Leitsatz (amtlich)

a) Bei der Vollstreckung eines Anspruchs auf Räumung und Herausgabe eines Grundstücks ist der Gerichtsvollzieher nicht berechtigt, Bauwerke und Anpflanzungen beseitigen zu lassen, selbst wenn der Schuldner nach dem Inhalt des Titels zur Beseitigung verpflichtet ist; der Beseitigungsanspruch ist nach § 887 ZPO zu vollstrecken.

b) Ist die Beseitigung im Rahmen der Herausgabevollstreckung durch den Gerichtsvollzieher ohne die erforderliche Ermächtigung des Prozessgerichts des ersten Rechtszuges erfolgt, können die Kosten der Ersatzvornahme nicht als notwendige Kosten der Zwangsvollstreckung festgesetzt werden.

 

Normenkette

ZPO § 91 Abs. 1, § 788 Abs. 1 S. 1, § 885 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 887

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Beschluss vom 10.11.2003)

AG Berlin-Köpenick

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 82. Zivilkammer des LG Berlin v. 10.11.2003 wird auf Kosten des Gläubigers zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 40.824,09 EUR.

 

Gründe

I.

Mit Urteil des LG Berlin v. 23.4.1999 (LG Berlin, Urt. v. 23.4.1999 - 25 O 750/98) wurden die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, die in der Kleingartenanlage "H. ", , , gelegene Parzelle zu räumen (und zwar einschließlich aller vorhandenen Baulichkeiten, unabhängig davon, ob diese fertig gestellt sind) und an den Gläubiger herauszugeben. Da die Beklagten dieser Verpflichtung nicht nachkamen, erteilte der Gläubiger dem zuständigen Gerichtsvollzieher Vollstreckungsauftrag. Dieser beauftragte ein auf Umzüge, Räumungen, Entrümpelungen, Transporte und Lagerung spezialisiertes Unternehmen mit der Räumung des Grundstücks.

In der Folgezeit räumte das Unternehmen die Parzelle von allen beweglichen Sachen, riss die Bauwerke ab, beseitigte Anpflanzungen, entsorgte den Schutt sowie die Abfälle und ließ von einem Elektriker den Stromanschluss abklemmen. Für ihre Leistungen verlangte es von dem Gerichtsvollzieher 85.752,07 DM. Der Gerichtsvollzieher stellte seinerseits dem Gläubiger 86.084,95 DM (= 44.014,54 EUR) in Rechnung und teilte mit, daß gem. § 2 Abs. 1 GvKostG davon 75.921,63 DM zu überweisen seien. Der Gläubiger zahlte diesen Betrag.

Auf Antrag des Gläubigers hat das AG die von den Schuldnern beizutreibenden Kosten der Zwangsvollstreckung auf 44.028,18 EUR (44.014,54 EUR gemäß Kostenberechnung des Gerichtsvollziehers zzgl. 13,64 EUR für den Zwangsvollstreckungsauftrag angefallene Rechtsanwaltskosten) festgesetzt. Dagegen haben die Schuldner sofortige Beschwerde eingelegt und die Kosten insbesondere als viel zu hoch gerügt. Das LG hat den Kostenfestsetzungsbeschluss des AG abgeändert, die von den Schuldnern als Gesamtschuldner dem Gläubiger zu erstattenden Zwangsvollstreckungskosten auf 3.204,09 EUR nebst Zinsen festgesetzt und den darüber hinausgehenden Kostenfestsetzungsantrag des Gläubigers sowie die weiter gehende sofortige Beschwerde der Schuldner zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Gläubiger mit seiner - zugelassenen - Rechtsbeschwerde, mit der er die Wiederherstellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses des AG erreichen will.

II.

