Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten. Ausgangskontrolle bei Telefaxschreiben. Verwendung der zutreffenden Empfängernummer. Antragsfrist

 

Leitsatz (redaktionell)

Erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, können auch nach Ablauf der Frist zur Beantragung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erläutert oder vervollständigt werden.

 

Normenkette

ZPO §§ 233-234, 85 Abs. 2, § 139

 

Verfahrensgang

OLG Köln (Beschluss vom 21.07.2009; Aktenzeichen 13 U 69/09)

LG Köln (Entscheidung vom 24.03.2009; Aktenzeichen 2 O 585/08)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 21. Juli 2009 aufgehoben.

Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung gewährt.

Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung über die Berufung des Klägers an das Berufungsgericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens vorbehalten bleibt.

Beschwerdewert: 13.833 €

 

Gründe

I. Der Kläger erstrebt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung. Er hat gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts fristgerecht Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsfrist wurde auf Antrag des Klägers bis zum 26. Juni 2009 verlängert. Die Berufungsbegründung vom 26. Juni 2009 ging am selben Tag per Telefax bei dem Landgericht und nach Weiterleitung einen Tag später sowie im Original am 29. Juni 2009 bei dem Oberlandesgericht ein. Mit einem dort am 27. Juni 2009 eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt.

Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsgesuchs hat er ausgeführt und glaubhaft gemacht: Die erfahrene und zuverlässig arbeitende Rechtsanwaltsfachangestellte seiner Prozessbevollmächtigten habe die Berufungsbegründung wegen des bevorstehenden Kanzleiumzugs erst am 26. Juni 2009 nach Diktat gefertigt und gegen 20.00 Uhr den fertigen und unterzeichneten Schriftsatz per Telefax übermittelt. Dabei habe sie fälschlicherweise nicht die darin angegebene Telefaxnummer des Oberlandesgerichts, sondern die des Landgerichts verwendet. Die Mitarbeiterin sei sich sicher gewesen, die Berufungsbegründung ordnungsgemäß an das richtige Gericht gefaxt zu haben. Sie habe auf dem Sendebericht den o.k.-Vermerk unter der Ergebnisspalte sowie die Zahl der übermittelten Seiten kontrolliert. Warum die Mitarbeiterin zu diesem Zeitpunkt nicht bemerkt habe, dass sie das erstinstanzliche Gericht anstelle des Oberlandesgerichts angefaxt habe, könne sie sich nicht erklären. Als sie am 27. Juni 2009 den Sendebericht in die Akte abgeheftet habe, sei ihr die fehlerhafte Übermittlung aufgefallen. Seine Prozessbevollmächtigte habe ihrer Angestellten mit Rücksicht auf deren über 15-jährige Berufserfahrung ohne Bedenken die Notierung und Überwachung der Fristen und Termine anvertrauen dürfen und bei regelmäßigen Kontrollen keinen Grund zu Beanstandungen gefunden.

Das Oberlandesgericht hat durch Beschluss vom 21. Juli 2009 den Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt und die Berufung als unzulässig verworfen. Es hat ein Organisationsverschulden der Prozessbevollmächtigten des Klägers hinsichtlich der gebotenen Ausgangskontrolle bei Telefaxschreiben angenommen. Weder dem Wiedereinsetzungsgesuch noch der eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten sei zu entnehmen, dass die Prozessbevollmächtigte des Klägers durch klare Anweisungen für eine Büroorganisation gesorgt habe, die eine Überprüfung der durch Telefax übermittelten fristgebundenen Schriftsätze auch auf die Verwendung der zutreffenden Empfängernummer hin gewährleiste. Die Mitarbeiterin habe nach ihren Angaben lediglich die störungsfreie und vollständige Übermittlung überprüft, einen Abgleich der verwendeten Faxnummer mit der in dem Schriftsatz angegebenen Nummer aber unterlassen. Dem sei nicht zu entnehmen, ob überhaupt eine generelle oder konkrete Weisung der Prozessbevollmächtigten des Klägers zur Kontrolle der Sendenummer existiert habe.

