Leitsatz (amtlich)

Zur Auslegung eines Prozessvergleichs über die "Kosten des Rechtsstreits" bei bereits vorliegender rechtskräftiger Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelzüge.

 

Normenkette

ZPO § 98 S. 2, § 103 Abs. 1; BGB § 779

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Beschluss vom 25.05.2016; Aktenzeichen I-21 W 8/16 + I-21 W 10/16)

LG Wuppertal (Beschluss vom 26.01.2016; Aktenzeichen 5 O 342/06)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 21. Zivilsenats des OLG Düsseldorf vom 25.5.2016 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens tragen die Beklagten zu 1) und 2) zu 55 Prozent als Gesamtschuldner, die Beklagte zu 1) zu weiteren 45 Prozent allein.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 45.952,28 EUR.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Parteien streiten über die Reichweite eines Vergleichs über die "Kosten des Rechtsstreits" bei bereits vorliegender rechtskräftiger Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelzüge.

Rz. 2

Die Klägerinnen nahmen die Beklagten wegen eines Brandschadens in Anspruch. Mit Grund- und Teilschlussurteil erklärte das LG die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt. Die von den Beklagten geführten Rechtsmittel der Berufung und der Revision blieben im Ergebnis erfolglos. Die Kosten der Rechtsmittelzüge erlegte der erkennende Senat mit Urteil vom 1.10.2013 den Beklagten auf. Auf Antrag der Klägerinnen setzte die Rechtspflegerin des LG mit Beschluss vom 27.3.2014 die außergerichtlichen Kosten der Revisionsinstanz gegen die Beklagten fest, die diese beglichen. In dem sodann vor dem LG geführten Betragsverfahren verglichen sich die Parteien am 17.2.2015. Der Vergleichstext lautet auszugsweise:

"Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerinnen als Gesamtschuldner 25 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 75 %."

Rz. 3

Auf Antrag der Klägerinnen hat die Rechtspflegerin des LG am 26.1.2016 die Gerichtskosten der Revisionsinstanz und am 3.3.2016 die außergerichtlichen Kosten der Berufungsinstanz im vollen Umfang gegen die Beklagten festgesetzt. Der Beklagte zu 3) beglich sämtliche Kosten.

Rz. 4

Die von den Beklagten zu 1) und 2) gegen die Beschlüsse vom 26.1. und vom 3.3.2016 geführten sofortigen Beschwerden hat das OLG, soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch relevant, zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich die Beklagten zu 1) und 2) mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

Rz. 5

Die gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Rz. 6

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Maßgeblich für die Verteilung der Kosten des Rechtsmittelzuges sei die Kostenentscheidung des BGH vom 1.10.2013 und nicht die im Prozessvergleich vom 17.2.2015 getroffene Kostenvereinbarung. Zwar seien unter "Kosten des Rechtsstreits" dem Wortlaut nach grundsätzlich die in allen Instanzen entstandenen gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten zu verstehen. Vor dem Hintergrund einer bereits vorliegenden rechtskräftigen Grundentscheidung über die Kosten des Rechtsmittelzuges sei die Formulierung aber auslegungsbedürftig. Nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont hätten die Beklagten nicht davon ausgehen können, dass sich die Klägerinnen mit dem von ihnen formulierten Vergleichsvorschlag dieser ihnen günstigen Rechtsposition begeben wollten. Auch nach der gesetzlichen Auslegungsregel des § 98 Satz 2 ZPO sei ohne ausdrückliche Vereinbarung nicht davon auszugehen, dass die Parteien von rechtskräftigen Kostenentscheidungen abweichende Regelungen treffen wollen.

Rz. 7

2. Dies hält rechtlicher Überprüfung stand. Zutreffend hat das Beschwerdegericht die Kostenentscheidung des Senats vom 1.10.2013 als Grundlage der begehrten Kostenfestsetzung herangezogen. Der Prozessvergleich der Parteien im Betragsverfahren vor dem LG vom 17.2.2015 ist dagegen insoweit nicht maßgeblich. Er erstreckt sich nicht auf die bereits von der genannten rechtskräftigen Kostengrundentscheidung erfassten - gerichtlichen und außergerichtlichen - Rechtsmittelkosten (vgl. OLG Schleswig, SchlHA 82, 61; OLG München, MDR 1982, 760; OLG Stuttgart MDR 1989, 1108; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.12.2008 - VI-W (Kart) 2/08, juris Rz. 8 f.; OLG Nürnberg, FamRZ 2010, 752; OLG Köln, JurBüro 2014, 366; entgegen OLG Hamburg, JurBüro 1996, 593; OLG Koblenz, MDR 2006, 357; JurBüro 2012, 428; OLG Jena, Beschl. v. 29.1.2013 - 9 W 45/13, juris Rz. 3).

