Leitsatz (amtlich)

›Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen einem früheren inoffiziellen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft versagt werden kann.‹

 

Tatbestand

I. Der am 10. Oktober 1960 geborene Antragsteller leistete nach bestandenem Abitur von 1979 bis 1982 seinen Wehrdienst ab. Danach begann er ein rechtswissenschaftliches Studium an der Karl-Marx-Universität L., das er im Juli 1986 mit dem akademischen Grad eines Diplom-Juristen abschloß. Anschließend war er bis September 1992 als wissenschaftlicher Assistent an der Handelshochschule L. tätig.

Noch während seiner Schulzeit wurde er Ende 1977/Anfang 1978 als inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (künftig: Stasi) angeworben und arbeitete als solcher unter dem Decknamen "Martin Ruhnow" bis einschließlich 1987 mit der Stasi zusammen. Grund und Ziel der Anwerbung war sein Einsatz zur Bekämpfung von "Erscheinungen der politisch-ideologischen Diversion", insbesondere in der vorbeugenden Tätigkeit im Bereich negativer und labiler Jugendlicher sowie des Lehrkörpers der EOS (= Erweiterte Oberschule) N.. Der Antragsteller lieferte zahlreiche mündliche Informationen und schriftliche Berichte: während seiner Schulzeit über Mitschüler, andere Jugendliche und Lehrer, während seiner Armeezeit über Offiziersschüler und andere Armeeangehörige sowie während des Studiums über Studenten und einen Professor. Nach einem Abschlußbericht der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Leipzig vom 11. August 1986 wurde die weitere Zusammenarbeit mit dem Antragsteller wegen Beendigung des Studiums und Arbeitsplatzwechsels sowie Perspektivlosigkeit aktenmäßig beendet. Nach seinen eigenen Angaben setzte der Antragsteller seine Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter aber noch bis 6. Januar 1988 fort.

Mit Schreiben vom 13. August 1990 beantragte er seine Zulassung als Rechtsanwalt nach der Verordnung über die Tätigkeit und die Zulassung für Rechtsanwälte mit eigener Praxis vom 22. Februar 1990. Der Antrag wurde nach Inkrafttreten des Rechtsanwaltsgesetzes (RAG) vom 13. September 1990 auf der Grundlage dieses Gesetzes weiter bearbeitet (§ 190 Abs. 1 RAG).

Die Antragsgegnerin machte im Hinblick auf die Tätigkeit des Antragstellers für die Stasi den Versagungsgrund des § 7 Nr. 2 RAG geltend. Der Berufsgerichtshof hat - diesen Versagungsgrund bejahend - den Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen. Dagegen richtet sich dessen Beschwerde.

II. Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 38 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 RAG), konnte in der Sache aber keinen Erfolg haben.

1. Nach § 7 Nr. 2 des in den neuen Bundesländern fortgeltenden Rechtsanwaltsgesetzes der früheren DDR vom 13. September 1990 ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn der Bewerber sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen läßt, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben. Diese Vorschrift ist mit dem Ziel, das anwaltliche Berufsrecht in der damaligen DDR an das in der Bundesrepublik Deutschland geltende anzugleichen, wörtlich § 7 Nr. 5 BRAO nachgebildet worden. Dessen Verständnis und die dazu entwickelten Grundsätze sind daher auch bei der Anwendung des § 7 Nr. 2 RAG heranzuziehen. Der Unwürdigkeitsvorwurf und die jedenfalls zeitweilige Beschränkung der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Freiheit der Berufswahl sind danach gerechtfertigt, sofern der Anwaltsbewerber ein Verhalten gezeigt hat, das ihn im Zeitpunkt der Entscheidung über sein Zulassungsbegehren bei Abwägung dieses Verhaltens und aller erheblichen Umstände - wie Zeitablauf und zwischenzeitliche Führung - nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf (noch) nicht tragbar erscheinen läßt (vgl. Feuerich, BRAO, 2. Aufl., § 7 Rdnr. 36 und die dort angeführten Rechtsprechungsnachweise).

