Leitsatz (amtlich)

Die nach Ablauf der Anmeldefrist eingehende Anmeldung einer auf eine Entscheidung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften gestützten Forderung auf Rückzahlung einer Beihilfe ist auch dann noch anzuerkennen, wenn die Rückzahlung aus anderen Gründen schon innerhalb der Anmeldefrist hätte verlangt werden können.

 

Normenkette

GesO § 14

 

Verfahrensgang

LG Meiningen (Beschluss vom 08.05.2003; Aktenzeichen 4 T 362/02)

AG Meiningen (Entscheidung vom 11.11.2002; Aktenzeichen N 280/97)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Meiningen vom 8.5.2003 wird auf Kosten des Beteiligten zu 1) zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Verfahrens der Rechtsbeschwerde wird auf 93.016,78 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Mit Beschluss vom 1.7.1997 wurde das Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der B. GmbH (fortan: Schuldnerin) eröffnet und eine Frist zur Anmeldung von Forderungen bis zum 25.8.1997 bestimmt. Am 8.5.2002 widerrief die T. einen Zuwendungsbescheid vom 10.12.1993 gem. § 49 ThürVwVfG, weil der vorgeschriebene Verwendungsnachweis trotz zweifacher Fristverlängerung nicht beigebracht worden sei, und meldete die Forderung auf Rückzahlung des Zuwendungsbetrages i.H.v. 1.533.875,64 EUR nebst Zinsen zur Tabelle an. Am 19.6.2002 entschied die Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Kommission), dass die Beihilfe rechtswidrig gewesen sei und zurückgefordert werden müsse. Diese Entscheidung wurde nicht angefochten. Die T. berief sich dem Gesamtvollstreckungsverwalter gegenüber nunmehr auch auf diese Entscheidung, die eine Rücknahme des Zuwendungsbescheides nach § 48 ThürVwVfG rechtfertige. Der Gesamtvollstreckungsverwalter lehnte die Aufnahme der Forderung in das Forderungsverzeichnis ab.

Das Insolvenzgericht hat den Antrag des beteiligten Landes auf Zustimmung zur Aufnahme in das Verzeichnis zurückgewiesen, weil ein Rückforderungsbescheid schon bei Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens hätte erlassen werden können, die verspätete Anmeldung also nicht unverschuldet gewesen sei. Auf die sofortige Beschwerde des beteiligten Landes hat das LG diesen Beschluss aufgehoben und der Aufnahme der Forderung in das Verzeichnis zugestimmt. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Verwalters.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft (BGH, Beschl. v. 15.1.2004 - IX ZB 62/03, MDR 2004, 644 = BGHReport 2004, 547 = ZIP 2004, 1072) und auch im Übrigen zulässig. Sie bleibt jedoch ohne Erfolg.

1. Das LG hat ausgeführt, die Anmeldung sei verspätet gewesen. Nach den Bestimmungen des Zuwendungsbescheides hätten erste Raten bereits vor Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens zurückgezahlt werden müssen; mit dem Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens sei auch der Restbetrag zur Rückzahlung fällig geworden. Auf die Frage, ob die Verspätung entschuldigt sei, komme es jedoch nicht an, weil die Vorschrift des § 14 Abs. 1 GesO aufgrund vorrangigen Gemeinschaftsrechts nicht anzuwenden sei. Die Rückforderung der europarechtlich rechtswidrigen Beihilfe habe zwar nach den Bestimmungen des nationalen Rechts zu erfolgen; diese dürften die Rückforderung - wie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zu § 48 Abs. 4 VwVfG bereits entschieden habe - nicht praktisch unmöglich machen.

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand. Die Vorschrift des § 14 Abs. 1 GesO steht im vorliegenden Fall der Anmeldung der Forderung nicht entgegen.

a) Die Kommission hat der Bundesrepublik Deutschland in der Entscheidung vom 19.6.2002 aufgeben, die der Schuldnerin unrechtmäßig gewährte Beihilfe zurückzufordern (Art. 87, 88 Abs. 2 EGV, Art. 14 Abs. 1 und 3 VO (EG) Nr. 659/1999v. 22.3.1999, ABl. Nr. L 83/1, S. 1 ff.). Die Rückforderung hat unverzüglich und nach den Verfahren des deutschen Rechts zu erfolgen, sofern hierdurch die sofortige und tatsächliche Vollstreckung der Kommissionsentscheidung ermöglicht wird. Befindet sich das Unternehmen in der Insolvenz, genügt es, dass der Staat seine Rückerstattungsforderung zur Tabelle anmeldet (EuGH, Urt. v. 29.4.2004 - C-277/00 - Deutschland/Kommission "SMI", Slg. 2004, I-03925, Rz. 85). Auch im vorliegenden Fall musste der Rückforderungsanspruch folglich zur Tabelle angemeldet werden. Die Vorschrift des § 14 GesO ist nicht anwendbar, soweit dadurch die gemeinschaftsrechtlich gebotene Rückforderung der rechtswidrigen Beihilfe praktisch unmöglich würde. Das zieht die Rechtsbeschwerde im Grundsatz auch nicht in Zweifel. Im Übrigen ist eine Anmeldung, die erst aufgrund des Bescheids der Kommission erfolgte, nicht schuldhaft verspätet.

b) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist der vorliegende Fall nicht deshalb anders zu entscheiden, weil kein auf die Kommissionsentscheidung und § 48 ThürVwVfG gestützter Rückforderungsbescheid ergangen ist.

aa) Der Erlass eines weiteren Rückforderungsbescheides war aus Rechtsgründen nicht möglich. Die Schuldnerin war nur zur einmaligen Rückzahlung der Beihilfe verpflichtet. Eine entsprechende Regelung war am 8.5.2002 bereits getroffen worden.

bb) Die Kommissionsentscheidung kann nunmehr jedoch zur Begründung des bereits ergangenen Rückforderungsbescheides herangezogen werden. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde handelt es sich nicht um eine unzulässige Umdeutung dieses Bescheides (§ 47 ThürVwVfG). § 47 ThürVwVfG setzt einen rechtswidrigen Verwaltungsakt voraus. Die in ihm getroffene Regelung wird durch eine andere, rechtmäßige Regelung ersetzt (BVerwG v. 19.8.1988 - 8 C 29/87, BVerwGE 80, 96 [97]). Der Bescheid vom 8.5.2002 war hingegen insgesamt rechtmäßig, sowohl hinsichtlich der Regelung als auch hinsichtlich der Begründung. Ob ein Bescheid materiell rechtmäßig ist, richtet sich nach dem Recht, das geeignet ist, seinen Spruch zu rechfertigen. Er kann auch aus anderen Rechtsgründen, als sie die Verwaltungsbehörde angegeben hat, rechtmäßig sein (BVerwG v. 19.8.1988 - 8 C 29/87, BVerwGE 80, 96 [98]). Der Spruch der Kommission ist ebenso geeignet, den Rückforderungsbescheid zu begründen, wie die Begründung, welche die Verwaltungsbehörde dem Rückforderungsbescheid beigefügt hat.

cc) Der Fall, dass eine Kommissionsentscheidung nicht durch einen eigenständigen Verwaltungsakt umgesetzt, sondern ergänzend zur Begründung eines bereits ergangenen bestandskräftigen Verwaltungsaktes herangezogen werden kann, liegt bei wertender Betrachtung nicht anders als der Fall einer selbständigen Umsetzung durch Verwaltungsakt. Nach Vorstellung der Rechtsbeschwerde hätte zunächst der Bescheid vom 8.5.2002 aufgehoben und sodann ein neuer, auf die Kommissionsentscheidung gestützter Rückforderungsbescheid erlassen werden müssen; allenfalls dann hätte die Forderung in das Forderungsverzeichnis aufgenommen werden können. § 49 Abs. 1 ThürVwVfG erlaubt ein derartiges Verfahren jedoch nicht. Nach § 49 Abs. 1 ThürVwVfG kann ein rechtmäßiger Verwaltungsakt nicht aufgehoben werden, wenn eine entsprechende Regelung sofort wieder getroffen werden müsste. Aufgrund der - nicht angegriffenen - Kommissionsentscheidung steht fest, dass die Beihilfe rechtswidrig war und aufgrund vorrangigen Gemeinschaftsrechts zurückgefordert werden muss.

c) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde steht derzeit auch nicht fest, dass die Rückforderung aus tatsächlichen Gründen völlig unmöglich ist. Feststellungen dazu, welche Quote auf nicht bevorrechtigte Forderungen entfallen wird, hat das LG nicht getroffen. Vor der Bestätigung des Verteilungsvorschlags (§ 18 GesO) sind insoweit auch nur Prognosen möglich. Eine Rückverweisung an das Beschwerdegericht, um Feststellungen zur Höhe der Quote nachzuholen, kommt deshalb nicht in Betracht.

3. Eine Vorlage gem. Art. 234 EGV an den Europäischen Gerichtshof ist nicht angezeigt. Eine Vorlagepflicht gem. Art. 234 Abs. 3 EG-Vertrag besteht dann nicht, wenn das letztinstanzliche nationale Gericht in dem bei ihm schwebenden Verfahren feststellt, dass die betreffende entscheidungserhebliche gemeinschaftsrechtliche Frage bereits Gegenstand der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof war oder dass die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (EuGH, Urt. v. 6.10.1982 - Rs. C-283/81 - C.I.L.F.I.T. - Slg. 1982, 3415 [3430], Rz. 16; BGH v. 12.10.1989 - VII ZR 339/88, BGHZ 109, 29 [35] = MDR 1990, 233; Urt. v. 24.10.2003 - V ZR 48/03, BGHReport 2004, 144 = WM 2004, 693 [695]; Urt. v. 28.3.2001 - VIII ZR 72/00, BGHReport 2001, 507 = WM 2001, 1264 [1265 f.]; BVerfG v. 9.11.1987 - 2 BvR 808/82, NJW 1988, 1456). So liegt der Fall hier. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat bereits entschieden, dass unzulässige Beihilfen auch dann noch zurückgefordert werden müssen, wenn eine nach nationalem Recht im Interesse der Rechtssicherheit dafür bestehende Ausschlussfrist verstrichen ist (z.B. EuGH, Urt. v. 20.3.1997 - Rs. C-24/95 - Land Rheinland-Pfalz/Alcan Deutschland GmbH, NJW 1998, 47).

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO).

 

Fundstellen

BGHR 2006, 613

WM 2006, 778

ZIP 2006, 385

DZWir 2006, 171

MDR 2006, 893

NJ 2006, 221

ZInsO 2006, 210

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