Mit Gegendarstellung vom 11. August 2009 hat der Kläger angegeben und glaubhaft gemacht, im Büro seiner Prozessbevollmächtigten habe allgemein die ausdrückliche Anweisung bestanden, dass die Angestellte bei fristwahrenden Schriftsätzen, die am letzten Tag der Frist gefaxt würden, die Sendeberichte darauf kontrolliere, ob die Empfängernummer auf dem Sendeprotokoll mit der Empfängernummer auf dem Schriftsatz übereinstimme, die Seitenzahl und den o.k.-Vermerk überprüfe und erst nach ordnungsgemäßer Übermittlung die Frist streiche. Die Mitarbeiterin seiner Prozessbevollmächtigten sei sich am 26. Juni 2009 beim Löschen der Frist sicher gewesen, diese Anweisungen ordnungsgemäß erfüllt und insbesondere den Schriftsatz an das Oberlandesgericht übermittelt zu haben.

Durch Beschluss vom 26. August 2009 hat das Oberlandesgericht die Gegenvorstellung des Klägers zurückgewiesen. Daraufhin hat der Kläger gegen die angefochtene Entscheidung Rechtsbeschwerde eingelegt.

II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Die nach den §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die angefochtene Entscheidung verletzt die Verfahrensgrundrechte des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat dem Kläger zu Unrecht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt.

a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Prozessbevollmächtigte des Klägers die Übermittlung der Berufungsbegründung per Telefax ihrer Büroangestellten überlassen durfte. Ein Rechtsanwalt darf die einfach zu erledigende Aufgabe einer Telefaxübermittlung einer zuverlässigen, hinreichend geschulten und überwachten Bürokraft übertragen und braucht die Ausführung eines solchen Auftrags nicht konkret zu überwachen oder zu kontrollieren (BGH, Beschlüsse vom 20. Oktober 2009 - VIII ZB 97/08 - juris Tz. 12; vom 9. April 2008 - I ZB 101/06 - NJW-RR 2008, 1288 Tz. 8; vom 11. Februar 2003 - VI ZB 38/02 - NJW-RR 2003, 935 unter 1, jeweils m.w.N.). Da die Telefaxnummer des Oberlandesgerichts deutlich erkennbar und korrekt im Adressfeld der Berufungsbegründungsschrift angegeben war, bestand für die Prozessbevollmächtigte des Klägers - wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat - kein Anlass, die Mitarbeiterin ausdrücklich auf die Verwendung dieser Nummer hinzuweisen. Vielmehr konnte sie sich darauf verlassen, dass ihre Angestellte, die bislang bei Kontrollen keinen Anlass zu Beanstandungen gegeben hatte, die Versendung des Schriftsatzes per Telefax korrekt vornehmen werde.

b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Prozessbevollmächtigten des Klägers kein Organisationsverschulden hinsichtlich der gebotenen Ausgangskontrolle anzulasten.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt der Rechtsanwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob der Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden ist. Erst danach darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden (BGH, Beschlüsse vom 14. Mai 2008 - XII ZB 34/07 - NJW 2008, 2508 Tz. 11; vom 9. April 2008 aaO. Tz. 10; vom 19. März 2008 - III ZB 80/07 - NJW-RR 2008, 1379 Tz. 5; vom 18. Juli 2007 - XII ZB 32/07 - NJW 2007, 2778 Tz. 6; vom 13. Februar 2007 - VI ZB 70/06 - NJW 2007, 1690 Tz. 8; vom 18. Mai 2004 - VI ZB 12/03 - FamRZ 2004, 1275 unter II 1; vom 3. Dezember 1996 - XI ZB 20/96 - NJW 1997, 948, jeweils m.w.N.).

bb) Dazu hat der Kläger in der Begründung seines Wiedereinsetzungsgesuchs nicht hinreichend konkret vorgetragen. Er hat aber mit seiner Gegendarstellung vom 11. August 2009 dargetan und glaubhaft gemacht, dass seine Prozessbevollmächtigte ihrer Mitarbeiterin die klare und unmissverständliche generelle Weisung erteilt habe, bei Versendung von fristwahrenden Schriftsätzen per Telefax die Frist erst nach ordnungsgemäßer Kontrolle der Empfängernummer, der Seitenzahlen und des o.k.-Vermerks auf dem Sendebericht zu löschen. Dieser nach Erlass des angefochtenen Beschlusses und auch nach Ablauf der Frist zur Beantragung der Wiedereinsetzung, die bei Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nach § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO einen Monat beträgt, nachgeholte Vortrag des Klägers war zu berücksichtigen.