Das ist wegen der möglichen Gefährdung der Integrität des Anwaltsstandes und wichtiger Belange der Rechtspflege regelmäßig der Fall, wenn der Bewerber durch das ihm vorgeworfene Verhalten eine rechtsfeindliche Einstellung gezeigt hat, sei es, daß er formal geltende Gesetze mißachtet oder gegen höherrangiges, allgemein anerkanntes Recht - etwa gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit - verstoßen oder solchen Verstößen bewußt Vorschub geleistet hat. An dem Grundsatz der Menschlichkeit hat sich vergangen, wer zur Stützung des repressiven Systems der ehemaligen DDR freiwillig und gezielt, insbesondere auch durch Eindringen in die Privatsphäre anderer und Mißbrauch persönlichen Vertrauens Informationen über Mitbürger gesammelt, an die auch in der DDR für ihre repressive und menschenverachtende Tätigkeit bekannte Stasi weitergegeben und dabei jedenfalls in Kauf genommen hat, daß diese Informationen zum Nachteil der denunzierten Personen, namentlich zur Unterdrückung ihrer Menschen- und Freiheitsrechte benutzt würden.

2. So liegt der Fall hier.

a) Der Antragsteller war aus Überzeugung zehn Jahre lang als inoffizieller Mitarbeiter für die Stasi zu deren Zufriedenheit tätig und zeichnete sich dabei nach der Einschätzung seiner Führungsoffiziere und ausweislich der vor liegenden, von ihm gefertigten schriftlichen Berichte und Personeneinschätzungen sowie seiner - in Vermerken festgehaltenen - mündlichen Informationen durch Zuverlässigkeit, Eigeninitiative und hohes Engagement aus. Der Inhalt seiner Berichte und sonstigen Informationen zeigt, daß er von Personen und Personengruppen, auf die er angesetzt war, eifrig Äußerungen und Verhaltensweisen sammelte und an die Stasi meldete, die für diese - aus seiner Sicht - operativ interessant und gegen die Observierten verwertbar sein konnten.

aa) So berichtete er während seiner Schulzeit, soweit die Unterlagen gemäß § 21 Nr. 6 StUG verwendet werden dürfen (ab Vollendung des 18. Lebensjahres), über einen Mitschüler, der zum 11. November 1978 durch das Tragen eines Trauerflors gegen das Verbot karnevalistischen Auftretens in der Schule protestierte, über einen weiteren, der sich negativ über Offiziersanwärter geäußert hatte, über jeweils andere, daß sie in der Vergangenheit nicht immer die richtige politische Grundhaltung eingenommen, viel Musik aus dem westlichen Ausland gehört, sich zu stark mit anderen Schülern über eine Bundestagsdebatte sowie über - ihnen gut bekannte - Probleme in der Bundesrepublik Deutschland unterhalten oder in jeder N.er Gaststätte zum Stamm gehörten. Zu einem Lehrer, der das Fach Staatsbürgerkunde unterrichtete, gab er die Information weiter, dieser habe geäußert, die NVA bereite den Dritten Weltkrieg vor. Er berichtete ferner, am 26. Februar 1979 hätten drei - namentlich benannte - Personen bei einer Tanzveranstaltung das Schlesierlied angestimmt und andere zum Mitsingen aufgefordert. Bei einer anderen Gelegenheit sei dasselbe Lied von einem 26 Jahre alten Arbeiter angestimmt worden, der ein oft angetrunkener Schlägertyp und politisch nicht immer zuverlässig sei. Auch bei einer Feier des Sportvereins sei das Schlesierlied gesungen worden, von wem habe er nicht ermitteln können, weil es sich leider um eine geschlossene Veranstaltung gehandelt habe. In einem letzten Bericht während seiner Schulzeit wies er auf eine Person und deren Familie hin, die umfangreiche Westverbindungen besäßen und bei denen jährlich bis zu drei West-Pkw auftauchten.

