Leitsatz (amtlich)

›Es ist unzulässig, im Adhäsionsverfahren ein Anerkenntnisurteil (§ 307 ZPO) zu erlassen.‹

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken

 

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in fünf Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung, in zwei Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen sexueller Nötigung in drei Fällen, einmal in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen versuchter sexueller Nötigung, wegen Nötigung, Diebstahls in zehn Fällen, gefährlicher Körperverletzung und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünfzehn Jahren verurteilt, Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten angeordnet und ihn im Adhäsionsverfahren durch "Anerkenntnisurteil" zur Zahlung von 15.000 DM Schmerzensgeld an eine Nebenklägerin - Opfer der Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung im Fall 17 der Urteilsgründe - verurteilt. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte das Verfahren und rügt die Verletzung materiellen Rechts.

Die Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 20. November 1990 ohne Erfolg. Der Schuldspruch läßt Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht erkennen. Hingegen kann der gesamte Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben.

1. Die Begründung, mit der das Landgericht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten abgesehen von seiner alkoholbedingten Beeinträchtigung im Fall 11 der Urteilsgründe - ausgeschlossen hat, ist nicht rechtsfehlerfrei. Das Landgericht hat in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. L. beim Angeklagten das Vorliegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB verneint. Die Begründung hierfür läßt die gebotene Gesamtschau von Täterpersönlichkeit und Taten (BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 4, 9) vermissen, da sie auf Auffälligkeiten bei den Sexualdelikten, wie sie sich aus den Urteilsfeststellungen ergeben, nicht näher eingeht. Neben der Aufforderung an die Opfer zum Urinieren und ihrer Beobachtung hierbei in den Fällen 1 und 9 der Urteilsgründe, welche das Landgericht in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen - für den Senat schon schwer nachvollziehbar - als "Ausfluß des normalen Sexualtriebes" wertet (UA 30), sind dies insbesondere: Stundenlanges Verweilen des Angeklagten bei den Opfern in den Fällen 1, 9, 10, 11, 13 und 17; Einführen von Gegenständen in die Scheide der geschädigten Frauen in den Fällen 7 und 10; Vornahme einer Vielzahl verschiedener Sexualhandlungen im Fall 10 und wiederholter Geschlechtsverkehr in den Fällen 11 und 17; Zerschneiden der Kleidung der Opfer in den Fällen 13 und 17; Vergewaltigung des betäubten Opfers im Anschluß an Hilfeleistung durch Beseitigung von Erbrochenem im Fall 9 nach noch bei Bewußtsein des Opfers vorgenommenen verschiedenen anderen Sexualhandlungen, aber auch nach längeren Gesprächen mit dem Opfer; Verabreichen einer Spritze an die Opfer in den Fällen 1 und 17; Anlegen eines Blutdruckmeßgerätes, Verzicht auf nachhaltigere Sexualhandlungen nach massivem Würgen des Opfers und anschließende Gespräche mit dem Opfer im Fall 13; mit dem sonst gewaltsamen Vorgehen nicht in Einklang stehende teilweise Rücksichtnahme auf die Opfer auch in den Fällen 1, 10 und 18. Alle diese Besonderheiten und auch die - allein im Zusammenhang mit der Frage eines Affekts erörterte - kurze zeitliche Abfolge der seit März 1989 begangenen Sexualverbrechen waren bei der Frage zu bedenken und zu erörtern, ob bei dem Angeklagten eine schwere andere seelische Abartigkeit mit der möglichen Folge einer erheblichen Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit vorlag, namentlich unter dem Gesichtspunkt einer Triebstörung (vgl. dazu BGH JR 1983, 69 und 1990, 119, jeweils m. Anm. Blau und Rechtsprechungsnachw.; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 10), aber auch in Gesamtwürdigung mit der festgestellten persönlichen Fehlentwicklung des Angeklagten zum dissozialen Einzelgänger (UA 29 f) und seinem vielfältig geübten - wenngleich kontrollierten - Rauschmittelmißbrauch (UA 9 f, 30).

