Leitsatz (amtlich)

Eine Abänderung nach § 10a VAHRG kommt nicht in Betracht, wenn der Versorgungsausgleich in der Erstentscheidung ohne Ermittlung eines Wertunterschiedes bereits dem Grunde nach ausgeschlossen wurde.

 

Normenkette

VAHRG § 10a

 

Verfahrensgang

AG Gummersbach

OLG Köln

 

Tenor

Die weitere Beschwerde gegen den Beschluß des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln als Senat für Familiensachen vom 17. Mai 1993 wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 1.000 DM.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin ist Deutsche, ihr am 18. Juni 1992 verstorbener geschiedener Ehemann war Grieche. Ihre am 15. September 1963 in Griechenland geschlossene Ehe wurde durch Verbundurteil des Amtsgerichts G. vom 4. Mai 1979, rechtskräftig seit 12. Juni 1979, geschieden. Unter Bezugnahme auf eine in der Literatur vertretene Meinung schloß das Amtsgericht einen Versorgungsausgleich wegen der ausländischen Staatsangehörigkeit des Ehemannes aus.

Mit am 14. August 1992 beim Amtsgericht eingegangenem Antrag begehrt die Antragstellerin gemäß § 10a VAHRG die Abänderung dieser Entscheidung und die Durchführung des öffentlich-rechtlichen, hilfsweise des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs, weil die Entscheidung des Amtsgerichts auf einer unrichtigen Rechtsauffassung beruhe und sowohl sie als auch ihr verstorbener Ehemann Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben hätten.

Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die Beschwerde der Antragstellerin blieb erfolglos. Mit der zugelassenen weiteren Beschwerde verfolgt sie ihr Begehren weiter.

II.

1. Die weitere Beschwerde ist zulässig. Der Antrag auf Abänderung ist allerdings, was die Vorinstanzen bisher übersehen haben, gegen die Erben des vor Einleitung des Verfahrens verstorbenen Ehemannes zu richten (vgl. §§ 10a Abs. 10 Satz 2 VAHRG, 1587e Abs. 4 BGB). Daß diese nicht beteiligt worden sind, nötigt hier allerdings nicht zur Zurückverweisung der Sache wegen eines Verfahrensmangels, da die weitere Beschwerde – wie unten ausgeführt – in der Sache keinen Erfolg hat und die Erben nicht beschwert sind (vgl. Zöller/Gummer ZPO 19. Aufl. § 573 Rdn. 8).

2. Das Oberlandesgericht hat eine Abänderungsmöglichkeit nach § 10a VAHRG verneint, weil keiner der Anwendungsfälle des Absatzes 1 Nr. 1-3 der genannten Vorschrift vorliege. Insbesondere sei im Erstverfahren kein Wertunterschied im Sinne der Nr. 1 ermittelt worden. Der Versorgungsausgleich sei vielmehr bereits dem Grunde nach ausgeschlossen worden, und zwar aufgrund der rechtsirrigen Ansicht, daß bei Ausländerbeteiligung grundsätzlich kein Versorgungsausgleich stattfinde. Das unterscheide den vorliegenden Fall von sogenannten Negativentscheidungen, in denen ein Versorgungsausgleich mangels einer ausgleichspflichtigen Wertdifferenz zunächst nicht durchgeführt worden und in denen die Abänderungsmöglichkeit eröffnet sei, wenn sich nachträglich etwas anderes erweise. § 10a VAHRG erlaube eine Durchbrechung der Rechtskraft – auch was die Korrektur von Rechtsfehlern betreffe – nur, wenn die Abänderungsmöglichkeit durch einen der in Absatz 1 Nr. 1-3 enumerativ aufgezählten Sachverhalte eröffnet sei. Eine Ausdehnung auf andere Fälle sei aus Gründen der Rechtssicherheit und des Schutzes einer auf die Rechtskraft der Entscheidung vertrauenden Partei, die im Hinblick darauf ihre Altersversorgung eingerichtet habe, nicht vertretbar und vom Gesetzgeber so auch nicht gewollt.

3. Der dagegen gerichtete Angriff der weiteren Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Richtig ist zwar, daß der Ausschluß des Versorgungsausgleichs mit der vom Erstgericht gegebenen Begründung auch nach dem damaligen, vor dem 1. September 1986 geltenden Kollisionsrecht nicht zutreffend war (BGHZ 75, 241, 244 f und st. Rspr., vgl. Johannsen/Henrich Eherecht 2. Aufl. Art. 17 EGBGB Rdn. 53). § 10a VAHRG eröffnet jedoch keine Möglichkeit, die Bestandskraft dieser Entscheidung zu beseitigen.