(1) Zwar müssen gemäß §§ 236 Abs. 2 Satz 1, 234 Abs. 1 ZPO grundsätzlich alle Tatsachen, die für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Bedeutung sein können, innerhalb der Antragsfrist vorgetragen werden (Senatsbeschluss vom 20. Januar 1999 - IV ZB 22/98 - r+s 1999, 263 unter 3 c; BGH, Beschlüsse vom 13. Juni 2007 - XII ZB 232/06 - NJW 2007, 3212 Tz. 8; vom 10. Mai 2006 - XII ZB 42/05 - NJW 2006, 2269 unter III 1; vom 12. Mai 1998 - VI ZB 10/98 - NJW 1998, 2678 unter II; vom 8. April 1997 - VI ZB 8/97 - NJW 1997, 2120 unter II 3 a). Allerdings dürfen erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, nach Fristablauf und auch noch mit der Rechtsbeschwerde erläutert oder vervollständigt werden (BGH, Beschlüsse vom 18. Juli 2007 aaO. Tz. 14; vom 13. Juni 2007 aaO.; vom 10. Mai 2006 aaO. m.w.N.; vom 6. Mai 1999 - VII ZB 6/99 - NJW 1999, 2284 unter 3 c m.w.N.; vom 12. Mai 1998 aaO. m.w.N.; vom 8. April 1997 aaO. m.w.N.; vom 10. Februar 1994 - VII ZB 25/03 - VersR 1994, 1368 unter 2 a m.w.N.).

(2) Um eine solche Vervollständigung handelt es sich bei dem Vorbringen in der Gegendarstellung des Klägers. Die Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs stellte sich unter Beachtung des zutreffenden rechtlichen Ansatzpunktes des Berufungsgerichts als erkennbar ergänzungsbedürftig dar. Die Darstellung, dass die Rechtsanwaltsfachangestellte die ordnungsgemäße Übermittlung des Schriftsatzes anhand des ausgedruckten Sendeberichts überprüft habe, spricht für eine vorgeschriebene Ausgangskontrolle, lässt aber deren Ausgestaltung nicht genau erkennen. Soweit es in dem Wiedereinsetzungsgesuch heißt, die Mitarbeiterin habe auf dem Sendebericht den o.k.-Vermerk unter der Ergebnisspalte sowie die übermittelten Seiten kontrolliert, folgt daraus nicht, dass nicht auch die gewählte Faxnummer zu überprüfen war. Für eine entsprechende Anweisung der Prozessbevollmächtigten des Klägers spricht vielmehr der Zusatz, dass der Mitarbeiterin zur Zeit der Überprüfung nicht aufgefallen sei, dass sie das erstinstanzliche Gericht anstatt des Oberlandesgerichts angefaxt habe, was sie sich selbst nicht erklären könne. Das Vorbringen des Klägers zu der Überprüfung des Sendeberichts deutet jedenfalls darauf hin, dass dazu eine allgemeine Kanzleianweisung im Büro der Prozessbevollmächtigten des Klägers bestand, wobei die Ausführungen in dem Wiedereinsetzungsgesuch der Präzisierung bedurften. Das Berufungsgericht hätte daher dem Kläger aufgeben müssen, ergänzend zur Ausgangskontrolle in der Kanzlei seiner Prozessbevollmächtigten vorzutragen. Da das Berufungsgericht den gebotenen Hinweis unterlassen hat, ist das ergänzende Vorbringen des Klägers in der Gegendarstellung bei der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde zu beachten.

c) Danach ist der Wiedereinsetzungsantrag des Klägers begründet, weil die Prozessbevollmächtigte des Klägers für eine den anerkannten Anforderungen genügende Ausgangskontrolle bei der Versendung fristwahrender Schriftsätze per Telefax Sorge getragen hatte. Dies kann der Senat nach § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO selbst entscheiden. Das Berufungsgericht wird sich nunmehr in der Sache mit der Berufung des Klägers zu befassen haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2962233

FamRZ 2010, 458

FF 2010, 217

r+s 2010, 307

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