bb) Während seiner Militärzeit übernahm der Antragsteller insbesondere die Aufgabe, "politisch negativ auftretende" Armeeangehörige unter Kontrolle zu halten und über ihre politische Einstellung und Wertung des politischen Tagesgeschehens, ihre Freizeitbeschäftigung, ihren Umgang sowie ihre charakterlichen Besonderheiten, Mängel und Schwächen zu berichten. Er informierte in etwa 15 Fällen die Stasi über Disziplinlosigkeit verschiedener Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere. Der Antragsteller gab ferner jeweils Äußerungen von Mitsoldaten weiter, die mit beleidigendem oder sonst negativem Inhalt gegen ihn selbst gerichtet waren. In einem Fall legte er der Stasi eine von ihm gefertigte Abschrift des - das Jahr 1981 umfassenden - Tagebuchs eines Soldaten vor, aus dem sich ergab, daß dieser Befehle von Offizieren nicht ausführte und Westsender hörte. Das hatte die Anordnung des Führungsoffiziers zur Folge: Tagebuch anfordern, Stellungnahme des ... anfordern, auswerten, verwarnen - Aufklärung des ... durch den GMS "Kleiner". Auch in anderen Fällen berichtete er Äußerungen oder Vorkommnisse, die darauf hindeuteten, daß die Betroffenen Westsender hörten. Er informierte ferner über "negative" politische Einstellungen und über pazifistische Äußerungen einzelner sowie über Vorkommnisse, welche die Betroffenen in den Verdacht geraten ließen, Beziehungen zu Personen in der Bundesrepublik zu haben. So teilte er mit, daß sich ein Fähnrich bei politischen Veranstaltungen passiv verhalte, ein Unteroffizier bei einem Fernsehbericht über die Ereignisse des XXVI. Parteitages der KPdSU das Bild verstellt und später zusammen mit einem weiteren Unteroffizier den Empfang durch Herausdrehen der Sicherung gestört habe, ein Soldat in einer Gaststätte geäußert habe, ein Deutscher gehe ohne Koppel, drei weitere Soldaten versucht hätten, eine FDJ-Versammlung in ihrem Charakter zu stören, ein anderer Soldat nicht voll an die unveränderte Aggressivität des Imperialismus glaube, meist nur positive Seiten des Kapitalismus sehe und nicht voll von der "wahren Freundschaft, vom wahren Bruderbund der SU" überzeugt sei, ferner ein Soldat und ein Unterfeldwebel erklärt hätten, daß man bald die "Quick" und den "Stern" lese und daß während eines im Club-Raum der Kompanie gezeigten Films, in dem Tramper durch die CSSR nach Bulgarien unterwegs waren, ein Gefreiter zu einem anderen geäußert habe, "wenn wir erst dort wären, wärs nicht mehr weit", worauf der andere geantwortet habe, "ja, aber nicht in der Richtung". In einem weiteren Fall schilderte der Antragsteller, daß bei seinem Erscheinen in einem Zimmer die dort anwesenden Personen, der Soldat ..., der Unterfeldwebel ... und der Unteroffizier ... das gerade geführte Gespräch abgebrochen hätten und er nur noch das Wort "München" verstanden habe. Das führte zu der Feststellung des Führungsoffiziers, es gebe Angaben zu ..., daß sein Vater in München wohne, und Hinweise, daß Unterfeldwebel ... nach seiner Entlassung die Verbindung zu seinem Vater wieder aufnehmen wolle. Als Maßnahmen wurden angeordnet "Einleitung von Speicherüberprüfungen zur Person ..., Sicherung der Briefverbindung und Einsatz des IMS "Hans Korn" zur weiteren Aufklärung des Verhältnisses .../... . Von zwei anderen Soldaten berichtete der Antragsteller, der eine habe erklärt, er sehe nicht ein, warum er mit der Kanone das Töten von Menschen lerne, der andere, wenn alle Frieden hielten, brauchte das gar nicht zu sein, und daß beide schon früher geäußert hätten, sie würden im Ernstfall sowieso nicht schießen. Der Führungsoffizier verfügte daraufhin folgende Maßnahmen: Personalien feststellen, Speicherüberprüfung einleiten, op. Kartei erfassen, Einsatz des IM "Andreas" zur Aufklärung der NVA-Angehörigen.

cc) Während seiner Studentenzeit informierte der Antragsteller die Stasi über das politisch-ideologische Meinungsbild und die Stimmung in der Seminargruppe, der er angehörte, sowie über einen Professor und einzelne Kommilitonen, auf die er angesetzt war. Bei seinem ersten Treffen mit dem Führungsoffizier nannte er die - nach dem Inhalt des Treff-Berichts bereits bei der Abteilung XX/4 erfaßten - Studenten ... und ... und berichtete, daß beide ihre wahre politische Auffassung verschleierten und im Besitz des Lindenberg-Liedes "Sonderzug nach Pankow" seien. Bei den nächsten Treffen gab der Antragsteller mündlich Hinweise zu drei "operativ interessierenden" Personen: Über einen Studenten, der mit ihm ein Zimmer bewohnte und in Verbindung zur evangelischen Kirche stand, berichtete er, daß dieser Student gegenwärtig die besten persönlichen Beziehungen zu ihm und einem bestimmten MA-Studenten des Ministeriums für Staatssicherheit unterhalte, in Salfeld eine Freundin habe, die nach ihrem Schulabschluß in Leipzig studieren wolle, und daß der Student am 24. März 1983 in Leipzig einen "alten Kumpel" aus Salfeld besucht habe, wozu der Führungsoffizier im Treff-Bericht vermerkte, aus Hinweisen der Abteilung 26 A zum Auftrag ... werde klar, daß der Student den Leipziger Jugendpfarrer ... und dessen Familie besucht habe. Der Vater des Studenten habe - so berichtete der Antragsteller weiter - aktive Verbindungen zu kirchlichen Amtsträgern in Ludwigsburg/BRD. Der Superintendent ... (womit wohl der Vater des Studenten gemeint ist) habe am 27. Februar 50. Geburtstag gehabt; zu diesem Anlaß habe auch Besuch aus der BRD kommen sollen. Über eine Studentin seiner Seminargruppe informierte der Antragsteller seinen Führungsoffizier dahin, daß sie sich mit zwei anderen in der Seminargruppe etwas absetze, im Freizeitbereich eng mit ... befreundet sei, mit dieser Person oft Discos aufsuche und bisher noch keine feste Verbindung mit einem Mann eingegangen sei, aber eine lose Verbindung zu einer Person in Kamenz unterhalte. Beim nächsten Treffen berichtete der Antragsteller über einen weiteren Studenten: Dieser engagiere sich kaum in gesellschaftlicher Hinsicht, liege politisch auf der Linie der "Grünen" in der Bundesrepublik, lebe in Leipzig in eheähnlicher Gemeinschaft mit einer Lehrerin und habe intensive private Verbindungen in die Bundesrepublik. Der Führungsoffizier vermerkte zu der Lehrerin, deren Name der Antragsteller nicht kannte: "Nach Feststellung des IME "Erich" handelt es sich um ... geb. ... in Colditz". Zu diesem Studenten teilte der Antragsteller später mit, er habe sich mit seiner Lebensgefährtin viele neue Möbel angeschafft, zur Beschaffung des notwendigen Geldes arbeite er fast täglich als Zeithilfe bei der Deutschen Post, er wolle sich für eine NSW-Touristenreise nach Österreich oder in die BRD bewerben und unterhalte nach wie vor Kontakt zu der Studentin ... aus Madagaskar, die ihm im August von ihrem Urlaubsaufenthalt in Paris auch geschrieben habe. Der Führungsoffizier ordnete daraufhin den Einsatz des IMS "Ute Kloß" zur Konkretisierung der den Studenten betreffenden Hinweise an und vermerkte in einem späteren Treff-Bericht, in dem das Verhältnis zu der Studentin aus Madagaskar als Liebesverhältnis bezeichnet wird, der IM (= Antragsteller) werde versuchen, Näheres, insbesondere welche Absichten der Student damit verfolge, in Erfahrung zu bringen. Zu einer Studentin gab der Antragsteller die Information weiter, sie verkehre im Wohnheim der Rechtswissenschaften mit einem Ausländer, vermutlich einen Syrer, habe zu ihm eine feste Bindung entwickelt und trage sich mit dem Gedanken, die DDR zu verlassen und mit ihm nach Syrien zu gehen. Außerdem beschäftige sie sich mit christlicher Literatur. Über einen weiteren Kommilitonen berichtete der Antragsteller, dieser fahre mehrfach innerhalb der Woche zu seiner Freundin nach Jena, die ein Kind erwarte und die er im Sommer heiraten wolle. Er habe davon gesprochen, daß seine Familie ein sehr enges Verhältnis zu Oberkirchenrat ... in Eisenach habe. Zu einem anderen Studenten teilte der Antragsteller seinem Führungsoffizier mit, der Student habe nicht an der Mai-Demonstration teilgenommen, sondern sich für den betreffenden Tag rechtzeitig einen Krankenschein besorgt. Über einen anderen Studenten, den er wegen möglicher kirchlichen Aktivitäten zu observieren hatte, berichtete er, daß dieser insoweit im Studienbereich bisher nicht aufgefallen sei, in einem persönlichen Gespräch habe er aber zu erkennen gegeben, daß er sich in Westmedien informiere, weil er die Presse der DDR, besonders das ND, ablehne. Zu zwei weiteren Studenten meldete der Antragsteller, sie hätten Verständnis für die "Auslassungen" des Oberbürgermeisters Diepgen zu der Luftverschmutzung durch Trabis am Prenzlauer Berg gezeigt, indem sie darauf hingewiesen hätten, der Smog höre an der Mauer nicht auf. In seinem Bericht über die Jugendtouristreise vom 11. November bis 18. November 1985 nach Hamburg wies er darauf hin, zwei - namentlich benannte - Studenten hätten über mehr finanzielle Mittel als die anderen verfügt, der eine, weil er Verwandte in Hamburg habe, und der andere, weil er, was er gegenüber dem Antragsteller geäußert habe, Geld aus der DDR eingeführt habe; dementsprechend hätten beide Veranstaltungen, z.B. ein Sexkino auf der Reeperbahn, besucht und sich Jacken für ca. 140 DM gekauft. Zwei andere Reiseteilnehmer hätten eine Nacht bis 6.00 Uhr in der Stadt verbracht und Kontakt zu einem Jugendlichen geknüpft.

b) Diese - teilweise durch Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens erlangten und aus der Privatsphäre observierter Personen stammenden - Informationen sind, was der Antragsteller selbst einräumt, mehrheitlich personenbelastend und führten, soweit aus den vorliegenden Stasi-Unterlagen ersichtlich, jedenfalls zum Teil zu weiteren Maßnahmen der Stasi. Verschiedentlich sind sie zwar wegen ihrer Banalität - für sich betrachtet - von geringem Informationswert, das Ministerium für Staatssicherheit verfügte aber über eine umfangreiche elektronische Datenbank, über die jede Information mit anderen Informationen und Personen verknüpft werden konnte. Deshalb vermochten auch scheinbar banale Informationen im Verbund mit anderen gespeicherten Erkenntnissen oder operativ interessanten Personen besonderes Gewicht zu erlangen.

Soweit der Antragsteller darauf hinweist, er habe - auch in Fällen, in denen er Vertrauen mißbraucht habe - anderen niemals Schaden zufügen wollen, es sei auch nicht ersichtlich, welche Personen durch seine Tätigkeit konkret geschädigt worden seien, vermag ihn dies nicht zu entlasten. Entscheidend ist, daß er persönliche Schadensfolgen für andere in Kauf genommen hat. Er wußte, daß die Stasi die gelieferten Informationen in einer für ihn nicht mehr überprüfbaren oder beeinflußbaren Weise unter Umständen auch zum fühlbaren persönlichen oder beruflichen Nachteil der Betroffenen verwenden konnte. Daß er dennoch in der beschriebenen Weise eifrig Informationen sammelte und weitergab, die ihm für die Stasi wertvoll erschienen, gereicht ihm zum Verschulden. Dieses läßt sich angesichts der auch in der ehemaligen DDR weithin bekannt gewesenen repressiven Methoden und Maßnahmen der Stasi nicht, wie der Antragsteller es versucht, mit dem Hinweis wegdiskutieren, das Ministerium für Staatssicherheit sei eine "legale Institution im Machtapparat der DDR" und Teil des "Rechtsstaates DDR" gewesen. Das gleiche gilt für den vom Antragsteller herangezogenen Umstand, daß er einer zum "Sozialismus positiv eingestellten Arbeiterfamilie" entstamme.

3. Das Verhalten eines Anwaltsbewerbers, wie es der Antragsteller gezeigt hat, gebietet es, den Bewerber jedenfalls zeitweise vom Anwaltsberuf fernzuhalten. Ein solches Verhalten muß beim rechtsuchenden Publikum begründete Zweifel an der persönlichen Integrität des Bewerbers wecken und wäre daher im Falle seiner Zulassung grundsätzlich geeignet, das Ansehen der Anwaltschaft insgesamt in Mitleidenschaft zu ziehen, insbesondere auch die Vertrauensgrundlage zu erschüttern, die die Rechtsanwaltschaft im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege benötigt (vgl. dazu BVerfG, Beschluß vom 4. November 1992 - 1 BvR 79/85 u.a. = NJW 1993, 317, 319). Daran vermag entgegen der Auffassung des Antragstellers nichts zu ändern, daß ebenso Belastete aufgrund früherer Zulassungen bereits längere Zeit als Anwalt tätig sind, die Rechtsuchenden ihren Anwalt frei auswählen können und der Bürger das Recht hat, ehemals Gleichgesinnte zu mandatieren.

Der gegen den Antragsteller erhobene Unwürdigkeitsvorwurf ist auch heute noch gerechtfertigt. Zwar kann ein das Unwürdigkeitsmerkmal des § 7 Nr. 2 RAG ausfüllendes Verhalten eines Bewerbers selbst dann, wenn es besonders schwerwiegend war, nach einer Reihe von Jahren durch Wohlverhalten und auch durch andere Umstände so viel an Bedeutung verlieren, daß es der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht mehr im Wege steht.

Diese Feststellung läßt sich im konkreten Fall aber derzeit noch nicht treffen. Die seit dem Ende der Stasimitarbeit des Antragstellers verflossene Zeit reicht, obwohl er zwischenzeitlich seine Einstellung zur Stasi und zu seiner Tätigkeit für diese geändert haben mag, allein nicht aus, um seinem Interesse an beruflicher und sozialer Eingliederung den Vorrang vor dem öffentlichen Interesse an der Integrität des Anwaltsstandes und einer funktionierenden Rechtspflege zu geben. Die rechtsstaats- und menschenrechtswidrige Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit ist erst nach der "Wende" (1989) in ihrem wirklichen Ausmaß deutlich geworden und durch die sich anschließende öffentliche Diskussion noch derart im Bewußtsein der Bevölkerung, daß die Zulassung des Antragstellers zur Anwaltschaft einem vernünftigen, objektiven Beobachter gegenwärtig noch nicht einsichtig gemacht werden könnte und sich daher die oben bezeichnete Gefahr für eine funktionierende Rechtspflege trotz der inzwischen verflossenen Zeit nicht wesentlich verringert hat.

Nach Auffassung des erkennenden Senats hätte ein Zulassungsbegehren des Antragstellers nach Lage des Falles frühestens zum 1. Januar 1995 Aussicht auf Erfolg.

4. Nach alledem war die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Berufsgerichtshofs vom 30. September 1992 zurückzuweisen.

Die vom Berufsgerichtshof nicht in die Entscheidungsformel aufgenommene Feststellung (§ 37 Abs. 2 Satz 2 RAG), daß der vom Vorstand der Antragsgegnerin angeführte Versagungsgrund vorliege, hat der Senat - klarstellend - nachgeholt.

Die Festsetzung des Geschäftswertes auf 80.000 DM entspricht der Praxis des Senats bei Zulassungsbegehren nach dem Rechtsanwaltsgesetz.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993257

NJW 1994, 1730

BRAK-Mitt 1994, 108

AnwBl 1994, 295

MDR 1994, 731

NJ 1994, 284

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