a) Als Streitsachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit erwachsen Entscheidungen über den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich sowohl in formelle wie in materielle Rechtskraft (Senatsbeschluß vom 12. Oktober 1988 – IVb ZB 80/86 – FamRZ 1989, 264). Daran hat sich auch nach Einführung der Abänderungsmöglichkeit des § 10a VAHRG im Grundsatz nichts geändert. Allerdings erlaubt § 10a VAHRG eine weitgehende Durchbrechung der materiellen Rechtskraft, indem er – neben den anderen in Abs. 1 genannten Fällen nach Abs. 1 Nr. 1 eine Abänderung immer dann zuläßt, wenn ein im Zeitpunkt der Abänderungsentscheidung ermittelter Wertunterschied der ausgleichspflichtigen Versorgungsanrechte von dem in der abzuändernden Entscheidung zugrunde gelegten Wertunterschied wesentlich (vgl. § 10a Abs. 2 VAHRG) abweicht. Dabei kommt es, im Gegensatz zur Regelung der zivilprozessualen Abänderungsklage gemäß § 323 Abs. 2 ZPO, nicht darauf an, ob der Unterschied auf einer erst nachträglich eingetretenen Wertveränderung beruht oder seine Ursache bereits in einem Ermittlungsfehler des Erstverfahrens hat. Vielmehr werden auch solche Abweichungen erfaßt, die sich aus der nachträglichen Korrektur früherer Rechen- oder Rechtsanwendungsfehler ergeben (sogenannte Totalrevision, vgl. BT-Drucks. 10/6369 S. 21). Auch solche Fehler knüpfen aber an die in Abs. 1 Nr. 1-3 genannten Voraussetzungen an, ermöglichen also eine Abänderung insbesondere gemäß Abs. 1 Nr. 1 nur dann, wenn sich durch ihre Berücksichtigung der dem Ausgleich bisher zugrunde gelegte Wertunterschied der beiderseitigen Anrechte ändert. Das bezieht jene Fälle mit ein, in denen bei der Ermittlung der ausgleichspflichtigen Versorgungsanrechte das Anrecht eines Ehegatten unbekannt blieb oder versehentlich nicht in die Saldierung mit einbezogen wurde (Senatsbeschlüsse vom 23. September 1987 – IVb ZB 107/85 – FamRZ 1988, 276; und vom 3. März 1993 – XII ZB 93/91 – FamRZ 1993, 796, 797).

Ferner unterliegen einer Abänderung auch sogenannte Negativentscheidungen, in denen fälschlich festgestellt wurde, daß in der Ehezeit keine ausgleichspflichtigen Versorgungen erworben worden seien und deshalb ein Versorgungsausgleich nicht stattfinde, oder in denen ein Versorgungsausgleich nach Gegenüberstellung der beiderseits zu saldierenden Anrechte gemäß der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Regelung des § 3c VAHRG wegen Geringfügigkeit ausgeschlossen wurde (MünchKomm/Dörr BGB 3. Aufl. § 10a VAHRG Rdn. 6; Soergel/Minz BGB 12. Aufl. § 10a Rdn. 5; Hahne aaO S. 221; zu 3c VAHRG vgl. Senatsbeschlüsse vom 12. Oktober 1988 IVb ZB 186/87 FamRZ 1989, 37, 39 a.E.; und vom 12. April 1989 IVb ZB 178/88 – FamRZ 1989, 1058). Dagegen bleiben Fälle wie der vorliegende, in dem der Versorgungsausgleich ohne eine Ermittlung etwaiger auszugleichender Anrechte bereits dem Grunde nach ausgeschlossen wurde, außer Betracht.

b) Auch eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 10a Abs. 1 Nr. 1 VAHRG auf solche Fälle kommt, wie das Oberlandesgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht in Betracht. Sie würde zu einer nahezu vollständigen Aushöhlung der Bestandskraft von Versorgungsausgleichsentscheidungen führen und die Abänderungsmöglichkeit einem Rechtsmittel gleichsetzen, indem sie auch solche Entscheidungen, in denen der Versorgungsausgleich aus Rechtsgründen ausgeschlossen wurde, reversibel macht. Das entspräche weder der Funktion und systematischen Stellung des § 10a VAHRG im Gesetz noch der Zielsetzung des Gesetzgebers.

