dessen Versorgungsanrechte verfügt, obwohl ihr dies nach § 10d VAHRG verboten gewesen sei. Sie sei nach dieser Vorschrift verpflichtet gewesen, bis zum Abschluß des Versorgungsausgleichsverfahrens Zahlungen zu unterlassen, die auf die Höhe eines in den Versorgungsausgleich einzubeziehenden Anrechts Einfluß haben könnten. Zwar sei diese Bestimmung nur anwendbar, wenn der Versorgungsträger von dem Versorgungsausgleichsverfahren Kenntnis habe. Das sei hier aber der Fall gewesen, weil die LVA bereits im Zusammenhang mit der Erteilung der Rentenauskunft vom 27. Januar 1987 von dem Verfahren Kenntnis erhalten habe. Die Mitteilung des Gerichts vom 18. April 1990, daß das Verfahren von den Parteien nicht betrieben werde, ändere daran nichts, weil eine solche Mitteilung nur bedeute, daß das Verfahren ruhe, nicht aber, daß es erledigt sei. Bei Zweifeln hätte beim Gericht rückgefragt werden müssen.

2. Diesen Ausführungen vermag der Senat nicht zu folgen.

a) Er hat bereits in seinem Beschluß vom 18. September 1991 (XII ZB 92/89 – FamRZ 1992, 45 f) unter Zusammenfassung seiner einschlägigen Rechtsprechung dargelegt, daß nur im Zeitpunkt der Entscheidung über den Versorgungsausgleich noch vorhandene Versorgungsanrechte in den Ausgleich einbezogen werden können. Dies sei zu verneinen im Falle einer zuvor erfolgten Beitragserstattung, weil diese zum Erlöschen der Versorgungsansprüche führe (im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 1303 Abs. 7 RVO a.F.; nunmehr gemäß § 210 Abs. 6 SGB VI). Sofern die Beitragserstattung erst nach Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags auf den Antrag des an sich ausgleichspflichtigen Ehegatten erfolgt sei, werde im Schrifttum erwogen, dem durch eine entsprechende Anwendung des § 3b VAHRG (insbesondere durch Auferlegung von Beitragszahlungen) zu begegnen. Auch dieser Weg sei nicht gangbar, weil es an der Voraussetzung fehle, daß das auszugleichende Anrecht im Zeitpunkt der Entscheidung noch bestehe.

Die Rechtsprechung des Senats hat zwar im Schrifttum Widerspruch erfahren, der jedoch nicht die Frage betrifft, ob trotz einer Beitragserstattung noch ein Splitting gemäß § 1587b Abs. 1 BGB durchgeführt werden kann. Dieser im angefochtenen Beschluß eingeschlagene Weg wird vielmehr auch von den Kritikern der Senatsrechtsprechung überwiegend abgelehnt, weil ein Splitting an dem Wegfall des Anrechts scheitere und der Versorgungsträger keiner Doppelbelastung ausgesetzt werden könne (vgl. MünchKomm/Dörr 3. Aufl. § 10d VAHRG Rdn. 10; Johannsen/Henrich/Hahne Eherecht 2. Aufl. § 1587a BGB Rdn. 142; Wick in FamGb § 1587a BGB Rdn. 157).

