Leitsatz (amtlich)

Ein Aktivprozess der Masse liegt auch dann nicht vor, wenn dem Insolvenzschuldner vor Verfahrenseröffnung vorläufig vollstreckbar ein Anspruch zuerkannt, die ausgeurteilte Leistung im Wege der Zwangsvollstreckung oder zu ihrer Abwendung erbracht worden ist und der Titelschuldner nunmehr in einem gesonderten Rechtsstreit Ersatz seines Vollstreckungsschadens verlangt (Anschluss an BGH v. 12.2.2004 - V ZR 288/03, BGHReport 2004, 852 = MDR 2004, 711 = WM 2004, 751).

 

Normenkette

InsO § 85 Abs. 1; ZPO § 717 Abs. 2

 

Verfahrensgang

OLG Braunschweig (Aktenzeichen 7 U 141/99)

LG Göttingen

 

Tenor

Der Rechtsstreit ist unterbrochen.

 

Gründe

I.

Der Kläger - ein Architekt - und neun weitere Personen, bei denen es sich überwiegend um Handwerker handelt, zu denen die ursprünglich sechs Beklagten dieses Rechtsstreits gehören, gründeten im Jahre 1982 eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu dem Zweck, ein Fachwerkhaus zu erwerben, umzubauen, in Wohnungseigentum aufzuteilen und sodann die einzelnen Eigentumseinheiten zu veräußern und selbst zu nutzen. Die Architektenleistungen wurden dem Kläger übertragen. Dieser legte den übrigen Gesellschaftern eine vorläufige Kostenzusammenstellung über insgesamt 859.000 DM vor und erteilte im Namen der Gesellschaft die Aufträge zur Durchführung des Bauvorhabens. Auftragnehmer waren in der Mehrzahl die Gesellschafter mit ihren Handwerksbetrieben, unter ihnen die Beklagten dieses Rechtsstreits. Die tatsächlichen Baukosten erreichten schließlich einen Gesamtbetrag von 1.545.824,62 DM.

In einem beim LG Göttingen geführten Rechtsstreit (LG Göttingen - 2 O 331/88) nahmen die (jetzigen) Beklagten den (jetzigen) Kläger wegen der Baukostenüberschreitung auf Schadensersatz in Anspruch. Das LG Göttingen verurteilte den Kläger durch Teilurteil v. 16.3.1995 zur Zahlung von 380.824,62 DM nebst Zinsen. Das Urteil war für die Beklagten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 540.000 DM vorläufig vollstreckbar. Die Sicherheit wurde durch eine Bürgschaft der Sparkasse G. v. 28.4.1995 erbracht. Nachdem die Bürgschaft dem Kläger unter Androhung der Zwangsvollstreckung zugestellt worden war, zahlte der Kläger die Urteilssumme zzgl. Zinsen i.H.v. insgesamt 563.783,71 DM. Nach Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils durch Urteil des OLG Celle v. 16.7.1997 zahlte die Sparkasse G., nachdem der Kläger sie aus ihrer Prozessbürgschaft gerichtlich in Anspruch genommen hatte, die Bürgschaftssumme von 540.000 DM an den Kläger.

Im jetzigen Rechtsstreit hat der Kläger die sechs Beklagten auf Erstattung des durch die Bürgschaft nicht gedeckten Teils seiner Zahlung (563.783,71 - 540.000 = 23.783,71 DM) sowie Ersatz weiterer Vollstreckungsschäden in Gestalt einer von ihm geleisteten Vorfälligkeitsentschädigung für eine Kreditablösung (15.038,48 DM) und von Kreditzinsen (101.631,75 DM), insgesamt also eines Betrages von 140.453,94 DM nebst Zinsen in Anspruch genommen.

Der Kläger hat zunächst in Höhe der Klagesumme gegen den Beklagten (zu 6) ein Versäumnisteilurteil (v. 21.10.1998) erwirkt, gegen das der Beklagte (zu 6) jedoch rechtzeitig Einspruch eingelegt hat. Auf seinen Antrag hat das LG die Zwangsvollstreckung gem. §§ 719, 707 ZPO gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 147.000 DM einstweilen eingestellt und insoweit auch die Beibringung einer Bankbürgschaft zugelassen. Das LG hat sodann durch Grund- und Teilurteil v. 7.5.1999 die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, ferner die Beklagten zu 1 bis 5 als Gesamtschuldner mit dem Beklagten (zu 6) zur Zahlung von 23.783,71 DM nebst Zinsen verurteilt und in dieser Höhe das Versäumnisteilurteil v. 21.10.1998 aufrechterhalten. Das Berufungsgericht hat durch "Versäumnisurteil" die - allein vom Beklagten (zu 6) eingelegte - Berufung als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen die Verurteilung dem Grunde nach richtete, und sie im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen. Auf den Einspruch des Beklagten hat das Berufungsgericht jenes Urteil aufrechterhalten. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Auf die hier rechtzeitig eingegangene und begründete Revision hat der Senat mit Beschluss v. 7.2.2002 das Rechtsmittel angenommen, soweit es nicht gem. § 547 ZPO a.F. unbeschränkt zulässig ist. Der zunächst anberaumte Termin zur mündlichen Verhandlung am 6.6.2002 ist aufgehoben worden, nachdem bekannt geworden war, dass das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten am 4.6.2002 eröffnet worden ist.

Mit dem Beklagten am 24.2.2005 zugestelltem Schriftsatz v. 29.11.2004 hat der Kläger die Wiederaufnahme des Rechtsstreits erklärt und den Antrag gestellt, das Verfahren fortzusetzen. Aus der Anlage zu diesem Schriftsatz ergibt sich, dass der Insolvenzverwalter mit Schreiben v. 1.7.2004 ggü. dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers erklärt hat, dass er nicht beabsichtige, das Verfahren aufzunehmen. Ferner war dem Aufnahmeschriftsatz in Ablichtung eine Urkunde v. 15.12.1998 beigefügt, mit der die Sparkasse G. unter Bezugnahme auf den Beschluss des LG Göttingen v. 23.11.1998 eine Bankbürgschaft i.H.v. 147.000 DM zur Abwendung der Vollstreckung übernimmt. Das Aufnahmebegehren stützt sich im Kern darauf, dass ein Aktivprozess vorliege, weil "der Kläger auf Grund des Instanzurteils zwar keine Zahlung erhalten, jedoch Sicherheitsleistung erwirkt hat". Der Kläger verfolge weiterhin sein Recht zur Befriedigung aus der Sicherheit, nämlich der von der Sparkasse gestellten Bürgschaft.

II.

Eine Fortsetzung des Revisionsverfahrens kommt derzeit nicht in Betracht. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Beklagten ist der Rechtsstreit gem. § 240 ZPO unterbrochen worden. Die Unterbrechung dauert an.

1. Die Unterbrechung ist durch die Erklärung des Klägers, den Rechtsstreit aufzunehmen, nicht beendet. Bei dem zur Entscheidung des Senats stehenden Verfahren handelt es sich nicht um einen Aktivprozess i.S.v. § 85 Abs. 1 InsO. Die Erklärung des Verwalters, er beabsichtige nicht, das Verfahren aufzunehmen, eröffnet dem Kläger daher nicht die Möglichkeit zur Aufnahme des Rechtsstreits gem. § 85 Abs. 2 InsO.

Ursprünglich handelte es sich bei der Klage aus § 717 Abs. 2 ZPO um einen Schuldenmassestreit nach § 87 InsO (Passivprozess). Daran hat sich bis heute nichts geändert. Zwar ist die Frage, ob es sich bei einem durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei unterbrochenen Rechtsstreit um einen Aktiv- oder Passivprozess handelt, nicht nach der formellen Parteirolle zu beantworten, sondern danach, ob in dem anhängigen Rechtsstreit über die Pflicht zu einer Leistung gestritten wird, die in die Masse zu gelangen hat (BGH, Urt. v. 27.3.1995 - II ZR 140/93, GmbHR 1995, 373 = MDR 1995, 587 = ZIP 1995, 643). Die Annahme des Klägers, ein Aktivprozess liege vor, weil er "Sicherheitsleistung erwirkt" habe, trifft jedoch nicht zu.

Der BGH hat bereits entschieden, dass ein Aktivprozess nicht vorliegt, wenn über einen von dem Insolvenzschuldner erhobenen Anspruch zu dessen Gunsten erkannt, die ausgeurteilte Leistung im Wege der Zwangsvollstreckung oder zu ihrer Abwendung erbracht worden ist und der Titelschuldner im Rechtsmittelverfahren wegen seiner Leistung gem. § 717 Abs. 2 ZPO Ersatz verlangt (RGZ 85, 214 [219]; RGZ 122, 51 [53]; BGH, Urt. v. 5.12.1985 - VII ZR 284/83, WM 1986, 295; Urt. v. 27.3.1995 - II ZR 140/93, GmbHR 1995, 373 = MDR 1995, 587 = ZIP 1995, 643; Beschl. v. 12.2.2004 - V ZR 288/03, BGHReport 2004, 852 = MDR 2004, 711 = WM 2004, 751). Hierfür ist es ohne Bedeutung, dass der Anspruch des Klägers aus § 717 Abs. 2 ZPO durch eine Bürgschaft gesichert ist und ob die Bürgin durch Leistung auf die Bürgschaft die Forderung des Klägers reguliert hat. Selbst ein vollständiger Ausgleich des Schadens des Klägers ließe den Rechtsstreit nicht zu einem für die Masse geführten Aktivprozess werden (BGH, Beschl. v. 12.2.2004 - V ZR 288/03, BGHReport 2004, 852 = MDR 2004, 711 = WM 2004, 751 [752]).

Zwar liegt es hier insofern anders als in dem vom V. Zivilsenat entschiedenen Fall, als es nicht um einen im Rechtsmittelverfahren anhängig gemachten Anspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO geht. Der Schadensersatzanspruch wird in diesem Verfahren vielmehr insoweit gesondert eingeklagt. Dies begründet aber keinen rechtserheblichen Unterschied für die Frage, ob ein Aktiv- oder Passivprozess vorliegt. Denn in jedem Fall macht der Kläger einen Anspruch gegen die Masse geltend.

2. Fehl geht auch die Auffassung des Klägers, er sei zur Aufnahme entsprechend § 86 InsO befugt. Schumacher (Schumacher in MünchKomm/InsO, § 85 Rz. 9), auf den sich der Kläger beruft, will der klagenden Partei mit dieser Analogie nur einen Ausgleich für die Befugnis des Verwalters nach § 85 Abs. 1 InsO geben, die (zunächst) eine Aufnahmebefugnis nach § 85 Abs. 2 InsO sperrt. Darum geht es hier nach Ablehnung der Aufnahme durch den Verwalter jedoch nicht.

 

Fundstellen

BB 2005, 1186

DB 2005, 2297

BGHR 2005, 1080

NJW-RR 2005, 989

WM 2005, 1083

ZIP 2005, 952

AnwBl 2005, 101

DZWir 2005, 512

MDR 2005, 1073

NZI 2005, 394

VuR 2005, 238

ZInsO 2005, 534

NZBau 2005, 399

ZVI 2006, 64

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