Rz. 8

a) Ob die tatrichterliche Auslegung eines Prozessvergleichs im Rechtsbeschwerdeverfahren nur darauf überprüft werden kann, ob anerkannte Auslegungsgrundsätze, gesetzliche Auslegungsregeln, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt sind oder ob, weil es sich (auch) um eine Prozesshandlung handelt, die Auslegung eines Prozessvergleichs auch hinsichtlich seines materiell-rechtlichen Teils unbeschränkt überprüft und damit selbständig vorgenommen werden kann, wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet (vgl. für eine uneingeschränkte Überprüfbarkeit: BAGE 42, 244, 249 f.; dagegen: BGH, Urt. v. 4.4.1968 - VII ZR 152/65, MDR 1968, 576; offenlassend: BGH, Urt. v. 11.5.1995 - VII ZR 116/94, NJW-RR 1995, 1201, 1202; v. 8.12.1999 - I ZR 101/97, NJW-RR 2001, 614, 619; v. 22.6.2005 - VIII ZR 214/04, NJW-RR 2005, 1323, 1324; v. 15.1.2013 - XI ZR 22/12, NJW 2013, 1519 Rz. 34 [jeweils zum Revisionsverfahren]; BGH; Beschl. v. 29.9.2011 - V ZB 241/10, juris Rz. 13). Die Frage bedarf hier aber keiner Entscheidung, weil die tatrichterliche Auslegung auch bei deren voller Überprüfbarkeit nicht zu beanstanden wäre.

Rz. 9

b) Im Ausgangspunkt zutreffend beruft sich die Rechtsbeschwerde darauf, dass die Auslegung vom Wortlaut der Erklärung auszugehen hat und die Formulierung "Kosten des Rechtsstreits" auf eine Vereinbarung über die Kosten aller Instanzen hindeutet. Die Rechtsbeschwerde verkennt jedoch, dass der Wortlaut wegen der hier gegebenen rechtskräftigen Grundentscheidung über die Kosten der Rechtsmittelzüge sowie der auf dieser Grundlage bereits erfolgten Festsetzung und Bezahlung eines Teils der Rechtsmittelkosten nicht eindeutig ist und sich die Vereinbarung nach ihrem Wortlaut auch auf den nach § 308 Abs. 2 ZPO überhaupt noch zur Entscheidung stehenden Teil der Kosten des Rechtsstreits beschränken kann. In einem zweiten Auslegungsschritt sind daher die außerhalb des Erklärungsakts liegenden Begleitumstände in die Auslegung einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Vereinbarung zulassen (vgl. BGH, Urt. v. 19.1.2000 - VIII ZR 275/98, NJW-RR 2000, 1002, 1003; v. 22.4.2016 - V ZR 189/15, NZM 2016, 640 Rz. 15). Als solche für die Auslegung maßgeblichen Begleitumstände kommt vorliegend neben der Interessenlage der Beteiligten (Palandt/Ellenberger, BGB, 76. Aufl., § 133 Rz. 18 m.w.N.) auch ihr späteres Verhalten in Betracht (BGH, Urt. v. 22.6.2005 - VIII ZR 214/04, NJW-RR 2005, 1323, 1324; BeckOK/Wendtland, BGB, Stand 1.11.2016, § 133 Rz. 25). Danach ist vorliegend von einem engen Verständnis der Kostenvereinbarung auszugehen.

Rz. 10

aa) Zunächst trägt der Zweck eines Vergleichs, Streit oder Ungewissheit durch gegenseitiges Nachgeben i.S.d. § 779 Abs. 1 BGB zu beseitigen, nicht die Annahme, von den "Kosten des Rechtsstreits" seien die möglichem Streit und möglicher Ungewissheit durch rechtskräftige Entscheidung bereits entzogenen Kosten des Rechtsmittelzuges erfasst.

Rz. 11

Im konkreten Fall war weiter zu berücksichtigen, dass die Kostengrundentscheidung des Senats vom 1.10.2013 auf der in § 97 Abs. 1 ZPO niedergelegten Entscheidung des Gesetzgebers beruhte, dass derjenige die Kosten des Rechtsmittels trägt, der es ohne Erfolg eingelegt hat. Die Beklagten waren im Rechtsmittelzug des Grundverfahrens in vollem Umfang unterlegen. Bei einer vergleichsweisen Einigung im Betragsverfahren konnte ein objektiver Erklärungsempfänger (vgl. BGH, Urt. v. 3.2.1967 - VI ZR 114/65, BGHZ 47, 75, 78; BGH, Urt. v. 1.3.2011 - II ZR 16/10, NJW 2011, 1666 Rz. 10) bei vernünftiger Beurteilung der den Beklagten bekannten oder erkennbaren Umstände die von den Klägerinnen angebotene Kostenvereinbarung nicht auf die diesen bereits rechtskräftig zuerkannten Kosten des Rechtsmittelzuges beziehen, weil diese eine von zwei möglichen Auslegungen für die Erklärenden wirtschaftlich wenig Sinn machte (vgl. BGH, Urt. v. 21.5.2008 - IV ZR 238/06, NJW 2008, 2702 Rz. 30).