b) In seiner Entscheidung vom 18. September 1991 (aaO) hat der Senat offengelassen, welche Folgen es für den Versorgungsausgleich hat, wenn der Versorgungsträger mit der Beitragserstattung gegen den seit 1. Januar 1987 geltenden § 10d VAHRG verstoßen hat. Diese Frage stellt sich im vorliegenden Fall. Es mag zwar im Hinblick auf das Schreiben des Familiengerichts vom 18. April 1990 zweifelhaft erscheinen, ob die LVA O. in Kenntnis eines laufenden Versorgungsausgleichsverfahrens gehandelt hat, wie es die Vorschrift voraussetzt (vgl. BT-Drucks. 10/6369 § . 23), und ob daher ein Verstoß gegen § 10d VAHRG vorliegt. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts, die auch im Schrifttum vertreten wird (vgl. Soergel/Schmeiduch BGB 12. Aufl. § 10d VAHRG Rdn. 3; Schmeiduch/Krumnack, Amtl. Mitt. LVA Rheinprov. 1987, 493, 494; s.a. Bergner SozVers 1987, 997, 208 f), kann jedenfalls die Vorschrift nicht als relatives Verfügungsverbot im Sinne von § 135 BGB aufgefaßt und angenommen werden, daß die Beitragserstattung dem ausgleichsberechtigten Ehegatten gegenüber unwirksam ist und der Versorgungsträger sich so behandeln lassen muß, als wäre die Verfallswirkung nicht eingetreten. Gegen eine auch nur entsprechende Anwendung des § 135 BGB spricht schon der Wortlaut des § 10d VAHRG, wonach eine Unterlassungsverpflichtung statuiert wird, nicht eine Verfügungsbeschränkung. Verstöße gegen Unterlassungsverpflichtungen lösen allgemein Ansprüche auf Schadensersatz aus (hier denkbar aufgrund von § 839 BGB), nicht auch die Unwirksamkeit von Verfügungen. Weiterhin kann nicht außer Betracht bleiben, daß der Beitragserstattungsbescheid einen begünstigenden Verwaltungsakt darstellt, dessen Rücknahme im Falle der Rechtswidrigkeit sich nach § 45 SGB X richtet (vgl. BSG SozR 1300 § 45 Nr. 7). Durch § 135 BGB werden rechtsgeschäftliche Verfügungen des Privatrechts erfaßt; daß ein Verwaltungsakt des öffentlichen Rechts dem Begünstigten gegenüber als wirksam, anderen gegenüber aber als unwirksam anzusehen ist, kann hingegen nicht angenommen werden. Der Versorgungsträger mag als verpflichtet angesehen werden, einen während des Versorgungsausgleichsverfahrens unter Verstoß gegen § 10d VAHRG erlassenen Beitragserstattungsbescheid zurückzunehmen und den erstatteten Betrag zurückzufordern (so wohl Borth Versorgungsausgleich 2. Aufl. S. 231 f). Bevor dies erfolgreich durchgeführt ist, verbleibt es aber dabei, daß das zunächst erloschene Anrecht nicht im Wege des Splittings ausgeglichen werden kann. Sofern später ein Anrecht nach erfolgreicher Rückforderung wieder begründet werden sollte, bietet § 10a Abs. 1 Nr. 1 VAHRG die rechtliche Möglichkeit, dem nachträglich Rechnung zu tragen.

Der Senat bleibt auch bei der im Beschluß vom 18. September 1991 (aaO) vertretenen Auffassung, daß in Fällen der vorliegenden Art eine entsprechende Anwendung des § 3b VAHRG ausscheidet. Gemäß Abs. 1 Nr. 2 der Vorschrift auferlegte Beitragszahlungen zur Begründung von Versorgungsanwartschaften in der für den Ausgleich erforderlichen Höhe wären nicht immer mit dem Teil der erlangten Beitragserstattung finanzierbar, der dem ehezeitlich erworbenen Anteil der betreffenden Versorgungsanwartschaft zuzuordnen ist, so daß der Ausgleichspflichtige mit seinem Vermögen für einen Fehler des Versorgungsträgers einstehen müßte. Auch wäre die Durchsetzbarkeit solcher Beitragszahlungen in vielen Fällen fraglich. Eher erschiene es gerechtfertigt, den durch die Beitragserstattung erlangten Betrag in geeigneten Fällen dem Zugewinnausgleich zu unterwerfen (vgl. dazu auch Johannsen/Henrich/Hahne aaO § 10d VAHRG Rdn. 2).

Dazu braucht hier jedoch nicht abschließend Stellung genommen zu werden.

3. Das Oberlandesgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, daß die Ehefrau in der Ehezeit (1. Mai 1981 bis 31. März 1986, § 1587 Abs. 2 BGB) Anwartschaften der gesetzlichen Rentenversicherung bei der LVA B. in Höhe von monatlich 33,02 DM erworben hat, der Ehemann – bei Nichtberücksichtigung der Beitragserstattung – solche bei der LVA O. in Höhe von monatlich 108,15 DM. Soweit nach dem Vorangegangenen Versorgungsanrechte bei der LVA O. aufgrund der Beitragserstattung nicht in den Ausgleich einbezogen werden können, wäre es ein untragbares und im Sinne von § 1587c Nr. 1 BGB grob unbilliges Ergebnis, im Wege des Splittings die Hälfte der Anrechte der Ehefrau auf den Ehemann zu übertragen. Unter Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen über den Versorgungsausgleich ist somit auszusprechen, daß im vorliegenden Fall ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet.

 

Fundstellen

Haufe-Index 609843

NJW 1995, 135

IPRspr. 1994, 84

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge