Leitsatz (amtlich)

a) Haben keine Insolvenzgläubiger Forderungen zur Tabelle angemeldet, kann dem Schuldner die Restschuldbefreiung bereits im Schlusstermin erteilt werden, sofern er belegt, dass die Verfahrenskosten und die sonstigen Masseverbindlichkeiten getilgt sind.

b) Werden vor Ablauf der Wohlverhaltensphase die Verfahrenskosten berichtigt und sämtliche Gläubiger befriedigt, ist auf Antrag des Schuldners die Wohlverhaltensphase vorzeitig zu beenden und die Restschuldbefreiung auszusprechen.

 

Normenkette

InsO § 287 Abs. 2 S. 1, §§ 299-300

 

Verfahrensgang

LG Oldenburg (Beschluss vom 09.09.2004; Aktenzeichen 6 T 912/04)

AG Nordenham

 

Tenor

Der Schuldnerin wird unter Beiordnung des Rechtsanwalts Dr. O. Prozesskostenhilfe bewilligt.

Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des LG Oldenburg v. 9.9.2004 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

In dem am 8.11.2003 eröffneten Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin haben bis zum Schlusstermin keine Insolvenzgläubiger Forderungen angemeldet. Durch Beschluss des Insolvenzgerichts v. 9.8.2004 ist der Schuldnerin die Restschuldbefreiung angekündigt worden. Die Laufzeit der Abtretungserklärung ("Wohlverhaltensphase") ist auf sechs Jahre, beginnend mit der Verfahrenseröffnung, festgesetzt worden.

Mit ihrer sofortigen Beschwerde hat die Schuldnerin den Wegfall oder zumindest eine Herabsetzung der Dauer der Wohlverhaltensphase begehrt. Das LG hat die Beschwerde mit Beschluss v. 9.9.2004 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Schuldnerin mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist kraft Gesetzes statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 7 InsO), weil gegen die Festsetzung der Wohlverhaltensphase die sofortige Beschwerde gem. § 289 Abs. 2 S. 1 InsO eröffnet ist (Stephan in MünchKomm/InsO, § 289 Rz. 38). Die "Zulassung" einer kraft Gesetzes statthaften Rechtsbeschwerde ist wirkungslos, weil sie den BGH nicht bindet (BGH, Beschl. v. 22.7.2004 - IX ZB 161/03, BGHReport 2004, 1653 = MDR 2005, 173 = NZI 2004, 577).

Die Rechtsbeschwerde ist darüber hinaus zulässig. Zwar hatte die Schuldnerin mit dem Antrag auf Restschuldbefreiung selbst eine Abtretungserklärung für die Zeit von sechs Jahren nach Insolvenzeröffnung vorgelegt. Gleichwohl wurde sie durch den Beschluss des Insolvenzgerichts beschwert. Denn dem Antrag lag ersichtlich die - dem Regelfall entsprechende - Erwartung zu Grunde, dass nach Insolvenzeröffnung Gläubiger Forderungen anmelden. Demgemäß ist der Antrag i.S.d. Begehrens auszulegen, mit dem die Schuldnerin ihre sofortige Beschwerde verfolgt hat und nunmehr ihre Rechtsbeschwerde verfolgt. Da es sich um eine Verfahrenserklärung handelt, ist der Senat zu einer derartigen Auslegung befugt (BGH, Urt. v. 31.5.1995 - VIII ZR 267/94, MDR 1996, 522 = NJW 1995, 2563 [2564]).

Die besondere Zulässigkeitsvoraussetzung des § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 4 InsO ist ebenfalls gegeben. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, und zudem ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Indem die Rechtsbeschwerde auf die von der Auffassung des Beschwerdegerichts abweichenden instanzgerichtlichen Entscheidungen hingewiesen und im Einzelnen ausgeführt hat, aus welchen Gründen entgegen der Auffassung des LG in Fällen der vorliegenden Art eine vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung zulässig und geboten sei, hat sie in einer den Anforderungen des § 575 Abs. 3 Nr. 2 ZPO genügenden Weise zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen Stellung genommen (BGH, Beschl. v. 22.7.2004 - IX ZB 161/03, BGHReport 2004, 1653 = MDR 2005, 173 = NZI 2004, 577).

III.

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

1. Die Erteilung der Restschuldbefreiung ist an die Voraussetzung geknüpft, dass der Schuldner seine pfändbaren Bezüge für die Dauer von sechs Jahren ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens (sog. Wohlverhaltensphase) an einen vom Gericht zu bestimmenden Treuhänder abtritt (§ 287 Abs. 2 InsO), der die auf Grund der Abtretung erlangten Beträge einmal jährlich auf der Grundlage des Schlussverzeichnisses an die Insolvenzgläubiger zu verteilen hat (§ 292 Abs. 1 S. 2 InsO). Diese Regelung beruht auf der Annahme, dass es Gläubiger gibt, die ihre Forderungen im Insolvenzverfahren angemeldet haben und deren Ansprüche deshalb durch den Treuhänder zu befriedigen sind. Ob der Schuldner auch dann die Wohlverhaltensphase durchlaufen muss, wenn keine Forderungen angemeldet worden sind, hat der Gesetzgeber nicht geregelt.

2. In Rechtsprechung und Schrifttum ist die Frage umstritten. Nach der einen Ansicht - der sich das Beschwerdegericht im Wesentlichen angeschlossen hat - kommt eine Erteilung der Restschuldbefreiung bereits im Schlusstermin trotz fehlender Gläubigeranmeldungen nicht in Betracht, weil auch den Insolvenzgläubigern, die nicht am Verfahren teilgenommen hätten, die Möglichkeit offen gehalten werden müsse, Versagungsanträge nach §§ 296, 297 InsO zu stellen (LG Traunstein ZInsO 2003, 814; LG Oldenburg NZI 2004, 44; Uhlenbruck/Vallender, InsO, 12. Aufl., § 291 Rz. 37 ff.; Kübler/Prütting/Wenzel, InsO, § 299 Rz. 3; Fuchs, ZInsO 2002, 298 [308 f.]). In § 299 InsO sei eine Abkürzung der Wohlverhaltensphase ausdrücklich nur für den Fall vorgesehen, dass dem Schuldner die Restschuldbefreiung nach §§ 296 bis 298 InsO vorzeitig versagt werde. Diese Regelung schließe eine entsprechende Anwendung des § 300 Abs. 1 InsO für den Fall ausgebliebener Gläubigeranmeldungen aus.

Nach der Gegenmeinung kann dem Schuldner bei fehlenden Gläubigeranmeldungen die Restschuldbefreiung bereits im Schlusstermin erteilt werden (LG Frankfurt/M. ZVI 2003, 426; FK-InsO/Ahrens, 3. Aufl., § 300 Rz. 12a; HK-InsO/Landfermann, 3. Aufl., § 299 Rz. 4; Braun/Buck, InsO, 2. Aufl., § 299 Rz. 3; Lohmann, ZInsO 2000, 445; Winter, ZVI 2003, 451; Pape, NZI 2004, 1 ff.; Pape, NJW 2004, 2492 [2496]).