§ 10a VAHRG ist in seiner Konzeption dem § 323 ZPO nachgebildet, auch wenn er im Gegensatz zur Fassung des § 10a Abs. 4 des Regierungsentwurfs keine Präklusionsklausel mehr enthält (vgl. BT-Drucks. 10/5447 S. 6, 17). Abs. 1 erlaubt nur eine „entsprechende”, d.h. eine den in Nr. 1-3 erfaßten Umständen angepaßte Abänderung der Erstentscheidung nach Maßgabe des im Zeitpunkt der Abänderungsentscheidung neu ermittelten Wertunterschieds. Das hat zugleich zur Folge, daß Billigkeitserwägungen nach § 1587c BGB oder Art. 12 Nr. 3 Abs. 3 Satz 3 und 4 des 1. EheRG, soweit sie auf abgeschlossenen Tatbeständen beruhen und in die Entscheidung des Erstgerichts – sei es bejahend oder verneinend – Eingang gefunden haben, keiner erneuten Überprüfung unterliegen, sondern auch für die Abänderungsentscheidung maßgebend bleiben. Der Gesetzgeber hat keinen Anlaß gesehen, die Rechtskraft der früheren Entscheidung auch insoweit zu durchbrechen und den alten Verfahrensstoff wieder aufzurollen (so ausdrücklich BT-Drucks. 10/6369 S. 21; vgl. auch Senatsbeschlüsse vom 15. März 1989 – IVb ZB 183/87 FamRZ 1989, 725, 726; vom 30. September 1992 – XII ZB 142/91 – FamRZ 1993, 175; MünchKomm/Dörr aaO § 10a Rdn. 7; Johannsen/Henrich/Hahne aaO § 10a Rdn. 45; BGB-RGRK/Wick 12. neu bearbeitete Aufl. § 10a VAHRG Rdn. 23). Eine Abänderung findet außerdem u.a. nur dann statt, wenn die Abweichung von der früheren Entscheidung die Wesentlichkeitsgrenze von 10 % des früheren Ausgleichswerts übersteigt (§ 10a Abs. 2 VAHRG). Der Gesetzgeber hat dabei in Kauf genommen, daß diese Schwelle in einer Vielzahl von Fällen nicht überschritten wird und die Erstentscheidung daher ungeachtet von Fehlern oder Veränderungen Bestandskraft hat. Schließlich hat die Erstentscheidung trotz eingetretener Wertverschiebungen auch dann Bestand, wenn eine Abänderung unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der beantragten Abänderung grob unbillig wäre (§ 10a Abs. 3 VAHRG). Diese Ausgestaltung zeigt, daß der Kernbestand der materiellen Rechtskraft erhalten bleiben sollte, deren Zweck es ist, die Rechtsfolgen abgeschlossener Tatbestände im Interesse der Rechtssicherheit und des Vertrauens der Parteien in die getroffene Regelung verbindlich und abschließend festzustellen (Johannsen/Henrich/Hahne aaO § 10a VAHRG Rdn. 6; Wagenitz JZ 1987, 53, 54; Dörr NJW 1988, 97, 98).

Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich nichts anderes (vgl. dazu Hahne FamRZ 1987, 217, 219 f). Grund für die Einführung der Abänderungsmöglichkeit war in erster Linie der als unbefriedigend empfundene alte Rechtszustand, der für die Ermittlung und Bewertung der auszugleichenden Versorgungsanrechte strikt von der Momentaufnahme zum Zeitpunkt des Ehezeitendes (§ 1587 Abs. 2 BGB) ausging und auf die Vielzahl von rechtlichen oder tatsächlichen Veränderungen der sich entwickelnden Versorgungsanrechte der Ehegatten keine Rücksicht nahm. In dem Bestreben, die in der Ehezeit erworbenen Versorgungen zwischen den Ehegatten gleichmäßig und entsprechend ihrem tatsächlichen Wert aufzuteilen (sogenannter Halbteilungsgrundsatz), hat der Gesetzgeber in § 10a VAHRG nicht nur diejenigen Umstände einbezogen, die nach den bisherigen Erfahrungen am häufigsten zu nachträglichen Veränderungen des Ehezeitanteils führen – also etwa neue rechtliche Bestimmungen oder individuelle tatsächliche Umstände, die den auszugleichenden Wert beeinflussen –, sondern er hat darüber hinaus auch den Weg für eine Berichtigung fehlerhafter Entscheidungen eröffnet. Maßgebend hierfür war seine Überlegung, daß Fehler, die auf unrichtigen Auskünften der Versorgungsträger beruhen und deren Korrektur man als unumgänglich notwendig empfand, sich sachlich kaum von Rechen- oder Rechtsanwendungsfehlern der Gerichte unterscheiden und daher eine Differenzierung dergestalt, nur eine der beiden Fallgruppen in die Abänderungsregelung einzubeziehen, nicht zu rechtfertigen war (BT-Drucks. 10/6369 aaO linke Spalte). In dem dabei entstehenden Widerstreit zwischen den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit hat sich der Gesetzgeber aber für eine Beschränkung der Abänderungsmöglichkeiten auf die in § 10a Abs. 1 Nr. 1-3 VAHRG geregelten Fälle und die damit verbundene „entsprechende” Abänderung entschieden. Die Totalrevision bleibt somit an die Voraussetzungen der Abänderungsgründe in Nr. 1-3 geknüpft und die Bestandskraft von Entscheidungen, bei denen diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, gewahrt (vgl. Senatsbeschluß vom 15. März 1989 aaO S. 2000; MünchKomm/Dörr aaO Rdn. 2). Der Senat vermag sich daher der in der Rechtsprechung (OLG Koblenz FamRZ 1987, 950 f; OLG Hamm FamRZ 1992, 826 f) teilweise vertretenen Ansicht, § 10a Abs. 1 Nr. 1 VAHRG eröffne eine Abänderungsmöglichkeit auch in jenen Fällen, in denen der Versorgungsausgleich vom Erstgericht aus Rechtsgründen ausgeschlossen wurde, nicht anzuschließen. Die Antragstellerin hätte vielmehr seinerzeit die kollisionsrechtlich fehlerhafte Rechtsansicht des Erstgerichts mit den ihr zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln bekämpfen müssen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI609869

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