Die gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, als notwendige Kosten der Zwangsvollstreckung (§ 788 Abs. 1 ZPO) könnten nur die Kosten festgesetzt werden, die im Rahmen der Herausgabevollstreckung gem. § 885 ZPO für die Übergabe des Grundstücks an den Gläubiger und die Wegschaffung der beweglichen Sachen angefallen seien. Dazu gehörten insbesondere nicht die Kosten, die wegen der Beseitigung der mit dem Grundstück fest verbundenen Bauwerke und Anpflanzungen entstanden seien. Zwar seien die Schuldner auch zur Beseitigung der auf dem Grundstück vorhandenen "Baulichkeiten" verpflichtet gewesen, jedoch hätte der Gläubiger insoweit die Zwangsvollstreckung für vertretbare Handlungen nach § 887 ZPO durchführen müssen. Betreibe der Gläubiger die Zwangsvollstreckung auf einem rechtlich nicht vorgesehen Weg, könne er die entstandenen Kosten nicht als notwendige Kosten der Zwangsvollstreckung nach § 788 Abs. 1 ZPO geltend machen. Im Übrigen seien unverhältnismäßig hohe Kosten dadurch entstanden, dass der Gerichtsvollzieher ein Transport- und nicht ein Abrissunternehmen beauftragt habe.

Demgegenüber vertritt die Rechtsbeschwerde die Auffassung, die Schuldner seien nach dem Tenor des zu vollstreckenden Urteils nicht lediglich zur Herausgabe des Grundstücks und zum Entfernen der beweglichen Sachen verpflichtet gewesen, sondern zur Beseitigung sämtlicher "Baulichkeiten". Bei dieser Doppelverpflichtung sei das Gläubigerinteresse an der Durchsetzung der titulierten Ansprüche vorrangig und eine Zwangsvollstreckung nach § 887 ZPO entbehrlich. Da die Schuldner ihrer Verpflichtung aus dem Titel nicht freiwillig nachgekommen seien, müssten sie die notwendigen Kosten der Zwangsvollstreckung auf jeden Fall tragen.

2. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist richtig.

a) Im Ansatz zutreffend geht die Rechtsbeschwerde von einer Doppelverpflichtung der Schuldner aus. Wie die Auslegung des Vollstreckungstitels ergibt, waren diese nämlich sowohl zur Herausgabe des Grundstücks an den Gläubiger als auch zur Beseitigung der auf dem Grundstück vorhandenen "Baulichkeiten" verpflichtet. Ist der Schuldner - wie im Streitfall - in einem Titel zur Herausgabe eines Grundstücks und zur Beseitigung von darauf vorhandenen "Baulichkeiten" verurteilt, erfolgt die Zwangsvollstreckung durch eine Anwendung von § 885 und § 887 ZPO. Beide Verpflichtungen haben eine vollstreckungsrechtlich eigenständige Bedeutung (vgl. auch § 887 Abs. 3 ZPO; Schilken in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 883 Rz. 8 ff., 10; Zöller/Stöber, ZPO, 24. Aufl., § 883 Rz. 9; Musielak/Lackmann, ZPO, 3. Aufl., § 883 Rz. 4).

Der Anspruch auf Herausgabe des Grundstücks wird dadurch vollstreckt, dass der Gerichtsvollzieher den Schuldner körperlich von dem Grundstück entfernt und den Gläubiger in dessen Besitz einweist (§ 885 Abs. 1 S. 1 ZPO). Dies gilt auch für den Fall, dass sich auf dem Grundstück Bauwerke oder Sonstige mit dem Grund und Boden fest verbundene Sachen (§ 94 Abs. 1 BGB) befinden (vgl. OLG Celle NJW 1962, 595; OLG Hamm NJW 1965, 2207). Werden bei der Räumungsvollstreckung bewegliche Sachen vorgefunden, die nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung sind, hat der Gerichtsvollzieher sie wegzuschaffen und dem Schuldner, seinem Bevollmächtigten oder einem erwachsenen Familienangehörigen zu übergeben. Sofern keine dieser Personen anwesend ist, muss er sie - mit Ausnahme von Unrat, Müll oder wertlosem Gerümpel (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 24. Aufl., § 885 Rz. 18) - selbst in Verwahrung nehmen (vgl. § 885 Abs. 2 und 3 ZPO).