Es liegt nahe, daß die mangelnde Erörterung der erwähnten Besonderheiten und die daraus zu besorgende nicht hinreichend umfassende Prüfung der mit der Schuldfähigkeit zusammenhängenden Fragen auf die Begutachtung zurückgeht. Es kann sich schon deshalb empfehlen, für die neue Hauptverhandlung einen anderen anerkannten psychiatrischen Sachverständigen zuzuziehen.

Daß eine bei umfassender Beurteilung gegebenenfalls festzustellende schwere andere seelische Abartigkeit die Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Folge gehabt haben könnte, läßt sich nach den eingehenden Feststellungen zu seinem Werdegang und seinen Taten ausschließen, nicht indes die Möglichkeit der Feststellung oder Nichtausschließbarkeit einer erheblichen Minderung der Steuerungsfähigkeit. Dies hat die Aufhebung aller Einzelstrafen zur Folge, auch der im Fall 11, in dem zwar der Strafrahmen wegen möglicher alkoholbedingter erheblicher Verminderung der Schuldfähigkeit bereits nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert war, sich aber eine etwa festzustellende schwere Persönlichkeitsstörung darüber hinaus auf die Strafzumessung mildernd hätte auswirken können.

Im Fall 21 der Urteilsgründe wird der versehentlich unterbliebene Einzelstrafausspruch nachzuholen sein. Die vom Generalbundesanwalt zum Fall 1 der Urteilsgründe erwogene gesonderte Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB mit den Strafen aus den beiden letzten Vorverurteilungen des Angeklagten (UA 9) dürfte allerdings schon an deren Vollstreckung scheitern.

2. Mit dem Strafausspruch muß auch der Maßregelausspruch entfallen. Er könnte schon deshalb keinen Bestand haben, weil das Landgericht im Urteil die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB nicht ausreichend belegt hat.

Es ist weder dargetan noch dem Zusammenhang der Feststellungen sicher zu entnehmen, daß bei der Vorverurteilung des Angeklagten im Jahre 1982 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren wegen Diebstahls in drei Fällen und versuchten Diebstahls in zwei Fällen eine Einzelfreiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verhängt worden ist; dies wird von § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB gefordert (BGHSt 34, 321). Bei den hiernach maßgeblichen Taten bedarf es ferner genauer Angaben über Tatzeiten und Inhaftierungsdauer (§ 66 Abs. 3 Satz 3 und Satz 4 StGB; vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 2 Vorverurteilungen 1) sowie über die Rechtskraft der früheren Verurteilungen (vgl. BGHSt 35, 6, 12 f). Schließlich sind alle für die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB maßgeblichen Symptomtaten im Urteil zu würdigen (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 2); auch das ist nicht vollständig erfolgt. Diebstähle der Art, wie sie Gegenstand der Verurteilung des Angeklagten im vorliegenden Verfahren sind, mit durchweg nicht sehr hohen Schäden (vgl. UA 36 f) würden für sich die Annahme der Gefährlichkeit des Angeklagten nicht ohne weiteres begründen; eine solche Einschätzung wäre auch von der eigenen Wertung des Landgerichts (UA 42 ff) nicht zweifelsfrei gedeckt.

Eine mögliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auf der Grundlage des § 66 Abs. 2 StGB erfolgt aufgrund tatrichterlichen Ermessens, das vom Revisionsgericht grundsätzlich nicht ersetzt werden kann (vgl. BGHSt 24, 345, 348).

Sollten in der erneuten Hauptverhandlung die Voraussetzungen des § 21 StGB infolge schwerer anderer seelischer Abartigkeit sicher festzustellen sein, wird die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB in Betracht kommen (vgl. BGHSt 34, 22), der das Verbot der Schlechterstellung nicht entgegenstünde (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO). Auch wenn sich nach erneuter psychiatrischer Untersuchung des Angeklagten die bislang festgestellte mangelnde Therapierbarkeit (UA 44) bestätigen sollte, stünde dies der gleichermaßen dem Schutz der Allgemeinheit dienenden Maßregel nach § 63 StGB nicht entgegen (BGHR StGB § 63 Ablehnung 1).