Rz. 12

bb) Für die vom Beschwerdegericht angenommene Notwendigkeit einer - hier gerade nicht vorliegenden - ausdrücklichen Einbeziehung streitet zudem die Wertung des § 98 Satz 2 ZPO (OLG Schleswig, SchlHA 82, 61; OLG Stuttgart MDR 1989, 1108; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.12.2008 - VI-W (Kart) 2/08, juris Rz. 8 f.; OLG Nürnberg MDR 2010, 45; OLG Köln, JurBüro 2014, 366). Danach werden im Fall eines Vergleichsschlusses Kosten, über die bereits rechtskräftig erkannt ist, von der (zur Parteidisposition stehenden) Kostenaufhebung nicht erfasst. Die darin zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung fördert die Rechtssicherheit. Ansprüche aus vollstreckbaren Kostentiteln sollen nicht ohne ausdrückliche Vereinbarung aufgegeben werden können.

Rz. 13

Dies deckt sich mit dem allgemeinen zivilrechtlichen Grundsatz, dass Parteien zwar auf ihre Ansprüche, also auch auf solche aus einer rechtskräftigen Kostengrundentscheidung, verzichten können. Ein Angebot auf Abschluss eines hierfür erforderlichen Erlassvertrages muss jedoch unmissverständlich erklärt sein. An die Feststellung eines Verzichtswillens sind hierbei strenge Anforderungen zu stellen, er darf nicht vermutet werden (BGH, Urt. v. 7.3.2006 - VI ZR 54/05, NJW 2006, 1511 Rz. 10; BGH, Urt. v. 3.6.2008 - XI ZR 353/07, NJW 2008, 2842 Rz. 20; konkret zum Verzicht auf Rechte aus einer Kostengrundentscheidung OLG München, MDR 1982, 760; OLG Nürnberg FamRZ 2010, 752 f.).

Rz. 14

cc) Für das Auslegungsergebnis des Beschwerdegerichts sprechen zudem der Stand der Kostenfestsetzung bei Abschluss des Prozessvergleichs sowie dessen Detaillierungsgrad. Die mit - hier nicht streitgegenständlichem - Beschluss der Rechtspflegerin des LG vom 27.3.2014 festgesetzten außergerichtlichen Kosten der Revisionsinstanz waren bei Abschluss des Prozessvergleichs bereits beglichen, so dass aus Sicht der Klägerinnen eine rückwirkende Abänderung der Kostenregelung fernlag. Zudem hätte der detaillierte, sogar das Innenverhältnis der Beklagten zu 1) bis 3) ausführlich regelnde Vergleichstext, wenn man die Ansicht der Beschwerdeführer zugrunde legt, konsequenterweise einen Rückabwicklungsanspruch berücksichtigen müssen. Dies war nicht der Fall.

Rz. 15

Gegen die Annahme einer stillschweigenden Einbeziehung spricht außerdem, dass die Parteien bei Berücksichtigung der bereits rechtskräftig erkannten Kosten einen werterhöhenden Mehrvergleich geschlossen hätten. Es ist nicht ersichtlich, dass dies beabsichtigt gewesen wäre. Insbesondere ist ein Vergleichsmehrwert nicht ausgewiesen worden.

Rz. 16

dd) Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte zu 3), der sich dem Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahren nicht angeschlossen hat, zwischenzeitlich sämtliche Kostenforderungen der Klägerinnen beglichen hat. Der Beklagte zu 3) ist folglich offensichtlich von demselben Verständnis der Kostenvereinbarung ausgegangen wie die Klägerinnen und das Beschwerdegericht. Das nachträgliche Verhalten der Parteien kann zwar den objektiven Vereinbarungsinhalt nicht mehr beeinflussen, hat aber Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlichen Willens und das tatsächliche Verständnis der an dem Rechtsgeschäft Beteiligten; insoweit ist es bei der Auslegung einzubeziehen (vgl. BGH, Beschl. v. 24.11.1993 - BLw 57/93, WM 1994, 267 unter III; Urt. v. 16.10.1997 - IX ZR 164/96, NJW-RR 1998, 259, unter II 3b; v. 26.11.1997 - XII ZR 308/95, NJW-RR 1998, 801, 803; v. 22.6.2005 - VIII ZR 214/04, NJW-RR 2005, 1323, 1324).

 

Fundstellen

NJW 2017, 1887

BauR 2017, 1086

JurBüro 2017, 484

MDR 2017, 547

MDR 2017, 689

VersR 2017, 713

AGS 2017, 239

RVGreport 2017, 185

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