3. Der Senat billigt im Grundsatz die zuletzt genannte Ansicht.

a) Für den Fall, dass keine Gläubigeranmeldungen erfolgen, liegt eine planwidrige Gesetzeslücke vor. Der Gesetzgeber hat das Problem fehlender Anmeldungen, das in der Praxis selten vorkommt, nicht gesehen. Diese Lücke kann im Wege der Analogie geschlossen werden. Die Regelung in § 299 InsO steht dem nicht entgegen. Danach endet die Wohlverhaltensphase mit der Rechtskraft einer Entscheidung, mit der die Restschuldbefreiung nach §§ 296, 297 oder 298 InsO versagt wird. Daraus kann nicht entnommen werden, in anderen Fällen könne es keine vorzeitige Beendigung der Wohlverhaltensphase geben. Es ist - soweit ersichtlich - unbestritten, dass § 299 InsO entsprechend anzuwenden ist, wenn der Schuldner seinen Restschuldbefreiungsantrag zurücknimmt, der Antrag für erledigt erklärt wird oder das Verfahren durch den Tod des Schuldners sein Ende findet (Ehricke in MünchKomm/InsO, § 299 Rz. 16 ff.; FK-InsO/Ahrens, § 299 Rz. 8; HK-InsO/Landfermann, § 299 Rz. 2; Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 299 Rz. 8 ff.; Kübler/Prütting/Wenzel, InsO, § 299 Rz. 3; Nerlich/Römermann, InsO, § 299 Rz. 9; Braun/Buck, InsO, § 299 Rz. 3). In allen diesen Fällen scheidet eine Restschuldbefreiung aus. Umgekehrt ergibt sich daraus nichts für den - hier vorliegenden - Fall, dass eine vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung in Betracht kommt.

b) Eine solche scheidet nicht deshalb aus, weil Insolvenzgläubigern, die nicht am Insolvenzverfahren teilnehmen, die Möglichkeit zu erhalten sei, Versagungsanträge nach §§ 296, 297 InsO zu stellen. Nicht am Verfahren teilnehmenden Gläubigern ist es verwehrt, Verfahrensrechte in der Wohlverhaltensphase wahrzunehmen (Stephan in MünchKomm/InsO, § 296 Rz. 4; HK-InsO/Landfermann, § 296 Rz. 6; Lessing, EWiR 2001, 1001; Pape, NZI 2004, 1 [4]; a.A. Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 296 Rz. 3). In diesem Stadium können die Anmeldung und Prüfung der Forderung nicht mehr nachgeholt werden.

Unabhängig von der fehlenden Antragsberechtigung muss ein Versagungsantrag nach § 296 InsO auch daran scheitern, dass die dort vorausgesetzte Beeinträchtigung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger durch Obliegenheitsverletzungen des Schuldners nicht eintreten kann; denn ggü. den am Verfahren nicht teilnehmenden Gläubigern treffen den Schuldner keine Obliegenheiten (Pape, NZI 2004, 1 [3], re.Sp., ebenso Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 291 Rz. 39).

c) Ein förmliches Restschuldbefreiungsverfahren unter Einschluss einer Wohlverhaltensphase, während der über Jahre hinweg vom Treuhänder die Abtretungsbeträge des Schuldners für nicht vorhandene Insolvenzgläubiger gesammelt werden müssten, um sie dann am Ende dieser Phase an den Schuldner zurückzugeben, wäre sinnlos. Dem Schuldner würde in dieser Zeit ohne sachlichen Grund - nämlich ohne Legitimation durch zu schützende Gläubigerinteressen - seine wirtschaftliche Bewegungsfreiheit außerhalb der Pfändungsfreigrenzen genommen.

Soweit deswegen die Auffassung vertreten wird, dass zwar die Abtretung an den Treuhänder entfalle und auch dessen Aufgaben obsolet seien (Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 291 Rz. 39), jedoch eine vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung nicht in Betracht komme, führt auch dies zu deren Aufschub bis zum Ende einer inhaltsleeren und sinnlosen Wohlverhaltensphase. Angeblich soll damit einem "geschickten Taktieren" des Schuldners vorgebeugt werden, der eine strafrechtliche Verurteilung gem. §§ 283 bis 283c StGB über den Schlusstermin hinauszögern könne (Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 291 Rz. 38). Dabei wird übersehen, dass Voraussetzung einer Versagung der Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO ein entsprechender Gläubigerantrag im Schlusstermin ist.