b) Im Rahmen der Räumungsvollstreckung gem. § 885 Abs. 1 S. 1 ZPO war der Gerichtsvollzieher nicht berechtigt, Bauwerke abreißen, Anpflanzungen ausgraben und den dabei anfallenden Schutt und Abfall wegschaffen zu lassen, auch wenn die Schuldner nach dem Inhalt des Vollstreckungstitels verpflichtet waren, die Kleingartenparzelle - einschließlich aller vorhandenen "Baulichkeiten" - zu räumen und an den Gläubiger herauszugeben. Dabei kann dahinstehen, ob dem zu vollstreckenden Urteil überhaupt ein vollstreckbarer Anspruch des Gläubigers auf Beseitigung der Anpflanzungen entnommen werden kann. Denn die Beseitigung von Bauwerken und Anpflanzungen, der gegenüber der Herausgabe des Grundstücks eine eigenständige Bedeutung zukommt, ist nicht Aufgabe des Gerichtsvollziehers im Rahmen der Räumungsvollstreckung. Im Regelfall sind Bauwerke und Anpflanzungen als wesentliche Bestandteile des Grundstücks (§ 94 Abs. 1 BGB) schon keine beweglichen Sachen i. S. d. § 885 Abs. 2 S. 1 ZPO. Selbst wenn sie ausnahmsweise Scheinbestandteile des Grundstücks sein sollten (§ 95 Abs. 1 BGB), weil sie nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden verbunden wurden, und deshalb bewegliche Sachen im Rechtssinne sind (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl., § 95 Rz. 1), geht die aufwendige und kostenintensive Beseitigung von Bauwerken und Anpflanzungen über das dem Gerichtsvollzieher obliegende "Wegschaffen" von beweglichen Sachen hinaus. Die Beseitigungsverpflichtung der Schuldner hätte der Gläubiger vielmehr als vertretbare Handlung nach § 887 ZPO vollstrecken müssen (vgl. OLG Frankfurt v. 21.11.2002 - 26 W 122/02, OLGReport Frankfurt 2003, 68 = MDR 2003, 655; OLG Düsseldorf v. 5.7.1999 - 3 W 195/99, OLGReport Düsseldorf 2000, 40 = MDR 2000, 414 = NJW-RR 2000, 533; NJW 1965, 2207; OLG Celle NJW 1962, 595; Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 3. Aufl., § 885 Rz. 2). Dazu hätte er der Ermächtigung des Prozessgerichts des ersten Rechtszuges bedurft, die "Baulichkeiten" und Anpflanzungen auf Kosten der Schuldner beseitigen zu lassen.

c) Zu Recht hat es das Beschwerdegericht abgelehnt, die für den Abriss der Bauwerke, den Abtransport des Bauschutts sowie die Entfernung der Anpflanzungen angefallenen Kosten als notwendige Kosten der Zwangsvollstreckung gem. § 788 Abs. 1 i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO festzusetzen, und zwar auch insoweit, als die Schuldner dazu verpflichtet waren und ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen waren. Denn die Beseitigung der "Baulichkeiten" und Anpflanzungen ist rechtsfehlerhaft durch den Gerichtsvollzieher außerhalb des dafür vorgesehenen Verfahrens nach § 887 ZPO erfolgt. Hat der Gläubiger - wie hier - eine dem Schuldner obliegende vertretbare Handlung ohne die erforderliche gerichtliche Ermächtigung vornehmen lassen, kann er die Kosten der Ersatzvornahme nicht als notwendige Zwangsvollstreckungskosten beitreiben, weil die Zwangsvollstreckung insoweit unzulässig war; vielmehr muss er gegen den Schuldner Klage erheben und einen Vollstreckungstitel erwirken (vgl. OLG Köln v. 23.7.1992 - 17 W 454/91, OLGReport Köln 1993, 13 = Rpfleger 1993, 84; OLG Hamburg MDR 1973, 768; Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 788 Rz. 36).

c) Die Höhe der nach § 788 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO erstattungsfähigen Zwangsvollstreckungskosten hat das LG zutreffend errechnet. Fehler bei der Aufteilung der durch die zulässige Herausgabevollstreckung und die unzulässige Ersatzvornahme entstandenen Kosten sind nicht ersichtlich und werden von der Rechtsbeschwerde auch nicht geltend gemacht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1157810

BGHR 2004, 1125

BauR 2004, 1201

NJW-RR 2005, 212

JurBüro 2004, 446

JurBüro 2004, 566

WM 2004, 1197

ZfIR 2004, 789

MDR 2004, 1021

Rpfleger 2004, 505

RVGreport 2004, 435

AIM 2004, 138

JWO-MietR 2004, 171

ProzRB 2004, 296

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