Sollten die Voraussetzungen der Maßregeln sowohl nach § 63 StGB als auch nach § 66 StGB erfüllt sein, wird nach Maßgabe des § 72 StGB über die Anordnung einer von beiden oder gar beider Maßregeln nebeneinander - zu entscheiden sein (vgl. BGH NStZ 1981, 390; Hanack in LK 10. Aufl. § 72 Rdn. 24 ff). Mit Rücksicht auf den Schutz der Allgemeinheit könnte schon angesichts der begrenzten Höchstdauer der ersten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus geeigneter sein (vgl. Stree in Schönke/Schröder, StGB 23. Aufl. § 72 Rdn. 3; Hanack a.a.O. § 72 Rdn. 26).

3. Die im Adhäsionsverfahren ergangene, als "Anerkenntnisurteil" bezeichnete, nur durch Zitat des § 307 ZPO begründete Entscheidung hat keinen Bestand. Eine Entscheidung über einen zulässigen Antrag des Verletzten auf Entschädigung nach §§ 403 Abs. 1, 404 Abs. 1 StPO ist allein als Folgeentscheidung zur Verurteilung des Angeklagten wegen einer Straftat vorgesehen (§§ 405 Satz 1, 406 Abs. 1 Satz 1 StPO), beruht demnach auf einem nach den Grundsätzen der Strafprozeßordnung durchgeführten Verfahren. Daher findet die Vorschrift über das Anerkenntnis nach § 307 ZPO als typischer Ausfluß der zivilprozessualen Dispositionsmaxime im Adhäsionsverfahren keine Anwendung. (OLG Neustadt NJW 1952, 718; h.M., vgl. Kleinknecht/Meyer, StPO 39. Aufl. § 404 Rdn. 10; Fezer in KMR 8. Aufl. § 404 Rdn. 14; Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO, Teil II 1957, § 404 Rdn. 9; Schmanns, Das Adhäsionsverfahren in der Reformdiskussion, 1987, S. 60 ff; aA von Holst, Der Adhäsionsprozeß, 1969, S. 107 ff; zweifelnd auch Schirmer DAR 1988, 121, 123, 127). Damit wird zugleich vermieden, daß sich ein Angeklagter zumal nach einem Geständnis -, um keine Zweifel an seiner Einsicht, Reue und seinem Wiedergutmachungswillen aufkommen zu lassen, gedrängt sieht, einen im Adhäsionsverfahren verfolgten Anspruch - auch wenn ihm die Höhe der Forderung zweifelhaft erscheint - unbedingt anzuerkennen. Ob hieraus sogar Bedenken gegen die Möglichkeit eines Vergleichs im Adhäsionsverfahren erwachsen könnten (vgl. zur Zulässigkeit Kleinknecht/Meyer a.a.O. § 404 Rdn. 12 m.w.Nachw.; aA noch Schönke DR 1943, 721, 729; ferner Eb. Schmidt a.a.O.; vgl. auch Schirmer a.a.O.), bedarf hier keiner Entscheidung; jedenfalls wird der Richter auch nur den Anschein eines unsachlichen Drucks auf den Angeklagten zum Abschluß eines Vergleichs zu vermeiden haben (vgl. Wendisch in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 403 Rdn. 25).

Vorliegend wird über den im Adhäsionsverfahren geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch, wenn das Gericht nicht von einer Entscheidung absieht (§ 405 Satz 2 StPO) oder sich nicht dabei auf den Grund des Anspruchs beschränkt (§ 406 Abs. 1 Satz 2 StPO), unter Beachtung der Grundsätze von BGHZ 18, 149, gegebenenfalls auch unter Berücksichtigung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 21 StGB (vgl. BGH, Beschluß vom 24. April 1987 - 2 StR 137/87), zu entscheiden sein.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993065

BGHSt 37, 263

BGHSt, 263

NJW 1991, 1244

DRsp IV(465)84d

JurBüro 1991, 789

NStZ 1991, 198

DAR 1991, 109

MDR 1991, 365

StV 1991, 198

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