4. Ob es im vorliegenden Fall absonderungsberechtigte Gläubiger gibt, die es versäumt haben, ihre persönliche Forderung oder ihren Ausfall rechtzeitig anzumelden und deshalb nicht im Schlussverzeichnis erscheinen, ist nicht festgestellt. Falls solche vorhanden sein sollten, stünde dies einem Verzicht auf die Wohlverhaltensphase nicht entgegen (HK-InsO/Landfermann, § 299 Rz. 4; Winter, ZVI 2003, 216 [219]; Pape, NZI 2004, 1 [7]; a.A. Durani, ZInsO 2003, 1037 f.). Denn ein Absonderungsberechtigter, der nicht seine persönliche Forderung in voller Höhe oder zumindest in Höhe des Ausfalls anmeldet, nimmt am Insolvenzverfahren nicht teil (Ganter in MünchKomm/InsO, § 52 Rz. 16).

5. Für die Versagung der vorzeitigen Erteilung der Restschuldbefreiung können hier allerdings die Interessen der Massegläubiger (§ 53 InsO) sprechen.

a) Gemäß § 292 Abs. 1 S. 2 InsO darf der Treuhänder die Beträge, die er durch Abtretung erlangt, an die Insolvenzgläubiger erst verteilen, wenn die nach § 4a InsO gestundeten Verfahrenskosten (abzgl. der Kosten für die Beiordnung eines Rechtsanwalts) berichtigt sind. Nach einhelliger Meinung hat der Treuhänder auch die sonstigen noch offenen Masseverbindlichkeiten zu befriedigen, bevor er Ausschüttungen an die Insolvenzgläubiger vornimmt (Begründung zu § 329 RegE, BT-Drucks. 12/2443, 222; Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 289 Rz. 40; Kübler/Prütting/Wenzel, InsO, § 289 Rz. 6; HK-InsO/Landfermann, § 289 Rz. 11; Fuchs in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., S. 1738 Rz. 172; Pape, ZInsO 2001, 587 [590]; Pape, NZI 2004, 1 [6]). Daraus lässt sich entnehmen, dass das Sammeln von Abtretungsbeträgen und deren Verteilung durch den Treuhänder auch den Interessen von Massegläubigern dient, die während des Insolvenzverfahrens nicht befriedigt worden sind (insofern a.A. Pape, NZI 2004, 1 [6]).

b) Sind schon vor dem Schlusstermin die Kosten des Insolvenzverfahrens (§ 54 InsO) berichtigt und sämtliche sonstigen Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO) erledigt, besteht keine Veranlassung, die Wohlverhaltensphase in Gang zu setzen. Entsprechendes gilt für den Fall, dass Insolvenzgläubiger ihre Forderungen im Verfahren angemeldet haben und sogar diese vorzeitig vollständig befriedigt worden sind. Darlegungs- und beweispflichtig für die vollständige Berichtigung der Kosten und Tilgung aller im Verfahren zu berücksichtigenden Verbindlichkeiten ist der Schuldner. Wird dieser Beweis im Schlusstermin nicht erbracht, darf die Restschuldbefreiung nicht erteilt werden; sie kann lediglich angekündigt werden (§ 291 InsO). Ergibt sich später aus einer der vom Treuhänder jährlich vorzunehmenden Abrechnungen, dass keine Kosten mehr offen und sämtliche Verbindlichkeiten getilgt sind, kann der Schuldner analog § 299 InsO einen Antrag auf vorzeitige Beendigung der Wohlverhaltensphase stellen. Dann ist ihm vor Ablauf der Frist die Restschuldbefreiung zu erteilen.

6. Dazu, ob noch Kosten oder sonstige Masseverbindlichkeiten offen sind, ist bislang nichts festgestellt. Die Zurückverweisung an das Beschwerdegericht gibt diesem Gelegenheit, dies nachzuholen.

 

Fundstellen

DB 2005, 1962

DStZ 2005, 500

BGHR 2005, 1014

FamRZ 2005, 1173

NJW-RR 2005, 1363

WM 2005, 1129

ZAP 2005, 938

DZWir 2005, 506

MDR 2005, 1191

NZI 2005, 399

Rpfleger 2005, 471

VuR 2005, 310

ZInsO 2005, 597

RENOpraxis 2005, 158

ZVI 2005, 322

ZVI 2006, 72

SJ 2005, 41

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